„Seit vielen Jahren verzeichnet die Landeshauptstadt ein konstantes Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum…. Neben positiven Effekten – insbesondere höhere Steuereinnahmen, neue Arbeitsplätze oder der Zunahme der Innovationskraft – bringt dieses Wachstum jedoch auch erhebliche Herausforderungen mit sich – wie einen steigenden Bedarf an Wohnungen, Erweiterungsbedarf und Neuansiedlungswünsche von Unternehmen sowie steigende Anforderungen an Infrastruktur und Nahversorgung. Diese Aufgaben haben wachstumskritische Stimmen innerhalb der Münchner Stadtgesellschaft genutzt, um immer lauter und deutlicher zu werden“ , so schreibt die „Allianz für München“ (AfM) auf ihrer Homepage. Tatsächlich wird der Widerstand der Bürger gegen die massive Flächenversiegelung, den Verlust an Grünflächen und Bäumen immer größer.
Die Sorge vor der abnehmenden Lebensqualität, der zunehmenden Hitze in der Stadt, vor Artensterben und Klimawandel treibt die Menschen um: „Wir wehren uns gegen eine Entwicklung Münchens zu einer dem Kommerz geopferten Boomtown“, schreibt das Bündnis Gartenstadt in seiner Broschüre und gibt deutlich die Stimmung in der Bevölkerung wieder. Auch der bayerische Innenminister Herrmann warnt: „Wir stoßen vielerorts an die Grenzen des Wachstums – etwa beim Flächenverbrauch oder beim Wohnungsbau“.
Sozusagen als Contra gegen die vielen Bürgerinitiativen aus allen Stadtteilen, die sich zu einem großen Bündnis, dem Bund Münchner Bürgerinitiativen (BMBI) zusammengeschlossen haben, hat sich die sogenannte „Allianz für München“ (AfM) gegründet: nach eigenen Angaben, ein Zusammenschluss von rund 100 Unternehmen aus Einzelhandel, Gastronomie, Industrie, Banken und Bauwirtschaft sowie Vertretern der Politik.
Ihr klares Ziel: den wachstumskritischen Stimmen Contra zu bieten, denn man will, wie aus ihrer Homapage zu entnehmen ist, „Innovative Unternehmen in München halten, anziehen und entstehen lassen.“
Das sind die Mitglieder der Afm
Hinter der AfM stecken vor allem Vertreter der Immobilienbranche, darunter Melanie Hammer, Geschäftsführerin der BHB Unternehmensgruppe, aber auch andere Persönlichkeiten, die ein kräftiges finanzielles Interesse am wirtschaftlichen Wachstum Münchens haben. Dazu zählen Julian Rautenberg, Direktor bei der Privatbank Donner & Reuschel, Christian Greiner, Vorstandsvorsitzender der Ludwig Beck AG und Inhaber der Modekette Wöhrl sowie Mon Müllerschön. Zum Klientel ihrer „MM-Artmanagement“ zählen, neben zahlungskräftigen Einzelpersonen, auch internationale Konzerne wie Hubert Burda Medien und der Unternehmensberater Roland Berger, ehemaliger Vertrauter von Rene Benko. Ausgestattet ist die AfM mit einem Budget von 400 000.-€.
Um Bürger zu besänftigen und für ihr Anliegen zu gewinnen, wurde die Werbeagentur Hendricks und Schwartz beauftragt. Sie ist eingetragen in den Lobbyregistern des bayerischen Landtags und des Bundestags. Ihr Schwerpunkt ist Baurechtschaffung. Sprecher und Leiter der Geschäftsstelle der Allianz für München – oder „Allianz für Wirtschaft“, wie sie richtigerweise genannt werden sollte – ist Daniel Schreyer, Managing Director (Leiter Immobilien & Stadtentwicklung) bei Hendricks und Schwartz.
Die Webseite ist professionell gestaltet:
• „München kümmert sich ums Klima“, heißt es da z. B.: von 26 im Stadtrat beschlossenen Maßnahmen ist die Rede. Ob diese umgesetzt wurden oder jemals umgesetzt werden, steht auf einem anderen Blatt bzw. wird nicht hinterfragt.
