Ein bescheidenes Schild mit der Aufschrift „Schwestern und Brüder vom heiligen Benedikt Labre e. V.“ am Lattenzaun eines auf den ersten Blick unscheinbaren Anwesens an der Straße Auf den Schrederwiesen 22 ist alles, was auf eine karitative Einrichtung hinweist, die im 24. Stadtbezirk vielen Menschen unbekannt sein dürfte. Diese wohltätige Einrichtung muss sich aus eigenen Einnahmen und mit Spenden finanzieren. Der kath. Männerverein Feldmoching spendet daher der Ludwigsfelder Einrichtung seit Jahren die Einnahmen vom Verkauf der „Vitaminspritzen“ vor und nach den Gottesdiensten in St. Peter und Paul zum Erntedankfest sowie einen Teil der Vereinsbeiträge, die immer mit großem Dank entgegengenommen werden.
Hier in Ludwigsfeld, in einem kleinen und bescheidenen Hort praktizierter Humanität auf christlich-religiöser Grundlage geschieht viel Gutes an Frauen und Männern, die in große Not gerieten und schließlich ihrem Schicksal auf der Straße überlassen waren. Diese obdachlosen Menschen standen auf der Schattenseite des Lebens. Eine jede Schwester und ein jeder Bruder, wie die Bewohner im „Haus zum heiligen Vinzenz von Paul“ genannt werden, trägt ein ganz persönliches Lebensschicksal mit sich. Nur wenige wollen darüber reden – müssen sie ja auch nicht.
Wir Außenstehende, denen es besser geht, sollten anerkennen, dass diese bittere „arm sein“ oder „arm geworden sein“ nicht mit einer persönlichen Schuld verbunden werden darf. Die Satzung dieser Einrichtung auf der Grundlage eines eingetragenen Vereins kennt für die Aufnahme hilfsbedürftiger, obdachloser Menschen keine Voraussetzungen nach Frauen oder Männern, Alter, Staatszugehörigkeit oder Herkunft, Religion … Allein wichtig für die Aufnahme ist die Not des oder der Einzelnen.
Beschäftigungen geben Halt und Sinn
In der Ludwigsfelder Einrichtung lebt stets ein gutes Dutzend Männer, meist nicht mehr die jüngsten, die damit einem Leben „auf der Straße“ entkommen konnten. Hier haben sie jeweils ein eigenes, wenn auch bescheidenes warmes Zimmer, hier leben sie in einer Gemeinschaft der Geborgenheit und des gegenseitigen Verstehens. Hier haben sie täglich ihr Essen und Trinken (zu gemeinsamen Mahlzeiten) und hier gehen sie einer Beschäftigung nach, die sehr wichtig ist, um ihnen wieder den Sinn ihres Lebens, ihr persönliches Selbstwertgefühl und auch Lebensfreude zurückzugeben. Freilich, umsonst leben die Brüder und Schwestern in ihrer Ludwigsfelder Heimstätte nicht. Denn wer hier wohnt und sich seiner Gesundheit erfreuen darf, der ist auch zur Mitarbeit verpflichtet: im Haus, im Hof, in den Werkstätten für Scheinerarbeiten und Kerzenziehen, im Floh- und Antiquitätenmarkt oder bei Besorgungs- und Betreuungsfahrtenfahrten.
Tee und Brot für die Ärmsten auf Münchens Straßen
In der eigenen Schreinerwerkstatt werden gebrauchte Möbel wieder flott und „marktfähig“ gemacht, zuvor jedoch müssen die Altmöbel mit dem vereinseigenen Fahrzeug herbeigeschafft und hernach teilweise wieder zu den neuen Empfängern transportiert werden. Jede Nacht fährt ein vereinseigener Lieferwagen, „Möwe Jonathan“ genannt, zu einer „Teefahrt“ nach München, um dort bei bestimmten Treffpunkten an Obdachlose, die auf der Straße oder unter Brücken leben, die „Freunde von der Straße“, warmen Tee und Brot zu verteilen. Diese Hilfe mögen Unkundige sehr bescheiden empfinden – ist sie ja auch. Aber die Obdachlosen sind über diese Hilfe in der Nacht, vor allem in den kalten Jahreszeiten, hoch erfreut.
