In der Geschichte des Huttererhofes spielte im 20. Jahrhundert der Bauer Martin Obersojer aus und für Feldmoching in den dramatischen 1930er- und 1940er-Jahren und in der Nachkriegszeit eine herausragende Rolle. Die persönlichen Angaben im folgenden Text stammen im Wesentlichen aus familieninternen Überlieferungen und aus Dokumenten sowie eidesstattlichen Erklärungen im Familienbesitz.
Diese Geschichte beginnt mit der Machtübernahme der Nazis in Berlin am 30. Januar 1933. In Bayern regierte zu dieser Zeit noch Ministerpräsident Heinrich Held mit der mehrheitlichen Bayerischen Volkspartei (BVP), und das bis zum 9. März 1933. Am 5. März 1933 wurden der neue Reichstag und der Gemeinderat gewählt. Obersojer war für die BVP mit zwei anderen Feldmochingern in den Gemeinderat gewählt worden – alle gaben aber, vermutlich genötigt, zugunsten der NSDAP ihre Mandate ab. Damit übernahm die NSDAP am 24. März auch über Feldmoching die Macht – denn auch die Kommunisten und die Sozialdemokraten wurden an der Wahrnehmung ihres Mandates gehindert.
Am 26. März setzten die Nazis den eher zwielichtigen und wie sich später bewahrheitete unfähigen Philipp Grüner als 1. Feldmochinger Bürgermeister ein. Der konnte sich nur bis zum 30. Juni 1935 im Amt halten. Dann wurden Grüner, der 2. Bürgermeister Schrumpf, der Gemeindeinspektor und der Gemeindekassier wegen Misswirtschaft und Veruntreuung aus dem Amt gejagt und verhaftet.
Die Landwirtschaft
im Reichsnährstand
Das öffentliche Wirtschafts- und Gesellschaftsleben wurde schnell gemäß der faschistischen Ideologie des Nazi-Regimes gleichgeschaltet – und die Landwirtschaft war dabei sehr im Fokus. Sie sollte zentralisiert gefördert werden, damit ihre Produktivität erhöht wurde. Denn Ziel war es, das Deutsche Reich von Nahrungsmittelimporten unabhängiger zu machen, um Währungsreserven zu schonen und um keine zweite Hungerskatastrophe an der Heimatfront wie im 1. Weltkrieg zu erleben. Die Bestrebungen nach mehr Autarkie erstreckten sich auf die Nahrungsmittelproduktion genau so wie auf Rohstoffe, die Ausrüstungsindustrie und weitere Versorgungsebenen.
Die politisch vorgegebenen Ziele der Landwirtschaft und die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln wurden einer neu geschaffenen Organisation übertragen: dem Reichsnährstand (RNST). Sitz dieser ständigen Organisation in der vernebelten Form einer „Selbstverwaltungskörperschaft“ war die spätere „Reichsbauernstadt“ Goslar. Die Organisation leitete Reichsbauernführer Walther Darré, der in Personalunion zugleich dem Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft vorstand, bis zu seiner Entmachtung 1942.
Der Reichsnährstand bildete ein dichtes, sich über das gesamte Reich erstreckendes Netz ideologisch gleichgeschalteter Führungsebenen. Die unterste Einheit auf der Ebene der Dörfer bildeten die Ortsbauernführer. Mehrere Ortsbauernschaften unterstanden einer Kreisbauernschaft, die sie führte und kontrollierte. Ein Ortsbauernführer musste nicht zwangsläufig Mitglied der NSDAP sein. Historiker meinen heute, dass nicht einmal die Hälfte der zigtausenden teilweise zwangsverpflichteter Ortsbauernführer der NSDAP angehörten. Die Ortsbauernführer hatten die Ziele des Reichsnährstands bis in jeden kleinen Ortsbauernhof hineinzutragen und für deren ideologische und faktische Umsetzung zu sorgen.
Martin Obersojer wird
NSDAP-Ortsbauernführer
In Feldmoching wurde der erst 35-jährige Feldmochinger Bauer Martin Obersojer – in Abwesenheit – zum Ortsbauernführer bestimmt. Er war als früheres Mitglied des Gemeinderats (von 1931 an) der Öffentlichkeit, insbesondere den Ortsbauern, gut bekannt. Eine Ablehnung dieses Amtes konnte erhebliche persönliche Konsequenzen haben, zumal Obersojer weder Nationalsozialist noch ordentliches NSDAP-Mitglied war.