• „Von 2010 bis 2020 wurden 22.000 Bäume neu gepflanzt“, steht da, und, dass im selben Zeitraum „Münchens Grünflächen wachsen“ (Zunahme: 6 mal so groß wie der Westpark). Kein Wort darüber, dass in derselben Zeit weit mehr Bäume – v. a. wegen Bauvorhaben – gefällt wurden, kein Wort darüber, wie viel Fläche für Bauvorhaben verbraucht, wie viel wertvoller Boden vernichtet wurde. Und auch kein Wort darüber, wie viel Natur den gewünschten weiteren Bauvorhaben noch zum Opfer fallen wird.
• „München ist für Hochhäuser“, wird behauptet und bezieht sich auf eine „repräsentative Umfrage“. Das Bürgerbegehren „Hochhausstop“ wird nicht erwähnt.
Hendricks & Schwartz ist sehr engagiert und geschickt
Die Agentur gründete die „werkstadt-München“, eine Dialogplattform, um mit Bürgern über die Herausforderungen der Stadt zu diskutieren, und München-Wiki zu deren „Information“. Betreut werden sie von Philipp Heimerl (Commercial von Director bei Hendricks & Schwartz). Beides wirkt – schon allein aufgrund der Namensgebung – auf den ersten Blick vollkommen neutral. Die umfangreichen Botschaften sind nicht falsch – jedoch sehr einseitig ausgelegt. Immerhin ist auf München-Wiki zu lesen: „Grünflächen sind für die Erholung unverzichtbar. Die Stadtpolitik muss dafür sorgen, dass möglichst alle Grünflächen erhalten bleiben und am besten noch neue dazukommen.“ Nur wie das gehen soll mit immer mehr Gewerbeflächenausweisung und immer mehr Bauen, wird nicht erklärt.
Die Agentur organisiert Vorträge (auch in der MVHS) und Workshops – selbstverständlich professionell gestaltet, ausgestattet mit Hochglanz-Plakaten und perfekten Power-Point-Präsentationen. Vertreter sprachen bei Bezirksausschüssen vor, um deren Mitglieder von der Notwendigkeit des weiteren Wirtschaftswachstums zu überzeugen und hielten aufwendig gestaltete Infostände auf zahlreichen Wochenmärkten. Sie geben sich neutral und betonen, es ginge um Fakten. Dabei schrecken sie nicht davor zurück, interessierten Münchnern zu suggerieren, München sei gar nicht fast zur Hälfte versiegelt, es sei noch genug Platz zum Bauen vorhanden, indem sie den Begriff „Flächenversiegelung“ in ihrem Sinne uminterpretierten: Nicht die versiegelte Fläche pro Gesamtfläche sei die richtige Definition, sondern die versiegelte Fläche pro Einwohner.
Adventskalender mit „guten“ Botschaften
Ein Online-Adventskalender bombardierte im vergangenen Dezember Interessierte mit 24 „Positiv-Botschaften“. Einige Beispiele:
• „Weil Bauen immer wieder mit Versiegelung gleichgesetzt wird:
Bei Baurechtschaffung müssen in München- außerhalb des Mittleren Rings – je neue Wohnung 20 m² Grünfläche – geschaffen werden“. Unerwähnt bleibt, dass für jedes Gebäude und die dazugehörigen Garagen, Zufahrten, Müllhäuschen usw. eine weitaus größere Fläche versiegelt wird. Ebenso, dass dieses vorgeschriebene „Wohnblockbegleitgrün“ von früher 32 m² Grünfläche/Person auf 15 m² (innerhalb des Mittleren Rings) – also auf die Hälfte reduziert wurde. Außerdem wird keine Grünfläche „geschaffen“, sondern allenfalls übrig gelassen.
• „Weil München immer wieder als versiegelste Stadt Deutschlands bezeichnet wird: Während in Berlin rd. 347,8 km² Fläche versiegelt sind, sind es in Hamburg rd.273,4 km² und in München rd. 144,8 km². Damit kommen auf einen Einwohner in M ca.98 m² versiegelte Fläche, in Berlin ca 95 m² und in Hamburg 148 m². Die Fläche in München wird demnach deutlich sparsamer und effizienter verbraucht als bspw. in Hamburg.“ Geschickt werden Äpfel mit Birnen verglichen, Flächenversiegelung, Flächeneffizient, Flächenverbrauch….alles in einen Topf geworfen und so zusammengesetzt, um zu belegen, dass München gar nicht so versiegelt sei wie immer behauptet wird – es gäbe noch genug Platz für weitere Gewerbe, Büro-, Wohn- und Parkflächen etc.. Dass die Fläche Berlins fast dreimal so groß ist wie die Fläche Münchens, bleibt bewusst unerwähnt.
