Am 8. Januar 2018 konnte OB Reiter „aus Termingründen“ nicht an der großen Veranstaltung zur Zukunft des Münchner Nordens in der Feldmochinger Mehrzweckhalle teilnehmen, seinerzeit organisiert vom Übergreifenden Bündnis Nord. Auch zur Informationsveranstaltung, die das Bündnis Nordost am 21. Februar zur SEM Nordost organisiert, weigert sich OB Reiter zu kommen, wiewohl mehrfach eingeladen. Damit verweigert er den Bürgern weiter den Dialog über seine Wohnungspolitik.
Die Veranstaltung sei ihm zu einseitig, so die Begründung für seine Weigerung. Dafür schrieb der OB dem Bündnis Nordost Mitte der vergangenen Woche einen offenen Brief, in dem er für eine sachliche Diskussion über die SEM Nordost plädierte und die Bürgerinitiativen aufforderte, sich aktiv in den Stadtentwicklungsprozess einzubringen. Die beiden großen Bündnisse haben ihm nun eine offene Rückantwort geschrieben und hoffen auf Antwort – was die weitere Diskussion versachlichen würde. Vier Seiten ist der Brief lang und enthält 15 Grundsatzfragen/Wünsche, die die Initiativen für notwendig erachten, im Vorfeld zu klären. Die Fragen beziehen sich auf die Themen SEM, Bürger-Informationsrechte und -Dialog. Im Folgenden können Sie den offenen Brief im vollen Wortlaut lesen.
Offener Brief: Grundsatzfragen zur SEM Nordost
„Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Reiter,
in der Rathausumschau vom 4.2.2019 haben Sie öffentlich für eine sachliche Diskussion über die SEM Nordost plädiert und uns aufgefordert, dass wir uns in den Stadtentwicklungsprozess einbringen. Wir sprechen uns ausdrücklich für eine maßvolle Bebauung aus, deren Durchführung im engen Dialog mit den Anwohnern stattfinden muss, mit dem alleinigen Ziel, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Wir wollen kreativ mitgestalten, um die Lebensqualität der Münchnerinnen und Münchner, die bereits hier wohnen zu erhalten. Ihrem Wunsch entsprechen wir gerne, sehen es aber als notwendig an, dass einige Grundsatzfragen im Vorfeld geklärt werden. Aufgrund der jüngsten Entwicklungen entstand dieses Schreiben in Zusammenarbeit mit dem „Übergreifenden Bündnis München Nord“.
In der Presse, in der breiten Öffentlichkeit sowie in einigen Bürgerinitiativen kursieren widersprüchliche Vorstellungen über die SEM Nordost sowie über den damit verbundenen Stadtentwicklungsprozess. Mit unseren nachfolgenden Fragen wollen wir hier Klarheit schaffen und würden es sehr begrüßen, wenn Sie Ihre Antworten mit dem Referat für Stadtplanung und Bauordnung abstimmen würden.
Unsere Fragenstellungen beziehen sich auf die Themengebiete SEM, Bürger-Informationsrechte und -Dialog, wobei diese natürlich unmittelbar miteinander zusammenhängen.
Wir hätten diese Fragen gerne mit Ihnen am 21.2.2019 vor Ort besprochen, deshalb nun auf diesem Wege.
In der Öffentlichkeit wird eine SEM als hervorragendes Instrument der Stadtplanung bezeichnet, aufgrund der Möglichkeit von Enteignungen und dem Einfrieren von Bodenpreisen.
1. SEM als bewährtes Instrument zur Stadtentwicklung
Wie viele und welche SEMs wurden in München bereits angekündigt, voruntersucht, eingeleitet und abgeschlossen?
2. Enteignung
Politik und Planungsreferat äußern übereinstimmend, dass es Enteignungen nicht geben wird. Gilt diese Aussage nicht nur jetzt, sondern auch für die Zukunft und kann diese Zusicherung rechtssicher gestaltet werden?
Die dauerhafte Verlässlichkeit einer solchen Aussage ist für die betroffenen Landwirte von existenzieller Bedeutung.
3. Enteignung und Rechtmäßigkeit einer SEM bei Verzicht
Ihnen liegt seit Juli 2018 ein Kurzgutachten von Herrn Prof. Wolff vor. Er kommt zu dem Ergebnis, dass bei Verzicht auf Enteignungen eine SEM nichtig wäre. Ihre Antwort hierzu steht noch aus.
4. Das Einfrieren von Bodenpreisen für landwirtschaftliche Flächen ist nicht möglich
Dies Feststellung ist nach Meinung vieler Juristen zutreffend und wird auch durch ein Gutachten von Prof. Wolff untermauert. Dieses Gutachten ging am 27.05.2017 an das Planungsreferat.
Eine Antwort steht leider aus.
5. Die Bodenspekulation ist in vollem Gange
Großen Teilen des Stadtrates, dem Planungsreferat und auch Ihnen ist sicher bekannt, dass es im angesprochenen Gebiet zu regelrecht explodierenden Bodenpreisen gekommen ist.
Die Initiative Heimatboden hat in einer Petition an den Landtag ausführlich Beispiele beschrieben. Sind Ihnen diese Fälle bekannt und können Sie sie bestätigen?
Sollten Sie darüber keine Kenntnisse besitzen, können wir Ihnen gerne Detailinformationen liefern.
6. Manipulation von Bodenrichtwerten
Es besteht Anlass zur Annahme, dass vom Gutachterausschuss der Stadt München, durch Umwidmung von Flächen, Bodenwerte manipuliert wurden. Auch dies ist Gegenstand der o.g. Petition.
Sind Ihnen diese Vorkommnisse bekannt?
