Im grünenden und blühenden ersten Sommermonat Juni feiert die katholische Kirche seit vielen Jahrhunderten eines ihrer prächtigsten und zugleich volkstümlichsten Kirchenfeste: Fronleichnam. In Bayern auch der große Pranger, Antlasfest oder Blutstag genannt. In diesem Jahr fällt der stets festlich begangene Kirchentag auf den 3. Juni, da er traditionell am zweiten Donnerstag nach Pfingsten begangen wird. Leider wird auch heuer ein wichtiger Teil dieses prächtigen Festes anders sein müssen. Denn die amtlich vorgeschriebenen Kontaktbeschränkungen aufgrund der nun fast 1 ½ Jahre andauernden Corona-Pandemie erlauben keine an das Hochfest anschließende Prozession, den „Umgang“, durch die Gemeinde bzw. die Gemeindeflure. Wollen wir hoffen, dass 2022 wieder Normalität herrschen wird.
Im Pfarrverband Pacem-München-Nord-Feldmoching werden zu Fronleichnam am Donnerstag, den 3. Juni in den Pfarrkirchen St. Peter und Paul, St. Matthäus, St. Christoph und St. Johannes Evangelist um 10 Uhr die Gottesdienste gefeiert. In St. Agnes wird Fronleichnam traditionell eine Woche später, am Sonntag, den 13. Juni begangen. Die Gottesdienste sollen, passendes Wetter vorausgesetzt, im Freien stattfinden. In jedem Fall aber werden sie nach den geltenden Hygiene- und Kontaktvorschriften abgehalten.
Die Prozession muss wieder ausfallen
Wenngleich die heilige Messe, das „Hochfest des Leibes und Blutes Christi“, der wichtigste Teil des Fronleichnamsfestes ist, so empfinden gläubige und traditionstreue Menschen in den Städten und Dörfern unseres Landes den erneuten Ausfall der anschließenden Prozession – auch „Gottestracht“ genannt – nun schon im zweiten Pandemiejahr als einen schmerzlichen Verlust. Mit ihrer Teilnahme an den prächtigen Prozessionen in den schmucken Trachtengewändern der Brauchtumsvereine bzw. in den Uniformen der Feuerwehren, Sanitätsdienste und der Schützen, mit den bunten Fahnenabordnungen, vorneweg getragen das große Kreuz mit dem Leichnam des Christus, dem Kruzifix, mittendrin im Zug die Musik- bzw. bei uns in Feldmoching die Feldmochinger Blaskapelle und das vom Priester in einer wertvollen, goldglänzenden Monstranz unter einem prächtigen Baldachin, dem „Himmel“, getragene Allerheiligste (die konsekrierte Hostie), bezeugen die singenden und betenden Mitglieder der Kirchengemeinden, der Ortsvereine und die gesamte Ortsgesellschaft nicht nur ihre nach wie vor unverrückbare christliche Glaubensnähe, sondern zugleich ihre Treue zum althergebrachten, heimatlichen Brauchtum und zu den alten Traditionen wie auch ihre darauf begründete enge Verbundenheit in der örtlichen Kommune. Die in den vorwiegend katholischen Gemeinden zu Fronleichnam mit viel Grün und Blumen sowie mit bunten Fahnen und Tüchern geschmückten Straßen und Häuser wie auch die drei (bis zu vier) in Abständen am Prozessionsweg aufgestellten Außenaltäre – auch „Segensaltäre“ genannt – vermitteln gewiss auch den vielen Menschen daheim oder den Zuschauern an den Straßenrändern mit zum Teil vielleicht geringer Nähe zum christlichen Geschehen zumindest einen beeindruckenden optischen Eindruck von der Würde und Wichtigkeit dieses großen Kirchenfestes in der tief gewurzelten Kirchen- bzw. Gesellschaftskultur.
Der liturgische Teil dieses großen Festes endet gewöhnlich nach der Prozession bzw. dem Abschlussgottesdienst in der Kirche mit der Spende des Wettersegens, dem Tantum ergo und dem Te Deum („Großer Gott wir loben dich …“). Begleitet wird das in St. Peter und Paul seit mehr als zwei Jahrzehnten in einer noch jüngeren Tradition, aber aus altem bayerischen Brauch erwachsen, durch die im Pfarrhof angetretenen Feldmochinger Böllerschützen, die mit ihrem dreifachen Salut (dem „Antlasschießen“) zu Ehren des Allerheiligsten im Zeichen des Herrn Jesus Christus gemeinsam mit dem festlichen Glockengeläut für „alle“ Menschen in der Gemeinde unüberhörbar das hohe Kirchenfest kundtun.
