Am Tag des Offenen Denkmals fanden am 12. September mehrere geführte Spaziergänge durch und um die Eggarten-Siedlung statt. Das Interesse der Bevölkerung an den Führungen von Herbert Gerhard Schön vom Münchner Forum und Martin Schreck von der Initiative Pro Eggarten war groß. So kamen zu den Führungen jeweils zwischen 85 und 110 Teilnehmer, auch Bernhard Loos (CSU), der Direktkandidat für den Wahlkreis München Nord, besuchte eine Vormittagsführung.
Der Eggarten hat bekanntlich eine lange Geschichte hinter sich: Die ersten Häuser wurden nach dem Ersten Weltkrieg 1919 gebaut. Die meisten Anwesen bestanden aus einem Haupt- und einem Nebengebäude, einem Stall und einem kleinen Gemüsefeld. Diese ursprünglichen Häuser sind heute kaum mehr erhalten, da viele im Krieg zerstört wurden oder auf Weisung abgetragen wurden. So stehen heute von den ursprünglich rund 60 Häusern nur noch 20. Die Häuser sind bis auf ein letztes auch nicht mehr bewohnt. Dieser letzte Bewohner besitzt ein Wohnrecht auf Lebenszeit. Auch eine eigene Kirche gab’s in der Siedlung ursprünglich, allerdings auf der anderen Seite der Lassallestraße, wo sie wie einige Wohnhäuser dem Bau des Rangierbahnhofs zum Opfer fiel. Auch die Lebensmittelläden, das Wirtshaus, das zwischenzeitlich als Kirche oder Lazarett diente, und den Kohlenhändler gibt es heute nicht mehr. Die leeren Häuser werden seit einigen Jahren immer mehr entrümpelt und somit für einen Abriss fertig gemacht. Bei diesen Entrümpelungsaktionen entdeckte man zu fast jedem Haus eine besondere Geschichte: So wurde zum Beispiel in einem Haus eine Sammlung von Kassetten mit Insekten hinter Glasscheiben gefunden, die jetzt in der Zoologischen Staatssammlung liegt, in einem anderen lagerten Briefe und Zeitungen aus dem Zweiten Weltkrieg, in einem weiteren war der gesamte Keller abgedichtet und in ein Schwimmbad verwandelt worden!
Großsiedlung oder Bauen & Natur
Dass der heutige heruntergekommene Zustand des Eggartens nicht optimal ist, da waren sich Politik und Veranstalter des Spaziergangs einig. Aber die jeweiligen Vorstellungen, was aus dem Eggarten entstehen soll, die unterscheiden sich gewaltig: Die Stadt möchte hier bis zu 2.000 neue Wohnungen bauen. Um sich das einmal vereinfacht vorzustellen: 2.000 Wohnungen wären 33 Hochhäuser mit jeweils 15 Stockwerken und 60 Wohnungen pro Haus. Gegen eine solche große Zahl von Neubauten wehrt sich die Initiative Pro Eggarten schon seit über vier Jahren. Ein wichtiges Argument gegen dieses Großprojekt ist die mangelnde Infrastruktur, über deren Ausbau sich die Stadt viel zu wenig Gedanken im Vorfeld mache. Einen Gegenvorschlag mit weniger Bebauung und stattdessen mit mehr Bäumen und Grünflächen hat Pro Eggarten ausgearbeitet.
Derzeit erstellt das Planungsreferat den Bebauungsplan allerdings nach den Vorgaben des grün-roten Stadtrats, der im Laufe der nächsten Jahre noch endgültig genehmigt werden muss. Trotzdem trifft man schon jetzt auf erste Bagger im Eggarten, die mit vorgezogenen Maßnahmen offensichtlich Fakten schaffen sollen.
