Am Sonntag, den 25. Oktober, an einem der vermutlich letzten milden Herbsttage, an dem sich gefühlt halb München gen Alpen entleerte, trafen sich rund zwei Dutzend Menschen, Experten wie Interessierte, ganz im Münchner Norden am Eishüttenweg, wo der Feldmochinger Mühlbach in die Würm mündet und der Schwebelbach kurz vorher abgeht, zu einer Radtour in Sachen „Barockes Kanalsystem“. Der Weg führte sie in etwa zweieinhalb Stunden, mit einem kleinen Abstecher hin zur Ruderregatta und der Gewässerkreuzung Dachauer-Schleißheimer-Kanal / Schwebelbach hin zum Brunnhaus beim Schleißheimer Schloß.
Der Münchner Norden verdankt sein denkmalgeschütztes Kanalsystem, Bayerns größtes Flächendenkmal, zuerst einmal Herzog Wilhelm V., der 1598 zugunsten seines Sohnes die Amtsgeschäfte niederlegte und sich nach Schleißheim zurückzog, wo er den Schleißheimern 19 Jahre später auch die Ehre erwies, dort zu sterben, wie Otto Bürger, Heimatforscher und wandelnder Ortschronist von Schleißheim, der an diesem Sonntag als Kenner der Materie ebenfalls mit von der Radlpartie war, scherzhaft bemerkte.
Wilhelm V., der reumütige Sünder, einst erzogen von den Jesuiten, ließ nicht nur sechs Klausen/Kapellen rund um seine „Seniorenresidenz“ errichten. Da ihm für seine Schleißheimer Schwaige (insbesondere die Mühle) – die hatte er 1597 dem Freisinger Domkapitel für eine hohe Summe abgehandelt und bis 1600 um einen Gutshof und ein Herrenhaus erweitert – das Wasser fehlte, ließ er kurzerhand 1601 nördlich von Allach die Würm anzapfen und in einem Kanal durch Feldmochinger Flure nach Schleißheim leiten. Volker Laturell weiß in seinem Feldmoching-Buch zu berichten, dass die einst auf der Nordseite des Kanals entlangführende Heppstr. heute noch den Verlauf dieses Wilhelminischen Kanals widerspiegelt.
Italienische Baumeister halfen bei der Kanalgestaltung mit
Seine ausgeklügelte Gestaltung erhielt das aufwendige Kanalsystem allerdings erst unter Kurfürst Maximilian II. Emanuel. Der blaue Kurfürst ließ sich 1701 bis 1704 als sichtbares Zeichen seiner Machtfülle das Neue Schloß Schleißheim errichten. Für das natürlich auch Wasser benötigt wurde. Viel Wasser, um ausgefallene Wasserspiele im weitläufigen Schlosspark installieren zu können.
So begann man 1689 beim Aumeister wie in Lustheim mit dem Bau des Isar-Schleißheimer-Kanals, und ein Jahr später setzten die Arbeiten für einen neuen Würmkanal ein, den sogenannten Maximilianischen Würmkanal. Der nutzte zwischen der Würm und der Landstraße nach Dachau, so Laturell, einen Teil des alten Wilhelminischen Kanals, durchquerte dann aber geradlinig das Moos, um erst wieder bei der ehemaligen Eishütte auf den alten Kanal zu stoßen. Der Würmkanal war und ist bis heute Hauptwasserlieferant für die Schlossanlagen von Schleißheim und wurde früher sogar zum Treideln von Baumaterialien genutzt: Holz aus dem bayerischen Oberland und Lehmziegeln aus Dachauer und Ismaninger Ziegeleien, beladen auf Booten, zogen damals Pferde entlang eines Uferwegs, denn ursprünglich war der Kanal rechts und links nicht bewachsen. Das Kanalsystem gilt noch heute als technische wie landschaftsgestalterische Meisterleistung, da es äußerst kunstvoll in die Ordnung der natürlichen Fließgewässer eingefügt wurde – z. T. unter Beteiligung von italienischen Baumeistern!
Heute ist der Gehölzbestand entlang des Kanals eingetragenes Biotop, der Kanal selbst steht unter Denkmalschutz. Von dem einst 60 km langen barocken Kanalsystem, das die Schlösser Nymphenburg, Schleißheim und Dachau verband, sind heute noch rund 36 km intakt. Für den Erhalt, aber auch für die Wiederherstellung der verfüllten oder überbauten Teile des Kanalsystems setzt sich der Verein Dachauer Moos ein, dem elf Kommunen angehören und dessen Geschäftsführer Robert Rossa an der Exkursion teilnahm. Sein Verein hat übrigens die sieben Infotafeln an markanten Punkten im Dachauer Moos und dessen Umkreis aufgestellt.