Ein sehr altes Kirchenfest mit Wurzeln in mystischen Zeiten
Die ursprünglichen Wurzeln des von uns heute mit großer Freude gefeierten, prächtigen Fronleichnamsfestes reichen nach Überlieferungen mehr als 750 Jahre in teilweise noch mystische frühmittelalterliche Zeiten zurück. Demnach soll dieses hohe Kirchenfest „der leiblichen Gegenwart Christi in der Eucharistie“ ab 1246 erstmals im belgischen Lüttich gefeiert worden sein. Der Anlass dieses Glaubensfestes beruht einerseits auf einer Vision der frommen Klosterfrau und Priorin des belgischen Klosters Mont Cornillon, Juliana von Lüttich, im Jahre 1209. In ihrer Vision habe sie den an einer Stelle verdunkelten Mond gesehen, worauf ihr Christus erklärt habe, dass der Mond das Kirchenjahr und der dunkle Fleck das Fehlen eines Festes des Altarsakramentes bedeute. Die Klosterfrau berichtete Papst Urban IV., der zuvor in Lüttich als Diakon tätig war, von ihrer Vision.
Als ein weiterer Ursprung dieses Festes gilt die Überlieferung, dass ein böhmischer Priester namens Peter von Prag auf seiner Pilgerreise nach Rom in der Kirche von Bolsena in der italienischen Region Latium eine Messe gefeiert habe. Dieser Peter von Prag habe in der Messe an der im vierten Laterankonzil 1215 zum Dogma erhobenen Transsubstantiationslehre – der Wandlung des Brotes und des Weines zum Leib und Blut Christi, in dem Christus gegenwärtig bleibt – gezweifelt. Als er die Hostie brach, sollen aus ihr einige Tropfen Blut gefallen sein. Dieses „Blutmal“ auf einem Altarstein wird von den Christen in der Kirche Santa Christina als „Blutwunder“ von Bolsena verehrt. Papst Urban IV. erkannte dieses „Blutwunder“ als ein echtes Wunder an und erhob „Fronleichnam“, auch unter dem Eindruck der Mondvision der Juliana von Lüttich, im Jahre 1264 mit der Bulle „Zu Ehren der heiligen Eucharistie“ für die gesamte römisch-katholische Kirche zu einem hohen Kirchenfest. Dieses sollte stets an einem Donnerstag gefeiert werden, in Anlehnung an den Gründonnerstag, an dem Jesus mit seinen Jüngern das letzte Abendmahl beging.
In einer Katakombe der Kirche Santa Christina zu Bolsena (in der das Blutwunder geschah), die mit einer Grabplatte aus Basalt mit den Fußabdrücken der hl. Christina bedeckt ist, liegen übrigens die Gebeine (als Reliquien) der Christina. Die tief gläubige und missionarisch tätige Christin in der frühchristlichen Zeit des 2./3. Jahrhunderts der grausamen Christenverfolgungen im Römischen Reich wurde von den kaiserlichen Schergen gefoltert und angezündet. Sie soll diese Qualen wegen ihrer großen Glaubensstärke überstanden haben. 304 wurde sie dennoch zu Tode gebracht. Wenn wir die frühesten Ursprünge unseres heutigen Fronleichnamsfestes gar auf das Todesjahr der heiligen Christina legen wollten, dann wäre dieses bereits 1717 Jahre alt!
Weniger im mystischen Dunkel liegt der Name des Kirchenfestes. Fronleichnam leitet sich aus dem Mittelhochdeutschen „vrone“=Herr und „licham“=Leib ab, entsprechend für „des Herren Leib“. Die katholische Kirche feiert an diesem Tag die „bleibende Gegenwart Jesu Christi im Sakrament der Eucharistie“.
Fronleichnam wird von einer Reihe von Bräuchen begleitet
Auch das Fest Fronleichnam wird von Volksbräuchen und Traditionen begleitet, wenngleich die uns bekannten Bräuche und Traditionen weniger vielfältig sind als etwa zu Ostern oder Pfingsten. Aber bereits die prächtigen Fronleichnamsprozessionen mit ihren Unterschieden in den Städten und Regionen bieten eine ganze Menge an Vielfalt.
An den bunten Gewändern der Kinder, Frauen und Männer in einer solchen Prozession ist leicht erkennbar, welchen Stellenwert die Bräuche und Traditionen in dem betreffenden Ort noch haben. Denn zu Fronleichnam läuft praktisch alles zusammen. An den Fahnen und Standarten ist die Vielfalt der Gemeindekultur sehr gut auszumachen. Auch die Ausschmückung der Außenaltäre, der Straßen, Straßenränder und Häuser, an denen die Prozession entlangführt, beruht auf lange zurückreichenden Traditionen. In manchen Orten werden die Prozessionswege noch mit frisch geschnittenem Gras (dem „Prangergras“) bedeckt, das im Glauben an eine günstige Wirkung nach der Prozession anschließend dem Futter der Rinder beigemischt wird. In anderen Orten bedecken die Prozessionswege prachtvoll gestaltete Blumenteppiche mit bunten Mustern – damit das „Göttliche“ nicht auf der blanken Erde wandeln muss!
