Mit der Gründung und frühen Geschichte von Ludwigsfeld haben sich bereits Heimatforscher wie Volker Laturell beschäftigt und darüber in ihren Schriften berichtet.
1802, das Gründungsjahr der Gemeinde Ludwigsfeld, war in Bayern eine Zeit großer politischer, kirchlicher, kultureller und wirtschaftlicher Veränderungen. Nach dem Tod des Kurfürsten Karl Theodor im Jahre 1799 folgte ihm nur kurze Zeit darauf noch im selben Jahr sein Neffe aus der Wittelsbacher Pfalzgrafschaft Zweibrücken Maximilian IV. Joseph samt Familie und Minister Maximilian de Garnerin, Frhr v. Montgelas auf den kurfürstlichen Hof in München. Die Säkularisation veränderte im Lande hierarchische Strukturen und förderte eine aufgeklärtere Geisteshaltung in weiten Bevölkerungsschichten. Den neuen bayerischen Kurfürst drängte es, gestützt durch seinen von der französischen Revolution geprägten Minister, sein neues Reich vom alten Mief zu befreien und es mit einem Neubeginn zu Fortschritt und Prosperität zu führen.
Die Geschichte Ludwigsfelds beginnt um 1800
Eine der zahlreichen frühen „Baustellen“ im Kurfürstentum waren die Entwicklung und Förderung des Bauerntums hin zu mehr Produktivität und die Mehrung landwirtschaftlicher Produktionsflächen, ganz besonders nahe der größeren und großen Städte. So lag es nahe, diese Zielvorgabe auch in den nördlichen Regionen Münchens umzusetzen. Im Gebiet zwischen München und Dachau lagen große moorige Flächen brach, die sich bis dato allenfalls für die Jagd und den Torfstich geeignet hatten. Hier entwickelte der Kurfürst mit seinen Beratern ein großes Kultivierungskonzept. Danach sollten neue, kleinere Dörfer entstehen und mittellose Menschen aus anderen Regionen als erste Kolonisten „angeworben“ werden. Möglich wurde dieses Vorhaben erst mit einem Dekret zur Freizügigkeit innerhalb Bayerns „zwecks Ansässigmachung“ vom 10. November 1800. Nur ein beziehungsweise zwei Jahre danach wurden die ersten Siedlungen gegründet: Augustenfeld, Karlsfeld und Ludwigsfeld, genannt nach den Namen der drei Kinder des Kurfürsten und seiner Frau Caroline. Der Namensgeber von Ludwigsfeld, Kronprinz Ludwig, folgte seinem Vater Maximilian Joseph, seit 1806 König von Bayern und (anders als sein Vorgänger Karl Theodor) geliebter Landesvater, nach dessen Tod im Jahr 1825 als junger König Ludwig I. v. Bayern auf den Thron.
Die ersten Siedler dieser drei neuen Kolonien starteten in ein hartes und entbehrungsreiches Dasein. Zwar erhielten sie eine kleine Behausung, Acker- und Grünflächen sowie Saatgut für die ersten Aussaaten als Startgrundlagen kostenlos zugeteilt, aber es bedurfte zunächst größerer Kultivierungsarbeiten auf allen Flächen, um überhaupt erste sichere Ernten einzubringen. Die Grundsteine für das erste Siedlergebäude und für ein Schulhaus wurden am 16. März 1802 in Anwesenheit des kurfürstlichen Ministers Maximilian Graf v. Montgelas (er war 1810 in den Grafenstand erhoben worden) gelegt. Das Schulhaus mit der Haus-Nr. 5 ließ Graf v. Montgelas bereits im Vorgriff auf seine Verordnung zum allgemeinen Schulzwang in Bayern errichten. Diese trat am 23. Dezember 1802 in Kraft.
Aus den folgenden Jahrzehnten sind viele Details überliefert und niedergeschrieben worden. Wir wollen jedoch einen Zeitraum von rund 90 Jahren überspringen und fahren fort mit der Zeit um 1890, in der in Ludwigsfeld ein neuer Abschnitt begann.
Am Anfang des Gestüts steht Maximilian v. Lutz
Ab diesem Jahr 1890 begann ein Oberst Maximilian v. Lutz (sein kompletter Name war Maximilian Josef Karl Johann v. Lutz) in Ludwigsfeld damit, nacheinander insgesamt neun Anwesen aufzukaufen, darunter auch das Schulhaus mit der Nummer 5. Die Häuser lagen alle aufgereiht an der damaligen Dachauer Str., die heute Auf den Schrederwiesen heißt. Dass ihm dieser Aufkauf eines Teils von Ludwigsfeld gelang, deutet darauf hin, dass er großen Einfluss bei der übermächtigen Obrigkeit hatte.
Damit schuf Maximilian v. Lutz die Grundlage für sein Vorhaben, in Ludwigsfeld ein Vollblutgestüt (siehe Kasten) zu errichten. Dieser im Jahre 1840 in Germersheim geborene adelige Oberst aus München war zu der Zeit ein sehr wohlhabender Mann. Zu seinem umfangreichen Grundbesitz gehörten in Moosach das Gut Nederling sowie weitere Anwesen. Allein in Neuhausen, wo ihm das Bürgerrecht erteilt worden war, besaß v. Lutz 28 Mietshäuser in der Jagd-, Nymphenburger-, Winthir-, Lori-, Volkart-, Fundsberg-, Ysenburg-, Albrecht- und Artilleriestr. Dazu kamen noch 12 Häuser in der Leonrodstr., wie Franz Schröthner in den Neuhauser Werkstatt-Nachrichten zu berichten weiß.
Der Vater von Oberst v. Lutz, der königlich bayerische Forstmeister Friedrich August Lutz (1805 – 1889), war 1875 während der Zeit der Regentschaft von Ludwig II. in den Adelsstand erhoben worden. Im Jahre 1866 heiratete sein 26-jährige Sohn Maximilian, ein aufstrebender Offizier in einem Artillerieregiment, die 23-jährige Karoline Emilie Elisabeth Freiin v. Waldenfels. Der Ehe entsprangen sieben Töchter und drei Söhne.
