Vor einem Jahr hat OB Reiter die SEM Nord verkündet und damit das Einfrieren der Bodenpreise angekündigt. Viel passiert ist vordergründig nicht, die SEM wurde weder eingeleitet noch fasste der Stadtrat einen Satzungsbeschluss. Abgeblasen wurde sie aber auch nicht. Sie hängt, schwebt, droht. Die Initiative Heimatboden, zu der sich die betroffenen Grundbesitzer zusammengeschlossen haben, zogen am Montag, den 26. Februar deshalb das Fazit: zwölf Monate Frust mit vielen Gesprächen auf unterschiedlichsten Ebenen. Transparenz habe man damit nicht geschafft. Es werde weiter gemauert, geblockt und auf Zeit gespielt. Heimatboden fordert, dass nun auch die Stadt ihre Hausaufgaben macht und ein Agrargutachten beauftragt sowie ein juristisches Hearing veranstaltet, um Stadträte wie Öffentlichkeit endlich zutreffend zu informieren. Ein offener Brief an OB Reiter, eine Dienstaufsichtsbeschwerde bei der Regierung von Oberbayern sowie eine Petition an den Landtag sollen Druck machen. Die Fronten verhärten sich weiter.
Seit dem 21. Februar 2017 ist in Feldmoching die Welt nicht mehr in Ordnung. Damals verkündete OB Reiter („damit München München bleibt“)die Einleitung einer Städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme im 24. Stadtbezirk – analog zur SEM Nordost, die bereits 2011 auf den Weg gebracht wurde. Ein Jahr später, am 22. Februar 2018, waren Heimatboden-Vertreter wieder einmal zur „obersten Heeresleitersitzung“ (Halei), der Besprechung der Hauptabteilungsleitungen, geladen – und verließen die Runde konsterniert, frustriert und ohne konkrete Ergebnisse. Zwölf Monate „schöne Schleifen“ gedreht, nichts erreicht. Viele Fragen gestellt, wenige Antworten bekommen. „Zeit des Erwachens“ nennen sie das vergangene Jahr. Eigentlich poetisch, ginge es nicht um die Heimat, ums Eigentum, um die Existenz von Bauern und Gärtnern, um die regionale Versorgung der Stadt und ganz generell um unser aller Lebensqualität.
Ein Agrargutachten als Basis für interkommunale Planung
Um endlich eine solide Datenbasis zu erhalten, fordert Heimatboden als erstes ein Agrargutachten. Dabei sollen alle Immobilienbesitzer, ob Bauer, Gärtner oder Inhaber eines Freizeitgrundstücks, gefragt werden, ob sie verkaufen oder den Betrieb weiterführen wollen. Ob für sie eine Absiedelung in Frage komme oder ein Tausch von Feldern. Ob sich Cluster bilden lassen … Erst danach könne geplant werden. Und diese Planung, so Heimatboden-Sprecher Josef Glasl, sollte nicht wie vor 30 Jahren ablaufen. Es brauche eine Gesamtsicht der Metropolregion von Augsburg über Ingolstadt bis Rosenheim und Landshut, eine interkommunale Planung mit Land und Bund. Nur das könne Entlastung bringen, nicht die Querfinanzierung der Infrastruktur auf dem Rücken der Eigentümer. Es bedürfe endlich einer Zukunftsvision, eines Konzepts, einer intelligent gestalteten Ansiedlungs- und Wirtschaftspolitik. In jedem Fall solle keine zweite Messestadt Riem entstehen, kein zweites Freiham, kein seelenloser Allerweltstadtteil.
Ein wenig Selbstkritik scheint inzwischen ja bei den Stadtplanern eingekehrt zu sein: Laut Heimatboden meinte Münchens Stadtbaurätin Elisabeth Merk bei besagter Halei-Sitzung, dass zwei Drittel der Münchner nicht mehr einverstanden seien mit der Bebauung, wie sie läuft.
Wer sind die Player, die Gewinner der Betongoldmaschinerie?
