Zum 72. Jahrestag der Befreiung von Münchens einzigem KZ, dem KZ-Außenlager Dachau-Allach auf dem Boden der heutigen Siedlung Ludwigsfeld, fanden sich am Sonntagvormittag, den 23. April an die 30 Personen zusammen – darunter die Bezirksräte Rainer Großmann und Gerhard Wimmer sowie Gabi Meissner vom BA 24. Unter dem Motto „Frauen, Kinder, Zigeunerinnen und Jüdinnen – zum Sterben nach Allach“ gedachten sie der vielen bekannten und unbenannten Toten dieses KZ-Außenlagers, das dereinst BMW-Zwangsarbeiter „beherbergte“.
Stadtteilhistoriker und BA-Mitglied Klaus Mai hatte auch heuer die kleine Gedächtnisfeier bei der letzten noch erhaltenen Baracke des Lagers organisiert. Mai, der in den letzten Jahren in zahlreichen Archiven im In- und Ausland über dieses KZ-Außenlager aufwendig recherchiert hat und damit vielen Toten einen Namen geben konnte, erinnerte in seinem kurzen Vortrag daran, dass man lange Zeit gar nicht wusste, dass auch Kinder dort „untergebracht“ waren. Dass dem so war, diese Info verdankt er Josef Beil, der an der Karlsfelder Str. wohnt und sich noch daran erinnern kann, damals auch kleine Kinder gesehen zu haben.
Mai hat in den Archiven die Unterlagen zu 620 Transporten gefunden, die zwischen März 1943, der Eröffnung des Lagers, und 1945 stattfanden. Rund 32.500 Häftlinge „liefen“ durch dieses KZ-Außenlager. Häftlinge unterschiedlichster Nationalität, die aus den verschiedensten KZs im Deutschen Reich und anderen europäischen Ländern hierher verbracht wurden – darunter auch fünf Schweizer und drei Amerikaner. Kurz vor der Befreiung des Lagers durch die Amerikaner am 30. April fasste das Lager fast 13.500 Häftlinge.
Die Suche nach 56 Kindern geht weiter
Drei reine Frauentransporte konnte Mai ausfindig machen – zwei im Jahr 1944, einen für 1945. Bei allen drei Transporten, die direkt aus Budapest kamen, ging es um sogenannte Geiselhäftlinge. Die Männer dieser Frauen hatten sich mit Ausreisevisa ins Ausland, oft nach Palästina, retten können. Und die Nazis wollten mit der Gefangensetzung der Frauen und Kinder Geld von ihnen erpressen.
Für den 16. November 1944 konnte Mai die Ankunft von 404 Frauen und 56 Kindern ermitteln. Um diese 56 Kinder geht es ihm in seiner derzeitigen Recherche, denn diese Kinder erhielten beim Eingang ins KZ lediglich Nummern. Seit am 24. November 1944 dann 461 Häftlingsfrauen ins KZ Bergen-Belsen verlegt wurden – und mit ihnen die 56 Kinder –, sind diese „verschwunden“. Transportlisten gibt es nicht mehr. Dass sie in Bergen-Belsen angekommen sind, kann man eventuell dem nüchternen Tagebucheintrag des 15-Jährigen Arieh Koretz entnehmen, der sich im sogenannten Sternlager, einem Teillager des KZ-Bergen-Belsen mit „Geiselhäftlingen“, befand. Er erwähnt vermutlich genau diese Gruppe in seinem Tagebucheintrag vom 27. November 1944. Er schreibt: „In Baracke 21 wurden jetzt Zigeuner untergebracht, vor allem Frauen und Kinder, die aus Ungarn kamen. Am Nachmittag wurden sie zur Desinfektion geholt, nackt und barfuß in dieser Kälte, ein schreckliches Bild, vor allem ist ihr physischer Zustand sehr schlecht.“ (Arieh Koretz, „Bergen-Belsen – Tagebuch eines Jugendlichen“, Göttingen 2011, S. 116.)
Ob es sich bei den 56 Kindern, die die Amerikaner am 12. Mai 1945 im Außenlager Dachau-Allach registrierten, wiederum um exakt diese 56 Kinder vom November des vergangenen Jahres handelt, konnte Mai bisher nicht klären. Bei fast einer halben Million Dokumente ist die Recherche ein Zeit- und Geduldsspiel.
Um Licht ins Dunkel zu bringen und den 56 Kindern zu ihren Namen zu verhelfen, möchte Klaus Mai einen öffentlichen Aufruf in Ungarn starten. Denn als unverbesserlicher Optimist hofft er, dass diese Kinder damals überlebten und in ihre Heimat zurückkehren konnten.
Erinnerung an die vielen (namenslosen) Toten
In einer Schweigeminute wurde neben den drei toten Frauen des Transports vom 20. November 1944 – Ilona Papa, Klara Rosza und Eva Ney – auch der Toten gedacht, die bei der Befreiung des KZ-Außenlagers durch amerikanischen Granatbeschuss starben (hinter dem KZ-Außenlager befand sich eine Flakstellung, die erbitterten Widerstand leistete), darunter auch der ungarische Lagerarzt Dr. Molnar. Erinnert wurde auch explizit an die noch heute namenlosen 170 Toten, die die Amerikaner nach der Befreiung im Lager herumliegend fanden und die auf dem Feldmochinger Friedhof beerdigt wurden.
Pfarrer Björn Mensing von der evangelische Versöhnungskirche in der KZ-Gedenkstätte Dachau sprach im Anschluss noch ein „Vater unser“ – das Gebet, das vielen Häftlingen im KZ Dachau eine Stütze war und ab 1941 in der Kapelle von Block 26 (dem sogenannten Priesterblock!) täglich gebetet wurde. Mensing war nach eigenen Aussagen das erste Mal 2006 mit dem ehemaligen KZ-Häftling Martin Kieselstein aus Jerusalem bei der Gedenktafel für die ehemaligen Häftlinge des KZ-Außenlagers Dachau-Allach in Ludwigsfeld gewesen, wo Kieselstein damals unter schwersten Arbeits- und Lebensbedingungen vor allem zum Bau von Bunkeranlagen eingesetzt worden war.
OB verspricht Gedenkstätte
OB Reiter hat Klaus Mai übrigens bei der Übergabe der neuen Schriften zum KZ-Außenlager erneut zugesichert, dass in der einstigen Baracke eine Gedenkstätte eingerichtet wird. Wie wichtig ein Ort des Gedenkens und Erinnerns ist, davon kann Klaus Mai viel erzählen, denn noch immer bekommt er Anrufe und Besuche von Söhnen und Enkeln ehemaliger KZ-Häftlinge, die wissen möchten, wo ihr (Groß-)Vater gelitten hat und gestorben ist.
Fotos: Renate Regnet. Gerlinde Dunzinger