Maximilian v. Lutz nahm an den Feldzügen von 1866 und 1870/71 teil. Im Jahre 1889 (unter Prinzregent Luitpold, 1886 – 1912) wurde er Oberst und Kommandeur des kgl. bay. 1. Feld-Artillerie-Regiments „Prinzregent Luitpold“, das in der Max-II-Kaserne stationiert war. Schon ein Jahr später, am 21. November 1890, wurde Maximilian v. Lutz im Alter von nur 50 Jahren in den Ruhestand verabschiedet.
Nun, was konnte einem noch so jugendlichen und vermögenden adeligen Ruheständler anderes einfallen, als sich ein in der Nähe gelegenes Gestüt zuzulegen. Ob dieser Entschluss gesellschaftlichen Zwängen oder der Liebe zu edlen Pferden geschuldet war, ist nicht überliefert. Jedenfalls ging der Oberst i. R. sein Vorhaben beherzt an. Die erworbenen Ländereien wurden zusammengelegt und man begann unverzüglich mit dem Bau der Stallungen und Betriebsgebäude neben der damaligen Dachauer Str. Schon 1890 standen 80 Pferde in den neuen Boxen. Das Vollblutgestüt hatte zu arbeiten begonnen.
Sein Herrenhaus (die „Lutz-Villa“) mit einem aufragenden und für Ludwigsfeld markanten Uhrenturm errichtete sich der Oberst i. R. im Jahre 1892 gegenüber dem Gestüt. Daneben wurde ein Weiher angelegt, ganz wie es damals üblich war. Von der ursprünglichen Villa existiert eine kolorierte Postkarte aus dem Jahre 1898, die der Architekt Georg Loder gemalt haben soll. Die Karte stammt aus dem Fundus des Sammlers Adolf Kugler.
Die Ära des Oberst v. Lutz dauerte in Ludwigsfeld nur kurze 17 Jahre. Im Jahr 1907 war der Oberst i. R. bereits in derart großen finanziellen Schwierigkeiten, dass er sich von einem großen Teil seiner Besitzungen trennen musste. Es heißt, er habe sich verspekuliert. Womit, ist nicht überliefert. Es ist nicht ausgeschlossen, dass das Vollblutgestüt Ludwigsfeld daran nicht ganz unbeteiligt war. Denn das Züchten von Vollblutpferden wurde im internationalen Konkurrenzkampf immer anspruchsvoller, teurer und riskanter. Der Galopprennsport hatte mit dem Spring- und Dressursport wie mit dem Trabersport, auch in den höheren gesellschaftlichen Kreisen, starke Konkurrenz bekommen. Wer mit der anspruchsvollen Vollblutzucht nicht mithalten und wer nicht gelegentlich ein Vollblutpferd zu horrenden Preisen verkaufen konnte, blieb auf der Strecke.
So musste sich v. Lutz neben dem Gestüt Ludwigsfeld und dem Gut Nederling in Moosach auch von dem größten Teil seines Neuhauser Grundbesitzes trennen. Seine letzten sieben Lebensjahre verbrachte v. Lutz auf seinem ihm seit 1897 gehörenden Schloss Reimlingen bei Nördlingen. Er verstarb am 26. Juli 1914 im Alter von 75 Jahren in Bayreuth. Das ziemlich heruntergekommene Gestüt Ludwigsfeld ging nur kurze Zeit an eine Familie Neuhöfer und einen Herr Lorstein über. Zu beiden Besitzern ist nichts Näheres überliefert. 1914 kehrten mit dem neuen Besitzer, Dr. Alfred Wolff, eine neue Zeit und bessere Zukunft in Ludwigsfeld ein.
Mit Dr. Wolff geht’s aufwärts
Der Münchner Bankier und Direktor der Deutschen Bank München, Dr.
Alfred Wolff kaufte das Gestüt Ludwigsfeld in einer politisch unruhigen, vom Krieg bereits gezeichneten Zeit, ohne recht zu wissen, was er damit anfangen sollte, wie er später selbst zugab. Denn, so soll er einmal gesagt haben, von Pferden und Landwirtschaft habe er so gut wie nichts verstanden.
In der Zeit des schwindenden Einflusses der Wittelsbacher Herrscherdynastie in Bayern – das begann etwa mit der Reichsgründung nach dem Sieg über Frankreich im Jahr 1871 –, aber auch schon davor, hatte im Deutschen Reich ein ungeheurer gesellschaftlicher wie wirtschaftlicher Um- und Aufbruch begonnen. Die großen Adelsfamilien verloren an gesellschaftlichem und wirtschaftlichem Einfluss. Mit der Industrialisierung und der Zunahme des Wohlstands in bürgerlichen Zirkeln wie auch in der Geldaristokratie und mit der gleichzeitigen Verarmung der Arbeiterseite andererseits veränderte sich die Vorstellung bei den „Habenden“, dem nun genannten „Geldadel“, den Kapitalisten, wie man seinen Wohlstand leben und ihn der Öffentlichkeit zeigen sollte. Die Moderne griff um sich.
Mit Beginn des 1. Weltkriegs im August 1914 brach wieder eine neue Zeit an, die 1918 ihren Höhepunkt erreichte und sich dramatisch in Revolution, Hyperinflation und Weimarer Republik fortsetzte. Die meisten Menschen hatten allerdings noch im ersten Kriegsjahr ihre nahe Zukunft nicht erahnt. In diesen Jahren legte der 51-jährige Bankier Dr. Alfred Wolff in weiser Voraussicht sein Geld in einem leicht herunter gekommenen, ungenutzten Gestüt mit leeren Stallungen am Rande von München an. Er ahnte wohl, was auf das Land zukommen würde. Das Bargeld erschien ihm immer riskanter, Immobilienwerte waren ihm sicherer. Eine Parallele zu heute?
