100 Jahre nach der russischen Oktoberrevolution und 25 Jahre nach dem Ende der UdSSR widmet sich die Münchner Volkshochschule in diesem Wintersemester schwerpunktartig dem riesigen Land im Osten mit seiner großartigen Geschichte und Kultur in mehr als 250 Veranstaltungen (siehe auch Seite 7). Lokalhistoriker und Ausstellungsmacher Klaus Mai fügt dem Thema mit seiner Ausstellung „Sowjetische Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter als KZ-Häftlinge im Münchner Norden“ einen weiteren, wenngleich dunklen Aspekt in der Beziehung zum großen Nachbarn im Osten hinzu. Die Ausstellung in der VHS-Galerie des Kulturzentrums 2411 ist bis 23. März zu besichtigen. Den „Hit“ der Ausstellung, die von Mai entwickelte interaktive Karte, können Sie allerdings bequem zuhause aufrufen.
Diese interaktive Karte zeigt sämtliche Kriegsgefangenenlager und Arbeitskommandos für sowjetische Kriegsgefangene und Zivilarbeiter im damaligen 33. Stadtbezirk, dem heutigen 24. (und darüber hinaus bis nach Freimann und Allach sowie im Süden bis zum Oberwiesenfeld beziehungsweise bis nach Schwabing und im Norden bis Schleißheim, wo ab September 1941 die ersten 350 sowjetischen Kriegsgefangenen zum Arbeitseinsatz abkommandiert waren). Sie finden diese Karte im Internet unter www.mai-consulting.de(.)
Die Karte präsentiert das damalige Firmen-how-is-how: BMW, Krauss-Maffei, Rathgeber, die Südbremse, die Futtermittelfabrik Zentz, die Reichsbahn, Metallwerk Neumayer, die Feinmechanische Firma Friedrich Schröder, die Großschlosserei Friedrich Maurer & Söhne, der Bauunternehmer Karl Landauer … Klicken Sie auf eines der Felder, bekommen Sie eine historische Luftaufnahme des Firmengeländes samt Umgebung sowie Angaben, welche und wie viele ausländische Arbeiter in der Firma arbeiten mussten. Klicken Sie sodann noch einmal auf „Karte“, präsentiert Ihnen Google den Standort heute, so dass Sie beispielsweise bei einer Radltour die Orte des Geschehens und Schreckens verorten können.
Klicken Sie links auf die Buttons „Kriegsgefangene“, „Zivilarbeiter“ und „KZ-Häftlinge“, erhalten Sie weitergehende Infos, etwa über die Lebensumstände der Arbeiter. Auch viele Einzelschicksale hat Klaus Mai minutiös dokumentiert. Ferner bekommen Sie Angaben zu sämtlichen Lagern und Einsatzorten in München, etwa bei Rosenthal, Lufthansa …
Industrie & Landwirtschaft brauchten ausländische Arbeiter
Die Ausstellung selbst umfasst 60 von 90 Tafeln, gut gestaltet mit informativen Texten und historischen Fotos, Zeichnungen und Bildern, gemalt von Häftlingen während der NS-Zeit oder in der Nachkriegszeit. (Sie bastelten zur Weihnachtszeit übrigens auf Bestellung ihrer Bewacher auch Holz- und Metallspielzeug!)
Denn zur Kriegszeit, als es an der Heimatfront kaum mehr männliche deutsche Arbeitskräfte gab, mussten nicht nur Deutschlands Kinder, Alte und Frauen in der Rüstungsindustrie und in der heimischen Landwirtschaft schwer schuften. Je länger der Krieg dauerte, desto mehr „freiwillige“ ausländische Zivilarbeitskräfte und Kriegsgefangene brauchte man. Im August 1944 waren im Großdeutschen Reich 7.615.970 ausländische Arbeitskräfte beschäftigt. Davon waren 1,9 Mio. Kriegsgefangene und 5,7 Mio. zivile Arbeitskräfte. In der Landwirtschaft hatte mit 46,4 % fast die Hälfte aller Beschäftigten eine ausländische Herkunft – klar, die Bauernsöhne waren im Krieg bzw. schon gefallen. Im industriellen und gewerblichen Sektor lag der Anteil bei rund einem Drittel, in den Rüstungsbetrieben bei fast 50 %.
