Seit zehn Jahren berichtet der Lokal-Anzeiger immer wieder über die Fahnen und Standarten der hiesigen Vereine. Noch sind nicht alle erfasst. Eine jede Fahne und Standarte hat ihre eigene Geschichte, die eng mit der Vereinsgeschichte verbunden ist. Sie sind die Visitenkarte des Vereins und zugleich ihr Mittelpunkt bei öffentlichen Veranstaltungen. So war es schon immer, auch in alten Kulturen vor tausenden von Jahren.
Wir brauchen allerdings nicht so weit zurückzublicken, unsere Vereine reichen „nur“ bis in die Anfänge des 20. Jahrhunderts, mit Ausnahme der Freiwilligen Feuerwehren Feldmoching (erste Fahne im Gründungsjahr 1870) und Ludwigsfeld (1881 gegründet, aber erst 1931 eigene Standarte) und des Heimatvereins Edelweiß (erste Fahne 1885), deren Ursprünge noch in die Zeit der bayerischen Monarchie unter König Ludwig II. zurückreichen.
Die 85-jährige Geschichte des Männergesangvereins Liedertafel Fasanerie-München ist uns besonders nach dem Ende des 2. Weltkriegs aus Aufzeichnungen besser bekannt. Weniger wissen wir dagegen aus der Zeit der Gründung ab Januar 1933 und über die schöne Vereinsstandarte. Für die Geschichte der Standarte stützen wir uns darum in einigen Teilen auf naheliegende Vermutungen.
Eine Standarte in roten und goldgelben Farben
Das mit 70 cm quadratische Standartenblatt aus feinem Seidenstoff ist an der Außenseite und der Unterkante mit einer goldfarbenen Fransenborte umfasst. Die obere Tragekante unter dem Standartenträger aus Messing und die Innenkante mit den Führungsringen sind mit einer kräftigen goldfarbenen Borte verstärkt.
Die „Vereinsseite“ des Standartenblatts besteht aus einem hellen Untertuch, worauf sich ein um 6 cm kleineres, rotes, quadratisches Tuch mit einer umfassenden Goldborte befindet. Es ist somit hell umrandet. Auf dem mit feiner Goldstickerei verzierten roten Tuch ist der alte Vereinsname „Liedertafel Fasanerie – Nord“ mit dem Gründungsdatum 1. Januar 1933 aufgestickt. Unter dem Datum befindet sich eine auf hellem Seidenstoff aufgestickte kleine Darstellung des heiligen Christoph, die kaum noch zu erkennen ist (siehe Foto unten). Der heilige Christoph ist der Patron der Alten Kirche St. Christoph von 1927 und der neuen Kirche von 1971.
Die Schmuck- bzw. Mottoseite des Standartenblatts ist wie die erste Seite 6 cm in Rot umrandet und hat ein helles quadratisches Innenfeld. Im Mittelpunkt steht eine große Lyra, darüber in einem Schriftband (und Wahlspruch der Liederkranz-Sänger) „In Freud und Leid zum Lied bereit“. Unter der Lyra sind in Grün ein Palmwedel und ein Eichenzweig aufgestickt. Die vier Ecken sind mit einer feinen goldfarbenen Stickerei geschmückt.
Der aus Messing gefertigte Standartenträger ist mit schönen Ornamenten verziert. Die braune, mit einer Schraubverbindung aus Messing versehene Standartenstange ziert oben eine verhältnismäßig große, aus Messing gefertigte Lyra.
Die Standarte aus dem Jahre 1934
Mit Überlieferungen von Details zur Vereinsstandarte ist es möglich, eine geschlossene Erinnerungsgeschichte zusammenzufügen, wenn wir dazu auch auf ein paar naheliegende Annahmen zurückgreifen müssen.
Nicht bekannt ist uns leider die Fahnenwerkstatt, in der diese schöne und wertvolle Standarte 1934 gefertigt wurde. Wir wissen auch nicht, wer die einzelnen Elemente der Standarte entworfen hat, wie hoch die Anschaffungskosten waren und vor allem, wer sie, schon ein Jahr nach Vereinsgründung, bezahlt hat. Wovon wir jedoch mit großer Wahrscheinlichkeit ausgehen dürfen, ist die Tatsache, dass der damalige 1. Vereinsvorstand der Liedertafel, der Postbeamte Ludwig Schmid, und dessen Stellvertreter, Maurermeister Georg Zehner, die treibenden Kräfte unter den 22 Gründungsmitgliedern waren.
