Man muss bei seinem Spaziergang oder bei einer Radlfahrt nur ein wenig aufmerksam nach links und rechts schauen. Schon bald entdeckt man sie auch heute noch, wenn auch nur in geringerer Zahl als einstmals vor langer Zeit, die herrlich leuchtenden Wildblumen, die vor Jahrzehnten die Getreidefelder, Wegraine und Wiesen in Massen bewuchsen und diese zu einer wahren Augenweide der Betrachter machten.
Die leuchtenden Wildblumen zeigten den Menschen in früherer Zeit optisch den Sommer an. Weniger von dieser Blumenpracht angetan – etwa vom leuchtend roten Klatschmohn (Mohnblume), der blauen Kornblume oder der weißen Margerite mit ihrem leuchtend gelben „Knopf“ in der Blütenmitte – waren und sind die Bauern. In der bäuerlichen Feldwirtschaft wird dieser Blumenschmuck als lästige Standortkonkurrenz (Platz, Nährstoffe und Wasser) zu den „Kulturpflanzen“ abgelehnt und entweder mechanisch oder mit sogenannten Herbiziden bekämpft. Das Ideal sind heute „saubere“ Feldbestände ohne einen konkurrierenden Fremdbestand (ganz „clean“ sind allerdings unsere Felder in der Regel auch heute nicht zu bekommen) . Die heute üblichen Erntemethoden mit hochtechnischem Gerät und großer Tagesleistung setzen zudem möglichst „unkrautfreie“ Feldfruchtbestände voraus. Die Landwirtschaft hat sich halt sehr gewandelt. Anders sieht es bei der „ökologischen“ Bewirtschaftung eines Bauernhofes oder einer Gärtnerei aus. Dort finden Wildpflanzen als Fremdbesatz noch ihren Lebensraum. Allerdings beeinträchtigt diese Konkurrenz, je nach Besatzdichte, zum Teil erheblich die Ernteergebnisse und teilweise auch die Qualität der Kulturpflanzen.
Biotope am Rande der Großbaustelle
Wir haben am Rande der großen Baumaßnahmen zur Errichtung von drei großvolumigen Dückern am Nordwestsammelkanal entlang der Mühlweges zwischen dem Eishüttenweg und der Feldmochinger Straße (in Richtung Oberschleißheim) drei „Biotope“ entdeckt, wo man sie zunächst gar nicht vermuten möchte. Auf der angrenzenden Südseite der Großbaustelle hat man über das gesamte Jahr hinweg an drei Stellen große Mengen Ackerboden zusammengefahren und aufgehäuft, der von der Baustelle abgeräumt werden musste. Nun leuchten diese abgesperrten Erdhügel im feurigen Rot des aufgegangenen Klatschmohns, unterbrochen von weißen Margeriten, prächtigen Distelexemplaren und allerlei seltenen Wildgräsern. Sehenswerte Biotope – wenn auch und zugleich leider nur auf Zeit.
Nun wird mancher Betrachter sich fragen, wo kommt denn nur diese Masse an feuerrot leuchtenden Blumen her, die Hügel wurden doch erst vor wenigen Monaten aufgeschüttet? Denn man kann davon ausgehen, dass auf dem früheren Feld des betreffenden Ackerbodens gewiss seit mehreren Jahrzehnten schon keine
Mohnblumen mehr aufgegangen waren und so prächtig geblüht hatten. Die Ursache dieses Rätsels liegt in der biologischen Besonderheit dieser Pflanze, deren ursprüngliche Herkunft aus dem eurasischen Raum oder aus Nordamerika vermutet wird. Denn diese ein- bis zweijährige Pflanze erzeugt, wie wir wissen, nach der Blüte „Porenkapseln“, sogenannte Mohnkapseln, worin bis zu 5.000 nur rund 1 mm kleine dunkle Samen mit einem hohen Ölgehalt ausreifen. Und diese Samenmassen streut die Pflanze nach der Reife im Umfeld ihres Standortes aus. Ein Teil dieser Samen wird von kleinen Tieren verzehrt, ein Teil geht irgendwie kaputt – aber ein Teil von ihnen verschwindet einfach im Boden, teilweise auch in tieferen Schichten. Dort kann das Samenkorn über Jahrzehnte seine Keimkraft bewahren. Das Samenkorn liegt quasi im „Dauerschlaf“, bis es eines fernen Tages, aus welchen Gründen auch immer, wieder das Tageslicht erreicht. Und schon keimt es aus und lässt eine wunderschöne Mohnblume in voller Pracht erwachen. So erklärt es sich, dass der Klatschmohn heute noch immer wieder am Rande von Baustellen, auf Schuttplätzen oder nach Erdbewegungen in größeren Beständen zu finden ist. Dagegen ist diese schöne Pflanze selbst an Straßenböschungen kaum noch auszumachen.
Vorsicht ist angesagt
Der weiße Milchsaft der Mohnpflanze enthält viele Alkaloide. Unter diesen ist das in größerer Konzentration vorkommende Alkaloid Rhoeadin für Mensch und Tier unverträglich bis giftig. Auch sollten wir nicht den Fehler machen, die Mohnsamen aus den Kapseln in größeren Mengen zu uns zu nehmen. Vor allem Kinder könnten daran erkranken.
Lassen wir es dann doch besser dabei, uns an der Schönheit dieser selten gewordenen Wildblume zu erfreuen, wenn wir das Glück haben, sie in der Natur – oder eben am Rand von Baustellen – in ihrer ganzen Blütenpracht bewundern zu können. Reinhard Krohn