In seinem neuen Amt bemühte er sich, die gewachsenen Ortsstrukturen zu erhalten, auf den christlichen Grundlagen seiner inneren Überzeugung ein gedeihliches Zusammenleben zu wahren und eine ideologische Entzweiung der eingesessenen Ortsbevölkerung zu vermeiden. Nach der Absetzung des 1. Bürgermeisters Philipp Grüner folgte diesem im Amt der bisherige Feldmochinger Ortsbauernführer Martin Zech, der bis dahin bereits für die NSDAP im Gemeinderat gesessen war. Nun drängten Feldmochinger Bauern Martin Obersojer, doch das Amt des Ortsbauernführers zu übernehmen, um einer Neubesetzung mit einem „braun“ eingefärbten Amtsträger, womöglich noch von auswärts, zuvorzukommen. Nach vierwöchiger Weigerung stimmte Obersojer schließlich zu.
Obersojer geriet im Amt immer wieder in Konflikt mit den ihm übergeordneten Organen der NSDAP und setzte damit sich selbst und seine Familie wiederholt großen Gefahren aus. In einem Schreiben des Kommissärs Wild (Obersojer nannte ihn einen Katholikenhasser) von der Gendarmeriestation Feldmoching am 8. März 1938 an das Bezirksamt München wird heftige Beschwerde gegen den Ortsbauernführer Obersojer erhoben. So verhindere er, dass ein Aushangkasten für die SS-Zeitung „Das Schwarze Korps“ und Julius Streichers antisemitische Wochenzeitung „Der Stürmer“ angebracht werde, und er unterstütze die Beschwerde von Pfarrer Jakob Sturm gegen den Aushang dieser Blätter im Kirchenkasten von St. Peter und Paul. Der letzte Absatz des Beschwerdebriefes lässt erahnen, wie gefährlich damals die Situation für Obersojer war:
„Obersojer zeigt große Sympathie für den dahier noch bestehenden verborgenen politischen Katholizismus (Anm. d. Red.: noch aus der Bayer. Volkspartei) und wird, wie bereits vorstehend festgestellt, dafür auch noch aktiv unterstützt. Die Früchte dessen bisheriger Tätigkeit sind die, dass darum sämtliche katholischen Bauern dahier, ebenso auch deren Frauen, der NSDAP und deren Gliederungen noch fern stehen. Es dürfte daher angebracht erscheinen, Obersojer durch eine geeignete Person zu ersetzen. Auch der hiesige Ortsgruppenleiter der NSDAP Herr Georg Mannweiler ist zur gleichen Überzeugung gekommen und will sich für entsprechende Abhilfe einsetzen.“
Weiter wurde Obersojer vorgeworfen, die katholische Schwester zu Patienten und einen Pater „in Ausübung seiner Missionstätigkeit“ mit seinem Wagen gefahren zu haben. Auch reizte er die Partei, indem er seit Kriegsbeginn die Schwestern des Kindergartens Feldmoching mit Geld und Naturalien versorgte und dazu beitrug, dass diese den Betrieb aufrechterhalten konnten. Die Partei wollte dort eigentlich die katholischen Schwestern durch „braune“ ersetzen. Soweit kam es dann aber nicht.
Obersojer stellt sich immer
wieder gegen die Partei
Der Feldmochinger Ortsbauernführer wurde nicht, wie in dem Schreiben gefordert, abgesetzt. Vielmehr blieb er bis zum Ende der Nazi-Herrschaft 1945 im Amt. Man bestellte ihn 1943 sogar zum Beisitzer beim Amtsgericht München. Kommissär Wild jedoch wurde wie auch Ortsgruppenleiter Mannweiler von der oberen Parteiführung an einen anderen Ort versetzt. Zum neuen Ortsgruppenleiter der NSDAP in Feldmoching wurde 1939 ein Herr Wagner eingesetzt, Inhaber des gleichnamigen Wagnerbades (wovon es noch eine Postkarte mit Hakenkreuzbeflaggung gibt.) Dieser bedrängte nun umso mehr den Ortsbauernführer, endlich der NSDAP beizutreten. Er solle doch an seine persönliche Sicherheit denken, argumentierte Wagner.
Nach langem Zögern stimmte Obersojer schließlich einer Parteianwärterschaft zu. So habe er weiter Ortsbauernführer bleiben und Schaden von Feldmoching abwenden können, gab Obersojer 1946 schriftlich zu Protokoll. Aber der neue Pareteianwärter lehnte es strikt ab, den fälligen Beitrag von 5 Reichsmark monatlich an die Parteikasse zu entrichten. Er setzte für sich 2 Reichsmark fest – und die Partei akzeptierte das.
Die ihm in dieser Zeit angetragene Oberaufsicht und Betreuung über zwei Lager beziehungsweise Unterkünfte für bis zu 200 kriegsgefangenen Serben, Kroaten und Franzosen, die in der Landwirtschaft eingesetzt wurden, ermöglichten es Bauernführer Obersojer, immer wieder seine schützende Hand über die Menschen zu halten, wenn sie in brenzlige Situationen kamen. Seine persönlichen Kontakte zu seinen dankbaren „Schützlingen“ von damals pflegte er bis zu seinem Tode. In Dankbarkeit hatten ihm die Sprecher der Kriegsgefangenen nach Kriegsende sein humanes Verhalten ihnen gegenüber den alliierten Militärs schriftlich bestätigt.
