1,85 Millionen Einwohner soll München laut dem neuen Demografiebericht im Jahr 2040 haben. „Gmiatlich“ wird es dann nicht mehr zu gehen. Eng wird es dann sein, in Bussen & Bahnen, auf den Straßen, in den Wohngebieten. Den stärksten Zuwachs wird es am Stadtrand geben. Klar. Dort leben die Menschen noch nicht so eng aufeinander. Besonders schlimm wird es im Stadtbezirk Aubing-Lochhausen-Langwied werden, dessen Einwohnerzahl sich auf 90.000 verdoppeln soll. Aber auch in Feldmoching-Hasenbergl wird es eng, bis 2040 soll die Bevölkerung um 54,2 % auf dann rund 95.000 Einwohner steigen (momentan: rund 61.700). Der Münchner Stadtrat wird am Mittwoch, den 3. Juli wohl dafür sorgen, dass im Eggarten und der Siedlung Ludwigsfeld weitere Schritte in Richtung „Zuabaun“ getan werden. Offensichtlich sollen vor dem Kommunalwahlkampf schnell noch Fakten geschaffen werden.
Bei der Bestandsbevölkerung, die ihre Lebensqualität immer mehr schwinden sieht, kommen beide Bauvorhaben nicht gut an. Die Freunde des Eggartens kämpfen weiter um den Erhalt eines der letzten Naturidylle in der dichtest bebauten Stadt Deutschlands. Und die Nachverdichtung in Ludwigsfeld – auf einem rund 32 ha großen Areal südlich und östlich der Bestandssiedlung an der Kristallstr. für bis zu 5.000 Menschen – stößt bei den Bürgerinitiativen noch aus einem anderen Grund auf Widerstand wie Unverständnis und sorgt für Ärger. Schon am 24. Juni wandten sich Vertreter von Heimatboden deshalb in einem offenen Brief an den Stadtrat und an Stadtbaurätin Elisabeth Merk wegen der geplanten Nachverdichtung in Ludwigsfeld.
Der Offene Brief von Heimatboden
„1. Vor knapp einem Jahr, nämlich am 27.6.2018, beschloss der Stadtrat ein „Kooperatives Stadtentwicklungsmodell für Feldmoching-Ludwigsfeld“, abgekürzt Kosmo. Mit diesem neuen Modell sollten u. a. folgende Ziele verfolgt werden:
– Durchführung von städtebaulichen und freiräumlichen Grundlagenuntersuchungen, welche ein mögliches Baurechtspotential und potentielle Bauflächen ermitteln und zugleich die landwirtschaftlichen und freiräumlichen Anforderungen berücksichtigen. Insbesondere sind dabei auch die Belange der bestehenden Bewohnerschaft einzustellen sowie auch für die verkehrlichen Herausforderungen schlüssige Lösungen aufzuzeigen.
– Teilhabe der Öffentlichkeit und der Eigentümerschaft bei den nächsten Planungsschritten, insbesondere bei der Erhebung und Analyse der räumlichen, sozialen und kulturellen Strukturen.
– Entwicklung einer zukunftsgerechten Gesamtstrategie
Um in einer ersten Phase zunächst die als notwendig bezeichneten planerischen Untersuchungen, Bestandsaufnahmen und Analysen zu fachlichen Themen wie Landwirtschaft, Landschaft, Umwelt, Verkehr und Siedlungsentwicklung in Auftrag zu geben, wurden dem Planungsreferat in 2019 vom Stadtrat die beantragten Mittel gewährt.
2. Jedenfalls wurde bis heute weder der Kontakt zu den Eigentümern gesucht, noch haben wir Erkenntnisse, dass das auch vom BA 24 geforderte Agrargutachten für den Münchner Norden in Auftrag gegeben wurde bzw. werden soll.
3. Nun sind aber Pläne des Planungsreferates bekannt geworden, dass in Ludwigsfeld für bis zu 5.000 Einwohner neue Wohnungen errichtet werden sollen. Dies entspricht mehr als einer Verdoppelung der Einwohner! Eine Bebauung soll durch eine Erweiterung der Siedlungsflächen südlich und östlich des Siedlungsbereiches an der Kristallstraße ermöglicht werden. Schon Anfang Juli 2019 soll die Untersuchung dem Stadtrat vorgelegt werden; hier sollen offenbar noch vor der Kommunalwahl Fakten geschaffen werden.
Die betroffenen Grundstücke gehören Bauträgern/ Entwicklern/ Investoren sowie der LH München.