Ein Fischaufstieg ist kein Hexenwerk
Beim Eishüttenweg begann an diesem milden Herbsttag die Radtour. Bis vor einigen Jahren stand an diesem Platz eine Holzhütte, die dem Flurmeister und seinen Helfern als Geräteschuppen und Aufwärmhütte diente. Denn wenn in kalten Wintern, also früher, Grundeis entstand und die Kanäle zuzufrieren drohten, war die Gefahr von Überschwemmungen groß, da der künstlich angelegte Würmkanal einige Meter über der Umgebung liegt. Mit wasserdichten Gummihosen angetan, mussten die Arbeiter dann stundenlang im kalten Wasser stehen, um das Grundeis loszutreten und das Randeis zu beseitigen. Der Schwebelbach führte dann die Eisschollen zur Amper ab.
Die Uferbereiche des Würmkanals waren selbst vor etlichen Jahrzehnten noch wesentlich „aufgeräumter“ und gepflegter als heute, da u. a. das Drüsige Springkraut munter vor sich hin wuchert. Martin Schreck, der Organisator der Radtour – die ursprünglich ein kleiner Besprechungs- und Besichtigungstermin mit Claudia Berger-Jenkner, Kunst- und Kulturhistorikerin sowie Gästeführerin in Dachau und Umgebung sein sollte – brachte zum Beleg entsprechende Fotos aus dem Archiv des Kulturhistorischen Vereins mit.
Beim Eishüttenweg will das staatliche Wasserwirtschaftsamt (WWA) bekanntermaßen nun einen neuen Fischaufstieg am Schwebelbach bauen, um damit, so Tobias Ruff, Stadtrat der ÖDP und Gewässerökologe, wieder eine Durchgängigkeit für Fische gemäß der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie zu ermöglichen. Denn der Würmkanal ist nicht nur recht fischarm, sondern enthält auch weder Wasserpflanzen noch Kleinlebewesen, Defizite, die Ruff selbst schon in der Nähe erhoben hat. Ruff sprach sich aus Gründen der Ökologie für den geplanten Fischaufstieg aus, der kein Hexenwerk sei. Es müsse nur dafür gesorgt werden, dass auch Fische, die nicht wie die Forellen springen, am Boden entlang hochschwimmen könnten. Und ja, Fischreiher liebten Fischaufstiege, aber wenn es selbigen nicht gebe, dann sei die Wanderung der Fische hin zu ihren Laich- und Wintereinstandsplätzen komplett umsonst gewesen.
In Sachen Fischaufstieg gilt es nun also, die Ökologie mit dem Denkmalschutz zusammenzubringen. Das WWA, das die Federführung bei diesem Projekt inne hat, wird die Träger sämtlicher öffentlicher Belange (Denkmalbehörde, Fischereiverband etc.) anhören. Das Landesamt für Denkmalpflege hat wohl, so war an diesem Nachmittag zu hören, prinzipiell nichts gegen eine Fischtreppe. Denn welchen Stand des technischen Bauwerks, das im Laufe der Jahrhunderte immer der Veränderung unterworfen war, wolle man berücksichtigen? 1930? 200 Jahre früher? 450 Jahre?
Dem Dachauer Moos wird weiter ständig Wasser entzogen
Zweiter Stopp der Radtour war beim Zielbereich der Regattastrecke Oberschleißheim, die sich am niedrigsten Punkt Münchens auf etwa 480 m ü. NHN befindet. Der 2,23 km lange Wassertrog (=Regattastrecke) ist mit Grundwasser gefüllt und entwässert damit das Dachauer Moos immer mehr. Ein großer, entscheidender Eingriff ins Moos, mit fatalen Folgen, wie Rossa vom Verein Dachauer Moos erläuterte. Denn Moore wären eigentlich sehr wichtig in Zeiten des Klimawandels, speichern sie doch mehr Kohlendioxid als jedes andere Ökosystem der Welt, weit mehr auch als Bäume. Werden sie allerdings trockengelegt, dann geben sie das einst gespeicherte CO2 in die Luft ab. Im Zielbereich der Regattastrecke fließt das Grundwasser, das dem Dachauer Moos entzogen wird, ab und wird hinter der Autobahn in den Schwebelbach eingeleitet. Ursprünglich war geplant gewesen, dieses Wasser in den Schleißheimer Kanal zu leiten. Wie dem auch sei, das abgeleitete Wasser – wahrlich nicht wenig pro Sekunde! – hat keine ökologische Funktion mehr, es wird eigentlich „weggeworfen“, so Rossa. Und das seit 50 Jahren. Sein Verein setzt sich dafür ein, dass das Wasser wieder ins Moos zurückgeführt wird, um es dort, ökologisch viel sinnvoller, in der Fläche versickern zu lassen.
