In der Online-Zeitung „Standpunkte“ des Münchner Forums – einem Verein, der sich mit Fragen der Münchner Stadtentwicklung beschäftigt und Bürgern eine Diskussionsplattform bieten möchte – stand kürzlich ein interessanter Artikel von Reinhard Sachsinger, dem Vorsitzendes der Aktionsgemeinschaft „Rettet den Münchner Norden“, der die Befindlichkeit vieler Münchner sehr gut auf den Punkt bringt. Daher wollen wir Ihnen diesen Text nicht vorenthalten!
Seit der Eingemeindung von Feldmoching im Jahr 1938 wurde der Münchner Norden wie der Hinterhof der Stadt behandelt. Er wurde mit Negativeinrichtungen überhäuft, und diese anhaltende Benachteiligung gilt bis heute. Der Süden wird weitgehend freigehalten von großen Verkehrsadern, es gibt ausgedehnte Forstgebiete, im Norden dagegen Müllverbrennung, Flugzeuge, Hubschrauber, Bahnlärm und immer mehr Autobahnen. Jüngstes Beispiel in dieser Negativliste ist die Standortsuche für ein neues Heizwerk: Einer liegt in Feldmoching, keiner im südlichen Teil von München.

Vor über 40 Jahren begann sich Widerstand zu regen, und daraus entstand eine Bürgerinitiative, die seit dieser Zeit für einen lebenswerten Münchner Norden kämpft. Ihr Aktionsradius reicht von Freimann im Osten bis Ludwigsfeld im Westen, sie trägt den Namen „Aktionsgemeinschaft Rettet den Münchner Norden e. V.“, und die Zielsetzung, die in diesem Namen ausgedrückt wird, ist derzeit wichtiger denn je.
Die Zukunft, der sich der 24. Stadtbezirk (Feldmoching-Hasenbergl) ausgesetzt sieht, ist bedrückend und gleichzeitig symptomatisch für ganz München. In München gilt nur noch ein Motto: „Bauen, Bauen und nochmals Bauen“, ohne Beachtung von Auswirkungen und Risiken für die Stadt und damit für die Lebensqualität der ansässigen Bürger. Vor diesem Hintergrund müsste dringend eine „Aktionsgemeinschaft Rettet ganz München“ ins Leben gerufen werden.
Die Argumentation der Stadtpolitik für diese Bauwut lautet: „Wir brauchen bezahlbaren Wohnraum“. Obwohl diese Begründung zwischenzeitlich von allen Politikern, von Presse, ja selbst von Bürgern nachgesprochen wird, ist sie unlogisch und falsch: Die Fläche Münchens ist eine begrenzte, nicht vermehrbare Größe. Wenn ein nicht vermehrbares Gut weniger wird, wird es teurer, das heißt, der Baugrund in München wird immer teurer, je mehr davon ausgewiesen wird.
Außerdem liefert die Art und Weise, wie München die Bautätigkeit vorantreibt, vor allem unbezahlbaren Wohnraum. Es werden nämlich bei neuen Bauvorhaben 70 % frei vergeben und nur 30 % gefördert. Das heißt, über zwei Drittel der neu gebauten Wohnungen kosten mehr als 10.000 Euro/ m2, Tendenz steigend, und dafür gibt es in München überhaupt keinen Bedarf. Diese Wohnungen werden zwar alle verkauft, aber nahezu ausschließlich an Spekulanten.
Dringend benötigt werden aber bezahlbare Wohnungen, und davon gibt es wahrlich viel zu wenige. Deren Anteil bei Neubauten beträgt nur etwa ein Drittel. Das Problem wird auch noch ständig verschärft, weil ältere Wohnungen aus der Förderung fallen.
Diese Misere können nur die kommunalen Wohnbaugesellschaften und die Genossenschaften lösen. Sie müssen verstärkt bezahlbaren Wohnraum schaffen, und zwar für jene Bürger, die für das Funktionieren der Stadt wichtig sind, und das sind Krankenschwestern, Kindergärtnerinnen, Polizisten usw., und nicht die Spekulanten.
Dem 24. Stadtbezirk steht folgendes Bauprogramm bevor:
– Als erstes wird das Vorhaben Ratoldstr./Raheinstr. realisiert, mit ca. 900 Wohneinheiten (WE) plus Gewerbeflächen plus Kitas plus öffentliche Tiefgaragen-Parkflächen für U- und S-Bahn. Es wird eine Grünfläche von 14 ha mit vielen Bäumen und wertvollem Bewuchs verschwinden.
– Als nächstes kommt das Bauvorhaben Hochmuttingerstr. mit etwa 650 WE, zusätzlichen Gewerbeflächen und Kitas auf einer derzeit unbebauten Ackerfläche.
– Das dritte Vorhaben heißt „Bergwachtstr.“ (neue Bezeichnung: „Lerchenauer Feld“),unbebautes Ackerland, wo 2.000 bis 3.000 WE vorgesehen sind.
– Das vierte ist der „Eggarten“, wo ebenfalls 2.000 bis 3.000 WE entstehen sollen. Dort stehen jetzt noch kleine Häuschen mit sehr vielen alten, wertvollen Bäumen und wichtigen Grünflächen.
