Gerhard Bletschacher war keine politische Herausforderung zu viel, wenn es darum ging, den betroffenen Menschen zu helfen. Vermeintliche Kleinigkeiten waren vielleicht für den Einzelnen oder eine Familie immens wichtig. Gewichtige Probleme ging Bletschacher beherzt an und suchte dafür in der Regel gleichgesinnte Mitstreiter, entweder aus der eigenen Partei, der CSU, oder von der SPD. Viele seiner Aktivitäten vertrat er auch gemeinsam mit Kollegen aus der örtlichen SPD, wobei hier stellvertretend für weitere die Namen Rudolf Kühnel, Vorsitzender des BA 24 von 1984 bis 1990 sowie Stadtrat Gerson Peck zu nennen sind.
Ein besonderes Anliegen war Bletschacher die Legalisierung der Schwarzbausiedlungen im Münchner Norden. Man denke im 24. Stadtbezirk an die Regatta- und Schwarzhölzlsiedlung wie auch an die Kaiserhölzl-Siedlung und an die Siedlung Ludwigsfeld. Der damalige Münchner Stadtbaurat bezeichnete Bletschacher mehrmals öffentlich als den Robin Hood der Schwarzbauer, was Bletschacher als eine Art Auszeichnung empfand! Auch der Ausbau der Karlsfelder Str. und der Busanschluss an Karlsfeld seien hier nur als Beispiele für seine politischen Anstöße zu nennen. Oder die (leider erfolglosen) Kämpfe gegen den Rangierbahnhof und die erfolgreiche Abwehr der beabsichtigten Mülldeponie in Feldmoching nördlich des Würmkanals vor 23 Jahren. Dass die Bornstr. in den Lärmschutzwall integriert wurde, was der Fasanerie heute gut tut, ist maßgeblich dem Druck von Bletschacher zu verdanken. Aber: Die Beseitigung der schienengleichen Bahnübergänge in der Fasanerie und an der Lerchenauer Str. konnte auch er mit viel Einsatz nicht voran treiben. Hier bestehen bis heute einfach zu viele Blockaden von verschiedenen Seien. So wechselten im Laufe von Bletschachers politischem Leben ungezählte erfolgreiche mit weniger erfolgreichen Aktivitäten. Dennoch, die kommunalpolitische Bilanz fiel am Ende für Bletschacher positiv aus.
Ein Vollblutpolitiker für alle Fälle
Mit seinem Eintritt in die CSU im Jahr 1968, aufgrund der politischen Wirren der 68er-Jahre, wie Bletschacher anmerkt, begann für ihn ein intensives politisches Engagement in und für seine Geburts- und Heimatstadt München. Das währte über 27 Jahre lang, bis ihn 1995 ein Missgeschick ereilte, wofür er hart büßen musste.
Schon bald nach seinem Parteieintritt wurde Bletschacher zum Vorsitzenden der CSU im Ortsverband Hasenbergl gewählt, gefolgt vom Posten des Kreisvorsitzenden im Münchner Nordwesten. Dem folgte seine Mitgliedschaft im Vorstand des Bezirksverbands und des Parteivorstands. 1972 kandidierte er erstmals für den Stadtrat. Als Nachrücker kam er dann 1977 erstmals in das Stadtparlament. 1984 wurde er gleich in das Gremium gewählt, wurde dort Pressesprecher seiner Fraktion und 1990 nach der schweren Wahlniederlage der CSU deren Fraktionsvorsitzender im Stadtrat. 1994 führte er zusammen mit seinem politischen Mitstreiter Peter Gauweiler die CSU wieder zur stärksten Kraft im Münchner Rathaus.
Hohe Ehrungen wurden ihm zuteil
Für seinen unermüdlichen kommunalpolitischen Einsatz in München und für seine großes persönliches Engagement bei der Hilfe für bedürftige und notleidende Menschen in Südtirol, insbesondere für die armen Bergbauern, erhielt Bletschacher zahlreiche hohe Ehrungen, etwa 1971 den Bayerischen Verdienstorden und 1980 das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse (die er beide sofort nach Eröffnung des Strafverfahrens gegen ihn zurückgab), 1973 den Großen Tiroler Adlerorden, 1971 das Goldene Parteiabzeichen der Südtiroler Volkspartei, 1971 den Konrad-Adenauer-Preis in Gold, 1988 das Ehrenzeichen der „Österreichischen Albert Schweizer Gesellschaft“, 1994 die Kaiser-Karl-Medaille in Gold und das Goldene Ehrenzeichen des Südtiroler Bauernbunds wie die Ernennung zum Ehrenleutnant der Schützenkompanie St. Lorenzen.
