Wenn man sich jedoch im Ort Feldmoching, der sich ja seit seiner Eingemeindung nach München im Jahr 1938 als „Stadtteil“ bezeichnet, etwas genauer und kritischer umschaut, dann ebbt die anfängliche Schwärmerei merklich ab.
Denn auch Feldmoching blieb in den Jahren fortgeschrittener Bautätigkeiten, des rapiden Rückgangs von Bauernfamilien sowie der stadtnahen Landbevölkerung und des fast ungebremsten Verkehrsaufkommens nicht verschont. Die Feldmochiger Str. ist heute mittlerweile auf weiter Strecke beidseitig zugeparkt und der Durchgangsverkehr gleicht, insbesondere in den Morgen- und frühen Abendstunden, längst eher einer zu eng geratenen Stadtschnellstraße, denn einer idyllischen Dorf-Hauptstraße. Und wer genauer hinschaut, der entdeckt an der Feldmochinger Str. auch verwaiste, ehemals landwirtschaftliche Anwesen, deren Existenz an sich Jahrhunderte zurückreicht. Das künftige Schicksal dieser Höfe ist offen – oder auch nicht mehr!
Die Bauernhöfe und deren Besitzer und Bewohner prägten über viele Jahrhunderte hinweg die Geschichte und Kultur Feldmochings. Wer will es heute glauben, dass es in Feldmoching einstmals nahezu 140 große bis hin zu ganz kleine Bauern gab. Heute reichen die Finger einer Hand aus, um die noch verbliebenen aktiven Bauernhöfe an der Feldmochinger Str. aufzuzählen.
Der Vettermelcherhof an der Feldmochinger Straße
Eines dieser ehemals größeren landwirtschaftlichen Anwesen ist der seit dem Tod der letzten Besitzerin Elisabeth Zellner verwaiste „Vettermelcherhof“ an der Feldmochinger Str. Nr. 383. „Vettermelcherhof“ ist der Hofname des Anwesens. Er geht auf dessen Besitzer Melchior Huber anno 1660 zurück.
Seit einiger Zeit lugt ein großes Maklerschild aus dem Vorgarten über den Zaun und bietet das Anwesen zum Kauf an. Verkauft ist es inzwischen, wie zu hören ist an drei Privatleute. Und die Bagger sind auch schon da und haben bereits den hinteren Stadl dem Erdboden gleichgemacht. Mit dem Abriss dieses historischen Bauernhofs geht wieder ein Mosaikstein aus der Feldmochinger Ortsgeschichte verloren. Aufzuhalten ist diese Entwicklung wohl nicht. Nur die vier schlank aufragenden Bäume rechts hinter der Halle, es sollen die höchsten in Feldmoching sein, werden auch künftig als mahnende Zeugen einer Jahrhunderte alten Hofkultur verbleiben.
Wir verdanken es dem im Mai 2008 verstorbenen Heimatforscher Georg Mooseder, dass er die früheren Hofstellen in Feldmoching akribisch erforscht und seine historischen Aufzeichnungen hinterlassen hat. Diese Schätze sind heute beim Kulturhistorischen Verein Feldmoching archiviert.
Mooseders Recherchen brachten ihn beim Vettermelcherhof auf die früheste Jahreszahl 1574, als der Hof einem Hans Ruedorfer gehörte. Somit reicht diese Hofgeschichte sage und schreibe mindestens 437 Jahre zurück! In dieser Zeit des 16. Jahrhunderts regierte das Land der Bayernherzog Albrecht V., der „Großmutige“ (+ 1579). Der Herzog beherrschte das Land, entgegen seinem gütig anmutenden Beinamen, mit strenger Hand. Die Menschen litten große Not, selbst die Bauern hungerten. Er bürdete seinen Untertanen immer höhere Steuern auf, um damit seine Gier nach immer mehr Schmuck, Bildern, Plastiken, Büchern, Münzen und sonstigen irdischen Gütern zu befriedigen. Am Ende war das Wittelsbacher Herzogtum verarmt und hoch verschuldet.
