Das ist vermutlich weltweit einzigartig: Nach 57 Jahren versenkte Münchens Alt-OB Hans Jochen Vogel nach einer kurzen Ansprache (trotz seines hohen Alters fast ganz im Stehen gehalten!) am Donnerstag, den 19. Oktober noch einmal eine Zeitkapsel fürs Hasenbergl in den Sockel der Pferdeskulptur vor dem Kulturzentrum 2411. Die alte „Blechbüchsn“, wie man sie damals nannte (O-Ton Vogel), war beim Abriss des maroden Ladenzentrums verloren gegangen. Hans-Jochen Vogel hatte sie am 25. Mai 1960, quasi als erste Amtshandlung als frisch gekürter Oberbürgermeister Münchens, in den Grundstein bei der Post auf dem Weg hoch zum Frühlingsanger versenkt. Die neue Zeitkapsel fürs Hasenbergl ist ein Projekt der Künstlerin Pia Lanzinger, die selbst am Hasenbergl aufgewachsen ist, inzwischen aber in Berlin lebt. Finanziert wurde die Kunst im öffentlichen Raum von Münchens Kulturreferat.
Der 25. Mai 1960 war ein schöner Tag gewesen. Ein goldenwarmer Herbsttag war auch der 19. Oktober. Viele der 70 Zeitboten, deren Geschichten mit und rund um das Hasenbergl, gebannt auf Video und Papier, die neue Zeitkapsel befüllen, ließen es sich nicht nehmen, an der feierlichen Übergabe teilzunehmen. So auch Münchens anderer Alt-OB Christian Ude, der mit einer witzigen Anekdote über den Besuch des Wohnungsbauministers aus Berlin im „sozialen Brennpunkt“ Hasenbergl den Erinnerungsschatz des Stadtviertels ebenso bereichert wie etwa Rudolph Kühnel mit seiner Geschichte, als er dem damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt bei dessen Besuch am Hasenbergl einen Trachtenhut überreichte und dafür einen kumpelhaft kräftigen Schlag auf die Brust erhielt.
Pia Lanzinger sah den Verlust als Chance
Im Rahmen des Projekts „Zeitkapsel Hasenbergl“ spürte die Künstlerin Pia Lanzinger zwei Jahre lang dem Leben in der Wohnsiedlung von der Nachkriegsmoderne bis in die Jetztzeit nach. Sie erkannte den Verlust der ursprünglichen Zeitkapsel als Chance, die bisher weitgehend vermisste öffentliche Selbstdarstellung des Lebens im Viertel nachzuholen. Denn bislang gibt es lediglich viele (falsche) Außenansichten zum Hasenbergl.
So wurde die neue Zeitkapsel gefüllt mit Geschichten von Menschen, die am Hasenbergl leben oder dort arbeiten. Es berichten etwa: Wolfgang Wenger (Polizeipressesprecher i. R.), Rainer Großmann (Bezirksrat, BA-Mitglied seit über 30 Jahren), Ursula Buchfellner (erstes deutsches Playmate im US-amerikanischen Playboy), der Landtagsabgeordnete Joachim Unterländer, Willy Astor (Musiker und Wortverdreher), Johanna Hofmeir (Gründerin und Leiterin vom „Lichtblick Hasenbergl“), die Glaskünstlerin Mahbuba Maqsoodi …
Die alte „Blechbüchsn“ hingegen enthielt – was hätte man zu diesem Zeitpunkt auch anderes reintun können – die Abendzeitung und die Süddeutsche Zeitung vom 25. Mai 1960, die Bebauungspläne der neuen Siedlung sowie die Rede von Hans-Jochen Vogel zur Grundsteinlegung. In all den Jahren passte die Pferdeskulptur des Bildhauers Alexander Fischer auf den Grundstein auf, doch als sie 2012 für den Neubau des Edeka und des Kulturzentrums versetzt wurde, ging der Grundstein verloren. Möge also die neue Zeitkapsel länger als 57 Jahren existieren. Rein technisch wurde jedenfalls vorgesorgt: Die Geschichten wurden auf eine DVD gebrannt, die laut Pia Lanziger 1.000 Jahre halten soll. (Behauptet zumindest die US-Navy.) Vorsichtshalber wurde aber auch noch ein USB-Stick mit den Videofilmen samt einem wasserdicht verschweißten Büchlein zum Zeitkapselprojekt in die wasserdichte Dose gegeben – man weiß ja
nie, mit welch technischen Systemen unsere Nachwelt arbeiten wird und ob da überhaupt noch eine Kompatibilität gegeben sein wird. Verschlossen wurde die Zeitkapsel im Sockel der Pferdeskulptur aus Bronze passenderweise mit einem bronzenen Deckel. Auf dem nun, sicher ist sicher, doch auch der Inhalt vermerkt ist!
P.S.: Die Videoaufnahmen der 70 Zeitboten können Sie unter www.zeitkapsel-hasenbergl.de jederzeit bequem ansehen und –hören.
Impressionen von der Übergabe der Zeitkapsel