Die Klasse 6a der Willy-Brandt-Gesamtschule hat 26 SchülerInnen aus 15 verschiedenen Herkunftsländern: Deutschland, Türkei, Albanien, Somalia, Kosovo, Russland, Serbien, Polen, Nigeria, Peru, Kroatien, Slowenien, Sri Lanka, Afghanistan und Vietnam. Viel Arbeit für die Lehrerschaft wie für die Kinder. Die müssen sich einfinden in das deutsche Bildungssystem und bei aller Unterschiedlichkeit zusammenwachsen zu einer Klassengemeinschaft. Unterstützt werden sie dabei nicht nur von den Lehrkräften, sondern auch von Sozialpädagogen, die unter anderem in der Klassenführung eng mit den Lehrern zusammenarbeiten und teils gemeinsam in einer Klasse sind, so wie Sozialpädagogin Jana Schneider und Lehrerin Katharina Sitzmann am Freitag, den 24. April.
Gegen Rassismus, für Zivilcourage
In dieser Woche findet an der Willy-Brandt-Gesamtschule eine Projektwoche zum Thema „Zivilcourage – Schule ohne Rassismus“ statt. Die Klasse hat sich die Tage davor schon mit dem Thema befasst, etwa warum in der 6a nicht jeder gleich ist; ein Polizist informierte die Kids über Zivilcourage und wie man sich in welcher Situation richtig verhält, um bedrängten Personen zu helfen, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen.
Höhepunkt der Projektwoche ist an diesem Freitag eine Veranstaltung mit dem Berliner Verein „Gesicht Zeigen“ (vertreten an diesem Tag durch Goska Soluch, Aufmacherfoto rechts, und Ronald Huster, Aufmacherfoto links) und mit Tibor Sturm, dem Musiker („Brothers Keepers“), Produzenten und Schauspieler, mit Rollen unter anderem in „Tatort“, aber auch im neuen Film „Fuck ju Göthe II“.
Der Verein geht seit 2008 mit dem Projekt „Störungsmelder on Tour“, gefördert unter anderem vom Bundesjustizministerium, in etwa 25 Schulen pro Jahr, um SchülerInnen die Möglichkeit zu geben, mit bekannten Persönlichkeiten zu diskutieren. Begleitet werden die Vereinsmitarbeiter nämlich jeweils von einem „Promi“ wie eben Tibor Sturm oder Dunja Hayali, Klaas Heufer-Umlauf, Thomas Hitzlsperger oder Sebastian Krumbiegel, die dann mit den Kindern und Jugendlichen über Rechtsextremismus sprechen. Ehe Schauspieler Sturm an diesem Vormittag mit der 6a über das Thema „Rassismus erkennen – Gegenstrategien entwickeln!“ und „Zivilcourage zeigen – Aber wie?“ diskutierte, erzählte er den Kids, quasi zum Aufwärmen, warum er sich gegen Rechts engagiert.
Tibor Sturm stand auf der NSU-Mordopferliste
Der 1976 in Nürnberg geborene Sohn einer deutschen Mutter und eines afrikanischen Vaters wurde im Dezember 2005 in seiner Heimatstadt auf dem Heimweg von einer Party von sechs Rechtsradikalen angepöbelt und verfolgt. Nach aussichtslosem Fluchtversuch stellte er sich ihnen. Während die Männer auf ihn einschlugen, trifft Tibor Sturm, kampfsporterprobt, einen der Angreifer mit einem herumliegenden Zaunpfahl schwer am Kopf. Dafür wurde er 2008 wegen übersteigerter Selbstverteidigung, „exzessiver Notwehr“, zu sieben Monaten Haft verurteilt. Seine Angreifer dagegen wurden allesamt freigesprochen. Als er seine Haftstrafe verbüßt hatte, erhielt er Morddrohungen, so dass er mit nur einer Tasche gen Berlin ging, wo er seitdem unbehelligt leben kann. All diese Erlebnisse bestärkten ihn darin, aktiv gegen Rechts zu arbeiten. 2013 erfuhr er, dass auch er auf der Liste möglicher NSU-Opfer gestanden hatte.
Die Kinder zeigten sich sehr beeindruckt von der Geschichte und fanden es voll ungerecht, dass Tibor Sturm ins Gefängnis musste, während die eigentlichen Täter ungestraft davonkamen.
In Rollenspielen brenzlige Situationen lösen
Anschließend durften die Kinder Theater spielen: Sie stellten engagiert, aufgeteilt in vier Gruppen, verschiedene brenzlige Situationen nach: Szenen, in denen jemand bedrängt und geschupst, wegen seiner Kleidung auf einer Party angepöbelt und gemobbt oder ein Rollstuhlfahrer gar attackiert wird. Dazu sollten sie jeweils zwei Konfliktlösungen erarbeiten, die sie selbst aber nicht in Gefahr bringen. Dass jemand beleidigt und beschimpft wird – das haben die Kinder selbst schon erlebt. An ihrer alten Grundschule seien viele Ausländer gewesen, berichtete beispielsweise ein Mädchen, und die seien immer wieder von den Deutschen beschimpft worden.
Tipps von Tibor Sturm an alle: Verlasst euch nicht auf andere und spielt auch nicht den Rambo. Wendet euch etwas vom Geschehen ab und ruft die Polizei an. Auch sollten sie immer wieder das Zeugenspiel üben, um der Polizei im Falle eines Falles die Täter genau beschreiben zu können. „Dann bekommen die Täter ihre gerechte Strafe“, so Sturm. Worauf ein Junge prompt entgegnete: „Sie haben ja auch kein Recht bekommen.“ Und Sturm berichtete, dass seinerzeit eine Frau den Überfall mit angesehen habe, dann aber aus Angst weggegangen sei und nur eine schriftliche Aussage machte. Weiterer Tipp von Tibor Sturm bei Beleidigungen: Nicht zurückbeleidigen, weil sich sonst alles nur hochschaukelt, sondern deeskalierend agieren, etwa ein anderes Thema aufgreifen und die Kontrahenten damit ablenken.
Fazit: Die Kinder haben von diesem Projekttag gewiss nicht nur ein Autogramm von Tibor Sturm mit nach Hause genommen!