Bei der historischen Würdigung des im Jahr 2009 abgerissenen Heitzmannhofs im Lokal-Anzeiger vom 25. September 2009 hatten wir kurz berichtet, unter welch schwerem Joch die Bauern damals leben mussten. Diese bittere Armut unter den Bauern währte in jedem Fall bis zur Zeit ihrer Befreiung im frühen 19. Jahrhundert unter dem ersten Bayernkönig Maximilian I. Joseph. So richtig befreit wurden die Bauern jedoch erst, als die standes- und gutsherrliche Gerichtsbarkeit sowie die Grundlasten der Bauern im Jahr 1848 aufgehoben wurden.
Die Grundherrschaften bis zur Befreiung
Auch der Vettermelcherhof oblag über Jahrhunderte hinweg einem grundherrlichen Obereigentum. Die Aufzeichnungen beginnen mit den Wilamitsch-Erben, ab 1605 folgte ein Jacob Reintaller (oder Reinthaler) in Straubing, gefolgt von einem Matthias Reindl, Marktschreiber in Straubing. Ab 1660 war dessen Witwe Barbara Reindl Grundherrin, die ihre Anrechte jedoch im selben Jahr an den Münchner Hofzahlmeister Cammerloher verkaufte. Von ihm ging die Grundherrschaft auf eine geborene Cammerloherin namens Ursula Magdalena Prantlin und weiter an ihren Mann Adam Franz Präntl von Irsing über. 1680 kaufte Kurfürst Maximilian die Grundherrschaft über den Vettermelcherhof und unterstellte diese seiner Administration Schleißheim.
Häufiger Wechsel im Untereigentum>
Aber auch der bäuerliche Besitz des Hofes im Untereigentum wechselte im Laufe der Jahrhunderte etliche Male, wie Mooseder bei seiner mühevollen Recherchearbeit herausgefunden hat.
So etwa verkauft im Jahr 1640 Michael Schmidt, der Schwiegersohn des Georg Ruedorfer, um 417 fl. an seinen Nachfolger und Wirt von Feldmoching, Georg Huber. Dessen Nachfolger, Melchior Huber, erklärt laut Chronik im Jahr 1671, dass er auf diesem Gut für sich und seine Frau ein „lebenslanges Leibgeding“ habe. Der Viehbestand: 4 Pferde, 1 Fohlen, 3 Kühe, 1 Jungrind, 1 Ochse, 2 Kälber und 7 Schafe. Er wolle gern verkaufen, wegen der vielen Kinder könne er nichts zum Markte bringen.
Bei weiteren Besitzwechseln tauchen verschiedene Namen auf, wie Hueber, Knaus, Schneider und Leuthmayer, bis hin zu einem Johann Schachtner, der seinen Hof 1804 an einen Anton Maurer in Bodenmais verkaufte. Jedoch schon ein Jahr danach tauscht dieser Schachtner sein Anwesen in Feldmoching gegen ein Anwesen der Eheleute Maria und Georg Kiesl am Kanal bei Milbertshofen „mit 2 beschlagenen Wagen, 2 Pferden, 1 Egge, 1 Pflug, 2 Kühen, 2 Kälbern und Futtervorräten“.
Im Jahr 1812 ist für den Hof die Flächenangabe mit „83,45 Tgw.“ überliefert. 1817 übernimmt Johann Zellner aus Unterbachern den Vettermelcherhof mit Wohnhaus samt Stall und Stadl (mit Schindeln gedeckt), 2 Pferden, 3 Kühen, 1 Kalb, 2 Ochsen, 3 Hennen im Wert von 1200 fl. von Georg Kiesl. 1842 erscheint der Name Josef Zellner, Stiefsohn des Korbinian Huß.
1845 kommt mit dem neuen Besitzer Korbinian Huß aus Schleißheim ein weiterer Hofname, „Feltermelcher“, ins Spiel – möglicherweise handelt es sich dabei ja um einen amtlichen Schreibfehler – und vom 17. Januar 1857 an ist Korbinian Huß als der Alleineigentümer des Hofes mit Wohnhaus mit Stall und Stadl, Torfhütte, Wagenremise, Brunnen und Grasgarten am Haus mit insgesamt 61,50 Tgw. eingetragen. 1863 übernahm der mit der Catharina Heizmann verheiratete Josef Zellner den Vettermelcherhof für 7000 fl. von seinem Stiefvater Huß.