Obersojer hilft zwei
jüdischen Jugendlichen
Ein weiteres überliefertes Vorkommnis soll in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben. An der damaligen Münchnerstr. betrieb zu der Zeit die israelitische Gemeinde eine Gärtnerei, in der unter anderem jüdische Jugendliche beschäftigt waren. Eines Nachts im Jahr 1935 wurden die Jugendlichen und alle anderen dort Beschäftigten aus ihrer Wohnbaracke hinausgetrieben und die Unterkunft in Brand gesteckt. Auf Bitten des damals an der Grashofstr. lebenden Feldmochinger Bürgers und Juden Joseph Goldstein nahm Obersojer zwei dieser Jungen auf seinem Hof auf und gewährte ihnen solange Schutz, Unterkunft und Verpflegung (die Hauptlast trug hier vor allem seine Frau), bis ihnen nach acht Wochen die Ausreise nach Palästina gelang. Dafür verhöhnte ihn die NSDAP öffentlich und stellte ihn sogar im „Stürmer“ an den Pranger.
Klage gegen die Reichsbahn
bis zum Kriegsende
Das mutige, weil sehr riskante Engagement von Obersojer ging in dieser für ihn recht kritischen Situation sogar soweit, dass er seit 1939 gegen die praktische Enteignung Feldmochinger Bauern von insgesamt 300 Tagwerk Grund zur Einrichtung von Kiesentnahmestellen für den Rangierbahnhof Nord öffentlich protestierte und bis zum Ende der Nazizeit einen Prozess gegen die Reichsbahn führte. Dafür wurde der Ortsbauernführer von der Reichsbahn öffentlich der „Sabotage der Werke des Führers“ beschimpft und ihm gedroht, dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. 1942 forderte die „Hauptstadt der Bewegung“ von den Feldmochinger Bauern die Abtretung weiterer Ackerflächen östlich der Reichsbahn. (Hierbei ging es auch um Grund für den Bau des KZ-Außenlagers Dachau-Allach!) Nach heftiger Gegenwehr der Bauern mit ihrem Ortsbauernführer durften sie ihren Grund „im Interesse der Ernährungssicherung und der Volkswirtschaft“, wie es in dem Urteil hieß, behalten.
Juristisch ließ sich Obersojer dabei durch den ihm vertrauten Rechtsanwalt Dr. Schwalber vertreten. Auch der ihm ebenfalls gut bekannte Rechtsanwalt Josef Müller (der spätere „Ochsensepp“) und Kollegen dessen Kanzlei standen an seiner Seite und unterstützten ihn mit ihren Erfahrungen im Umgang mit der damals üblichen (Un-)Rechtsprechung. Müller gehörte während der NS-Zeit dem katholischen Widerstand an und verteidigte NS-Gegner vor Gericht. Seine politischen Gegner beschimpften ihn als heimlichen Kommunisten, „Kryptomarxisten“ und als ein Schlitzohr (das er wohl auch war und sein musste). So standen sich Müller und Obersojer in prinzipiellen Lebensauffassungen sehr nahe. 1943 verhaftete die Gestapo Josef Müller und steckte ihn als „Sonderhäftling“ zuerst ins KZ Buchenwald, später nach Flossenbürg. Ab 1944 war er in Dachau. Noch im April 1945 wurde Müller von der SS zusammen mit anderen prominenten Sonderhäftlingen aus Dachau nach Südtirol (am Pragser Wildsee) verschleppt, wo er von den Amerikanern befreit wurde. Ortsbauernführer Obersojer gelang es dagegen, sich einer Inhaftierung zu entziehen.
Nur knapp der
Erschießung entgangen
Zwei Tage vor der Ankunft der alliierten Verbände in Feldmoching, am 28. April 1945, ließ Obersojer durch die Feldmochinger Bauern, durch Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter vier Panzersperren, von der SS auf Gemeindegebiet gegen die vorrückenden Amerikaner errichtet, entfernen. Damit verhinderte er die Vernichtung Feldmochings durch Panzer- und Artilleriebeschuss. Ein Bürger soll ihn deshalb noch verraten haben. Nur durch seine sofortige Flucht in ein sicheres Versteck entging er in letzter Minute dem nationalsozialistischen Bestrafungsterror, zu dem ihn fünf SS-Männer abholen wollten, die kurz darauf mit aufgepflanzten Bajonetten drohend auf seinem Hof und, weil erfolglos, danach im Gemeindebüro erschienen. Er wäre mit Sicherheit wegen Sabotage und Vorteilsgabe für den Feind zum Tode verurteilt worden.