Diese vier Bauvorhaben werden 15.000 bis 20.000 zusätzliche Bürger in den 24. Stadtbezirk bringen. Die Vielzahl von Verdichtungsmaßnahmen ist darin nicht eingerechnet.
Als Krönung des Ganzen wurde im Frühjahr 2017 von unserem Oberbürgermeister die sog. Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme München Nord, kurz SEM-Nord, verkündet. Dabei handelt es sich um ein Areal von etwa 900 ha (das ist zweieinhalb Mal die Fläche des Englischen Gartens). Auf diesem Gebiet werden derzeit Getreide, Feldfrüchte und Gemüse angebaut, vor allem zur Versorgung Münchens mit regionalen Lebensmitteln.
Alle diese Bauvorhaben entstehen auf derzeit noch unversiegelten Flächen. Mehrere hundert Bäume müssen gefällt werden, wertvolle Grünflächen und Frischluftschneisen verschwinden unwiederbringlich, eine Verschlechterung von Luftqualität und Stadtklima ist unausweichlich. Außerdem drängen sich dann künftig immer mehr Menschen auf immer enger werdendem Raum, was eine weitere Abnahme von Lebensqualität bedeutet.
Die Infrastruktur im 24. Stadtbezirk ist bereits jetzt mangelhaft, die Verkehrsbelastung enorm, die Auswirkung der Neubaumaßnahmen auf die Entwicklung in diesen Problemfeldern wird ignoriert.
Im Rahmen der Agenda 21 verpflichtete sich München in seiner Leitlinie Ökologie München, veröffentlicht im Jahr 2014, zu einer nachhaltigen Stadtentwicklung. Dort wird gefordert, „die Grün- und Freiflächen am Stadtrand vor weiterer Bebauung zu schützen und für Erholung und ökologische Landwirtschaft zu nutzen“ (S. 26), oder „eine konsequentere Begrünung der Siedlungsbereiche ist anzustreben“ und „Ziel ist es, die bestehende Versiegelung bis 2020 um 15 % zu reduzieren“ (S. 65) (diese 15 % sind etwa 800 ha und entsprechen damit ungefähr der Größe der SEM-Nord).
Alles, was die Verantwortlichen der Stadt derzeit vorantreiben, hat mit dieser Leitlinie gar nichts mehr zu tun und weist stattdessen leider genau in die entgegengesetzte Richtung.
Diese beängstigenden Aussichten, die nicht nur Feldmoching, sondern ganz München bevorstehen, haben dazu geführt, dass sich ein übergreifendes Bündnis der Bürgerinitiativen des 24. Stadtbezirks zusammengefunden hat, um die Bürger über diese Entwicklung und ihre Auswirkungen zu informieren. Zu diesem Zweck wurde am 8. Januar 2018 eine Info-Veranstaltung organisiert, zu der mehr als 1.400 Bürger, nicht nur aus dem 24. Stadtbezirk, kamen.
Neben den Stadtratsfraktionen war vor allem der Oberbürgermeister eingeladen worden, damit er sich die Sorgen der Bürger anhören und dazu Stellung nehmen kann. Trotz mehrerer Anfragen und Bitten, schon weit im Vorfeld dieser Veranstaltung, ließ er immer wieder aus terminlichen Gründen absagen. Seine abschließende Antwort auf das Angebot, den Termin der geplanten Veranstaltung ganz nach seinen terminlichen Möglichkeiten festzulegen, lautete, er habe im ganzen Jahr 2018 keine Zeit.
Durch diese Erfahrung erhärtete sich der Eindruck, dass unser Stadtoberhaupt nur noch „Bauen, Bauen, Bauen“ auf dem Schirm hat und kein Interesse an den Fragen und Sorgen der Bürgerinnen und Bürger seiner Stadt an dieser Entwicklung.
Auch scheint kein Interesse zu existieren, dass mit diesem Wachstum eine deutliche, weitere Verschlechterung der Lebensqualität unserer Stadt zu verantworten ist.
Im Magazin Focus vom 14. Februar 2018 findet sich ein Ranking von 401 deutschen Städten. Dort steht München in der Sparte Lebensqualität auf Platz 135 – noch!
Abschließend noch eine bemerkenswerte Meldung in der Süddeutschen Zeitung vom 9. März 2018 zum Bauvorhaben am Floriansmühlbad in Freimann: Auf die Forderung des Grünen-Stadtrats Heribert Danner, bei diesem Bauvorhaben auf eine stärkere Freihaltung von Frischluftschneisen zu achten, reagierte der OB deutlich verärgert und warf den Grünen „ideologisch verengte Schönwetterpolitik“ vor, „die nichts mit verantwortlicher Politik“ zu tun habe. Er bekäme tagtäglich Briefe, die mehr Anstrengungen beim Wohnbau einfordern würden. – Dass er auch anderslautende Briefe bekommen hat (mehrere auch von uns aus dem Münchner Norden), dass immer mehr Bürger „seiner“ Stadt sich gegen diese Bauwut positionieren, dass immer mehr Initiativen in ganz München sich dagegen stemmen, das alles ist offensichtlich seiner selektiven Wahrnehmung zum Opfer gefallen.