Laut einem Bericht des Rüstungskommandos München vom 21. September 1944 waren im Stadtbereich München zu diesem Zeitpunkt in über 230 Außenkommandos insgesamt 9.421 Kriegsgefangene in Landwirtschaft, Industrie und Wirtschaft eingesetzt. Über die Hälfte davon waren sowjetische Kriegsgefangene. Dass deren Anteil so hoch lag, ist auf die Rüstungsproduktion von BMW in Allach zurückzuführen. Dazu Generalfeldmarschall Milch: „Unser hochwertigster neuer Motor (BMW 801) wird zu 88 % von russischen Kriegsgefangenen gemacht und die übrigen 12 % sind deutsche Männer und Frauen. An der Ju 52 arbeiten nur 6 bis 8 deutsche Männer und Frauen, im übrigen nur ukrainische Frauen, die alle Arbeitsrekorde der Facharbeiter gedrückt haben.“
„Der Russe“ ist flucht- und sabotagefreudig
Ein Fremdarbeiter war nicht in jedem Fall ein Zwangsarbeiter. Es gab „freiwillig Beschäftigte“ aus „befreundeten Staaten“ wie Freiwillige aus „Feindstaaten“, daneben „Dienstverpflichtete“, aber auch „beurlaubte Kriegsgefangene“, die als Zivile einen höheren Lohn erhielten. Ganz unten in der Hierarchie, quasi kurz vor den Juden, rangierte „der Russe“ – flucht- und sabotagefreudig, verschlossen, zurückhaltend, verbunden mit Schläue und List, aber beruflich vielseitig brauchbar, wie Landesschütze Josef Schmid, als Soldat in der Lagerverwaltung eingesetzt, in einem Bericht schrieb.
Da russische Kriegsgefangene nach Ansicht von Nazi-Deutschland nicht unter die Haager Landkriegsordnung von 1907 und die Genfer Konvention von 1929 fielen – die Sowjetunion hatte das Genfer Abkommen über die Behandlung von Kriegsgefangenen nicht unterschrieben und Stalin die Unterzeichnung des Haager Abkommens durch das zaristische Russland aufgekündigt –, wurden gefangene russische Soldaten zum Arbeiten gezwungen, erhielten weniger Essen, wurden stärker überwacht und nicht vom Internationalen Roten Kreuz betreut.
(Wobei die Genfer Konvention klar besagt, dass „falls in Kriegszeiten einer der kriegführenden Parteien nicht Vertragspartner ist, die Bestimmungen dieses Abkommens für die Vertragsparteien verbindlich bleiben.“ Das Deutsche Reich hatte das Abkommen am 27. Juli 1929 unterschrieben.)
So waren 1944 in München an 15 Standorten 1.229 sowjetische Kriegsgefangene u. a. als Flakschützen und -helfer bei der Luftwaffe eingesetzt, auch bei der schweren Flak-Batterie 4/457 am Hasenbergl auf Höhe der heutigen Reginolt-/Weitlstr. Ferner setzte man sowjetische Kriegsgefangene zur Zwangsarbeit in den örtlichen Fabriken sowie in der Landwirtschaft ein. Die Arbeitskommandos, so hat Mai recherchiert, wurden vor allem beim Aussäen und Ernten von den Ortsbauernschaften kurzfristig aus Moosburg angefordert. Auch im Reichsbahnlager Eggarten waren sowjetische Kriegsgefangene untergebracht, die bei Bedarf auf den Feldern der Feldmochinger Bauern arbeiteten, ansonsten im Reichsbahnausbesserungswerk in Freimann tätig waren, sprich sie wurden sieben Tage die Woche wechselnd eingesetzt. Die „Ostarbeiter“ (Zivil- und Zwangsarbeiter) wohnten in eigenen Lagern, etwa an der Schleißheimer Str. Sie arbeiteten in den Rüstungsbetrieben und wurden ebenfalls bei Erntearbeiten von den Feldmochinger Bauern eingesetzt.
Sie alle waren der Willkür der SS und ihrer Aufseher ausgesetzt. Bereits der Verdacht von Sabotage oder Diebstahl führte zum Tod durch Erhängen, ein Fluchtversuch ins KZ.
Klaus Mai hat herausgefunden, dass etwa im KZ-Außenlager Dachau-Allach von Februar 1943 bis zum 30. April 1945, dem Tag der Befreiung, 86 sowjetische Zivilarbeiter und zwei sowjetische Kriegsgefangene starben. Bislang sind ihm acht Hinrichtungen bekannt, die mit Sabotage begründet wurden. Alle waren durch BMW-Werkmeister bei der SS angezeigt worden. rer
P.S. I: Die Ausstellung, die mit Unterstützung des BA und dem Verein „Gegen Vergessen – für Demokratie, regionale Arbeitsgruppe München“ zustande kam und im 2. Stock des Kulturzentrums 2411 (Blodigstr. 4) zu besichtigen ist, und zwar montags bis freitags von 10 bis 20 Uhr, geht bis 23. März. An Wochenenden und in den Ferien ist nur bei Veranstaltungsbetrieb geöffnet. Der Eintritt ist frei. Ausstellungsmacher Klaus Mai wird am Aschermittwoch, den 14. Februar von 18 bis 19.30 Uhr eine kostenlose Führung durch die Ausstellung geben.
P.S. II: Der Ausstellungskatalog soll bis Ende Februar gedruckt vorliegen. Er ist kostenlos bei der VHS im Kulturzentrum 2411 erhältlich. Eine Dokumentation zur Ausstellung mit 250 Biografien sowjetischer KZ-Häftlinge ist in Vorbereitung. Ihr Preis ist noch nicht bekannt.