4. Die betroffenen Flächen waren ursprünglich Bestandteil des Untersuchungsgebietes München- Nord, für welches zunächst eine Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme und seit 2018 das Modell Kosmo vorgesehen ist. Sehr merkwürdig ist also, dass (nur) die betroffenen Flächen offenbar still und leise aus dem Umgriff des Untersuchungsgebietes herausgenommen wurden. Nun wird dadurch die gesamte Zielsetzung von Kosmo, nämlich eine ganzheitliche Planung, ad absurdum geführt. Die Notwendigkeit einer SEM/Kosmo wurde immer mit der Möglichkeit der großflächigen Überplanung eines Untersuchungsgebietes begründet und gerechtfertigt. Offenbar ist das jetzt nicht mehr gewünscht bzw. notwendig.
5. Weiter drängt sich die Frage auf, warum hiervon einzelne Bauträger/Entwickler/Investoren profitieren dürfen.
6. Die verbliebenen privaten Grundstückseigentümer – sonst gerne als „Spekulanten“ bezeichnet – werden aber weiterhin im Rest-Untersuchungsgebiet zurückgelassen. Für diese sollen andere Regeln gelten.
Sieht so die Auffassung der Stadtpolitik und der Verwaltung von der immer wieder beschworenen Kooperation, Augenhöhe und Transparenz aus? Bei Berücksichtigung all dieser Fakten drängt sich den von der SEM- bzw. Kosmo-Nord betroffenen privaten Grundstückseigentümern der Eindruck auf, dass sie von der Stadtpolitik und der Verwaltung für dumm verkauft, belogen und betrogen werden sollen.
Wir hatten wiederholt darauf hingewiesen, dass durch den bisherigen Umgang mit den Grundstückseigentümern das Vertrauen in die Stadtverwaltung und dabei insbesondere in die im Planungsreferat Handelnden massiv erschüttert ist. Wir bitten Sie daher, bis zum 30. Juni 2019 zu bestätigen, dass die Eigentümer der Grundstücke an der Kristallstraße nicht anders behandelt werden als die Mitglieder von Heimatboden München. Bitte zerstören Sie nicht das zarte Pflänzchen einer Kooperativen Siedlungsentwicklung im Münchner Norden durch Bevorzugung von Großinvestoren.“
Der Offene Brief des Übergeordneten Bündnisses
Am 27. Juni legte dann das Übergeordnete Bündnis München-Nord nach, verwies in einem Schreiben auf die fehlende Stadtplanung im 24. Stadtbezirk und auf die unverständlichen Sonderrechte von Bauträgern und Investoren. Mit einem kleinen Fragenkatalog wurden die Parteien um Klarstellung konkrete Schritte aufgefordert. Der offene Brief ging an die verschiedenen Stadtratsfraktionen.
„Laut einem Bericht der Süddeutschen Zeitung vom 21.05.2019 und unseren Recherchen zufolge wurde nun ein gewisses Gebiet aus dem Planungsbereich Kosmo München Nord herausgenommen. Auf einem 32 ha großen Gebiet sollen bis zu 5.000 neue Bewohner Platz finden. Diese Gebiete sind u.a. im Eigentum der Stadt München bzw. gehören Bauträgern.
Diese Vorgehensweise stellt nun das gesamte Konzept Kosmo / SEM in Frage. Eine großflächige Überplanung ist folglich nicht mehr nötig, wenn erste Gebiete herausgeschnitten werden. Selbst bei einer Bebauung am Rande dieser Gebiete wäre eine Gesamtbetrachtung unerlässlich gewesen.
Unser Stadtbezirk muss endlich stadtplanerisch als Ganzes betrachtet werden. Lassen Sie uns dies begründen.
Der gesamte Münchner Norden im 24. Stadtbezirk steht vor gewaltigen Herausforderungen. Es gibt angedachte Neubaugebiete in der Hochmuttinger Straße (1.400 Einwohner), im Lerchenauer Feld (4.000 Einwohner), in der Ratold/Raheinstraße (2.100 Einwohner) sowie im Eggarten (4.000 Einwohner) und jetzt in Ludwigsfeld (5.000 Einwohner). Durch zahlreiche Verdichtungen dürfte konservativ mit weiteren 5.000 Einwohnern zu rechnen sein. Somit wächst der Stadtbe- zirk, auch ohne KOSMO, um deutlich mehr als 20.000 Einwohner.
