Nun war sie auch heuer wieder zweimal da: eine Wanderherde mit etwa 800 Tieren. Geschätzte 650 Schafe verschiedener Rassen und Farben, 150 weiße, gescheckte oder braune Ziegen mit und ohne Hörner, vier bis fünf Esel, ein Pferd und ein – in dieser Gesellschaft ziemlich verloren wirkender – bayerischer Fleckviehochse. Dazu zwei oder drei gut ausgebildete Hütehunde, deren Leben eng mit der Herde verbunden ist. Und selbstverständlich mit dem für alle und alles verantwortlichen Wanderschäfer, dem allerdings bei dieser großen Herde jederzeit Hilfspersonen zur Seite stehen.
Diese Fotos wurden am 29. September auf einer Grünfläche an der Frankaustr. aufgenommen. Seit Jahren besucht Anfang Mai und im späteren September eine große gemischte Wanderherde unseren Stadtbezirk. Die Tiere sind fast immer unterwegs. Ihr Heimatort ist die Stadt Waldkirchen im niederbayerischen Landkreis Freyung-Grafenau. Im zeitigen Frühjahr geht diese große Gemeinschaft mit einem nachziehenden Versorgungstross auf monatelange Wanderschaft. Ihr Ziel ist der Raum um Germering. Die monatelange Wanderung durch die nieder- und oberbayerische Landschaft wird heuer, wenn alles gut läuft (!), kurz vor Weihnachten zu Ende sein. So geht das all die Jahre gleichermaßen.
Die alljährliche Wanderroute einer derartig großen Herde mit Hunderten von Tieren muss sehr gut vorbereitet und weit vorausschauend geplant werden. Die zuvor erlaubten und an der Route liegenden Weideflächen müssen in einem Trieb erreichbar sein. Die Tiere müssen ja ununterbrochen frisches Futter finden können und eine Grünfläche ist ruckzuck abgeweidet. Wenn kein Wasser aus natürlichem Vorkommen vorhanden ist, muss den Tieren frisches Trinkwasser in ausreichender Menge nachgefahren werden. Auch die jeweiligen – dafür provisorisch umzäunten – Übernachtungsplätze kennt der Schäfer im Voraus.
Nur ein sehr gut ausgebildeter und geschickter Schäfer ist dazu in der Lage, eine derartig große, bunte Herde durch unser urbanes, dicht bebautes und von stark frequentierten Verkehrswegen durchzogenes Gebiet sicher zu führen. Besonders Bahnlinien und längere Straßenbaustellen erweisen sich leicht als problematisch. Aber die Wanderung muss immer planmäßig weitergehen! Darum ist der Lehrberuf eines Schäfers, insbesondere eines Wanderschäfers, anspruchsvoll.
Ein Schäfer muss über profunde Kenntnisse und Erfahrungen in der Zucht/Haltung der Tiere verfügen, über deren bedarfsgerechte Ernährung, über die Gesunderhaltung, auch die Klauenpflege u. a. und darüber, wie sie insgesamt pfleglich gehalten und im Notfall vor Ort medizinisch zu behandeln sind. Auch die Schafschur sowie die heutzutage schwierige Vermarktung der Schurwolle und schließlich der Verkauf der schlachtreifen Schafe und Ziegen liegen meistens in der Verantwortung des Schäfers. Für eine erfolgreiche Arbeit mit einem befriedigenden Einkommen sind also auch kaufmännisches Geschick und Wissen Voraussetzung. All dem muss aber eine (vielleicht angeborene) Leidenschaft für diesen Beruf vorausgehen! Ohne diese Leidenschaft sollte man besser kein Schäfer werden.
Bleibt noch anzufügen, dass die wandernde Herde einen wertvollen Beitrag zur Pflege unserer Landschaft leistet. Auf extensiven Weideflächen, aber auch bei konventionell bewirtschafteten Grünflächen ist eine größer Artenvielfalt der Fauna wie der Flora zu beobachten, wenn diese liebenswerten Rasenmäher drübergehen. Die Tiere richten bei ihrer mobilen Futtersuche keinerlei Schäden an, sondern sorgen dafür, dass sich die Pflanzenbestände stetig verjüngen. Und ihre perligen Hinterlassenschaften sind eine wertvolle Pflanzennahrung. Reinhard Krohn