Auch nach dem Kriegsende
zum Wohle der Allgemeinheit
Nach Kriegsende musste sich Ex-Ortsbauernführer Martin Obersojer dem üblichen Spruchkammerverfahren unterziehen. Doch schon ehe die Spruchkammer ihr Urteil gefällt hatte, wurde Obersojer von der US Army zum 1. Ortspolizeichef für Feldmoching bestimmt. Zahlreiche redliche Menschen aus Feldmoching bestätigten Obersojer für die amerikanische Militärbehörde darüber hinaus schriftlich dessen kritische Distanz zum NS-Regime und seine wiederholten persönlichen Einsatz unter Gefahr des eigenen Lebens zum Wohle des Ortes und zum Schutz gefährdeter Menschen.
Nach Kriegsende kreuzten sich die Wege von Martin Obersojer, Josef Müller und Dr. Schwalber ein weiteres Mal in Feldmoching. Bereits im Sommer 1945 versammelte Müller den „Ochsen-Club“ um sich, einen informellen Gesprächskreis mit dem Ziel, eine neue, christlich geprägte, jedoch überkonfessionelle Partei in Bayern zu gründen, die spätere CSU. Eines dieser Gesprächskreise fand in Anwesenheit von Josef Müller, Martin Obersojer und dem ihm aus schweren Zeiten vertrauten Rechtsanwalt Dr. Schwalber (späterer Staatssekretär und Oberbürgermeister von Dachau) auf dem Obersojerhof in Feldmoching statt. In München erlaubte die amerikanische Militärregierung am 5. Dezember 1945 die Gründung eines CSU-Verbands. Der „Ochsensepp“ Josef Müller – Ochsensepp deshalb, weil er als Junge die Ochsen seines Vaters hüten musste – gilt daher als der oder einer der Begründer der CSU.
Schon am 2. April 1946 gründete sich in Feldmoching ein CSU-Ortsverband. Dazu ging allerdings die Initiative vom Feldmochinger Bauern und Feuerwehrkommandanten Anton Hölzl aus, der dann auch der erste CSU-Ortsvorsitzende wurde.
Martin Obersojer wurde nicht Mitglied des Ortsvorstands Feldmoching. Er war jedoch noch weitere Jahre auf anderen gesellschaftlichen Ebenen aktiv. So wirkte er in den Jahren ab 1950 bis zu seinem Tode im Jahre 1970 als Richter beim Arbeits- und Sozialgericht und am Bauerngericht. Beim Landwirtschaftsgericht fungierte er 30 Jahre lang als dessen Beisitzer. Er war seit März 1946 beurkundeter Lehrherr für die Landwirtschaft, was dem heutigen Landwirtschaftsmeister gleichkommt. Weitere Ehrenämter bekleidete Martin Obersojer bei der Schätzungs- und Prüfungsstelle des Landwirtschaftsamtes München, beim Bayerischen Statistischen Landesamt, in der Schulpflegeschaft und bei der Interessengemeinschaft der Münchner Stadtrandgebiete (deren Ehrenvorsitzender er war). Gegen die Landeshauptstadt München führte er mit dem Ziel der Übernahme des Unterhalts für den Mühlbach durch die Stadt einen langen, aber erfolgreichen Musterprozess. Die Stadt verlor den Prozess aufgrund des Eingemeindungsvertrags von 1938 und musste von nun an die Kosten des Unterhalts tragen.
Als langjähriges Mitglied im Bezirksausschuss des 33. Stadtbezirks Feldmoching-Hasenbergl hatte Obersojer das ehrenvolle Amt eines „Distriktvorstehers“ inne. Schließlich engagierte er sich noch sieben Jahre als Elternbeiratsvorsitzender in der Grund- und Hauptschule Feldmoching.
Martin Obersojer verstarb im 69. Lebensjahr nach einem ereignisreichen, engagierten und couragierten Leben am 2. Januar 1970. Er wurde unter großer Anteilnahme der Bevölkerung auf dem Kirchfriedhof von St. Peter und Paul beigesetzt. Der damalige Herausgeber des Lokal-Anzeigers Karl Tins würdigte den Verstorbenen in seinem Nachruf mit den Worten: „So nahmen die Feldmochinger und viele seiner Freunde anderswoher Abschied von einem treuen und aufrichtigen Menschen, der, das kann wohl gesagt werden, ein Stück Feldmochinger Geschichte mitgeschrieben hat“. Reinhard Krohn
(Verwendung einiger Auszüge aus „Feldmoching-Hasenbergl“ von Volker D. Laturell)