Die Hintergründe der Familie Wolff
Über die Familie Wolff ist dem Autor dieses Berichtes nicht viel bekannt. Doch eine Ludwigsfelder Zeitzeugin trug einiges vom Hörensagen und aus eigenen Erinnerungen bei. Demnach kam Dr. Wolff aus Karlsruhe, wo er einer wohlhabenden Familie entstammte. Sein Vater war Apotheker (Apotheke Wolff & Sohn) und hatte das damals sehr populäre
Hautkosmetikum Kaloderma Gel entwickelt und herausgebracht.
Bei einem Bankhaus im Rheinländischen Elberfeld (heute zu Wuppertal gehörend) erlernte der promovierte Jurist Alfred Wolff die Bankgeschäfte mit Geld, Kapital, internationalen Beziehungen und dem Wertpapierhandel an der Börse. Und dort lernte der gut 30-Jährige auch seine spätere Frau Johanna Josten, die Tochter des dortigen Bankdirektors, kennen. Alfred Wolff soll, wie es überliefert ist, seine Johanna, der man nachsagte, das schönste Mädel von Elberfeld gewesen zu sein, im jugendlichen Alter von nur 18 Jahren geheiratet haben.
Das junge Paar zog nach München, wo Alfred Wolff bei der 1892 in München gegründeten Filiale der Deutschen Bank (die DB wurde 1870 in Berlin aus der Taufe gehoben) eine steile Karriere machte und es bis zum Bankdirektor brachte. Dr. Wolff soll in den ersten Jahren seines Amtes in München so häufig zur Börse nach Berlin gefahren sei, dass er, wie er einmal sagte, mindestens ein Lebensjahr in einem Bahnwaggon (oder Schlafwagen) verbracht habe.
Familie Josten: Weitreichende Verbindungen
Die Familie Josten pflegte in Elberfeld ein reges Gesellschaftsleben. Die verwandtschaftlichen und befreundeten Verbindungen reichten bis zur Familie Morgenthau in den USA („Morgenthau-Plan“), zur Familie der Grafen zu Castell-Rüdenhausen, zu Größen aus der Kunstszene und weiteren illustren Menschen. Diese Verbindungen pflegte Johanna Wolff in ihrer Münchner Zeit intensiv weiter. Sie verkehrte beispielsweise im Umfeld der „Blauen Reiter“ (Wassily Kandinsky und Franz Marc), auch nach deren Auflösung im Jahr 1914. Sie war mit dem nicht nur in München bekannten Maler Franz v. Stuck und dessen Familie befreundet, der sie auch porträtierte. Eine engere Freundschaft bestand mit der Familie des ebenso bedeutenden Malers Adolf Erbslöh. In der schlechten Zeit gegen Ende des 2. Weltkriegs lebten die Wolffs eine Zeit lang bei der Familie Erbslöh auf deren Anwesen in der Nähe von Schäftlarn an der Isar. Eine weitere enge Freundschaft bestand zum damaligen Direktor Schülein und dessen Familie von der Löwenbrauerei.
Das Ehepaar Alfred und Johanna Wolff hatte zwei Kinder: die am 9. Juli 1900 geborene Marcelle (gest. 18. Februar 1996) und der am 23. Juli 1910 geborene Christian (gest. 7. März 1976).
Die Familie Wolff wohnte nicht dauernd in Ludwigsfeld, sondern in ihrer Münchner Mietwohnung. In einer Mietwohnung, so wird Dr. Wolff noch heute zitiert, brauche man sich um nichts zu kümmern, man brauche keinen Gärtner und keinen Hausmeister, nur das Personal für die Wohnung. Im Ludwigfelder Herrenhaus, der alten Lutz-Villa mit dem markanten Uhrenturm von 1892, wohnten die Wolffs nur gelegentlich oder wenn sie ihre teilweise recht hoch gestellten Gäste für das Gestüt empfingen. Ansonsten wohnten sie zuerst in der Widenmayerstr. an der Isar. Später bezogen sie eine größere, komfortable Wohnung an der Arcisstr. beim Königsplatz. Als das Haus einem Bauvorhaben Hitlers weichen musste, zogen die Wolffs ein weiteres Mal um in die nahe Richard-Wagner-Str. am Königsplatz. Dort bewohnte die Familie Wolff, wie sich die Ludwigsfelder Zeitzeugin erinnert, eine große Wohnung im ersten Stock. Im Erdgeschoss und über ihnen befand sich eine kleine Entbindungsklinik (es dürfte sich dabei um die Privatklinik Dr. Haas in Haus Nr. 19 gehandelt haben). Familiäre oder sonstige Verbindungen (Haus Nr. 7 etwa gehörte der Familie Schülein) sollen zu diesem Konstrukt geführt haben. In dieser Wohnung verstarb Dr. Alfred Wolff am 18. März 1959. Seine Frau Johanna war bereits elf Jahre zuvor mit nur 67 Jahren am 31. Mai 1948 gestorben. Die Grabstätte des Ehepaars und deren am 18. Februar 1996 verstorbene Tochter Marcelle befindet sich auf dem städtischen Friedhof Feldmoching.
Gestüt & Gut entwickeln sich sehr vorteilhaft
Wie erwähnt, verstand der Bankier von Pferden und der Landwirtschaft wenig. Dennoch blühten das Gestüt, das dazugehörige Gut (der 12er-Hof) und die Gaststätte „Zur Lüfte“ in seinem Besitz auf und machten die aufstrebende Gemeinde Ludwigsfeld weit über den Umkreis von München hinaus bekannt. Wolff verstand es, gute Fachleute um sich zu scharen und diese ihre Arbeit machen zu lassen. Die wichtigsten seiner engsten Vertrauten waren die Gestüts- und Gutsverwalter.