Der Verkehr hat seine Kapazitätsgrenze erreicht. Einige Bahnschranken, die ein Großteil der Autos und Radler passieren müssen, sind im Berufsverkehr oft zu 50 % der Zeit geschlossen. Eine Tieferlegung der Bahn wurde wiederholt gefordert. MVG-Chef Ingo Wortmann spricht davon, dass das ÖPNV-Netz Mitte der 20er Jahre zusammenbrechen wird, wenn nicht umfangreich investiert wird. Die Kapazitätsgrenzen sind nahezu erreicht, auch im Münchner Norden. Die Parkplatzsituation ist mitunter als katastrophal zu bezeichnen.
Auch ist die gesamte Infrastruktur im Münchner Norden stark verbesserungswürdig, was wir am Beispiel Schule erläutern möchten. Der 24. Stadtbezirk mit seinen knapp 70.000 Einwohnern hat noch immer kein Gymnasium. Jetzt wird für Kosten bis zu 50 Millionen Euro (!) ein provisorisches Container-Gymnasium gebaut, welches nach Fertigstellung des Gymnasiums im Lerchenauer Feld wieder abgerissen wird. Es zeichnet sich schon jetzt ab, dass dieses eine nicht genügen wird. Die Eduard-Spranger-Mittelschule ist aktenkundig seit über 20 Jahren mit PCB belastet und wird nun endlich geschlossen. Ein Teil der Klassen wird auch in das Container- Gymnasium verlegt.
Die ansässige Bevölkerung lehnt deshalb die geplanten Nachverdichtungsmaßnahmen zu großen Teilen ab. Wenn Wachstum höhere Mieten, mehr Verkehr, weniger Grün- und Erholungsflächen und weniger regionale Produkte aus unserer Landwirtschaft bedeutet, geht dies einher mit einem deutlichen Verlust an Lebensqualität.
Wir fordern deshalb eine Reihe von Gutachten, die dem gesamten Stadtbezirk Rechnung tragen. Ein Verkehrsgutachten ist in unseren Augen auch für ganz München, für alle Verkehrsteilneh- mer, dringend erforderlich. Des weiteren Gutachten zu Infrastruktur, Natur- und Umweltschutz, Klima, ein hydrogeologisches (wegen dem hohen Grundwasserstand) und ein agrarstrukturelles. Auch eines für Emissionen und Immissionen.
Wir fordern auch eine Verschiebung der geplanten Abstimmung im Stadtrat am 03.07.2019 (zu Ludwigsfeld und zum Eggarten). Erst sollte durch Gutachten die Gesamtsituation im Stadtbezirk bewertet werden. Auch möchten wir die Gelegenheit bekommen, unsere Position mit Mitgliedern des Stadtrates zu diskutieren.
Vor diesem Hintergrund möchten wir auch einige Fragen an Sie richten:
1. Würden Sie eine übergreifende Planung im 24. Stadtbezirk befürworten?
2. Sollte durch Gutachten diese Planung untermauert werden?
3. Sollte erst nach Fertigstellung der Gutachten weitergeplant werden?
4. Und nun einige Fragen zu Ludwigsfeld:
a) Ist es richtig, dass in diesem Planungsbereich Teilgebiete der früheren SEM enthalten sind?
b) Warum wurden diese Gebiete entgegen der bisherigen öffentlichen Aussagen aus dem Planungsbereich Kosmo (früher SEM) herausgenommen?
c) Wer ergriff die Initiative hierzu?
d) Sind die Büschl Unternehmensgruppe und Investoren aus dem Umfeld der Patrizia AG daran beteiligt?
e) Warum genießen Bauträger und/oder Investoren gegenüber sonstigen Eigentümern Sonderrechte und warum wurde für diese eine Sonderlösung erarbeitet?
f) Warum müssen diese Bauträger sich nicht auch den übergeordneten Themen einer Kosmo stellen?
Aus Sicht des „Übergreifenden Bündnisses München Nord“ ist diese Herangehensweise in mehr- facher Hinsicht widersprüchlich und problematisch. Eine KOSMO ist nicht nötig, es kann auch ohne gebaut werden. Eine vernünftige Stadtentwicklung findet somit nur in ausgewählten Gebie- ten statt, sollte aber großflächiger angedacht werden. Diese Planung ist unabhängig vom Pla- nungsinstrument zu sehen, aber sie muss gemacht werden.
Auch steht der Vorwurf einer Ungleichbehandlung von einerseits Bauträgern und Investoren und andererseits Grundstückseigentümern im Raum. Manche Mitstreiter sprechen hier von Klientelpolitik. Auch stellt sich die Frage, ob nicht im Vorfeld der Kommunalwahlen 2020 Fakten geschaffen werden sollen. In der Öffentlichkeit, bei den Anwohnern geht hier viel Vertrauen verloren.“