Frischluftschneise & Naturreservat
Vielen Münchnern ist es ein Anliegen, dass der Eggarten wegen seiner Artenvielfalt und seines Erholungscharakters mitten in München bestehen bleibt. Für die Stadt und die Bevölkerung dient die Siedlung mit ihrem beeindruckenden Baumbestand als wichtige Frischluftschneise. Diese soll auch nach der Bebauung zwischen den Bahngleisen und der Daxetstr. erhalten bleiben, aber nur sehr viel schmäler, und an der dichten Bebauung stößt die Frischluft im wahrsten Sinn des Wortes auf eine Wand aus Häusern.
Daneben dient die üppige eingewachsene Vegetation im Eggarten vielen, auch seltenen Tieren als Lebensraum. Zu Laich-/Brutzeiten zum Beispiel finden regelmäßig Tierwanderungen statt. Um die Artenvielfalt und den Tierbestand zahlenmäßig grob zu dokumentieren, sind die Bewohner der Eggartens angehalten, die gesichteten Tiere zu fotografieren. Diese Fotos werden in dem Buch „Tierbilder aus dem Eggarten“ gesammelt und regelmäßig veröffentlicht. Das belegt, dass neben Fröschen und Vögeln, die zum Beispiel in alten Autos nisten, auch Eichhörnchen, Füchse und Waschbären in diesem Gebiet heimisch sind.
Neben der Naturidylle hat der Eggarten auch eine kulturelle Seite vorzuweisen: So führt durch den Eggarten der Kultur-Geschichtspfad und regelmäßig finden hier, organisiert von der Volkshochschule, Führungen sowie Ausstellungen statt. Auch als Filmkulisse für mehrere Filme hat der Ort schon hergehalten. So wurden hier unter anderem ein Münchner Tatort und Folgen von Der Alte und SOKO München gedreht.
Um mit Hilfe der Politik den Eggarten zu erhalten, versprechen sich die Initiativen am meisten davon, die Grünen für ihre Sache zu gewinnen. Aber obwohl die jetzige zweite Bürgermeisterin Kathrin Habenschaden (Grüne) vor der letzten Kommunalwahl versprochen hat, sich für seine Erhaltung einzusetzen, scheint sie dieses Versprechen seit der Wahl vergessen zu haben.
Jedes Haus hat eine Geschichte
Bei unserem Spaziergang legten wir bei fast jedem Grundstück einen Halt ein. Martin Schreck zeigte immer wieder Fotos von ehemaligen Bewohnern und von den ursprünglichen Häusern und alte Luftaufnahmen aus unterschiedlichen Zeiten. Zu fast jedem Haus wusste er eine interessante Geschichte oder Anekdote zu erzählen. So erklärte er, dass die Grashügel, die in vielen Gärten zu sehen sind, ehemals Keller waren, die lediglich zu- und aufgeschüttet worden waren. Da kann in Zukunft schon mal ein Bagger daran hängen bleiben! Außerdem liegen auf manchen Grundstücken Luftschutzbunker, zu denen sogar heute noch Schilder den Weg weisen. Der Münchner Norden war nämlich mit seinen vielen Industriefirmen, wie Krupp oder BMW, ein lohnenswertes Angriffsziel während des Zweiten Weltkrieges. Um dagegenhalten zu können, wurde im Eggarten eine Flugabwehrstellung positioniert. Es sei deshalb dringend notwendig vor jeglicher Bebauung eine Kampfmittelräumung durchzuführen, meinte Schreck. Allerdings würden das viele Bäume kosten, die dafür gefällt werden müssten.
Auf dem Spaziergang gab es auch die unschönen Aspekte der gegenwärtigen Situation zu sehen: So erscheinen viele Grundstücke fast schon verwahrlost und laden offensichtlich zu Vandalismus ein: Zum Teil benutzen Unbekannte den Eggarten als Müllhalde, sei es für Altreifen, Blätterberge, Sperrmüll … Viele Fensterscheiben der verlassenen Häusern sind eingeschlagen, die Wände mit Graffitis besprüht.
Dass man diese Naturoase wieder herrichten muss, darin sind sich alle einig. Das „Wie?“ bleibt die schwierige Frage.