Der erste Verwalter war Martin Hetzel. Er verstarb am 1. August 1923 mit 58 Jahren. Ihm folgte im selben Jahr der erst 33-jährige Josef Steinberger aus Deisenfeld in der Hallertau. Josef Steinberger war seit 1917 mit der 1891 in der Au in München geborenen Berta Nerz verheiratet. Eigentlich war er gelernter Biermälzer. Doch er kam aus einem landwirtschaftlichen Betrieb und kannte sich daher gut aus. Noch heute sagt man Josef Steinberger nach, eine starke Führungspersönlichkeit gewesen zu sein. Er verwaltete Gestüt und Gut von 1923 bis 1946 und von 1946 bis 1960 das Gut allein und führte beides zu erfolgreichen Betrieben. Ein Jahr nach dem Tod von Dr. Wolff setzte er sich zur Ruhe und verstarb 1977 mit 87 Jahren. Ihm folgte als letzter Gutsverwalter Josef Böckl. Die Familie Böckl kam aus Schrobenhausen.
1946 übernahm Sohn Christian die alleinige Verwaltung des Gestüts. Allerdings, so sagt man in Ludwigsfeld, hatte er dabei eher kein glückliches Händchen. Die Zucht edler Sportpferde muss man halt können und man darf dabei die Risiken nicht übersehen. Auch lief zu dieser Zeit das Trabergeschäft längst nicht mehr so gut.
Doch zurück zu Dr. Wolff: Gegenüber seinem Stammpersonal wie auch den Saisonarbeitern und den bei ihm in den letzten Kriegsjahren arbeitsverpflichteten kriegsgefangenen Franzosen verhielt er sich, wie sich Zeitzeugen gern erinnern, stets sozial verantwortlich. Die persönlichen Verbindungen zwischen Ludwigsfeld und Frankreich hielten sogar bis zum Tod von Wolff. Dessen Fürsorge für „seine“ Leute ging übrigens so weit, dass er für sein Stammpersonal extra eine Bestattungsfläche auf dem Feldmochinger Friedhof kaufte. Heute existiert sie nicht mehr.
Das Gestüt: Vitruv heißt der erfolgreichste Traber
Zum Wolff`schen Anwesen in Ludwigsfeld und den benachbarten Münchner Stadtteilen gehörten insgesamt rund 700 Tgw. Grund. Davon waren direkt am Gestüt 85 Tgw. eingezäunte Weiden und Koppeln.
In einer alten Zeitungsreportage aus den frühen 1930er-Jahren wird berichtet, dass ein befreundeter Schauspieler und Anhänger des Trabrennsports gleich anfangs seinem Freund Wolff den guten Rat gab, nicht wieder mit der Vollblutzucht zu beginnen, sondern Traberpferde zu züchten. Der Galoppsport sei rückläufig. Dagegen begeisterten sich nun die meisten Anhänger des Pferdesports in Bayern für den Trabrennsport und es gebe bereits Trabrennstrecken wie die 1902 in München-Daglfing neu geschaffene Trabrennbahn. Dr. Wolff soll den Vorschlag seines Freundes dankbar angenommen haben. Und er lag damit richtig.
Erste gute (und sicher sehr teure) Mutterstuten wurden erstanden und in Ludwigsfeld eingestellt. Im Gestüt standen im Schnitt zwei bis drei dieser wertvollen Mutterstuten für die Zucht. Damit begann in diesem kleinen Ort nahe München unter den Gestütsfarben „Weiß-Grün“ eine zweite Ära der Zucht edler Pferde, und zwar mit größtem Erfolg, der weit ins europäische Ausland ausstrahlte.
Der größte züchterische Glücksfall erblickte 1928 das Licht der Welt: der
Traberhengst Vitruv. In Vitruv kamen Intelligenz, Schnelligkeit und Ausdauer so glücklich zusammen, dass er über Jahre hinweg den Ruf hatte, der beste und erfolgreichste Traber ganz Bayerns und zeitweise ganz Deutschlands zu sein. Kein bayerisches Sportpferd hatte jemals so viele Siege in Bayern und nördlich seiner Grenzen erzielt wie Vitruv. Dieses Ausnahmepferd aus Ludwigsfeld verstarb im Jahre 1954 im Alter von 26 Jahren. Aufgrund seiner Berühmtheit erteilte die Regierung von Oberbayern Dr. Wolff dann die Ausnahmegenehmigung, seinen Vitruv auf dem Gelände des Gestüts beizusetzen. Noch heute weist ein großer Gedenkstein auf die Grabstätte hin.
Weder die Eltern von Vitruv, Johannes und Vicenska, noch seine Geschwister erreichten je die Leistung von Vitruv. Und leider vererbte Vitruv seine Fähigkeiten auch nicht. Wenngleich seine Laufleistung von 1:24,5 (im Training streckenweise bis zu 1:15!) kein anderes Pferd aus Ludwigsfeld (und in Deutschland) erreichte, so errangen andere Traber aus dem Stall Ludwigsfeld dennoch auch Rekorde und Siege.
Vitruv und seine Spitzenleistungen
Die Traber aus Ludwigsfeld starteten zunächst auf bayerischen Rennbahnen und siegten wiederholt beim „Bayerischen Derby“, einem bayerischen Zuchtrennen. Doch auf den bedeutenden deutschen Rennbahnen war die Konkurrenz groß, noch größer war sie auf den Bahnen der europäischen Metropolen. Wer kannte dort das Trabergestüt Ludwigsfeld?
