Am Sonntag, den 27. April gibt es ab 18 Uhr in der Kirche von St. Agnes ein besonderes Erlebnis für die ganze Familie: Gezeigt wird der Stummfilm „Die Austernprinzessin“, zu dem Kirchenmusiker Carl Seebode auf der Orgel improvisieren wird. Und wie in einem richtigen Kino gibt’s Snacks dazu, verkauft von der Pfarrjugend von St. Agnes und Matthäus (JAM). Der Eintritt ist frei. Um Spenden für die Orgelsanierung wird gebeten.
„Die Austernprinzessin“ ist ein Stummfilm aus dem Jahr 1919 von Regisseur Ernst Lubitsch. Er wurde im Ufa-Atelier Berlin-Tempelhof zu einer Zeit gedreht, da draußen der Erste Weltkrieg zu Ende ging und die Novemberrevolution die Monarchie hinwegfegte. Im hochkarätig besetzten Stummfilm hingegen dreht sich alles um Luxus und Dekadenz, um Geld und Liebe, eine amerikanische Erbin und einen verarmten deutschen Prinzen.
Ein Kinospaß für die ganze Familie
Ossi, die junge Tochter des amerikanischen Milliardärs Mister Quaker, die von allen nur die „Austernprinzessin“ genannt wird, möchte endlich einen Adeligen heiraten. Denn aus der Zeitung hat sie erfahren, dass die Tochter des Schuhcremekönigs Mister Blakpott einen Grafen geehelicht hat. Voll Wut demoliert die verwöhnte Göre ihre Zimmereinrichtung und lässt erst von der Raserei ab, als der Vater ihr verspricht, einen Prinzen zu kaufen.
Heiratsvermittler Seligsohn wird eingeschaltet, um der Austernprinzessin eine standesgemäße Partie zu besorgen. Seligsohn schlägt Prinz Nucki vor: Der sei zwar arm, aber ansehnlich. Nachdem Nucki, der mit seinem Freund Josef unter ärmlichsten Bedingungen lebt, Seligsohns Vorschlag vernommen hat, schickt er Josef vor. Der soll die Braut in Augenschein nehmen. So kommt es zu zahlreichen Verwicklungen, die einen Kinospaß für die ganze Familie versprechen. Heute hat der Schwarzweiß-Film eine FSK-Altersfreigabe ab 0 Jahren, 1919 wurde er von der Zensur noch mit einem Jugendverbot belegt!
Der Film dauert nicht ganz eine Stunde. Bei etwa der Hälfte wird eine Pause eingelegt, nicht zuletzt um den Fingern und Füßen des Organisten eine Pause zu gönnen.
Umfangreiche Vorarbeiten waren vonnöten
Selbst Filme, die über 100 Jahre alt sind wie diese Lubitsch-Komödie, dürfen nicht ohne Genehmigung öffentlich gezeigt werden – das Urheberrecht für Filme ist in der EU viel komplizierter als in den USA! Kirchenmusiker Seebode bekam erst nach einem regen E-Mail-Verkehr mit der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung, in deren Bestand der alte Film inzwischen gelandet ist, die großzügige Erlaubnis für das Filmprojekt.
Diese 1966 gegründete Stiftung setzt sich für den Erhalt eines Großteils des deutschen Filmerbes ein: „Wichtigstes Stiftungskapital ist der einzigartige, in sich geschlossene Filmstock, der Kopien und Materialien der ehemaligen Produktionsfirmen Ufa, Universum-Film, Bavaria, Terra, Tobis und Berlin-Film – samt den damit verbundenen Rechten – aus über sechs Jahrzehnten deutscher Filmproduktion umfasst.“
Bei der verwendeten Fassung handelt es sich um eine digital restaurierte Filmversion. Sie wurde mit Musik von Aljoscha Zimmermann unterlegt, einem aus Lettland stammenden Pianisten und Komponisten, der vor allem durch die Vertonung von Stummfilmen bekannt wurde.
Der Kirchenmusiker hat den Film schon bis zu 30-mal gesehen
Diese Musik wird bei der Vorführung am 27. April allerdings nicht abgespielt und auch nicht live reproduziert. Vielmehr wird Kirchenmusiker Carl Seebode seine eigenen Ideen vortragen, spontan an den Film angepasst. Klar, geeignete Themen und Melodien hat er sich in den Wochen davor zurechtgelegt. Wie die Motive letztlich zusammengestellt und konkret ausformuliert werden, das wird er erst aus dem Augenblick heraus entwickeln. Die Schwierigkeit: die Musik emotional und gestisch an die wechselnden Szenen anzupassen. Schließlich erfordert der Furor der verwöhnten jungen Dame ein musikalisches Pendant. Lässt sie in ihrer Wut etwa eine Vase zu Boden krachen, gehorcht ihre rasche Bewegung natürlich nicht dem Takt der Musik, sondern dem szenischen Duktus. Trotzdem muss das Zerschmettern gehört werden. Und wenn zwischen ihrem Wüten übergeblendet wird zum viel beschäftigten Herrn Papa, der seelenruhig in seinem Arbeitszimmer einer Schar von Sekretärinnen Briefe in die Schreibmaschinen diktiert, muss der Szenenwechsel musikalisch mitgegangen werden – jede Einstellung hat schließlich ihren eigenen Charakter, ihre Stimmung.
Wer die Ohren spitzt, wird hören, dass Prinz Nucki mit einem Thema aus der britischen Nationalhymne auftritt, nicht etwa weil er Brite wäre, sondern um mit „God save the King“, einer Melodie, die immer schon zur Ehre eines Monarchen gespielt wird, Nuckis Nobilität herauszustellen. Wenn die Austernprinzessin im elterlichen Salon ihren „Prinzen“ warten lässt, erklingt eine Art Mozart-Klaviersonate, um eine gediegene Salonatmosphäre zu evozieren.
Es kommen auch einige Effektinstrumente zum Einsatz, etwa Schlittenglöckchen während der Kutschfahrt hin zur Trauung und eine Lotus- oder Kolbenflöte. Letztere produziert ein Glissando – ein beliebtes Stilmittel in alten Zeichentrickfilmen. Am schönsten wäre es, so hofft Kirchenmusiker Seebode, wenn die Musik gar nicht die Hauptaufmerksamkeit auf sich zieht, sondern die Zuschauer mit in den Film hineinnimmt.
P.S.: Es fehlt, so haben wir gehört, nicht mehr viel Geld für die Orgelsanierung und nach diesem Sonntag legt die Orgelbaufirma auch schon mit der Sanierung los, sprich die Orgel wird dann erst einmal wochenlang nicht mehr erklingen.
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