Die Einrichtung muss sich selbst finanzieren
Die karitative Einrichtung Schwestern und Brüder vom heiligen Benedikt Labre in Ludwigsfeld wird nicht von öffentlichen Kassen getragen. Sie finanziert sich ausschließlich aus eigenen Einnahmen, im Wesentlichen aus den Erträgen des Floh- und Antiquitätenmarktes im Eigentum des Vereins der Schwestern und Brüder des heiligen Benedikts Labre sowie aus mildtätigen Spenden. Ohne Spenden könnten die engagierten Frauen und Männer der Grundgemeinschaft unter der Leitung ihres Gründers Walter Lorenz ihr Werk nicht aufrechterhalten.
In der Ludwigsfelder Einrichtung sorgen Walter Lorenz und die Ordensschwestern Ina und Rosa dafür, dass das Alltagsleben der dort dauerhaft wohnenden Brüder und Schwestern geordnet, gerecht und ihren Bedürfnissen entsprechend geregelt ist. Ein jeder Tag beginnt am Morgen mit einem gemeinsamen Gebet. Zu den Angeboten, an der aber kein Hausbewohner teilnehmen muss, gehören auch wöchentliche Eucharistiefeiern in der kleinen Hauskapelle.
Wie Walter Lorenz sein Leben vor mehr als 35 Jahren änderte
Walter Lorenz, ehemals Lokführer bei der Deutschen Bundesbahn, begann nach einem tiefgreifenden persönlichen Erlebnis mit obdachlosen Menschen bereits 1980 damit, sich um Obdachlose zu kümmern, um ihnen wieder ein menschenwürdiges Leben mit einem dauerhaften Dach über dem Kopf zu ermöglichen. Doch bis es mit dem Dach soweit war, musste er einen steinigen Weg zurücklegen. Lorenz scheute ihn ebenso wenig wie Bittgänge zu Einrichtungen und Personen, die er für sein Vorhaben brauchte.
Er fand diese Menschen. Eine erste große Unterstützung war der Katholische Männerfürsorgeverein. Durch dessen Vermittlung kaufte die Erzdiözese von München und Freising in der Pommernstr., nahe dem BMW-Werk München, ein Haus und überließ es Walter Lorenz zur Miete. Der gründete dort am 3. April 1985 seine erste Wohngemeinschaft für Obdachlose und gab dem Haus den Namen „Haus vom hl. Benedikt Labre“.
Seit 1986 verantwortet der Verein „Schwester und Brüder vom hl. Benedikt Labre e. V. (als gemeinnützig und mildtätig vom Finanzamt anerkannt) die Gesamtanliegen und die damit verbundenen Tätigkeiten der Häuser in München und Ludwigsfeld. Ein weiterer im Jahr 1985 gegründeter Standort in Unterhaching, die „Herberge vom heiligen Benedikt Labre“, musste leider aufgegeben werden, weil Schwestern für die Betreuung der Bewohner fehlten.
In Ludwigsfeld begann Lorenz 1988
Das etwa 150 Jahre alte Haus an der Straße Auf den Schrederwiesen 22 konnte Walter Lorenz für die Erweiterung seines Werkes ebenfalls von der Erzdiözese mieten. Ein vertragliches Erbbaurecht zwischen der Diözese und dem Männerfürsorgeverein konnte mittlerweile auf den Verein Benedikt Labre übertragen werden, der das Haus seitdem unter dem Namen „Haus vom hl. Vinzenz Paul“ führt.
Seit dem Gründungsjahr 1988 hat sich in Ludwigsfeld einiges getan. Die Aufenthalts- und Wohnräume wurden um einen Neubau erheblich erweitert, auf dass hier mehr Obdachlose eine dauerhafte Bleibe finden können. Hinzu kamen Hallen für einen großen Floh- und Antiquitätenmarkt sowie für die Werkstätten und ein Zwischenlager für Möbel, die den Namen des hl. Benedikt Labre tragen. Seit 1990 sorgt hier auch ein Hausmeister dafür, dass der gesamte Betrieb und die Einrichtungen in den Häusern und den Werkstätten funktionieren und der große Außenbereich einen ordentlichen Eindruck macht.
Doch eine große Sorge bedrückt den Gründer dieser wohltätigen Einrichtungen in München und Ludwigsfeld mehr und mehr: Wie lange wird es ihm noch vergönnt sein, sich täglich umsichtig um das Wohl seiner Brüder und Schwestern von der Straße kümmern zu können? Und vor allem: Wie wird es eines Tages einmal ohne ihn weitergehen? Bis heute ist diese Einrichtung fest mit dem Namen des rauschebärtigen Walter Lorenz verbunden und ohne diesen Mann in deren Mitte schwer vorstellbar. Reinhard Krohn