Denn das NS-Regime grenzte nicht nur Juden, Sinti & Roma, geistig Behinderte und „minderwertige Rassen“ aus – und vernichtete sie später. Die Nazis gingen gleich nach der Machtübernahme am 30. Januar auch gegen politisch Andersdenkende vor. Während man sich gegenüber den bürgerlichen Parteien (noch) zurückhielt, brach der Terror gegen die SPD und die KPD gleich los und steigerte sich nach dem Reichstagsbrand vom 27. Februar 1933 noch, den man den Kommunisten in die Schuhe schob. Mehrere Tausend kommunistischer Funktionäre wurden in wenigen Wochen von der SA in „Schutzhaft“ genommen, ermordet oder zur Flucht ins Ausland gezwungen. Einer der ersten, der am 7. Mai 1933 im neu errichteten KZ Dachau starb, war Fritz Dressel. Er lebte damals mit seiner kleinen Familie in der Fasanerie bei der Gärtnerei Knörzer.
Friedrich Georg Robert Dressel wurde am 1. Juni 1896 in Welsberg/Oberfranken geboren und wuchs in Schottenstein auf. Er war der älteste Sohn eines Zimmermanns und so lernte auch er nach der Volksschule das Zimmererhandwerk. In Essen fand der Wanderbursche Arbeit bei Krupp. 1914 wurde er als Soldat in den Ersten Weltkrieg geschickt, wo er in Frankreich und in Russland kämpfte. Nach einer schweren Verwundung und einem längeren Lazarettaufenthalt kam er als Rüstungsarbeiter wieder zurück zur Waffenschmiede Krupp und 1917 zu dessen neuem Zweigwerk in Freimann. Zu der Zeit lebte er mit seiner kleinen Familie, seiner Frau Dorothea, Dora (*6.12.1897, +1.4.1993) genannt, und dem kleinen, am 26. August 1914 geborenen Fritz in einer winzigen Wohnung in der Belgradstr.
Der Militarismus und der Weltkrieg, bei dem Millionen in den Tod geschickt wurden, der Hunger und die Armut der Bevölkerung öffneten Dressel die Augen und spätestens seitdem der erste bayerische Ministerpräsident Kurt Eisner am Abend des 7. November 1918 im Auftrag des „Arbeiter- und Soldatenrates“ den Freistaat Bayern ausrief, war er politisch aktiv. Der 22-Jährige besuchte politische Veranstaltungen, hörte zu, lernte und suchte seinen Standpunkt. Während einer Arbeiterversammlung in Schwabing ergreift er erstmals das Wort, wie seine Frau Dora 1983 in ihren Lebenserinnerungen festhielt. Stockend spricht er, man lacht über ihn, andere schreien „aufhören“. Einer sagt: „Lass ihn doch. Der lernt ja erst. Das wird schon noch.“ 1919 wird Fritz Dressel Mitglied der neugegründeten KPD-Ortsgruppe München.
Bekanntschaft mit der Justiz
Die Wirren des Jahres 1919 nach der Ermordung Eisners, die Ausrufung der Räterepublik, den Kampf der „Weißen“ gegen die „Roten“, bei dem Kommunisten, Sozialisten und Gewerkschafter zu Hunderten auf offener Straße erschlagen werden, erleben die Dressels aus der Ferne. Sie besuchen die Eltern in Oberfranken. Fritz Dressel dürfte dies das Leben gerettet haben. Da viele führende KPDler sterben, müssen schon bald die Jungen verantwortungsvolle Posten übernehmen. Ehrenamtlich. Dressel wird Bezirksleiter für Südbayern. Als solcher macht er immer wieder Bekanntschaft mit der erzkonservativ-bürgerlichen Polizei und Justiz. So wird er im März 1921 zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt, weil bei einer Versammlung eine Solidaritätsbekundung für einen inhaftierten Kommunisten abgegeben hat. 15 Monate sitzt er davon ab.
Als die KPD 1923 verboten wird, arbeitet Fritz Dressel zeitweise in Berlin, dann als illegaler Leiter der Betriebsräte in Baden, so hat Renate Hennecke in ihrem Aufsatz „Dem Krieg den Garaus machen“ über den Werdegang Dressels herausgefunden. Ende Januar 1924 wird er in Frankfurt verhaftet, acht Wochen später entlassen. Erneut festgenommen im September 1924, weil er an einer Zusammenkunft teilnahm, bei der ein Genosse über seine Reise in die Sowjetunion berichtete. Mangels Beweise wird Dressel jedoch nach einigen Tagen entlassen. 1925 wird das KPD-Verbot aufgehoben und Dressel hauptamtlicher Parteisekretär des KPD-Bezirks Südbayern. Gleichzeitig arbeitet er als Gewerkschaftsfunktionär im Verband der Zimmerer und engagiert sich im Genossenschaftsrat des Konsumvereins.
