Im Dezember letzten Jahres, als innerhalb kürzester Zeit unendlich viel Schnee fiel, kam der eh nicht üppig ausgestattete Winterdienst Münchens nicht mehr hinterher, so dass nicht nur im 24. Stadtbezirk mit Ausnahme von ein paar wirklich großen Hauptstraßen überhaupt nichts geräumt wurde. Die Folgen waren noch nach einer Woche etwa auf der Paul-Preuß- und der Herbergstr. zu „bewundern“: tiefste vereiste Spurrinnen, die quasi eine Einbahnregelung erzwangen, weil kein Entrinnen und damit kein Ausweichen möglich war. Senioren trauten sich ob dieser Lage tagelang nicht mehr aus ihre Wohnungen, Radfahren war lebensgefährlich. Wir haben von zahlreichen Stürzen und Brüchen sogar bei Fußgängern gehört – sogar am Marienplatz!
Letzte Woche tat das Wetter erneut das, was im Winter nicht unüblich ist: Es hat wieder geschneit, die Temperaturen gingen wieder in den Keller. Erneut bildeten sich auf Straßen, Geh- und Radwegen wieder größere Eisflächen. Mit einer Dringlichen Anordnung hat Oberbürgermeister Dieter Reiter deshalb am 11. Januar erneut den Einsatz von Streusalz ermöglicht – was dem BUND Naturschutz sauer aufstieß, auf dass er in seiner heutigen Pressemitteilung die Entscheidung des OB heftig kritisiert. Lesen Sie selbst:
„Erneuter Wintereinbruch in München und den Verantwortlichen fällt nichts anderes ein, als Salz auf die Straßen und Gehwege zu streuen und so gegen ihre eigenen Beschlüsse zu agieren. Der BUND Naturschutz in München fordert weiterhin, möglichst ganz auf Salz zu verzichten und dort, wo es unbedingt nötig ist, Salz der Umwelt zuliebe so sparsam wie möglich zu verwenden.
„Im Dezember mussten wir uns anhören, dass der Winterdienst nur in seltenen Ausnahmefällen ausreichend beschäftigt sei und es deshalb nicht sinnvoll sei, diesen aufzustocken. Jetzt ist schon wieder Schnee gefallen, das Thermometer zeigt unter null Grad Celsius an und was passiert? Anstatt ordentlich und rechtzeitig zu räumen und auf umweltschonende Methoden zu setzen, verfügt der Münchner OB zum zweiten Mal, das Salzen auf Münchens Straßen und Wegen zu erlauben. Normale winterliche Witterungsverhältnisse stellen für den Oberbürgermeister scheinbar bereits eine besondere Ausnahmesituation dar, die für ihn den umweltschädlichen Salzeinsatz rechtfertigen. Mit dieser Sichtweise ließe sich der Einsatz von Streusalz während der gesamten Wintersaison begründen. Ein derart laxer Umgang mit Streusalz ist eine Katastrophe für die Natur“, so Martin Hänsel, Geschäftsführer der Kreisgruppe München des BN.
Salz ist giftig für Pflanzen und Bodenlebewesen. Entlang der besonders stark gesalzenen Autobahnen lässt sich dies beobachten: Dort, wo Bäume im Nebel der Streusalzgischt stehen, sterben Nadeln ab und verfärben sich feuerrot. Doch Streusalz ist auch in geringeren Dosen schädlich. Es schädigt die empfindlichen Wurzelspitzen, über die Gehölze Wasser und Nährstoffe aufnehmen, bis hin zum Absterben. Bei der nächsten Trockenperiode können Bäume dann oft nicht mehr genug Wasser aufnehmen und zeigen Trockenschäden, verursacht durch den Salzeinsatz im Winter. Besonders mit Blick auf die zunehmenden Dürreperioden durch den Klimawandel wäre das fatal. Auch das fein abgestimmte Zusammenwirken der Bodenlebewesen gerät mit der Veränderung des pH-Gehaltes infolge des salzhaltigen Sickerwassers durcheinander. Ein Vergleich in der Stadt Basel hat ergeben, dass Bäume, die nicht mit Streusalz belastet werden, wesentlich älter werden als belastete Bäume, die nur etwa 60 % des normalen Alters erreichen. Letztlich belastet Streusalz sogar die Ökologie unserer Gewässer und greift die Pfoten der Haustiere an.
Als umweltfreundliche Alternative zum Salz rät der BN zu abstumpfenden Streumitteln. Sie schmelzen das Eis nicht ab, sondern erhöhen die Griffigkeit. Hierfür werden insbesondere gebrochene Gesteine wie Granit-, Kalkstein-, Lava-Splitt oder Spezialsande angeboten. Auch Kies oder Sägespäne sind geeignet. Es gibt sogar Mittel mit dem Blauen Engel.
Hänsel weiter: ‚Wir sind einigermaßen entsetzt über die Haltung des Oberbürgermeisters, der sich eine freiere Handhabe wünscht. Temperaturen unter null Grad sind im Winter nicht außergewöhnlich, sondern der Normalfall. Wenn Fußgänger- sowie Radler über Eisplatten schlittern, liegt das aus unserer Sicht nicht am extremen Wetter und einem zu geringen Salzeinsatz, sondern an der Ausstattung, dem Timing und an den Prioritäten beim Winterdienst. Eine Sache sollte man sich aber auch vor Augen führen: Im Winter kann es sein, dass das Vorankommen nicht genau so funktioniert wie im Sommer. Vielleicht haben wir einfach verlernt, dass im Winter nun einmal ein verändertes Mobilitätsverhalten erforderlich ist und die Radler beispielsweise bei einem Tempolimit von 20 km/h auf den Straßen statt auf den Radwegen radeln. Und vielleicht sollten auch Spikes auf den Schuhen zur Normalität gehören, so wie das früher üblich war. Ich denke, zwei Wochen pro Jahr kann das nicht das große Problem sein.’“