Also mussten erst herausragende Siege in Bayern her, dann folgten Starts in Hamburg, Berlin … Traber aus Ludwigsfeld nahmen beispielsweise erfolgreich beim „Altonaer Sommerpreis“ von Hamburg teil. Ein Höhepunkt war gewiss der Sieg von Vitruv im „Großen Preis der Republik“ 1927. Der preußische Landwirtschaftsminister Heinrich
Steiger persönlich überreichte dem stolzen Züchter des Republik-Preis-Siegers den Ehrenpreis. Die Spitzenleistungen von Vitruv und weiterer Pferde aus Ludwigsfeld lenkten nun auch die Blicke der Traberszene jenseits der deutschen Grenzen auf das kleines Gestüt nahe München. Nun wollten auch die Veranstalter der internationalen Rennzentren in Paris, London und Mailand („Premio L `Europa“) die erfolgreichen Traber aus Bayern, insbesondere aber den berühmten Siegerhengst Vitruv an ihren Startlinien haben.
Eine kleine Episode: Bei einem internationalen Rennen auf der Trabrennbahn „Hippodrome Bois de Vincennes“ zu Paris erlief Vitruv „nur“ den zweiten Preis, weil in der Bahn, als eine Besonderheit, ein kleiner Hügel war. Derartiges kannte Vitruv nicht: Irritiert drosselte er kurz das Tempo.
Zuchtstuten für Siegerpferde
In den Boxen des Gestüts standen zur damaligen Zeit erstklassige Mutterstuten, die die Grundlage für Sieger bildeten. Um nur einige aus den 1930er-Jahren zu nennen: neben der Vitruv-Mutter Vikuska die Zuchtstuten Johilda, Berylonga und Pagode. Und im Rennstall standen die Töchter der Vitruv-Mutter Vikuska, Viola und Viktoria Regia, daneben Walthari, Waldbua, Norda sowie Syrius, der Sohn des erfolgreichen Bagdan.
Neben den gestütseigenen Zucht- und Rennpferden waren stets noch 15 bis 20 fremde Pensionspferde im Gestüt. In der Regel waren dies jedoch Reitpferde. Und so veranstaltete das Gestüt oder eine ihm nahe stehende Organisation beziehungsweise ein Verein schon in den 1930er-Jahren und dann wieder von 1945 bis 1977 immer wieder in Ludwigsfeld Reitturniere.
Nach dem Ende des 2. Weltkriegs standen in Ludwigsfeld übrigens eine Zeit lang ein paar Trakehner-Pferde, die heimatvertriebene Ostpreußen untergestellt hatten. Diese konnten jedoch züchterisch nicht genutzt werden.
Ohne kompetente und im Umgang mit Zucht- und Rennpferden erfahrene Mitarbeiter hätte Bankdirektor Alfred Wolff diese Erfolge nie erzielen können. Der Gestüts- und Gutsverwalter Josef Steinberger, der erfahrene und einfühlsame Trainer Carl Weidmüller sowie einige Pferdepfleger wie Josef Fliegerbauer, Wastl Dainer und Hans Staimer setzten ihre ganze Kraft ein, um die ihnen anvertrauten Zucht- und Rennpferde zu herausragenden Erfolgen zu führen.
Internationale Starts waren ein logistisches Unterfangen
Der Start von Vitruv oder eines anderen talentierten Trabers in Hamburg, Berlin oder Paris war für den Gestütsbesitzer Wolff, seine Familie und für alle Mitarbeiter immer wieder eine logistische Herausforderung. Alles begann mit der Erfüllung veterinärpolizeilicher Vorschriften. Erst dann kam die Startzusage für das Pferd. Transportiert wurde das wertvolle Tier in einem eigens eingerichteten Waggon der Reichsbahn mit genügend Platz für Pferd und eine kleine Schlafkoje für den begleitenden Pferdepfleger. Mitgeführt werden mussten für bis zu zwei Reisetage Einstreustroh, das Futter, bestes Heu aus Luzerneklee und Kleegras, Hafer mit Strohhäcksel, eventuell auch Saftfutter und reichlich Trinkwasser. Dazu der Sulky (und ein Reserve-Sulky beziehungsweise entsprechende Ersatzteile), Decken, Spanngeschirre (mit Reserven), Putz- und Pflegezeug für Fell, Schweif und Mähne sowie für die Hufe … Ferner musste der Begleiter verpflegt werden. Darüber hinaus war die tierärztliche Betreuung am Rennort zu organisieren.
Zu großen Rennen war das Startpferd aus Ludwigsfeld von einem ganzen Personentross umgeben: das Ehepaar Wolff (mit und ohne Kinder), den Gestütsverwalter Josef Steinberger, den Trainer Carl Weidmüller, der bei großen Rennen den Traber auch fuhr (gelegentlich aber auch Hans Stegmeier), Pferdepfleger Josef Fliegerbauer und nicht selten engere Freunde der Familie Wolff. Wer wollte nicht dabei sein, wenn Vitruv oder ein anderes Pferd aus Ludwigsfeld siegte! Die Siegprämien, besonders bei großen internationalen Rennen, sollen ja beträchtlich gewesen sein – die Unkosten aber auch! Letztlich mussten Gestüt und Gutshof die Kosten gemeinsam erwirtschaften.
Apropos tierärztlichen Betreuung: Die allgemeine Bestandsbetreuung oblag viele Jahre lang dem Tierarzt Dr. Schiffmann aus Moosach. Für die gynäkologische Betreuung der Tiere jedoch hatten Dr. Wolff und Josef Steinberger die Spezialisten Prof. Abelus und Prof. Westhus von der Tierärztlichen Universität München verpflichtet. Von der Münchner Universität kam regelmäßig auch ein Hufschmied nach Ludwigsfeld.
Vitruv: Der Name kommt aus dem Lateinischen
Der Name des Ludwigsfelder Siegerhengstes Vitruv war nicht etwa ein Kunstwort. Vitruv war der Name eines Architekten, Ingenieurs und Architekturtheoretikers im antiken Rom des 1. Jahrhunderts v. Chr. Sein vollständiger Name war Marcus Vitruvius Pollio. Mit seinem Werk der „Zehn Bücher der Architektur“ („De architectura libri decem“) schuf er vor gut 2.000 Jahren die Grundlage der Architekturtheorie der Neuzeit.