Auf Wunsch liefern wir Ihnen gerne genauere Informationen.
7. Dauer einer SEM
Eine SEM Nordost müsste nach Einleitung innerhalb von 15, maximal 20 Jahren vollständig abgeschlossen sein. Bei einem Bauvorhaben dieser Größenordnung erscheint dies unmöglich, wenn man beispielsweise an Freiham, an die Bayern-Kaserne oder an Riem denkt.
Halten Sie den oben genannten Zeitrahmen für ausreichend?
Derzeitige Planungen lassen das eher als unrealistisch erscheinen.
8. Rechtliche Problematik
Die Eigentümer der Grundstücke wollen den Rechtstreit notfalls bis zum Bundesverfassungsgericht oder zum Europäischen Gerichtshof tragen (s. SZ vom 06.02.2019). Die eintretende Zeitverzögerung wäre erheblich. Würden Sie dieses Prozessrisiko eingehen?
9. Vorbedingung für die SEM: Untertunnelung S8
Durch einen Stadtratsbeschluss und laut Planungsreferat ist eine Untertunnelung der S8 vor Baubeginn eine unabdingbare Voraussetzung.
Ist diese Bedingung für Sie nach wie vor gültig?
10. Vorteile einer SEM gegenüber anderen Verfahren
Worin sehen Sie die Vorteile einer SEM gegenüber anderen Verfahren?
Bürger-Informationsrechte
11. Gutachten
Im Stadtbezirk 13 sowie im weiteren Umfeld gibt es große Probleme mit dem ÖPNV sowie dem Individualverkehr (vor allem LKW, PKW).
Die Höhe des Grundwassers bereitet zudem vielen Anwohnern ernsthafte Sorgen.
Wäre die Stadtverwaltung bereit, bestehende Gutachten und auch zukünftige Gutachten der Öffentlichkeit zugänglich zu machen?
12. Besetzung des Preisgerichtes bei Architektenwettbewerben
Würden Sie eine Teilnahme von Bürgern/Bürgerinitiativen im Preisgericht bei Architektenwettbewerben befürworten?
Dialog
13. Fairer und offener Dialog
Immer wieder wird auch diskutiert, ob es einer Stadtgesellschaft abverlangt werden kann, ansässige Bewohner zu verdrängen, um Platz für Zuwanderungswillige zu schaffen. Dies ist eine äußerst wichtige Frage, die für manche auch ethische, ja sogar theologische Aspekte beinhaltet, und die die Politik klar und deutlich beantworten muss.
Seit mittlerweile 11 Jahren laufen die Planungen im NO. Ein fairer und offener Dialog zwischen Eigentümern, Anwohnern und der Stadt München hätte bessere, schnellere und einvernehmliche Lösungen gebracht. Sowohl Eigentümer wie Anwohner bestreiten, dass dieser jemals geführt wurde. Stattdessen wird jetzt ein internationaler Wettbewerb ausgeschrieben und nach dessen Abschluss werden den Anwohnern zum dritten Male mögliche Bebauungsszenarien präsentiert.
Was passiert bei erneuter Ablehnung?
14. Einbeziehung von Bürgerinitiativen
Für die weiteren Planungsschritte sind sicher wieder Informationsveranstaltungen und Bürgerworkshops vorgesehen. Wir Bürgerinitiativen würden es sehr begrüßen, wenn wir hier angemessen berücksichtigt werden. Können Sie sich vorstellen uns mit einzubeziehen, z.B. in Form von Redebeiträgen, Diskussionsforen oder Vorschlagsmöglichkeiten? Wir bräuchten hier verbindliche Rechte. Die jetzige Form der Bürgerbeteiligung ist aus unserer Sicht völlig unzureichend.
15. Diskussion mit Ihnen persönlich
Wir erneuern unsere Einladung zu einer von uns durchgeführten Veranstaltung in die Faganahalle nach Feldmoching oder in die Neue Theaterfabrik nach Johanneskirchen. Die Bewohner dieser Stadtbezirke wünschen den Dialog mit ihrem Oberbürgermeister.
Wie Sie sehen können, berühren die Fragen bezüglich SEM deren Sinnhaftigkeit und zeigen hohe Risiken auf, ob diese Maßnahme überhaupt rechtskonform ist. Nach unserem derzeitigen Wissensstand bietet Ihnen die SEM keinerlei Vorteile, im Gegenteil, die rechtlichen Risiken könnten viele Jahre Verzug bedeuten. Umso gespannter sind wir auf Ihre Antworten zu unseren obigen Fragen.
Wir Bürger bezahlen Gutachten über Verkehr, Grundwasser und auch den anstehenden internationalen Architektenwettbewerb. Aus diesem Grund hätten wir gerne Einsicht in diese Gutachten und Plätze im Preisgericht.
Auch muss der künftige Umgang mit allen Beteiligten sowie der Dialog untereinander stark verbessert werden. Die Spielregeln hierzu sollten gemeinsam festgelegt werden.
Mit der Beantwortung obiger Fragen können Sie einen wichtigen Beitrag zur Versachlichung der Diskussion leisten. Dies würden wir außerordentlich begrüßen.
Wir bedanken uns vorab und freuen uns auf Ihre Antworten. Mit freundlichen Grüßen
Daniela Vogt, Markus Bichler, Andreas Hotschek – Bündnis Nordost
Dirk Höpner, Reinhard Sachsinger – Übergreifendes Bündnis München Nord
Anmerkung:
Manche Punkte wurden verkürzt und vereinfacht dargestellt.
Dies soll ausschließlich dem besseren Verständnis eines breiteren Publikums dienen.