1928 wird er in seinem Stimmkreis – München IV und X, Dachau/Fürstenfeldbruck, Pfaffenhofen-Schrobenhausen und Ingolstadt – in den Bayerischen Landtag gewählt und ist dort bis 1933 Vorsitzender der KPD-Fraktion. Aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Lage erhielten die Kommunisten viel Zuspruch von den „kleinen Leuten“. Auch in Feldmoching. Bei der Feldmochinger Gemeinderatswahl vom 8. Dezember 1929 etwa, bei der KPD und SPD als Parteien antraten, während es ansonsten vier Wahlvorschläge gab – jeweils einer aus dem Altdorf, Harthof, Lerchenau und der Fasanerie –, errang die KPD immerhin drei Mandate (SPD 1; Altdorf: 7, Fasanerie: 2). Dressel brachte im „Vorwahlkampf“ die teils mit Schreibmaschine, teils per Hand in Sütterlin geschriebene sechsseitige Zeitung „Feldmochinger Sichel u. Hammer“ („das Organ der Werktätigen Bayerns“) und dann „Der Pflug. Kommunistische Feldmochinger Gemeindezeitung“ heraus. Denn Familie Dressel war 1929 in die Fasanerie gezogen. Hier hielt Dora Dressel Hühner und baute im Garten Gemüse an, um die Familie über Wasser zu halten.
„Feldmoching wird Hochburg des Kommunismus“
Joseph Schmidhuber, Oberlehrer der Schule Feldmoching und Obmann für Heimatforschung und Volksbildung, titelt in seiner Chronik dazu „Feldmoching wird Hochburg des Kommunismus“: „Not und Unzufriedenheit des Volkes bildeten den richtigen Boden zur Aufnahme der kommunistischen Ideen nicht nur in der werktätigen, sondern auch in der bäuerlichen Bevölkerung. An kommunistischen Predigern hat es hier wahrlich nicht gefehlt. Es waren hier die drei Brüder Holy, die Abgeordneten Dressel und Bäumler (korrekt: Beimler, Hans, 1932 Abgeordneter des Bayerischen Landtag, 1932/33 Reichstagsabgeordneter, politischer Sekretär des Bezirks Südbayern der KPD, Anm. d. Red.) und einige kleinere Agitatoren (…) Die kommunistische Partei wuchs hier rasch.“ Bei der Reichstagswahl 1930 bekamen die Kommunisten in der Gemeinde 273 Stimmen, die Sozialdemokraten 403, die Bayerische Volkspartei 638 und die „Nationals. Hitler“ 91 Stimmen. Bei den Reichstagswahlen 1932 erhielten die Sozialisten laut Schmidhuber 245 Stimmen, die Nationalsozialisten 586, die Bayerische Volkspartei 616 Stimmen, während die Kommunisten mit 841 Stimmen klar die stärkste Kraft in Feldmoching wurden. (Bei der nächsten Reichstagswahl vom 5. März 1933, kurz nach der „Machtergreifung“ erhielten die Nationalsozialisten in der Gemeinde schon 1042 Stimmen, die Sozialisten 285, die Kommunisten immerhin noch 714 und die Bayer. Volkspartei 568.)
Auch in der Abgeordnetenzeit muss die Familie immer wieder ohne Mann/Vater sein – so sitzt Fritz Dressel im Sommer 1930 wegen „Aufruhr“ im Gefängnis. Angeblich hatte er, so schreibt seine Frau Dora in ihr Tagebuch, mit anderen Demonstranten Eisklumpen und Schneeballen gegen eine Polizeiwache geworfen. Zuvor jedoch hatten die Polizeibeamten einen Demonstrationszug Erwerbsloser mit Prügeln auseinander getrieben – auch Dressel kam mit einem „blutunterlaufenen Säbelhieb heim“, erinnert sich seine Frau.