• Keine große Überraschung: beim „Päckchen Nr.22“ erfährt man, worum es der AfM wirklich geht: „Aktuell pendeln täglich 435.820 Menschen zum Arbeiten nach München und tragen so zur täglichen Wertschöpfung, nicht nur durch ihre Arbeit, sondern auch durch den täglichen Konsum in der Stadt bei. Damit ist München die Pendlerhauptstadt. Um diese Attraktivität aufrecht zu erhalten und mehr Menschen in der Stadt selbst ein Zuhause zu bieten, braucht es auch in Zukunft Entwicklung.“
Es ist nichts dagegen zu sagen, dass Vertreter aus Wirtschaft und Politik sich zusammenschließen und Lobbyarbeit betreiben. Für manche Gegenden in Deutschland wäre dies sogar sehr wünschenswert, um dort den wirtschaftlichen Fortschritt voranzubringen. Aber man sollte dabei ehrlich agieren und nicht die Bevölkerung mit abstrusen Zahlenspielchen für dumm verkaufen. Die Ziele der AfM sind klar: mehr Bauen, mehr Konsum → mehr Profit für deren Akteure. Natürlich auch mehr Gewerbesteuer für die Stadt: Geld, das wir brauchen, für die Probleme, die wir ohne dieses progressive Wachstum gar nicht hätten.
Dauerhaftes Wachstum in einem begrenzten System geht nicht
München, die übervolle Stadt, die Stadt mit der größten Bevölkerungsdichte, der größten Flächenversiegelung, den meisten Pendlern und den längsten Staus aller deutschen Städte ist an einer schmerzenden Schwelle des Wachstums angelangt, da sich eine begrenzte Fläche nun einmal nicht vermehren lässt. „Ein dauerhaftes Wachstum in einem begrenzten System ist auf Dauer nicht möglich“, heißt es bereits 1972 im Bericht des Club-of-Rome*.
Dennoch ist es gut, dass Lobbyisten in einen Dialog mit Münchnern treten wollen. Dialog ist immer gut, wenn man sich gegenseitig zuhört und ernst nimmt und v. a. wenn man faktenbasiert – also wirklich Fakten-basiert – und wissenschaftlich fundiert miteinander kommuniziert.
Letztlich entscheiden Politiker über die weitere Entwicklung der Stadt. Bleibt zu hoffen, dass sie auf seriöse Wissenschaftler hören, die allesamt vor Klimawandel, Artensterben und vielen Hitzetoten in zu dichten Städten warnen. „Der Bausektor steht weltweit für 30 % der gesamten CO2-Emissionen, für 40 % des Energieverbrauchs, für 50 % des Ressourcenverbrauchs, für 60 % Abfallaufkommen und für 70 % Flächenversiegelung“, warnen Fachleute aus der Baubranche.
Wachstum und Bauen gehen immer einher mit Naturzerstörung, da kann man noch so geschickt mit Zahlen jonglieren, um davon abzulenken.
Es muss sich vieles ändern
Wir brauchen dringend eine Energiewende, eine Mobilitätswende und eine Bauwende. Und ein Umdenken in der Stadtentwicklung und Stadtpolitik.
Wirtschaftsvertreter, Bürger und Politiker müssen weiter miteinander reden. Angelehnt an den weisen Ausspruch des früheren Münchner Oberbürgermeisters Georg Kronawitter, einem konsequenten Kämpfer für soziale Gerechtigkeit und mehr Ökologie in der Stadt („Wachstum ist nicht immer und unter allen Umständen erstrebenswert“), könnte der Titel für die nächste Dialogveranstaltung lauten: Ist Wachstum immer und unter allen Umständen erstrebenswert?“ Untertitel: „Profit oder Lebensqualität – was brauchen unsere Bürger?“ Sonja Sachsinger