Gewiss, das alte, immerhin 84 Jahre alte Ladengeschäft war bereits seit 2005 geschlossen und ausgeräumt, die letzte Ladeninhaberin Elisabeth (Liesl) Frankl hatte ihr so geliebtes Geschäft aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr weiterführen können. Mit dieser Geschäftsschließung endete wieder ein kleines Stück neuerer Feldmochinger Geschichte. Das kleine Ladengeschäft an der Straßenecke war der letzte „Tante-Emma-Laden“ des Stadtviertels. Kinder hatten den Laden und dessen Inhaberin genauso geliebt wie die Erwachsenen.
Noch in den 1950er und 1960er Jahren gab es in Feldmoching rund 50 (!) kleine Ladengeschäfte für Milch und Milchprodukte, Backwaren/Bäckereien, Fleisch- und Wurstwaren/Metzgereien, Fische (aus heimischen Fängen), Elektrogeräte, Gemüse, Textilien, Schuhe/Schuster, Schreibwaren/Papeterie und darüber hinaus weitere kleine Gemischtwarenläden, die man Spezereihandlungen hieß. Dann verdrängten die Großverteiler und Filialkonzerne mit ihrem überschwänglichen Warenangeboten im Laufe der 1960er und 1970er Jahre fast alle kleinen Ladengeschäfte, besonders im Kolonialwarenhandel. Nur wenige überlebten noch ein paar Jahre, sie trotzten den Herausforderungen der Einzelhandels-Großkonzernen mit steter Anpassung an die veränderten Rahmenbedingungen durch Kundennähe, Freundlichkeit und persönlichen Service. Ihre Marktchancen schwanden aber dennoch dahin.
Eine Spezereihandlung führte vom Mehl bis zum Zwirn alles
Wer weiß heute noch, was eine „Spezereihandlung“ ist, wie es die Zellners und Frankls betrieben? Das aus dem Mittelalter überlieferte Wort „Spezereien“ ist laut Lexikon ein Ausdruck für Gewürze und Gewürzwaren. Im süddeutschen Raum wurde ein Gemischtwarenhandel oder Kauf-/Kramerladen bis in unsere Zeit hinein eine „Spezereihandlung“ genannt.
Eine derartige Spezereihandlung führte je nach Größe ein breites Angebotssortiment für den täglichen Bedarf eines privaten Haushalts. Die Menschen, insbesondere die Hausfrauen, konnten ja in früheren Zeiten nicht mal eben so zu einem Groß- oder Supermarkt heutiger Prägung fahren. Das kam erst Anfang der 1960er Jahre aus Amerika zu uns. Eine Fahrt „in die Stadt“ zum Einkaufen unternahm man damals äußerst selten.
Eine Spezereihandlung führte in erster Linie Lebensmittel aller Art: Mehl, Grieß, Stärke, Salz, Trockenobst, Gewürze, ja sogar Futtermittel, Marmeladen und Honig, Milch und Milchprodukte, um nur einige Beispiele zu nennen, bis hin zu Kräutern, Tees, Malzkaffee (später auch Bohnenkaffee) Tinkturen u. a. und darüber hinaus noch „Merceriewaren“. Das aus der französisch/schweizerischen Sprache hergeleitete Wort Merceriewaren bedeutet so viel wie Kurzwaren und steht eigentlich mehr für klein als für kurz, sprich für Knöpfe, Zwirn, Schnallen, Nadeln, Reißverschlüsse und weiteres . Doch ganz typisch für eine Spezereihandlung war der Duft nach allerlei feinen Leckereien. Schon dieser verführerische Geruch zog die Kundschaft an, daran erinnert sie sich noch heute.
Vom Ladengründer Max Zellner bis zur Liesl im Jahr 2005
Auf besagtem Grundstück an der Lechenstr. baute der damals 30-jährige Max Zellner (*1870, + 1932) sein erstes Haus. Es war nach heutigem Maßstab eher ein recht kleines Häusl. Max Zellner hatte die um vier Jahre jüngere Maria, geb. Plank geheiratet und begann seine wirtschaftliche Selbständigkeit. Der Baugrund gehörte zu dem Gütl der Familie mit Haus und Stallung, einem landwirtschaftlichen Kleinbetrieb an der Lerchenstr. mit ein wenig Grund und etwas Vieh.
