Es schneit. Romantische Gefühle kommen in mir hoch. Lebkuchen – Stollen – Glühweintrinken und die Auslagen an den kleinen, liebevoll geschmückten Holzstandln bestaunen …Wie freu ich mich auf den Christkindlmarkt … Oder sagt man heute: Weihnachtsmarkt? Egal: Warm eingepackt, voller Vorfreude mach ich mich auf den Weg von Feldmoching zum Marienplatz. Am Abend, natürlich, denn da ist es besonders romantisch. Und selbstverständlich mit der U-Bahn – man will ja die Umwelt schonen – und mit dem Auto würde es ohnehin Stunden dauern, bis man sich durch den Stau in die Stadtmitte gequält hat.
Welch ein Komfort: In der U-Bahn bekomme ich einen Sitzplatz – der Vorteil einer Endhaltestelle. Ich mache es mir gemütlich, die Fahrt geht los. Am Scheidplatz wartet brav die U3 auf mich – wie praktisch, diese Verbindung! Jedoch – die U2 ist inzwischen mit Menschen so vollgestopft, dass ich es kaum schaffe herauszukommen. Gerade noch kann ich mich in die weiterfahrende U-Bahn zwängen, bevor sich die Tür vor meiner Nase schließt. Natürlich ist an einen Sitzplatz nicht zu denken. Dennoch – ich habe es gut: Ich kann nicht mehr umfallen. Obwohl mir aus olfaktorischen Gründen dringend danach ist. Festgesteckt in der Menschenmenge, eng an eng mit fremden Menschen, meine Nase in der Achselhöhle eines Riesen, meine Handtasche furchtsam an mich geklammert, im aussichtslosen Bemühen, den Hustenanfällen einer alten Dame auszuweichen, bin ich froh, endlich am Marienplatz aussteigen zu können (schwer zu schaffen, wenn einem gefühlte Hundertschaften den Weg versperren). An der Oberfläche angekommen, schnappe ich erst mal nach Luft und versuche, meinen Weg zu Fuß fortzusetzen. Haben Sie das schon mal probiert: am Marienplatz, um 18 Uhr, wenn Christkindlmarkt ist? Kein Vorankommen!
Die Menschen um mich herum schreien, drängeln, hetzen. Aus ihren Ohren baumeln Kabel, ihr Blick ist starr auf ein lebkuchenartiges Teil in ihrer Hand gerichtet. Die Lebkuchenteile blinken. Die eigenartigen Menschen tippen darauf herum, manche reden sogar mit ihnen. Weihnachtsliederdurcheinander dringt in mein Ohr. Wo bin ich?
Ich falle über die ausgestreckten Beine eines Bettlers. Sein Hund knurrt mich böse an.
Immerhin: noch klettert kein roter Plastik-Weihnachtsmann die Rathauswand empor – nein: Alles funkelt und glitzert und der hell erleuchtete Christbaum steht da – majestätisch und schön. Irgendwie tut er mir leid.
Es schneit. Was also tun? Zurück in die U-Bahn? Wie romantisch!
Sonja Sachsinger