Die Bauern und alteingesessenen Immobilienbesitzer jedenfalls nicht. Bauer Grünwald aus Ludwigsfeld beispielsweise hat nun, so Martin Zech jun., als vorletzter in München die Milchwirtschaft eingestellt. Die Betriebsübergabe an die nachfolgende Generation stehe ob der Unsicherheit und des geringen Planungshorizonts in den Sternen. Notwendige Ackerflächen etwa könne Grünwald jetzt immer nur noch für ein Jahr pachten, ein Kredit für notwendige Investitionen sei kaum mehr zu bekommen.
Auf der anderen Seite ist die SEM erst das Einfallstor für Spekulanten, wie es die SZ Ende 2017 für die SEM Nordost aufdeckte. Dort wechselten in den letzten Jahren Teilflächen immer wieder den Besitzer – wie den offiziellen Bodenrichtwerten zu entnehmen ist, mit einem Plus von bis zu 3.200 % in vier Jahren!
Im 24. Stadtbezirk ist Ähnliches zu befürchten. Bauer Grünwald hat wie ein paar andere Grundbesitzer kürzlich eine Einladung erhalten zu einem vertraulichen Gespräch in einer Münchner Anwaltskanzlei, bei der, so hieß es in dem Schreiben, auch eine Stadträtin anwesend sein werde. Heimatboden fordert hier Klärung seitens der Politik und hat überhaupt bei der Regierung von Oberbayern eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die Mitarbeiter des Gutachterausschusses für Grundstückswerte im Bereich der Landeshauptstadt eingereicht, da diese gegen die eigenen Bodenrichtwertlinien verstoßen hätten. In einem weiteren Schreiben an den Leiter des Gutachterausschusses für Grundstückswerte im Bereich der Landeshauptstadt München wird gar die Vermutung geäußert, dass „eine bewusste Manipulation der Bodenrichtwerte bzw. der Richtwertzonen vorgenommen wurde, um Spekulationsgeschäfte zu verschleiern“. In der Petition an den Landtag wird endlich Transparenz von Seiten der Münchner Verwaltung gefordert wie um eine korrekte Besetzung des Gutachterausschusses gebeten, damit dort wieder Recht und Gesetz einkehre.
In Gesprächen wird nach wie vor mit Enteignung gedroht
Weiterer Vorwurf von Heimatboden-Anwalt Benno Ziegler: Die Verwaltung informiere seit Monaten die Stadtratsfraktionen falsch. Argumentiere mit falschen Zahlen. Dass man bei einer SEM den Eigentümer billig abspeisen und nach der „Entwicklung“ das Land teuer weiterverkaufen könne, um so die notwendigen Infrastrukturmaßnahmen zu finanzieren. Prof. Dr. Heinrich Wolff vertritt in seinem Rechtsgutachten zur „Wertbestimmung landwirtschaftlicher Grundstücke bei einer städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme gem. § 169 Abs. 4 BauGB“ – zuletzt im Deutschen Verwaltungsblatt publiziert – eine ganz andere Position. Und die ignoriere die Verwaltung schlichtweg seit Monaten, so der Vorwurf von Ziegler. Der Fachanwalt, ein Spezialist in Sachen SEM, wird inzwischen schon von betroffenen Grundstücksbesitzern aus Freiburg konsultiert (dabei war diese SEM-Maßnahme als erfolgreiche Referenz bei der SEM-Infoveranstaltung im letzten Jahr in der Mehrzweckhalle dargestellt worden!), von Betroffenen aus Berlin, Nürnberg …
Laut Prof. Wolff sind landwirtschaftliche Flächen privilegiert, so dass deren Eigentümer zumindest den Preis für Bauerwartungsland erhalten müssten. Was die schönen Schaudiagramme, mit denen das Planungsreferat die Stadtratsfraktionen versorgt, durchkreuze und die Rechnung nicht aufgehen lasse, so Ziegler. Von einem juristischen Hearing verspricht er sich die Klärung des Sachverhalts. Ansonsten gehe man bis vors Bundesverfassungsgericht. Wiewohl Ziegler zuversichtlich ist, schon beim Verwaltungsgerichtshof zu obsiegen.