Dem Bündnis Gartenstadt gehören mittlerweile 20 Vereine und Bürgerinitiativen an – darunter auch der Bürgerverein Lerchenau und die Interessengemeinschaft Fasanerie aktiv. Und trotz des selten schönen Wetters fanden sich an diesem Abend zahlreiche Bündnisvertreter und Interessierte ein, um den Anschauungen des möglichen nächsten OB von München zu lauschen.
Die Fakten sind hinlänglich bekannt: München ist die dichtest bebaute Stadt Deutschlands (aber auch die Gemeinden Ottobrunn und Gröbenzell etwa zählen zu den bebautesten ihrer Art) mit den geringsten städtischen Grünflächen pro Einwohner. Und es wird weiter gebaut, gerade auch in den Gartenstädten, wo die großen Häuser, in den 1970er-Jahren auf großen Grundstücken gebaut, heute als Referenz dienen für neue, „aufgepumpte Schlitten“ auf kleinen Grundstücken, deren Bewohner vom Garten des Nachbarn leben (O-Ton Robert Brannekämper, CSU-Stadtrat). Dafür und für die damit nötige Tiefgarage wird stets der komplette Garten ausgehoben, alter Baumbestand unwiederbringlich vernichtet. Denn auf dem späteren Rollrasen über der nicht allzu tiefen Tiefgarage kann kein Baum mehr gepflanzt werden. So verlieren Münchens Gartenstädte immer mehr an Charakter, es entsteht ein baulicher Einheitsbrei, der lediglich am Profit der Bauträger orientiert ist. Doch München atmet, das belegen die Zahlen, gerade durch die privaten Gärten.
Das Schlagwort „Gentrifizierung“ kennt jeder zweite Münchner
Und wie steht Noch-Wirtschaftsreferent Dieter Reiter, der in den Medien schon einmal damit zitiert wurde, dass für ihn Hochhäuser mit über 100 m kein Tabu seien, zu diesem Thema? Der OB-Kandidat kam wohlpräpariert in den Presseclub und stellte sein kurzes Referat unter das Motto „Wohnen in einer wachsenden Stadt“. Denn ob es einem gefalle oder nicht, München werde weiter wachsen. Das besagten alle Prognosen renommierter Institute, das bewirke die Freizügigkeit innerhalb der EU und die schlechte Wirtschaftslage in vielen südlichen Ländern. Das sei aber auch dem eigenen Babyboom zu verdanken, so Reiter.
Nach seiner Ansicht müssen zunächst alle ehemaligen Kasernenflächen, die brachliegenden Bahn- und Industrieflächen „exzessiv“ genutzt werden. Nicht dass er Wohnhochhäuser wolle, „aber ein bisschen mehr Mut in der Architektur“ kann er sich schon vorstellen. Sodann will er den Bestand nachverdichten, also etwa innerhalb des Altstadtrings den Dachausbau erlauben sowie Gebäude aus den 1960er/70er Jahren sanieren und erweitern, und Baulücken schließen. Eine exklusive Dachterrasse schaffe zwar noch keinen bezahlbaren Wohnraum, aber da könne man ja mit den Bauherrn durchaus ein Gegengeschäft abschließen, dass dafür etwa in den unteren Stockwerken die Mieten in den nächsten Jahren nur moderat erhöht würden, ist sich Reiter sicher. Denn ebenso wichtig ist es ihm, dass bezahlbare Wohnungen in gewachsenen Strukturen erhalten bleiben und nicht immer mehr Wohnungen luxussaniert und in Eigentum umgewandelt werden. Nur so sei auch weiter eine gute soziale Durchmischung gegeben. Es sei doch schon schlimm, dass in München jeder zweite das Wort Gentrifizierung kenne.
„Der § 34 ist ein Gummiparagraph“
Doch wo sollen die Wohnungen herkommen? Reiter wünscht sich ein organisches Wachstum zusammen mit dem Umland, wo nicht nur Wohnungen, sondern auch Arbeitsplätze angesiedelt werden sollten.
Und in den Gartenstädten – der Verbindung zwischen Innenstadt und Umland? Immer wenn der Erbfall eintritt, dann kommt es hier zu einer massiven Verdichtung, schlagen die Bauträger zu. Laut Reiter wird es noch vor der Sommerpause im Stadtrat einen Beschluss geben, mit dem das Planungsreferat beauftragt wird, für zwei unterschiedlich strukturierte Gebiete exemplarisch Rahmenpläne zu entwickeln mit Empfehlungen, die eine gerichtsfeste Verwaltungspraxis werden könnten. Denn jede Entscheidung nach § 34 ist derzeit eine Ermessensentscheidung und die LBK hat Angst vor Prozessen und daraus resultierenden Schadensersatzansprüchen. Eine vernünftige, maßvolle Entwicklung, da ist sich Reiter sicher, wird es hier nur geben, „wenn wir eine Planung drüberlegen“.
Und überhaupt, so Reiters Credo, könne die Spekulation in Betongold nur gestoppt werden, wenn die Renditen nicht mehr so hoch sind. So sollen etwa soziale Bindungen auf die Bauprojekte gelegt werden, auf dass Grund und Boden nicht mehr so teuer sei und Genossenschaften wieder stärker zum Zuge kommen, die dann bezahlbaren Wohnraum auch für den BMW-Arbeiter samt Familie schaffen könne. Und Reiter weiter: Die Gartenstädte werden unser Wohnungsbauproblem nicht lösen können.“
Rahmenpläne nur ein stumpfes Schwert?
In der anschließenden Diskussion ging es viel um die LBK und um die Frage, ob sie nun Speerspitze der Wertschöpfung ist und alles durchwinkt, was Bauträger in ihrem Streben nach Gewinnmaximierung einreichen („so viele §34-Fälle wie in München gibt es nirgends“, monierte ein Zuhörer), oder ob sie, wie Reiter meinte, eher etwas zögerlich bei höheren Bauten sei und im Referat auch keine Genehmigungswut vorherrsche. Ferner wurde diskutiert, ob die LBK professioneller arbeiten und Vorgaben besser kontrollieren müsse und ob sie nicht noch mehr Personal brauche, weil sie „untersteuert“ sei (von den 19 neuen Stellen ging wohl keine an die Gartenstadtbezirke).
Die angekündigten Rahmenpläne hielten viele Zuhörer für „ein stumpfes Schwert“, der Mut der Referenten sei „überschaubar“. Sie plädierten vielmehr dafür, dass die Stadt den hoheitlichen Akt des Aufstellens von Bebauungsplänen ausüben solle, gerade in Gegenden, die noch zu retten wären. Das wäre ein Werkzeug, um die Verdichtung etwas zu steuern.
Auch ging es um die generelle Frage, wie viel Wachstum München noch verträgt, wo in allen Vierteln die Infrastruktur, sei es im öffentlichen Nahverkehr, aber auch bei Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen, hinterherhinke, der Mittlere Ring gar keinen Verkehr mehr aufnehmen könne, und die Garmischer offensichtlich nicht mehr gewillt sind, München weiter das Wasser aus dem Loisachtal zu liefern, wenn der Entnahmevertrag ausläuft. Müsse da eine nochmalige Bewerbung für olympische Winterspiele sein? (Reiter: „diese Frage sollten die Bürger entscheiden“) Oder eine dritte Startbahn? (Reiter: Seit fünf Quartalen geht die Anzahl der Flugbewegungen zurück, so dass es „keiner 3. Startbahn bedarf“.)