Ein zweites Standbein muss her
Mitte bis Ende der 1920er-Jahre wurde der Zucht- und Rennbetrieb für einige Jahre heruntergefahren. Denn der Betrieb sollte mit dem Ausbau der landwirtschaftlichen Nutzung auf ein zweites Wirtschaftsbein gestellt werden. Besitzer Wolff und Verwalter Steinberger richteten ab 1928 einen großen Abmelkbetrieb ein. Dafür mussten Teile der Pferdeboxen abgebaut und Aufstallungen mit Melkeinrichtungen für insgesamt 80 Milchkühe geschaffen werden. Das landwirtschaftliche Gut richtete sich auf seinen neuen Schwerpunkt Feldfutterbau ein und in dem zum Wolff`schen Besitz gehörende Gebäude der Gaststätte „Zur Lüfte“ entstand im Jahr 1927 aus der ehemals kleinen Tafernwirtschaft ein
größerer und modernerer Komplex mit einer Molkereieinrichtung unter der Regie der Molkerei Joh. Losch aus Moosach. Dieser vergleichsweise kleine Betrieb besaß immerhin die erste mechanische Kühlung für die Milch im weiteren Umkreis! Oberschweizer (Melker) Wagner und seine drei Mitarbeiter wohnten im alten Ludwigsfelder Schulhaus.
Doch die Konzentration bei der Erfassung der Rohmilch und deren Verarbeitung, die im Rahmen der Autarkiebestrebungen Deutschlands während der Nazizeit spezialisierte Großbetriebe entstehen ließ, konnten dem neuen und zu kleinen Wirtschaftsbetrieb in Ludwigsfeld keine wirkliche Zukunft sichern. Darher endete die Milchwirtschaft bereits Mitte der 1930er-Jahre.
Nach dem Rückbau der Milchkuhaufstallungen mit Nebenräumen baute die Gestütsverwaltung den leer gewordenen Gebäudekomplex zu einer Longierhalle um. Nun wurden Jungpferde (teils mit musikalischer Berieselung zur Gewöhnung an das spätere Rennumfeld) an der Longe für ihre späteren Einsätze trainiert. Sie wurden an die Trense gewöhnt und erlernten neben einem sauberen und sicheren Trabgang die verschiedenen Kommandos, die während eines Rennens notwendig sind.
Der Wolff`sche Gutsbetrieb in Ludwigsfeld
Das landwirtschaftliche Gut befand sich auf dem Areal mit der ursprünglichen Hausnr. 12 an der alten Dachauer Str. Daraus leitete sich auch der Gutsname „12er Hof“ ab. Verwaltet wurde das Gut von 1923 bis 1960, als er aus Altersgründen ausschied, von Josef Steinberger.
Nach umfangreichen Kultivierungsarbeiten zur weiteren Verbesserung der Bodenfruchtbarkeit, insbesondere durch die Ertüchtigung der Entwässerungssysteme wie die Tieferlegung von Bächen (Schwabenbächl) und die Anlage von Entwässerungsgräben zu Vorflutern, vor und weit nach der Jahrhundertwende bis in die 1930er-Jahre hinein konnten auf den um den Gutshof herum liegenden insgesamt 200 Tagwerk Ackerflächen Weizen, Kartoffeln, Winterroggen, Gerste und Hafer wie auch hochwertige Futterpflanzen (Luzerne- und Kleegras) für die Pferde angebaut werden. Doch schon in den 1930er-Jahren machte der Kartoffelanbau etwa die Hälfte der Gesamtfläche aus, wovon ein Teil zur Saatgutvermehrung für die BayWa, die Bayerische Warenvermittlung AG, in Dachau bestimmt war. Einen großen Teil der Speisekartoffeln lieferte das Gut, wie viel andere Bauern auch, aber direkt an die privaten Verbraucher „von Haus zu Haus“, der Rest ging an Großhändler. Auch Getreide wurde teilweise zur Saatgutvermehrung angebaut. Zeitweise wurde die Fruchtfolge mit dem Anbau von Hanf ergänzt. Den Hanf lieferte das Gut als Rohstoff für die Naturfasergewinnung zum Herstellen von Gewebetuch an die Röste in Schrobenhausen. Für all diese Arbeiten wurde sehr viel Personal, meist Tagelöhner, während der Kriegsjahre aber auch kriegsgefangene Franzosen, benötigt.
Maschinen für eine höhere Produktivität
Nach dem Ende des Abmelkbetriebs auf dem Gestüt wurde nun der
Gutsbetrieb modernisiert und zu einer höheren Produktivität geführt. Eine Flotte von vier Traktoren Marke Hanomag mit Eisenrädern sollten dafür die Grundlage legen. Die Traktoren wurden nicht etwa von „Fahrern“ bedient, sondern von stolzen „Maschinenmeistern“ – ein jeder hatte „seinen“ Traktor. Zugleich kam der erst Mähbinder für die schnellere und verlustärmere Getreideernte auf den Hof.
Die Fruchtfolge auf den Äckern wurde nun um Feldgemüse wie Blumenkohl, Kohlrabi, Kraut sowie Gelbe Rüben (teilweise auch für die Pferde) ergänzt. Die Anzuchtpflänzchen für den Gemüsebau bezog das Gut von der Ludwigsfelder Gärtnerei Schneider (heute Evers) und von weiteren kleineren Gärtnern. Verkauft wurde das Gemüse an Großhändler. Der Gemüsebau dürfte sehr erfolgreich betrieben worden sein, denn Verwalter Josef Steinberger persönlich reiste nach Berlin, um dort den 1. Preis für seinen Feldgemüsebau in Ludwigsfeld entgegenzunehmen. Das Gut hatte an einem deutschlandweiten Wettbewerb teilgenommen.
