So wie der 21-jährige Faton, der ohne familiäre Unterstützung im Gymnasium scheiterte und auf die Realschule wechseln musste. Der es nicht auf die FOS schaffte, aber über einen Job einen Ausbildungsplatz als Einzelhandelskaufmann erhielt, die Lehre durchzog und nun auf die Berufsoberschule für Wirtschaft und Verwaltung geht. Oder wie Fatma, die nach dem Hauptschulabschluss eine Ausbildung begann – die erste in der Familie! Das erste Ausbildungsjahr empfand sie als schrecklich. Doch dann ging es aufwärts, sie schaffte den Abschluss mit Note 1, ist heute bei Basic Abteilungsleiterin mit sechs Angestellten und wurde gerade in einen Förderkreis aufgenommen, um sich zur Marktleiterin weiterzubilden. Bildung mache einen großen Teil ihres Erfolgs aus, Bildung sei für sie die Möglichkeit, um so gut wie möglich „hochzukommen“, meinten die Jugendlichen.
„Der Mensch beginnt nicht erst mit dem Abitur“
Wer nun glaubte, dass Professor Julian Nida-Rümelin, der Physik, Philosophie,
Mathematik und Politikwissenschaften studierte, einen hochtheoretischen Diskurs über
Bildung beginnen und das hehre Lied des Studiums singen werde, sah sich getäuscht. Seine freie Rede nahm zwar bei den Geistesgrößen der Philosophie, Platon und Aristoteles, ihren Ausgang, denn nicht erst seit dem „Pisa-Schock“ wird allerorten über Bildung diskutiert. Schon in Platons Theaitetos-Dialog ging es um das richtige Wissen (die Fähigkeit, sich selbst ein Urteil bilden zu können und dieses auch begründen zu können). Und Aristoteles machte sich Gedanken darüber, was ein gutes Leben auszeichnet (wenn man seine Fähigkeiten voll zur Entfaltung bringen kann und die Welt durch die Praxis erfährt). Anhand dieser Definitionen spann Nida-Rümelin aber einen so interessanten und verständlichen Bogen zu einem viel umfassenderen Bildungsbegriff als ihn heutige Bildungsforscher in ihrem verengten gymnasialen und universitären Fokus haben, dass die zahlreichen Zuhörer – Jugendliche vom Lichtblick Hasenbergl wie geladene Gäste von Stiftungen, kirchlichen Einrichtungen, Lokalpolitiker wie Geistlichkeit (Pfarradministrator Kazimierz Rynkiewicz und Pastoralreferent Otto Lang) – konzentriert dem Vortrag lauschten. Kein Räuspern, Husten oder Getuschel störten den Lauf der Gedanken und die Kritik Nida-Rümelins am heutigen Bildungssystem mit seinem „dramatischen Irrtum, dass Chancengleichheit dann erreicht sei, wenn alle aufs Gymnasium gingen“, und mit Studentenzahlen, die sich innerhalb der letzten 12 Jahre verdoppelten, wobei Deutschland heute deutlich weniger Geld ausgebe für Bildung als noch in den 1970er-Jahren. Deutschland müsse sich wieder als Bildungsnation verstehen und nicht nur stark im Fußball und in der Wirtschaft sein, so Nida-Rümelins Forderung. Auf dass jeder zum Autor seines eigenen Lebens werde und nicht nur funktioniere. Die Jugendlichen vom Lichtblick konnten ihm da nur begeistert applaudieren.