Neue Autobahnauffahrt erfordert große Eingriffe in die Natur
Weiter ging’s zur Wasserkreuzung Schleißheimer-Dachauer-Kanal / Schwebelbach in der Nähe der Ruderregatta, wo zur Bundesgartenschau 2005 ein 50 m langer Kanalabschnitt saniert, in seine ursprüngliche Façon gebracht und mit blauen Stangen geschmückt worden war. In Anlehnung an alte Vorbilder hatte das WWA ein sogenanntes Bohlenbeschlacht eingebaut. Dies war einst entlang des kompletten Ufers gemacht worden, damit die Lastkähne und Gondeln auf dem schmalen Kanal nicht beschädigt wurden, wenn sie den Uferbereich touchierten.
Weil sich anschließend keiner mehr um den Streifen kümmerte, hat ihn sich die Natur inzwischen zurückgeholt. Ist aber auch egal, denn hier wird in ein paar Jahren eh massiv in die Natur eingegriffen, da die Autobahn-Auf-/Abfahrt nebenan kleeblattartig ausgebaut wird, wie auch die Autobahn auf sechs Spuren aufgeweitet wird.
Diese Gewässerkreuzung am Schwebelbach ist übrigens etwas besonderes, weil einzigartig. Früher hatten die meisten Moosbäche mit dem Dachau-Schleißheimer-Kanal niveaugleich gekreuzt. Als aber ab 1915 die Bäche tiefer gelegt wurden, um im Zuge der Kultivierung des Dachauer Mooses den Grundwasserspiegel zu senken, so ist auf einer Infotafel zu erfahren, blieb einzig diese Kreuzung erhalten.
Entlang der B 471 ging’s dann per Rad zum Schloss Schleißheim und hin zum alten Pumphaus, wo die Radtour nach gut zweieinhalb Stunden ihr Ende fand
Das Brunnhaus war erst 1867 im Zuge der Rekonstruktion der Gartenanlagen durch Carl Effner errichtet worden. Heute ist es nicht mehr im Betrieb. Die Wasserfontänen im 79 ha großen Schlosspark werden elektrisch betrieben. Seinerzeit wurden die Pumpen angetrieben vom Wasser des nördlichen Ringkanals, also vorwiegend von Isarwasser. Hingegen kam das Wasser für die Fontänen aus dem tiefer liegenden Brunnbach, der aus dem Würmkanal stammt.
Kanalsystem soll aus Dornröschenschlaf geholt werden
Begeistert von Schrecks und Berger-Jenkners Initiative und dem allgemeinen Interesse etwa anlässlich der diesjährigen Führungen am Dachau-Schleißheimer-Kanal versprach Rossa, wieder mehr Aufmerksamkeit dem noch immer weitgehend im Dornröschenschlaf liegenden Kanalsystem widmen zu wollen. Sobald es die Pandemie zulasse, will er einen Runden Tisch der Kanal-Anlieger-Kommunen mit den lokalen Experten und Dr. Gerhard Ongyerth vom Münchner Landesamts für Denkmalpflege einberufen. Dass dieses einzigartige Kanalsystem viele jahrzehntelang größtenteils arg vernachlässigt wurde, habe es aufgrund seiner historischen Bedeutung wahrlich nicht verdient. Der Freistaat Bayern sollte nicht nur stolz auf dieses Zeugnis früherer bayerischer Bau- und Ingenieurkunst sein, sondern auch Geld locker machen, um dieses Denkmal auch für weitere Generationen (sichtbar) zu erhalten. Und das kommt dann auch dem Umweltschutz, der Artenvielfalt von Flora und Fauna sowie dem Klima zu gute.