Seit der Freistaat angekündigt hat, dass er keine Gleise im Englischen Garten erlauben wird, ist fraglich, wie es mit der Tram-Nordtangente weitergeht, ob sie in Teilen gebaut wird oder ob sich die Stadt komplett von diesem Projekt verabschieden und nach Alternativen umschauen muss, dann auch für die Verlängerung nach Norden, für die Y-Tram, über die ja das Quartier Lerchenauer Feld angeschlossen werden soll. Jedenfalls war auf der letzten Sitzung des BA 24 zu hören, dass damit ein völlig neuer Sachstand eingetreten sei und die Kosten-Nutzen-Analyse nicht mehr positiv ausfalle.
Um die Trampläne noch irgendwie zu retten, hat OB Reiter nun einen offenen Brief an Staatsminister Dr. Florian Herrmann geschrieben und die Bayerische Staatsregierung zu Gesprächen über die Planung der Strecke aufgefordert. Hier der Wortlaut:
„Mit großer Verwunderung habe ich Ihr Schreiben vom 12. März 2024 gelesen. Darin heißt es: ‚Der Freistaat Bayern begleitet als Eigentümer des Englischen Gartens die Stadt München seit Jahren konstruktiv sowohl bei den Planungen als auch auf der Suche nach möglichen Alternativen.‘
Seit ungefähr einem Jahr hat die Stadtwerke München GmbH als Projektträgerin der Tram-Nordtangente versucht, mit dem Eigentümer des Englischen Gartens auf Basis der auch im Ministerratsbeschluss geforderten detaillierten Planunterlagen in Kontakt zu treten. Die Liste der Versuche ist lang und gut dokumentiert, indes eine irgendwie geartete Begleitung, geschweige denn eine konstruktive, kam von Ihrer Seite bedauerlicherweise nicht zustande.
In Ihrem Schreiben führen Sie weiter aus, dass die Ihnen bislang vorgelegten Planungsunterlagen unter anderem zeigen würden, dass die Tramtrasse durchgängig rund 35 Prozent breiter sein würde als die bestehende Busstraße, was zu einer Bodenversiegelung von circa 3.500 Quadratmetern führen würde.
Sie haben sich die zugeleiteten Unterlagen angesehen, leider daraus aber offensichtlich die falschen Zahlen und Schlüsse abgeleitet. Werden die befestigten Flächen in der Planung den Bestandsflächen gegenübergestellt, dann ergibt sich folgendes Bild:
Demnach sind in der Planung circa 9.570 Quadratmeter befestigt im Vergleich zum Bestand von 8.300 Quadratmetern. Die befestigte Fläche erhöht sich also um 1.270 Quadratmeter anstelle von 3.500 Quadratmeter, wie von Ihnen behauptet. Die durchschnittliche Verbreiterung liegt somit bei circa 15-16 Prozent und nicht bei 35 Prozent. Dass Ihre Zahlen nicht stimmen können, lässt sich sehr leicht durch eine Gegenrechnung belegen. Bei circa 840 Meter Länge der Querung durch den Englischen Garten würden sich bei 3.500 Quadratmetern zusätzlicher befestigter Fläche eine zusätzliche Durchschnittsbreite von über vier Metern ergeben. Dies ist in den zur Verfügung gestellten Unterlagen nirgends dargestellt. Weiterhin führen Sie aus, dass sich durch die aktuelle Planung ein deutlich erhöhtes Gefährdungspotenzial für die Bürgerinnen und Bürger ergeben würde, die die Tramtrasse zu Fuß queren oder mit dem Fahrrad befahren. Gemäß dem uns vorliegenden Verkehrssicherheitsgutachten wird das Gefährdungspotenzial bei einer maximalen Fahrgeschwindigkeit von 30 km/h zumindest auf gleichem Niveau wie bei der aktuell betriebenen Busstraße bewertet. Mit der Technischen Aufsichtsbehörde wurde zudem geklärt, dass bei der straßenbündigen Tramführung keine zusätzlichen Schutzmaßnahmen wie Gitter oder Umlaufsperren notwendig sind. Eine Beschilderung ist ausreichend.