Fritz Dressel ergreift mutig das Wort gegen die Nazis …
Noch am 9. Februar 1933, zehn Tage nach der Machtübernahme der Nazis, ergriff Dressel im Bayerischen Landtag, immer wieder unterbrochen von höhnischen Einwürfen der Nationalsozialisten, mutig das Wort und wandte sich gegen den neu eingeführten freiwilligen Arbeitsdienst und die Arbeitsdienstpflicht. Weitsichtig sah er voraus: „Sie wollen nämlich vor allen Dingen erreichen die Kasernierung aller diese (sic!) jungen Arbeiter (…) um doch eine bestimmte Möglichkeit der Militarisierung zu bekommen und einen bestimmten ‚verlängerten offiziellen Arm’ ihrer Reichswehr (…) was Sie hier mit Pünktlichkeit und Sauberkeit zum Ausdruck bringen, (ist) nichts anderes wie Unterwerfung, Unterordnung, Hörigkeit und Sklaventum für die werktätige Massen (…)“
An den Reichstagswahlen vom 5. März 1933 kann die KPD noch teilnehmen, wenngleich schon im Februar ein Demonstrations- und Publikationsverbot gegen sie verhängt worden war, die Parteizentrale, das Karl-Liebknecht-Haus, in Berlin besetzt war und Tausende von Funktionären eingesperrt waren. Am Wahltag finden bei mehreren Hundert Kommunisten Hausdurchsuchungen statt. Am 10. März setzt erneut eine Verhaftungswelle ein, am 30. März wird auch die Dressel’sche Wohnung durchsucht. Da sie Fritz Dressel nicht finden, nehmen sie seine Frau in Geiselhaft. Fast sechs Wochen verbringt sie im Polizeipräsidium an der Ettstr. und im Gefängnis Stadelheim.
… und bezahlt seine Standfestigkeit mit dem Leben
Am 3. Mai wird Dressel von der Polizei gefasst und ins KZ Dachau gebracht. Die „Feldmochinger Zeitung“ meldete am 6. Mai: „Am Mittwoch wurde nun auch der Landtagsabgeordnete Dressel der KPD in Schutzhaft genommen. Nun hat man alle, die etwas zu sagen hatten, bis auf Holn Hans, aber auch dieser wird nicht mehr lange seine Freiheit genießen, denn viele Hunde sind des Hasens Tod. Dann, wenn sie in Schutzhaft beisammensitzen, haben sie Zeit und Gelegenheit nachzudenken, über das herrliche Sowjetparadies, das sie unseren Erwerbslosen in den prächtigsten Farben schilderten, obwohl sie wissen mußten, daß dies ein Verbrechen ist, denn in Rußland gibt es kein Paradies, dort gibt es nur Not, und diese Zustände wollten diese Herren, vielleicht nur, um dabei im Trüben fischen zu könnnen.“
Schutzhaft ist ein euphemistischer Ausdruck für das, was Dressel am Ende seines Lebens im KZ Dachau erlitt. Seine Familie erfuhr davon über Hans Beimler, der aus Dachau fliehen konnte. (Beimler veröffentlichte bereits im August 1933 mit der Broschüre „Im Mörderlager Dachau“ den ersten authentischen Bericht über die Zustände in einem KZ.) Danach wurde Dressel zig mal bewusstlos geprügelt, vom Tisch geworfen, mit kaltem Wasser übergossen und laut Beimler durch die unerhörte Quälerei in den Tod getrieben, auf dass er sich mit einem Brotmesser die Pulsadern aufschnitt. Da keiner ihm habe zu Hilfe kommen dürfen, verblutete er, schreibt Beimler, den man in die Zelle warf, wo Dressel tot am Boden lag, auf dass er sich an dessen Selbstmord ein Beispiel nehme.
12 Jahre lang, während der Nazizeit, hielt die Familie aus Angst die Mär vom Selbstmord aufrecht, so wie es im Totenschein vermerkt ist und noch heute auf Wikipedia nachzulesen ist. Doch Dora Dressel, die mit fünf weiteren Feldmochingern dabei war, als ihr Mann in Prittlbach begraben wurde, konnte, nachdem sie die Leichenfrau bestochen hatte, ihren toten Mann noch einmal sehen: den Körper voller Striemen von den tagelangen Schlägen, das am Oberarm eingeschnitzte Hakenkreuz und die Hände abgefranst von den Fesseln – aber nicht durchtrennt von einem Messer.
Die Familie war während der Nazizeit vielen Schikanen ausgesetzt: Sohn Fritz Dressel wurde nach dem Tod des Vaters zunächst von seiner Zukünftigen, einer geborenen Frankl, im Heustadel des elterlichen Hofs an der Lerchenstr. versteckt. Oft wurde er später verprügelt und immer wieder verlor er, der gelernte Maurer, die Arbeit, wenn seine familiären Umstände herauskamen. So musste seine Frau Maria mit Schneiderarbeiten die Familie über Wasser halten. Es gab aber auch Feldmochinger wie die Familien Franz Kötterl, Johann Spiegel und Georg Zech, die an Dressel jun. (Maurer-)Arbeiten vergaben und ihn in Naturalien – mit Milch, Fleisch, aber auch mit Kohlen – bezahlten, erinnert sich seine Tochter Brigitta Jenewein. Ihr Fazit dieser Zeit: „Ich bin mit Angst aufgewachsen.“