Fahnenmutter der Standarte war Betty Keller, vermutlich die Ehefrau des ersten Chorleiters der Liedertafel, des Oberlehrers Alfons Keller. Das können wir einem von Betty Keller gestifteten Fahnenband aus blauem Samtstoff entnehmen, worauf auch das Datum der Standartenweihe, der 26. August 1934, aufgestickt ist. Betty Keller überlebte den Krieg ebenso wenig (sie starb am 10. März 1943) wie sechs weitere Vereinsmitglieder. Diese fielen im Feld oder durch Bombardierung in der Heimat.
Das Vereinslokal des Männergesangvereins Fasanerie Nord war seit dessen Gründung die Gaststätte Dillinger an der Feldmochinger Str. Die „Herbergsmutter“ Therese Dillinger stiftete „ihrem“ Verein zu dessen Gründung ein schönes zweifarbiges, mit Goldfransen geschmücktes Fahnenband. Es darf sicher angenommen werden, dass das Fest der Standartenweihe bei der Herbergsmutter Therese Dillinger gefeiert wurde.
Ein weiteres, noch gut erhaltenes Standartenband in roter Farbe stifteten die „Frauen der Liedertafel“ (so geschrieben) ihren singenden Angetrauten. Einem anderen erhaltenen roten Standartenband können wir entnehmen, dass die Liedertafel auch einen Patenverein hatte. Die Schrift auf dem Band lautet: „Gewidmet zur Standartenweihe vom Patenverein Männergesangverein Riesenfeld“ (allerdings mit dem aufgestickten Datum 26.6.1934). Denkbar, dass sich das Fest der Standartenweihe in der Fasanerie kurzfristig um acht Wochen verschob.
Segnung der Liedertafel-Standarte in der Alten Kirche St. Christoph
Die Benediktion der heute sogenannten Alten Kirche St. Christoph durch Domkapitular Lorenz Gallinger erfolgte am 26. Juni 1927 unter großer Anteilnahme der Bevölkerung. Im Jahr darauf wurde die Filialkirche unter ihrer Mutterkirche St. Peter und Paul zur Kuratie erhoben. Der bisherige Kooperator (Diakon) von St. Christoph, Anton Müller, wurde erster Kurat. Wenn uns darüber auch kein schriftliches Zeugnis vorliegt, können wir doch davon ausgehen, dass die Standarte der Liedertafel am 26. August 1934 in einem Festakt in St. Christoph von Kurat Anton Müller gesegnet wurde. Den Festgottesdienst begleitete der erst seit eineinhalb Jahren bestehende Chor der Liedertafel Fasanerie mit der berühmten wie beliebten „Deutsche Messe“ von Franz Schubert.
Übrigens: Vor 84 Jahren musste Kurat Anton Müller für die Feier der Standartenweihe in St. Christoph zuvor eine erzbischöfliche Erlaubnis einholen!
Die Namen der bisherigen Vereinsstandartenträger sind dem Verein noch teilweise bekannt. Erwähnenswert ist dabei die Besonderheit, dass dieses ehrenwerte Amt seit langem häufig vom Vater auf den Sohn übergeht, also in der Familientradition bleibt.
Die Standarte führt die Liedertafel in der Fasanerie zu vielen Anlässen mit, etwa zu herausragenden Familienfesten von Mitgliedern, zu Hochzeiten, zu besonderen Ehrungen, zu Vereins- und Kirchenfesten und zu Trauerfeiern wie Beerdigungen. Seit dem Bestehen des Pfarrverbands Fasanerie-Feldmoching und nun auch des neuen Pfarrverbands Pacem München-Nord-Feldmoching ist die Standarte auch bei festlichen Anlässen in Feldmoching und in den anderen drei Gemeinden des Pfarrverbands zu bewundern.
Reinhard Krohn