1894 erscheint in den Aufzeichnungen nach zwei vorherigen Neubemessungen für den Vettermelcherhof ein „Anwesenbestand“ von 94,14 Tgw.
Im 21. Jahrhundert endet die lange Hofgeschichte
Die Chronikaufzeichnungen enden mit dem Jahre 1911, in dem Josef Angermeir (*21.1.1883) und Rosina Zellner, geb. Bröller, Witwe von Max Zellner (*19.12.1879) den Hof mit 75,88 Tgw. übernahmen. Josef Angermeir starb am 8. April 1959, seine Frau Rosina am 3. Februar 1961. In erster Ehe mit Max Zellner gebar die Rosina am 19. Januar 1909 einen Sohn und zugleich den späteren Hoferben Max Zellner. Dieser kehrte nach dem Ende des 2. Weltkriegs erst 1947 aus einem Arbeitslager in Belgien heim. Er verehelichte sich noch im selben Jahr mit der am 26. November 1916 geborenen Elisabeth Spiegl, wie oben erwähnt die letzte Bäuerin und Besitzerin des Vettermelcherhofs. (Deren Großvater, Josef Spiegl, hatte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von Allach nach Feldmoching kommend eine verwitwete Riedmeier geheiratet und damit in den „Stritzlhof“ eingeheiratet. Die Eheleute hatten mehrere Kinder, darunter den Ludwig, der mit seiner Frau Elisabeth, geborene Westermayr aus Aschheim, fünf Kinder hatte: die eben erwähnte Elisabeth, verheiratete Zellner, Rosi (geb. 1922), verheiratete Rampf, Ludwig (geb. 1924, der im 2. Weltkrieg vermisst und kurz nach dem Krieg für tot erklärt wurde, Anni (geb. 1927), verheiratete Thalmeier, die heute in Großhadern lebt, sowie die jüngste im Bunde, Frieda (geb. 1931), verheiratete Hölzl).
Am Rande der schweren Bombardierungen Münchens im Jahre 1944 traf eine Bombe auch den Viehstall des Hofes. Im Areal hinter dem heutigen Feldmochinger Hof nach Süd und nach Nord hin waren etliche Bomben abgeworfen worden und hatten auch dort tiefe Krater gerissen.
Der letzte Bauer des Vettermelcherhofs, Max Zellner, renovierte und modernisierte die Hofgebäude Mitte der fünfziger Jahre grundlegend und schuf damit deren Aussehen so, wie wir es bis zum Tag des Abrisses kannten.
Max Zellner bewirtschaftete seinen Hof trotz seiner schweren Erkrankung aus den Jahren der Kriegsgefangenschaft intensiv und sehr erfolgreich, und er hielt zudem, wie es zur damaligen Zeit üblich war, einen Stall voll Vieh. Seine Kräfte reichten jedoch nicht lange. Er musste den Hof aufgeben, die letzte Ernte brachte er 1965 ein. Er verstarb im 61. Lebensjahr am 12. Januar 1970. Die landwirtschaftlichen Flächen wurden verpachtet, das Vieh schaffte man ab, die Hofstelle des Vettermelcherhofs war seitdem leer. Die letzte Bäuerin des Vettermelcherhofs, Elisabeth Zellner, verstarb am 19. August 2009 im hohen Alter von 93 Jahren.
Damit endet die lange Geschichte des Vettermelcherhofs nach nachweislich 437 Jahren. Wie wäre es, wenn die Investoren eines Tages ihrer neuen Wohnanlage auf dem ehemaligen Hofgelände in historischer Erinnerung und Würdigung den Namen Max Zellers geben würde – etwa „Max-Zellner-Höfe“?
Ein Dank all denjenigen, die in diesen Beitrag ihr Wissen und ihre Erinnerungen einbrachten.