1928 bekam das kleine Häusls einen Ladenanbau und noch im gleichen Jahr konnte das neue Ladengeschäft als „Spezereihandlung“ eröffnet werden. Unter den damaligen bescheidenen Umständen waren diese Neubauten nur in weitgehender Eigenleistung zu schaffen. Da blieb auch Ehefrau Maria nicht vor Schwerstarbeiten verschont, und Max Zellner nahm alle denkbaren Arbeiten an, die sich ihm boten, um für den Aufbau seiner Existenz Geld zu verdienen.
Der älteste Sohn Georg schaffte bei der „Melasse“ in Feldmoching – dem Futtermittelwerk der jüdischen Brüder Paul und Sigwart Steinharter – und half seinen Eltern mit seinem Verdienst aus. Es war eine Schinderei für die ganze Familie. Hinzu kam, dass Max Zellner eigenen Grund brauchte. Er begann mit dem Kauf zweier kleinerer Gründe im Moos (ein Moosbad hätte er dort gern eingerichtet, hört man noch heute aus Familienkreisen). Es blieb aber nur beim Torfstechen. Max Zellner starb 1932 mit nur 62 Lebensjahren. Seine Witwe Maria führte nun das Geschäft allein weiter bis zu ihrem Lebensende 1937. Daraufhin übernahm Tochter Maria das Geschäft bis zum Jahr 1939. Denn nun heiratete der Bruder Georg die Ottilie Heimerl aus Straubing und beide stiegen ins Geschäft ein. Georg Zellner starb im Jahr 1965. Von nun an musste seine Witwe Ottilie (die „Zellnerin“) für das Geschäft gerade stehen. Dabei half ihr die Tochter Elisabeth, kurz Liesl genannt. Nach dem Tod der Ottilie im Jahr 1982 führte Tochter Elisabeth das Geschäft allein – bis zur Geschäftsaufgabe im Jahre 2005 – 23 Jahre lang.
Die Spezereihandlung bezog viel Ware von der Firma Kathreiner
Wenn hier von einem Geschäft die Rede ist, dann erstreckte sich dieses vom Anfang an vom „Tante-Emma-Laden“, der Spezereihandlung über einen zweiten Geschäftszweig mit Brennmaterialien, nämlich mit Kohlen, Holz und Heizöl.
Wie einst ein kleines Ladengeschäft funktionierte, das können sich jüngere Generationen nicht mehr recht vorstellen. Daher wollen wir es etwas genauer schildern.
Die Milch und die Milchprodukte wurden von Deller bezogen. Der Kunde kam mit einer Kanne in den Laden, die dort erst mittels einer Schöpfe, später mit einer moderneren Handpumpe befüllt wurde. Das breite Sortiment an Kolonialwaren bezogen die Zellners von ihrem Großhändler, der sehr bekannten Firma Kathreiner am Ostbahnhof: die Marmeladen in Eimern, das Mehl in Säcken aus Jute oder Papier, den Zucker in weißen Gewebesäcken. Geliefert wurde eben nur in Großgebinden. Der Kunde brachte für seine Einkäufe eigene Gefäße (etwa für Marmeladen und Honig) mit, Mehl und Zucker wurden in den damals gebräuchlichen Spitztüten („Stranizen“) abgefüllt. Butter und Margarine wickelte die Verkäuferin in Pergamentpapier ein. (Also nichts mit dem heute so allgegenwärtigen Plastikmüll!) Das Gewicht ermittelte man mittels einer kleinen Dezimalwaage samt Gewichten, einer sogenannten Krämerwaage.
Die sehr alte Großhandelsfirma Kathreiner ging übrigens erst in den geschäftlichen Wirren nach der Wende ab 1989 zugrunde. Wenn der Tag der Einkäufe bei Kathreiner anstand, dann begann der Tag von Max und später von Georg bereits um 2 Uhr in der Früh. Nur so hatten sie eine gute Chance, am Ostbahnhof in der Mühldorfstr. als erste Kunden bedient zu werden und vor Geschäftsbeginn wieder daheim in Feldmoching zu sein. Allerdings war es keineswegs sicher, dass am Ende auch die gesamten Einkaufswünsche erfüllt waren.
