Vier Kontrabässe, große Opern- und Operettenarien, leidenschaftlich gesungen von vier gut disponierten Solisten, eine flotte Tango-Einlage, ein großer Projektchor des Sängerkreises München, erheiternde folkloristische Einsprengsel – das Klassikkonzert am 28. September an der Nordhaide war abwechslungsreich, bot ein gelungenes Programm auf hohem musikalischen Niveau und bereitete Musikern wie Besuchern sichtlich Spaß. Es war definitiv das musikalische Highlight des Jahres im Münchner Norden. Die musikalische Leitung hatte Christian Kelnberger inne, der zudem ebenso kenntnisreich wie launig durchs Programm führte, frei nach dem Motto des Abends: „Was Sie schon immer über Aida, Lohengrin und den Vetter aus Dingsda wissen wollten.“
In Patrick Süskinds Einakter „Der Kontrabaß“ nölt ein alternder Kontrabassist, Mitglied in einem Staatsorchester, verbittert, einsam, introvertiert, über sein Instrument und seinen Beruf, den er im Grunde seines Herzens hasst. „Der Kontrabass ist das scheußlichste, plumpeste, uneleganteste Instrument, das je erfunden wurde. Ein Waldschrat von Instrument. (…) Können Sie mir sagen, wieso ein Mann Mitte Dreißig, nämlich ich, mit einem Instrument zusammenlebt, das ihn permanent behindert?! Menschlich, gesellschaftlich, verkehrstechnisch, sexuell und musikalisch nur behindert?! Ihm ein Kainsmal aufdrückt?!“
Ob die vier Kontrabassisten vom internationalen Kontrabass-Ensemble Bassiona Amorosa (Echo Klassikpreisträger 2014) auch jeweils einen „dominanten Vater, Beamte, unmusisch; schwache Mutter, Flöte, musisch versponnen“ hatten, das wissen wir nicht. Glauben wir nicht. Und ob sie aus den gleichen Gründen auf den Kontrabass verfallen sind, wie Süskinds Kontrabassist, wagen wir auch zu bezweifeln („Aus Hass auf den Vater beschließe ich, nicht Beamter, sondern Künstler zu werden; aus Rache an der Mutter aber am größten, unhandlichsten, unsolistischsten Instrument“). Dazu macht den jungen Musikern das Spiel auf dem tiefsten Streichervertreter ganz offensichtlich viel zu viel Freude, dazu musizieren sie zu virtuos und zu erfolgreich (alle sind ehemalige Meisterschüler von Prof. Klaus Trumpf von der Musikhochschule München und mehrfache Preisträger!) mit erstaunlicher Klangraffinesse. Johannes Matthias Spergers Sonate für Kontrabassquartett etwa, von Süskinds Kontrabassist wegen seiner „Unspielbarkeit“ geschmäht, ist eines der Leib- und Magenstücke des Kontrabass-Ensembles und durfte an diesem Abend natürlich nicht fehlen.
Im Orchester sonst stets ganz nach hinten verbannt, bildeten die Bässe an diesem Abend in der Aula der Robert-Bosch-Fachoberschule einen Mittelpunkt: als Soloinstrument, als zweite Stimme oder kongeniale Begleitung der Sänger. Süskinds Kontrabassist hat also doch recht, wenn er meint: „Das Kontrabass ist das zentrale Orchesterinstrument. Im Grunde weiß das auch jeder. Es gibt bloß keiner offen zu.“
Von Verdi zu Wagner über Franz Liszt
Um beim Künstlerroman zu bleiben: In Franz Werfels „Verdi“ reibt sich der Italiener Verdi – Realist, Patriot und Humanist und seit Jahren in einer Schaffenskrise – am Deutschen Richard Wagner (Romantiker, Revolutionär), der wie er im Jahr 1813 das Licht der Welt erblickte. Verdi fühlt sich als Vertreter eines älteren Opernstils, einer alten Ordnung. Wagner wird als Schöpfer völlig neuartiger Opern gefeiert. Verdi und Wagner, die beiden Opernprotagonisten, standen an diesem Abend im Mittelpunkt: Vor der Pause durften die rund 250 Besucher herrliche Arien aus Verdis Nabucco, Simon Boccanegra, Aida sowie Rigoletto genießen, vorgetragen in wechselnder Besetzung von Yvonne Steiner, Franziska Rabl, Markus Herzog und Franz Hawlata. Und von Kelnberger erfuhren die Zuhörer viel Wissenswertes über Aida, Gilda, Radames sowie den liederlichen Herzog von Mantua – ehe sie, von Verdis wohl berühmtestem Chorstück, dem „Gefangenenchor“ aus Nabucco, getragen, in die Pause entlassen wurden.
Die musikalische Überleitung nach der Pause hin zu Wagner und dessen Oper Lohengrin übernahm Liszts Liebestraum – Wagners Frau Cosima war schließlich eine Tochter Liszts, der auch die Uraufführung des Lohengrin dirigierte.
Hält das Operngeschehen selten einer rationalen Analyse stand, so dass man besser einfach alles glaubt, sonst könne man gleich zuhause bleiben, wie Kelnberger schmunzelnd meinte, ist es um die Logik beim „Vetter aus Dingsda“ von Eduard Künneke noch schlechter bestellt. Doch die Musik tröstet auch hier über viele Ungereimtheiten in der Handlung hinweg und der Wechsel vom strengen Musiker-Outfit in die niederländische (dort spielt die Operette) bzw. oberbayerische Tracht sowie die Vertauschung von „Batavia“ in „Bavaria“ im Abschlussstück trug sehr zur Erheiterung des Publikums bei.
Fazit: Ein wirklich gelungener Abend. Wer es nun bedauert, an diesem Abend verhindert gewesen zu sein oder seinem inneren Schweinehund nachgegeben zu haben – im nächsten Jahr gibt’s hoffentlich eine Neuauflage. Die Opernliteratur ist schließlich unerschöpflich und die Musiker tät’s freuen, wenn bei Klassik an der Nordhaide, mit viel Engagement organisiert vom Verein Stadtteilkultur 2411, dann einmal „die Hütte“ voll wäre!