Die Eigentumsjagd von Dr. Wolff
Zum Wolff`schen Besitz in Ludwigsfeld gehörte auch ein eigenes Jagdrevier. Auch die Jagdaufsicht im Revier oblag dem Verwalter Josef Steinberger, der ebenfalls Jäger war. An der Straße Auf den Schrederwiesen steht mit der Nummer 33 noch heute ein altes Försterhaus (nicht Jägerhaus!) mit einem Geweih am Giebel. Es gehörte aber nicht zum Wolff`schen Besitz, sondern zum Forstamt München-Nord. Forstwart Ludwig Wagner betreute ab 1938 von hier aus das Revier Ludwigsfeld, den Allacher Forst und nach Osten hin das Revier bis zum Schwarzhölzl.
Allein die private Jagd von Dr. Wolff zog zahlreiche Prominente und Geschäftsfreunde nach Ludwigsfeld, insbesondere zu den heiß geliebten Treibjagden gaben sich viele gerne ein Stelldichein.
Über Jahre hinweg gehörten zur illustren Jagdgesellschaft Persönlichkeiten wie Levin Freiherr von Gumppenberg von der Bayerischen Schlösser- und Seenverwaltung, Forstwart Ludwig Wagner, etliche Ministerialbeamte und weitere „Großkopferte“, aber auch Ludwigsfelder mit Jagdschein. Fotos von damals dokumentieren, dass die erlegten Strecken an Rehen, Hasen, Füchsen und Fasanen doch beträchtlich waren. Vor dem Krieg konnte man im Revier mit Glück sogar Birkhähne beobachten.
Zum traditionellen Jagdessen mit rund 20 Jägern und 15 bis 20 Treibern (alle aus Ludwigsfeld!) lud alljährlich der zuständige Jagdaufseher Josef Steinberger privat in sein Haus ein, das dann voll „gefüllt“ war und die ganze Familie auf Trab hielt. Zu Mittag wurden größere Mengen Wildsuppe in großen Behältnissen ins Revier gefahren und für das Jagdessen am Abend gingen mindestens ein Reh und etliche Hasen „drauf“.
Dem Gestüt droht weiteres Ungemach
Staat und Deutsche Reichsbahn hatten in den 1930ern beschlossen, im nördlichen München einen zentralen Rangierbahnhof zu errichten. Opfer dieses Beschlusses wurde in großem Ausmaß der Wolff`sche Besitz in Ludwigsfeld. Die damalige (Un-)Rechtslage erlaubte es der Reichsbahn, sich für ihr Vorhaben den halben Wolff’schen Flächenbesitz in Ludwigsfeld einzuverleiben, und das ohne Vertrag und ohne jegliche Vereinbarung auf Entschädigung! Von den ursprünglich 728 Tgw. zweigte sich die Reichsbahn 360 Tgw. ab. Als der Rangierbahnhof zwischen 1988 und 1991 tatsächlich gebaut wurde, musste das Gut übrigens noch eine Fläche hergeben. Eine gerechte Entschädigung für die Verluste erhielt weder Alfred Wolff oder dessen Nachfolger noch die anderen Ludwigsfelder, denen ebenfalls Flächen weggenommen wurden. Denn dem Rangierbahnhof fielen auch kleinere Häuser zum Opfer, die Arbeiter und Bedienstete des Gestüts und Gutshofs bewohnt oder diesen gehört hatten sowie weitere alte Häuser, vom 3er- bis zum 5er-Hof. Vermutlich nur deshalb erhielt Alfred Wolff die Genehmigung, die Wolff`sche Siedlung für seine Stammmitarbeiter ab 1939 bis 1942/43 an der Ferchenbachstr. zu errichten. Sie besteht noch heute. Zu jedem Haus gehörten 1.000 qm Grund. Es ist überliefert, dass Alfred Wolff dafür nichts verlangt hat. Allerdings, auch das ist überliefert, soll er dafür nicht nur Dank geerntet haben. Verwalter Josef Steinberger soll die Haltung seines Chefs mitgetragen haben.
Befestigte Straßen eignen sich nicht für Sulkis
Der große Flächenverlust blieb für den Gestüts- und Gutsbetrieb nicht folgenlos, wenngleich man an der Traberzucht und der Teilnahme an großen Turnieren festhielt. Nach Kriegsausbruch waren allerdings Reisen ins Ausland stark eingeschränkt. Auch zeichnete sich in den Kriegsjahren ab, dass der Trabersport nicht mehr die große Attraktion war. Viel Geld ließ sich damit schon gar nicht verdienen, waren die Kosten doch erheblich. Zudem eigneten sich die zunehmend befestigten Straßen und Wege nicht mehr für Trainingsfahrten mit dem Sulki damaliger Bauart und die Pferde konnten darauf nur mit eisenbeschlagenen Hufen laufen.
Die Tafernwirtschaft „Zur Lüfte“
Die ehemalige Ludwigsfelder Tafernwirtschaft „Zur Lüfte“ ließ Alfred Wolff 1927 für viel Geld von der Baufirma Emil Ludwig umbauen und erheblich erweitern. Die neue Gaststätte wurde ein echtes Schmuckstück mit einem großen Ballsaal. Dieser Ballsaal unter einem kunstvoll gestalteten Tonnengewölbe mit einer Saalbühne, einem Bühnennebenraum und einer Galerie war vom Feisten. Die Saalwände rundherum hatte ein bekannter Münchner Künstler mit Fresken mit Jagdszenen im neobarocken Stil verziert, die Vorhänge und Gardinen kamen von der renommierten Münchner Firma Wallach, die damals auch in Dachau ein Geschäft hatte. Darüber hinaus gab es einen kleineren rustikal gestalteten Saal für kleiner Veranstaltungen.
