Über die offizielle Grundsteinlegung für den neuen Stadtteil Hasenbergl am 25. Mai 1960 durch den damals frisch gewählten Münchner Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel haben wir 2010 berichtet. Der Zustrom von Menschen aus den ehemaligen Ostprovinzen und aus der damaligen „Ostzone“ beziehungsweise „Sowjetischen Besatzungszone“ auch nach München bewog die Stadtregierung dazu, im nur dünn besiedelten Münchner Norden eine „Trabantenstadt“ als neue Heimstatt für bis zu 80.000 Menschen zu planen. Die Wahl fiel auf das Terrain rund um den etwa 8 m aufragenden Lehmbuckel, den man damals „Kanickelberg / Kaniglberg“ nannte und später in „Hasenbergl“ umbenannte. In die Planung einbezogen wurde auch ein Teil des DP-Lagers am Frauenholz. Schon bald begann man unter dem Planungsträger „Neue Heimat“ mit insgesamt sieben Bauträgern, darunter dem „Evangelischen Siedlungswerk“, die Wohnsiedlung, bestehend aus mehrstöckigen Gebäuden, zu errichten. Die Wohnungen für rund 34.000 meist sozial bedürftige Menschen, darunter sehr viele Kinder, waren für die damalige Zeit komfortabel ausgestattet: mit eigenem WC, fließend Warmwasser und Zentralheizung. Bald war das Hasenbergl das kinderreichste Viertel Münchens.
Für die Menschen begann hier ein neuer Lebensabschnitt. Mit dem materiellen Neuanfang war es aber nicht getan. Die Menschen benötigten beratende und soziale Hilfestellungen für Behörden und weitere Tagesprobleme sowie eine christlich-seelsorgerische Betreuung, eine kirchliche Heimat.
Eine christliche Heimstatt musste gegründet werden
Rund 8.000 ev.-luth. Christen gab es damals im Hasenbergl, betreut anfangs von der Versöhnungskirche am Harthof. Von hier aus begann damals ein aus der Inneren Mission zur Versöhnungskirche abgestellter Pfarrer namens Otto Steiner sein segensreiches Wirken, von der ersten Stunde an begleitet von seiner Frau Elisabeth und umgeben von einigen kompetenten Persönlichkeiten aus der neuen Siedlung. Stellvertretend für viele seien hier nur die Namen der verdienten Pfarrerswitwe und Vikarin Elisabeth Rudolf, von Vikar Dieter Bär und Diakon Willy Scheffler (von der Versöhnungskirche) genannt.
Die dringendsten Aufgaben waren die Gründung einer ev.-luth. Kirchengemeinde Hasenbergl und der Bau einer Kirche samt Gemeindehaus und Nebengebäude. Mit Nachdruck gelang es Pfarrer Steiner und seinen Mitkämpfern, für den Kirchenkomplex ein zentral gelegenes Areal westlich des Hasenbergl zu bekommen. Und schließlich konnte das Kirchenareal so erweitert werden, dass darauf noch, unmittelbar südlich angrenzend, eine katholische Kirche samt Nebengebäude errichtet werden konnte. So stehen am Hasenbergl Nord, und dies ist einmalig in München, die Kirchen beider christlichen Konfessionen in vorbildlich praktizierender Ökumene beieinander.
In nur elf Monaten wurde die Kirche errichtet
Nach der Grundsteinlegung am 21. Januar 1962 begann man unverzüglich nach den Plänen der renommierten Münchner Architekten Helmut von Werz und Johann Christoph Ottow, die auch an der Gesamtplanung der Großsiedlung beteiligt waren, zu bauen. In nur elf Monaten wurden in Backsteinbauweise ein 12,5 m hohes, 35 m langes und 15 m breites Kirchenschiff mit 500 Sitzplätzen, einer Empore für Orgel und Chor, einer Sakristei und einem Brautraum sowie ein 37 m hoher Turm, ein Gemeindehaus und ein angrenzendes Gebäude für Büro sowie Pfarrerwohnung hochgezogen.
Das 350 kg schwere Kreuz hievte am 30. August 1962 ein Hubschrauber der Fliegerstaffel der Bundeswehr aus Oberschleißheim auf den Turm. Das Kreuz wurde 2006 mit einem Lichtband versehen und strahlt nun bei Dunkelheit weit über das Hasenbergl hinweg. Der Turm musste übrigens von Mai bis Juli 2008 umfangreich saniert werden. Seitdem erschallen von ihm wieder die Glocken wie einst durch den Stadtteil.
Die Kirche im Zeichen des Evangeliums
Die Kirche mit dem aufgesetzten Kreuz als dem Wahrzeichen des Evangeliums sollte auch ein äußerliches Zeugnis des Evangeliums sein. So wundert es nicht, dass die Gemeinde von den drei Namensvorschlägen – Gnaden-, Zion- und Evangeliumskirche – nach der Bibelstelle Römer 12, Vers 16 den Namen Evangeliumskirche wählte.
