Sollte neben jedem Seniorenheim ein Kindergarten gebaut werden? Zu dieser und ähnlichen Fragen trafen sich am Sonntag, den 19. November Gemeindemitglieder und Gäste zur Diskussion mit dem Pflegekritiker Claus Fussek in der Bethanienkirche.
Die Einleitung in Form einer kleinen Andacht erinnerte an den christlichen Auftrag, sich gegenseitig zu unterstützen. Im Paulusbrief an die Korinther wird der Vergleich mit den vielen Gliedern eines Leibes gezogen. So wie jedes Glied zum Körper gehört und ohne ihn nicht existieren kann, braucht der Körper alle seine Teile. Auch in der Gemeinschaft können die Mitglieder, die schwächer erscheinen, die nötigsten sein. Menschen mit Behinderung oder einer chronischen Krankheit bringen oft einzigartige Perspektiven und Erfahrungen ein. In einer Gesellschaft, die sich um ihre schwächsten Mitglieder kümmert, entsteht eine Kultur der Unterstützung und des Mitgefühls. Und ganz praktisch gedacht kann die Notwendigkeit, Menschen mit besonderen Bedürfnissen zu unterstützen, zu Innovationen in Technologie, Medizin und sozialen Praktiken führen, die das Leben aller Menschen verbessern: Man denke nur an automatische Türen und die moderne Spracherkennung.
„Leider erkennen wir das insbesondere bei der Altenpflege allzu oft noch nicht“, betonte Claus Fussek, der wohl bekannteste Pflegekritiker Deutschlands in seinem Impulsvortrag. „Leid in weit entfernten Ländern geht uns nah, auch das Tierwohl. Aber das Leid von bedürftigen Mitmenschen in unserer Nähe sehen wir kaum“, obwohl er bereits seit vielen Jahren unermüdlich darauf aufmerksam mache.
Vielschichtige Probleme
Eigentlich wollen alle eine gute Pflege, die Pflegebedürftigen selbst, ihre Angehörigen, die Pflegekräfte, Heimträger, Krankenkassen und die Politik. Eine gute Pflege gelingt aber nur, wenn alle zusammenarbeiten. Wenn die Pflegebedürftigen ihre Wünsche und Bedürfnisse äußern, Angehörige die Augen offenhalten, sich Zeit nehmen und die Frage stellen, wie sie einmal selbst behandelt werden möchten. Pflegekräfte sollten darauf achten, dass im Team kein falscher Wettbewerb um Geschwindigkeit entsteht. Auch ihre Verbesserungsvorschläge müssen auf offene Ohren stoßen. Claus Fussek empfiehlt, bei der Auswahl einer Pflegeinrichtung nach aktuellen Beschwerden zu fragen. Kommt die Antwort, dass es keine Beschwerden gebe, sollte man eine andere Einrichtung suchen, weil diese Antwort nicht ehrlich ist. Wenn viele Ehrenamtliche in einer Einrichtung aktiv sind, ist dies ein gutes Zeichen. Kranken- und Pflegekassen können Maßnahmen zur Selbsthilfe fördern, die eine Pflege „aus dem Bett“ statt „ins Bett“ bewirken. Politik kann statt nur Pflegesätze leicht anzupassen grundlegende Änderungen beschließen und Pflegeberufe attraktiver machen. Und wir alle können akzeptieren, dass gute Pflege kostet: Geld, Zeit und eigenes Engagement.
Auch die Pflege ist wie ein Leib mit vielen Gliedern. Und jedes Glied ist wertvoll und kann seinen Beitrag leisten.
Johannes Steves