Die „Stille Hilfe für Südtirol“ wurde sein Schicksal
Doch all diese hohen Auszeichnungen und Ehrungen konnten den persönlichen und politischen Fall von Gerhard Bletschacher ab 1995 nicht verhindern. Seine Lebensumstände und die seiner Ehefrau Jeanette, geb. Daigfuß, nahmen eine dramatische Wende. Sie verloren ihr Haus in der Fasanerie, ihr Vermögen, ihren bisherigen Lebensstandard und mussten sich fortan mit dem Wenigsten begnügen.
Was war geschehen?
Gerhard Bletschacher war seit 1963 sehr stark sozial in Südtirol engagiert. Grundlage seines Engagements war der am 13. März 1963 gegründete Verein „Stille Hilfe für Südtirol“. Die Zielsetzung des Vereins war in der Satzung wie folgt festgeschrieben: Erhaltung des Volks- und Brauchtums und Beistand aller in Not geratenen Angehörigen der Deutschen Volksgruppe in Südtirol unmittelbar in ideeller, sozialer und materieller Hinsicht. Mit dieser Zielsetzung sollten insbesondere bedürftige Bergbauernfamilien und -dörfer unterstützt werden.
Gerhard Bletschacher war bis Anfang Mai 1995 der 1. Vorsitzende des Vereins, der zu seinen besten Zeiten bis zu 30.000 Mitglieder zählte. Mehr als 60 Millionen Mark hatte der Verein im Laufe der Jahre gesammelt und in Abstimmung mit der Südtiroler Landesregierung in gemeinnützige Einrichtungen investiert: Der Verein finanzierte zahlreiche Kindergärten, vergab Stipendien für den Besuch von Schülerheimen, sponserte zahlreiche Rettungsfahrzeuge für das Weiße Kreuz, half direkt Bergbauern (auch zum Erhalt der schönen Berglandschaften)… Ein Prozess-Gutachten kam später zu dem Ergebnis, dass die Familie Bletschacher und ihre Firma, die Kartonagenfabrik Eduard Müller, über 20 Jahre hinweg einen völlig uneigennützigen Beitrag für die „Stille Hilfe für Südtirol“ in der Größenordnung von mehr als 6 Millionen Mark geleistet hatten. Damit hatte sich die Firma, begleitet von einer schwierigen Geschäftslage, aber offenbar übernommen. Gerhard Bletschacher hatte noch versucht, seine angeschlagene Firma mit einem kurzfristigen zinslosen Überbrückungskredit von der „Stillen Hilfe“ über die Runden zu bringen und die Arbeitsplätze zu retten. Und dieser Versuch wurde ihm zum Verhängnis, was, wie Bletschacher immer wieder betonte, dem Finanzamt seit 1990 bekannt war. Die Falle schnappte zu, er hatte keine Chance mehr, den Kredit als letztes Mittel mit dem Verkauf seiner Fabrik abzugelten. 1995 wurde Bletschacher wegen Untreue zu drei Jahren und acht Monaten verurteilt. Im Urteil wurde festgestellt, dass er „keine Mark für sich verwendet und einen sparsamen Lebenswandel geführt hatte“.
Im letzten Akt dieses Dramas setzte Gerhard Bletschacher sein gesamtes Vermögen, sein Haus in der Fasanerie und den Verkaufserlös der Maschinen aus der Firma Müller ein, um den meisten Mitarbeitern noch eine kleine Abfindung zahlen zu können. Im Mai 1996 trat er seine Haft an, 1998 wurde er wegen guter Führung vorzeitig entlassen.
Geblieben sind Gerhard Bletschacher und seiner Frau nur eine kleine Mietwohnung in Neuperlach und bis heute der Überlebensjob eines Taxifahrers. Bewahren konnte Gerhard Bletschacher aber seine persönliche Würde und Menschen, die fest zu ihm stehen und die seine kommunalpolitischen und humanen Verdienste nicht vergessen haben.
Der Verein „Stille Hilfe für Südtirol“ wurde Anfang 2000 aufgelöst. Der Südtiroler Landeshauptmann Luis Durnwalder dankte Bletschacher in einem Brief vom 28. April 2003 namens der Südtiroler mit herzlichen Worten für dessen unermüdlichen humanitären Einsatz und Leistungen für seine bedürftigen Landsleute. Die Mitte der 1995er-Jahre weit über München hinaus sehr breit getretene „Kasschachtl-Affäre“ ist mittlerweile weitgehend vergessen. R. K.