Das liturgische Zentrum im schlichten Innenraum der Kirche ist der auf einer Empore errichtete Altar mit einem siebenarmigen Leuchter. Die Stirnwand dahinter prägt ein hoch aufragendes, vom Bildhauer Heinrich Hofmann geschaffenes Betonrelief mit den im Hauptmotiv der nach Johannes des Täufer gezeigten plastischen Ansichten des erhöhten Gottesthrons mit Jesus Christus als dem Herrscher der Welt. Er ist umgeben von den Tiergestalten Löwe, Stier, Adler, einer Menschengestalt und dem Gotteslamm. Die vier Gestalten versinnbildlichen die Evangelisten Markus, Lukas, Matthäus und Johannes. Links und rechts davon erhellen den ansonsten fensterlosen Kirchenraum zwei bis zum Boden reichende Glasfacetten. Der Künstler schuf in späteren Jahren auch das aus Eiche gefertigte und ein Kreuz tragende Lesepult.
1964 erhielt der Turm fünf neue, zwischen 190 und 850 kg schwere Kirchenglocken. Gegossen hat sie die Glockengießerei Czudnowsky in Erding. Eine jede dieser Glocken trägt die biblische Losung eines der fünf Evangelischen Kirchentage von 1953 bis 1961, die in Leipzig, Frankfurt, München, Berlin und Hamburg stattfanden. Die Glocken weihte Dekan Georg Lanzenstiehl. Das Geläut der Glocken ist mit dem von St. Nikolaus abgestimmt.
Nach sechs Jahren erschallte Orgelklang
Nach einer langen Behelfszeit mit einem Harmonium weihte Dekan Georg Lanzenstiehl am 4. März 1968 eine von Orgelbaumeister Gerhard Schmid aus Kaufbeuren errichtete Orgel ein. Sie ist mit 2.494 Pfeifen, drei Tastenreihen sowie 28 Registern ausgerüstet. Erste Organistin und Leiterin des Kirchenchors wurde für viele Jahre Christa Orendi. Einen beträchtlichen Teil der Orgelkosten musste die Gemeinde selbst tragen. Man schaffte mit Ideenreichtum auch dies.
Seit dem zehnten Kirchweihtag schmücken die kahlen Seitenwände des Kircheninneren 25 bunte Wandbehänge mit Motiven der sogenannten Applikation der sieben Werke der Barmherzigkeit nach Matthäus, kunstvoll gefertigt von talentierten Näherinnen und Stickerinnen aus der Kirchengemeinde nach Entwürfen des Bildhauers Heiner Schumann. An der Empore sind auf Wandbehängen die sieben Schöpfungstage dargestellt.
Hilfestellung in der Not war erstes Gebot
Die Gemeinde der Evangeliumskirche steht seit ihrer Gründung im Zeichen christlicher Nächstenliebe für alle Menschen. Ungezählte Gemeindemitglieder und Kirchenfremde aus dem Hasenbergl fanden hier soziale Hilfe und seelischen Beistand. Schon 1964 gründete Pfarrer Steiner mit seinen Mitstreitern den „Sozialen Beratungsdienst der Evangeliumskirche München Hasenbergl e. V.“, der heute schlicht „Diakonie Hasenbergl e. V.“ heißt. Ob im Gemeindezentrum, dem „Grüß Gott Haus“, oder im Gemeindebüro, dem sogenannten Hasenstall – gerade in den ersten Jahren klopften unzählige Menschen an, die materielle und seelsorgerische Hilfe benötigten. Dabei kann die Leistung der beruflichen und ehrenamtlichen Mitarbeiter der Kirchengemeinde gar nicht hoch genug gewürdigt werden. Ob Kinder und Jugendliche oder Senioren, ob Behinderte oder Kranke und Gebrechliche, ob Menschen in materieller oder in seelischer Not – alle fanden in der Gemeinde offene Türen und Herzen. Dabei waren auch deren materiellen Mittel begrenzt. Großzügige Spender mussten mithelfen.
Pfarrer Otto Steiner, seit 15. Juli 1969 zugleich Prodekan für München-Nord (damals zehn Kirchengemeinden), war einer der Initiatoren des Heilpädagogischen Centrums (HPC), Gründer des evangelischen Siedlungshelfervereins „Nordlicht“ und Initiator weiterer segensreicher sozialer Einrichtungen. Zum Dank und zu seinen Ehren wurde 2000 der „Pfarrer-Steiner-Platz“ nach ihm benannt.
Steiner selbst war nach einem erfüllten Leben 1983 in den Ruhestand getreten und verstarb 78-jährig im Jahr 1995. Sein Name und sein Wirken werden immer mit der Evangeliumskirche verbunden bleiben. Die Evangeliumskirche und das Prodekanat für heute 14 Kirchengemeinden leitet seit 2003 Pfarrer und Dekan Uli Seegenschmied.
Auch wenn die Evangeliumskirche heute mit der stark veränderten Bevölkerungsstruktur am Hasenbergl und dem schmerzlicher Rückgang an Gemeindemitgliedern zu kämpfen hat, so wird sie ihre missionarische und seelsorgerische Kraft dennoch zu bewahren wissen und den Menschen auch in Zukunft eine christliche Heimstatt im Glauben und in der Zuversicht bleiben.
Am 1. Advent, dem 2. Dezember 2012, wird die Gemeinde in einem Festgottesdienst dann ihr 50. Gründungs- und Weihejubiläum feiern. Bis dahin sind zahlreiche Veranstaltungen für Jung und Alt vorgesehen.