Den gewöhnlich als Straßenschmuck entlang der Prozessionswege aufgestellten Birkenruten, auch „Prangerstauden“ genannt, werden im Volksbauch eine große Segenskraft zugesprochen. Darum reißen Prozessionsteilnehmer nach den Feierlichkeiten gerne einige kleine Zweige davon ab und stecken sie daheim in den Wohnräumen und Ställen an die Wand oder gar in den Herrgottswinkel. Der Volksglaube besagt, dass sie etwa bei Gewittern gegen Blitzeinschlag helfen sollen.
Auch den mancherorts in der Prozession mitgeführten kleinen Fronleichnamskranzerln aus Blumen, Kräutern und Grünbüschln u. a. wird eine Segenskraft zugesprochen, weshalb auch diese gern nach der Prozession in den Herrgottswinkel gehängt werden.
Das Antlasschießen und der Antlassritt
Das Antlas- oder Prangerschießen nach der jeweiligen Verlesung des Evangeliums an einem jeden Segensaltar und/oder in Begleitung des Te Deums zum Ende des Abschlussgottesdienstes ist in vielen Orten des bayerischen Oberlands noch weit verbreitet, meistens tritt dabei die jeweilige Gebirgsschützenkompanie an.
Auch begleiten, wenn auch nur noch selten, „Antlassreiter“ die Fronleichnamsprozession.
Gelegentlich gibt es sogar eine Prangerschützenkompanie, die nur an den hohen Prangerfesten mit ihren Prangerstutzen (schwere Schaftböller) Salut feuern.
Das berühmte wie eindrucksvolle Fronleichnamsschießen in Berchtesgaden mit dem Prangerstutzen wird erstmals im 17. Jahrhundert erwähnt. Das Schießen beginnt dort bereits um sechs Uhr morgens mit dem Wetteranschießen. Ab sieben Uhr werden im Verlauf des Hochamtes die liturgischen Handlungen mit weiteren Schüssen begleitet, und zwar mit je drei beim Beginn, dem Gloria, dem Evangelium, der Opferung, dem Sanctus, der Wandlung des Brotes und des Weins, zur Kommunion und zum Schlußevangelium. Während der Prozession gibt’s alle zwei Minuten einen Schuss, bei den Evangelien fallen jeweils drei Schüsse. In anderen Orten fällt dieses Brauchtum etwas zurückhaltender aus.
Prächtige See- und Flussprozessionen
Sehr populär und richtiggehende Publikumsmagneten sind die bis heute erhaltenen Wasser- oder Seeprozessionen bzw. die Schiffsprozessionen. Bekannt sind etwa die Seeprozessionen auf dem Staffelsee bei Murnau (zur Insel Wörth) und auf dem Schliersee, aber auch im Salzkammergut. Dort begleiten zahlreiche kleine Boote und Kähne, mit vielen Blumen und Girlanden geschmückt, ein größeres, aufwendig geschmücktes Schiff (oder einen ausladenden Ponton), auf dem sich der Geistliche mit dem Allerheiligsten in der prächtigen Monstranz unter dem Baldachin mit seinen Ministranten und Helfern befindet. Während der Überfahrt verkündet der Geistliche die Evangelien. Die größte Seeprozession fand früher auf dem Chiemsee statt, sie wurde allerdings 1972 eingestellt.
Die bekannteste und zugleich älteste Schiffsprozession zu Fronleichnam soll laut Wikipedia die „Mühlheimer Gottestracht“ auf dem Rhein sein. Hier wird ein aufwendig geschmücktes „Sakramentenschiff“ mit dem Priester und dem Allerheiligsten sowie weiteren Mitgliedern des Klerus, den Ministranten, Helfern und auch vielen Honoratioren an Bord von zahlreichen geschmückten Motorbooten bis nach Mühlheim an der Stadtgrenze von Köln begleitet.
In den unterschiedlichsten Orten und Regionen unseres Landes haben seit Menschengedenken weitere kleinere Bräuche und Traditionen zu Fronleichnam ihre Bedeutung. Dies macht die örtliche Festgestaltung ja auch so einmalig. Und so werden sie hoffentlich in der Zukunft auch erhalten bleiben.
Reinhard Krohn
P.S.: Herzlichen Dank dem Kulturhistorischen Verein und der Familie Theimer, die uns die „historischen“ Fotos zur Verfügung gestellt hat.
Das Aufmacherfoto stammt aus dem Jahr 1933: Die Nazis waren gerade an die Macht gekommen, in Feldmoching zog man, wie es Brauch war, durch die festlich geschmückten Straßen des Ortes.