Wenn das Leben aus den Fugen gerät, wenn sich eine belastende Erfahrung an die andere reiht und ein Gefühl der Ohnmacht und Unzulänglichkeit sich ausweitet und den Alltag bestimmt, benötigen Betroffene Hilfe. Seit einem halben Jahrhundert sind die Sozialpsychiatrischen Dienste dafür eine niederschwellige und vertrauensvolle Anlaufstelle für Menschen mit psychischen Erkrankungen und ihre Angehörigen. Sie bieten Beratung und Unterstützung bei seelischen Problemen und Sucht. Als 1975 in Bayern die Entwicklung einer wohnortnahen ambulanten Beratung mit der Gründung der Sozialpsychiatrischen Dienste startete, war die Einrichtung, die heute zur Stiftung „zusammen.tun“ (=Diakonie Hasenbergl) gehört, eine von insgesamt neun weiteren sozialpsychiatrischen Angeboten im Stadtgebiet. „Inklusion statt Exklusion“, das war das Motto, unter dem vor 50 Jahren der Sozialpsychiatrische Dienst (SpDi) München Nord feierlich eröffnet wurde.
Zum Jubiläum des SPDI München Nord wurden Menschen interviewt, die regelmäßig oder immer wieder einmal die Beratungs- und Gruppenangebote der Einrichtung aufsuchen. Eine von ihnen ist Marika S., die 65-Jährige heißt eigentlich anders, zum Schutz ihrer Person wurde ihr Name geändert. Und dennoch sind ihre Erfahrungen mit den Beratern des SPDI München Nord ganz typisch für die vielen Menschen, die den Dienst aufsuchen. Bis zu 750 Klienten kommen jährlich in die Räumlichkeiten, nutzen Beratungstermine oder nehmen an Gruppenangeboten wie der Kreativ-, oder der Töpfergruppe teil oder kommen einfach gerne zum Begegnungscafé.
Marika S. hat den Dienst, der damals noch im Pfarrer-Steiner-Zentrum in der Riemerschmidstr. untergebracht war, 2012 zum ersten Mal besucht. Belastende Erfahrungen in der Kindheit und als Erwachsene, Episoden mit Depressionen machten ihr das Leben oft grau. Sie heiratet zweimal, arbeitet in verschiedenen Gelegenheitsjobs, immer wieder wechselt sie die Anstellung, den Arbeitsplatz und die Teams mit Kolleginnen. Sie erlebt wenig Beständigkeit, wenig, auf das sie sich verlassen kann. Der Verdienst gering, Stress und Belastung ungleich höher.
Mit der Sozialpädagogin, die sie damals begrüßt hat, ist sie heute noch immer in Kontakt, erzählt ihr, wie es ihr geht, welche Fortschritte sie macht, oder wenn der Alltag doch wieder einmal grauer und schwerer ist. „Ich weiß noch, wie ich zum ersten Mal gekommen bin. Ich war sehr schüchtern. Aber die Pädagogin hat mir zugehört“, erinnert sie sich. „In den ersten Jahren bin ich etwa alle zwei bis drei Wochen gekommen, habe erzählt, was ich fühle, was mir die Luft nimmt und was meinen Alltag schwer macht. Sie hat sich Zeit genommen, nachgefragt und mit mir auch über andere Stellen, die Hilfe bieten, gesprochen”. Marika hat Glück, sie bekommt für kurze Zeit einen Platz in einer Tagesklinik, lernt, mit der Krankheit Depression zu leben, sich für die eigenen Bedürfnisse Platz einzuräumen. Psychisch stabilisiert nimmt sie an einem Sozialkompetenztraining teil, auf das die Pädagogin des SpDi sie aufmerksam gemacht hat. Dort lernt sie, sich selbst zu behaupten und für ihre Bedürfnisse einzustehen.
Das Angebotsspektrum des Sozialpsychiatrischen Dienst München Nord ist umfangreich. „Wir sind für die Menschen da, wenn sie Unterstützung benötigen, um ihren Alltag zu meistern. Psychische Belastungen, seelische Krisen oder psychiatrische Erkrankungen äußern sich oft ganz unterschiedlich bei den Betroffenen. Wir beraten, wenn Menschen mit sich und ihrer Umwelt Schwierigkeiten haben, unter Ängsten leiden oder sich alleingelassen fühlen oder sich in einer Lebenskrise befinden. Gemeinsam suchen wir nach Entlastungs- und Lösungsmöglichkeiten“, erklärt Paul Winter. Als stellvertretender Leiter der Einrichtung weiß er, dass viele Erkrankte, aber auch deren Angehörige erst einmal hadern, eine Beratungsstelle für psychisch Erkrankte aufzusuchen. „Oft fehlt die Akzeptanz für psychische Störungen in der Gesellschaft, dabei bliebe den betroffenen Menschen oft ein langer Leidensweg erspart, wenn wir offener damit umgehen. Noch immer werden Menschen mit psychischen Erkrankungen ausgegrenzt und nehmen nicht gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teil.“
Die Beschämung kennt Marika auch. „Also am Anfang, hatte ich schon Angst hinzugehen. Jetzt weiß ich: Diese Angst war hätte ich nicht haben müssen. Die Leute, die sind alle sehr nett und hilfsbereit, man bekommt in den Gesprächen viele Tipps. Manchmal kommt es mir vor, als würde ich zu eigenen Lösungsideen hingeschleust werden. Man lernt auch, zu kommunizieren, zu sagen, was man braucht und was man will“, erzählt sie,
Inzwischen hat sie vom SpDi zum ähnlichen Angebot für ältere Menschen, dem Gerontopsychiatrischen Dienst (GpDi) gewechselt, „ohne Aufregung“, wie sie sagt. Dort nimmt sie an Gruppenveranstaltungen wie „Leichter Leben mit…“ teil, nutzt auch einmal ein Beratungsgespräch. „Momentan brauche ich keine weitere Begleitung, aber es ist gut zu wissen, dass da jemand ist, der für mich da ist. Ich habe viel gelernt, bin ruhiger geworden. Und selbstbewusst“. Marika S. weiß, wie sie sich durchsetzen kann, wie sie mit anderen Menschen reden kann. „Ich kann ohne Angst meine Einkäufe umtauschen, ich bin eine richtige Umtauschkönigin geworden“, freut sie sich.
Heute geht es ihr gut, mit ihrer Erkrankung kommt sie gut zu recht. Alle drei Monate ist sie noch in den Räumlichkeiten der Sozialpsychiatrie München Nord vor Ort. So heißt die Einrichtung heute; nach dem Umzug an den neuen Standort in der Schleißheimer Str. sind dort neben dem SpDi auch das Angebot für Senioren, der Gerontopsychiatrische Dienst (GpDi) sowie die beiden Einrichtungen zum Betreuten Einzelwohnen untergebracht. „Unterstützung bei seelischen Krisen in jedem Alter – nur eben an einem Standort“, informiert Paul Winter.