Ich habe mir erlaubt, den Ministerratsbeschluss von 2017 nochmals durchzulesen. Hier steht unter Ziffer 1.: ‚Der Ministerrat stimmt der Aufnahme von Planungen der Landeshauptstadt München für eine Tramstrecke mit Radweg durch den Englischen Garten zu.‘
Eine Tramstrecke mit Radweg, zusammen aber nicht breiter als die heutige Bustrasse wurde weder damals noch zu einem späteren Zeitpunkt gefordert. Zudem hätte diese Forderung eine entsprechende Planung mit einer Tramstrecke mit Radweg inklusive Haltestelle am chinesischen Turm und gegebenenfalls einem gesonderten Rasengleis (welches durch den Stadtratsbeschluss im Dezember nicht weiter prioritär verfolgt werden sollte) von vornherein ausgeschlossen.
Der Projektbeirat hat mit seiner Stellungnahme, die der Schlösserverwaltung vorliegt, die straßenbündige Variante in Mittellage als einzige der untersuchten Varianten für das Gartendenkmal Englischer Garten empfohlen. Demzufolge vertritt der Projektbeirat, dem unter anderem Experten der Gartendenkmalpflege und des Denkmalschutzes angehören, so zum Beispiel der unteren und höheren Denkmalschutzbehörde und des Baye- rischen Landesamts für Denkmalpflege, eine andere Auffassung als Ihre Experten.
Leider hat sich die Schlösserverwaltung an diesem Gremium nicht beteiligt. Ein Austausch mit Ihren und unseren Experten wäre hilfreich gewesen, um die Planung in Ihrem Sinne positiv zu gestalten und zum Beispiel die Querschnitte im Englischen Garten anzupassen.
Selbstverständlich ist auch für die Landeshauptstadt München das internationale Gartendenkmal Englischer Garten ein hohes Gut. Genauso muss aber auch der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs mit der wachsenden Stadt und angesichts des fortschreitenden Klimawandels und des Ziels der Dekarbonisierung von Freistaat und Landeshauptstadt Schritt halten, als Alternative zum motorisierten Individualverkehr, ganzjährig nutzbar und barrierefrei zugänglich zum Nutzen aller Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt. Zudem trägt die Tram-Nordtangente zu der Erreichung der vom Freistaat in der ÖPNV-Strategie 2030 festgeschriebenen Ziele, nämlich der Verdoppelung der Fahrgastzahlen und der messbaren CO₂-Einsparung, bei. In Teilstrategie A1) der ÖPNV-Strategie für den Freistaat Bayern wird erläutert, dass die fortlaufende Erweiterung der Infrastruktur u.a. bei der Straßenbahn sicherzustellen ist und dass ‚vor allem der Neu- und Ausbau sowie die Erweiterung der vorhandenen […] Straßenbahn-Systeme (neue Tangenten, Verlängerung von Strecken etc.)‘ notwendig sind, um das Verkehrsangebot abzuwickeln und die Attraktivität des ÖPNV zu steigern. Zusammen mit der Tram-Westtangente trägt die Nordtangente zu einer massiven Entlastung des stark frequentierten innerstädtischen ÖPNV-Netzes bei und macht so den ÖPNV in München leistungsfähiger und damit für alle – auch für Bürgerinnen und Bürger, die bisher noch keine öffentlichen Verkehrsmittel nutzen – attraktiver. Dadurch kann sie als ein klarer Beitrag zur Erreichung der durch den Freistaat gesetzten Ziele angesehen werden.
Des Weiteren ist der Bau der Tram -Nordtangente auch ein Wirtschaftsfaktor für den Standort Bayern, vom volkswirtschaftlichen Nutzen aufgrund der Nutzen-Kosten-Untersuchung ganz zu schweigen.
Ich erwarte mir von der Bayerischen Staatsregierung im Sinne einer guten Lösung, dass diese für Gespräche darüber, wie eine modifizierte Planung aus ihrer Sicht aussehen sollte, zur Verfügung steht.“