Von Salzheringen und Dietzln für die Kinder
Spannend wurde es immer dann, wenn eine Lieferung Salzheringe angekündigt war. Die Salzheringe wurden mit der Bahn in 200-l-Fässern angeliefert. Dann standen die Kunden schon vor dem Laden und warteten auf den Georg Zellner mit seiner Wagenladung aus dem hohen Norden. Auch der Bierverkauf spielte bei den Zellners eine große Rolle. Neben Augustiner- und Spatenbier gab es ein beliebtes Bier von Zieglbräu aus Dachau.
Die Augen der Kinder jedoch richteten sich im Laden zuerst auf das Glas mit den süßen „Dietzln“, auch Lutscher oder Sauger genannt. Überhaupt, eine kleine Süßigkeit kam schon mal über den Ladentisch, wenn ein Kind zum Einkaufen geschickt wurde. Das „Anschreiben“ der Einkäufe war fast schon ein Normalzustand. Am Samstag, nachdem die Wochenlöhne ausbezahlt waren, wurden (in der Regel) auch die Verbindlichkeiten bezahlt und aus dem „Buch“ gestrichen.
Und wenn mal ein Kunde aus Gesundheits- oder Altersgründen nicht die Kraft zum Einkaufen aufbringen konnte, dann lieferten die Zellners und Frankls zur Not auch frei Haus. Und dies bis zur Geschäftsaufgabe im Jahr 2005!
Der Handel mit Kohle war eine Schinderei
Der Handel mit den Brennmaterialien war sehr arbeitsaufwendig und grenzte oft an eine Schinderei. Für deren Lagerung hatte man am Hause Bedachungen errichtet.
Aus den oberbayerischen Gruben Hausham, Peißenberg und Penzberg wurde Pechkohle per Waggon bezogen. Diese „Glanzkohle“ (Hartbraunkohle) erreichte wegen der begrenzten Fördermengen und ihrer geringen Qualität eine nur regionale Bedeutung. Ihr Brennwert liegt um etwa 1/3 unter dem der Steinkohle.
Die Steinkohle und die Briketts kamen aus Schlesien. Auch Koks für die Dampfheizungen gehörte damals zum Angebot. Alles kam per Waggon nach Feldmoching und musste vom Bahnhof im kleinen Pferdewagen auf den Hof geholt werden. Der Weiterverkauf der Kohle erfolgte in Mehrweg-Jutesäcken (Kohlesäcke) zu je 50 kg. Auch das Brennholz kam in der Regel per Waggon nach Feldmoching. Bei den Zellners/Frankls wurde es für den Weiterverkauf an die Haushalte ofengerecht geschnitten, gespalten und gebündelt.
Die Schinderei erreichte ihren Höhepunkt bei der Auslieferung an die Kunden. Denn dann mussten die schweren Säcke vom Wagen in den Keller oder sonst wohin geschleppt werden.
Das Heizöl wurde aus einem Tank in Kanister für die Kunden abgefüllt. In früherer Zeit standen in den Haushalten ja allenfalls kleine Ölöfen, die vor Ort mit Öl befüllt wurden. Dann waberte den ganzen Tag über in der Wohnung oder im Haus ein penetranter Ölgeruch. Dennoch galt diese Heizart als modern!
Peter Frankl half, nachdem er Elisabeth geheiratet hatte, neben seiner festen Tätigkeit als Lagerleiter bei der Raiffeisenbank Feldmoching in diesem schweren Geschäft nach besten Kräften mit, wobei die einst großen Massen an Kohle, Holz und Heizöl im Laufe der folgenden Jahre spürbar zurückgingen.
Mein Dank für wertvolle Hinweise und Informationen geht an Elisabeth und Peter Frankl und an Brigitte Jenewein sowie an Hans Theimer vom Kulturhistorischen Verein Feldmoching.