Im Ballsaal wurden viele große Feste mit großen Kapellen und allem drum und dran gefeiert. Auch Vereine und Firmen aus dem benachbarten Moosach kamen nach Ludwigsfeld, um hier ihre Jahresfeste, Jubiläen und Traditionsbälle abzuhalten. Auch Familienfeste feierte man gern in „Zur Lüfte“. Und zur Faschingszeit war hier jeden Samstag Ball. Weitere Neuerungen waren ein großer Wirtsgarten und eine Kegelbahn. Die Küche war nach dem damals neuesten Standard ausgestattet. Chefin der Küche war weiter die Frau des Gestüts- und Gutsverwalters, Berta Steinberger. Sie hatte ja bereits die alte Lüfte gemeinsam mit ihrem Mann im Jahr 1923 vom Vorgänger Franz Spiegl in Pacht übernommen und die Küche allein mit Personal bewirtschaftet.
Damals, am 22. April 1923, hatten die Dr. Wolff`sche Guts- und Gestütsverwaltung sowie Josef Steinberger mit Frau Berta nach der Betriebsübernahme die Ludwigsfelder Bevölkerung und die Moosacher zu einer großen Einstandsfeier mit Konzert und Familienunterhaltung eingeladen.
Neben diesen neuen Einrichtungen für Gäste und Festivitäten hatte die Dr. Wolff`sche Guts- und Gestütsverwaltung in einem Flügel des großen Gebäudes auch die neue Molkerei für den Abmelkbetrieb eingerichtet, der 1928 seinen Betrieb mit 80 Milchkühen aufnahm. Nach dem Ende des Milchbetriebs Mitte der 1930er-Jahre folgte in der Lüfte eine Metzgerei. Das Schlachthaus wurde auch für den Bedarf des Guts- und Gestütsbetriebs verwendet.
Besitzer Wolff wollte mit der Wirtschaft nicht vorrangig viel Geld verdienen. Der Betrieb sollte vielmehr gut und verlustfrei wirtschaften und unter anderem das Gesellschaftsleben in Ludwigsfeld pflegen. Allerdings sollte Berta Steinberger aus der Küche auch das Stammpersonal versorgen.
Der 2. Weltkrieg reißt auch in Ludwigsfeld tiefe Wunden
In den späteren Kriegsjahren mit den Bombardierungen war nahe der Karlsfelder Str. zwischen Ludwigsfeld und Feldmoching eine Flugabwehrbatterie stationiert. Dort soll auch der junger Joseph Ratzinger als verpflichteter Flak-Helfer seinen Dienst verrichtet haben. Die Lüfte musste sich nun ihre Küche im festgelegten zeitlichen Wechsel mit der Flak-Batterie teilen. Die Feierlichkeiten wurden weniger und die Kriegsfronten rückten näher. München war mit seiner kriegswichtigen Industrie gerade im Norden ein Ziel der alliierten Bomberverbände. Bei der verheerenden Bombennacht in Ludwigsfeld am 22. September 1944 traf eine Bombe auch die Lüfte und zerstörte die Gastwirtschaft erheblich. Die Wehrmacht hatte angesichts der Bombardierung Münchens im Gestüt ein Reservelazarett für Militärpferde eingerichtet. Im kleinen Saal der Lüfte war eine Veterinärapotheke für Pferde untergebracht, die mit zwei Mann, die in der Lüfte wohnten, besetzt war. Nebenan diente ein weiterer Raum zum Unterricht der Hilfskräfte für den Betrieb des Lazaretts und der Apotheke. Beides kam jedoch nicht zum Einsatz.
Reiche Beute für den Sensenmann
Die schlimmste Bombardierung Ludwigsfelds fand am 22. September 1944 statt. Eine Bombe schlug in ein Haus in der Wolff`schen Siedlung ein. Von den 12 dort verschanzten Menschen fanden zehn den Tod. Eine weitere Bombe traf das Schulhaus. Von den 20 dort verschütteten Menschen konnten vier nur noch tot geborgen werden, darunter Gärtnereibesitzer Hans Biller mit Frau Theres und Tochter Anna. Die Schulkinder waren zu der Zeit in Mitterndorf bei Dachau im Unterricht, sonst wären wohl noch mehr Menschen gestorben. Im Kellerbunker der Lüfte waren zwar Menschen verschüttet worden, sie konnten sich aber über einen Notausgang befreien. Allein die Familie Steinberger hatte fünf Tote zu beklagen. Auf dem städtischen Friedhof Feldmoching finden sich noch Grabstätten, auf deren Grabsteinen die Bombenopfer vom 22. September 1944 genannt werden.
Durch die alliierten Bombardierungen Ludwigsfelds starben insgesamt 13 Menschen. Ferner fielen sieben Soldaten an der Front, sechs wurden vermisst und kamen nicht mehr heim. Und das bei einer Gesamtbevölkerung von 242 Personen! Damit fiel 10 % der Ortsbevölkerung dem Krieg zum Opfer! Gut und Gestüt hatten mit elf Toten einen großen Teil ihrer gesamten Stammbelegschaft verloren. Einzige Überlebende war Maria Lax. Zeitzeugen meinen sich zu erinnern, dass auch einige Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge aus dem Lager Ludwigsfeld, die auf den Feldern arbeiteten, den Bomben zum Opfer fielen. Unter den insgesamt zehn französischen Kriegsgefangenen in Ludwigsfeld waren keine Opfer zu beklagen. Sie haben, so Zeitzeugen, bei der Bergung der Opfer und der Beseitigung der ärgsten Schäden vorbildlich geholfen. Auch haben sie sich, so wird weiter berichtet, nach dem Verlust der Stammbelegschaft bis Mai 1945 sachkundig um die Pferde gekümmert und auch ansonsten viel gearbeitet. Pferde des Gestüts waren nicht umgekommen. Der Zucht- und Sportbetrieb lief stark eingeschränkt weiter. Große Siegerprämien wie vor dem Krieg blieben aus und fehlten in der Kasse des Gestüts.
Während der letzten Kriegsjahre logierten in der Lüfte Soldaten und Helfer der Flak-Batterie. Auch Ausgebombte fanden zeitweise dort Unterkunft. Allein auf den Feldern und Weiden der Wolff`schen Besitzungen zählte man 238 Bombentrichter! Sie beeinträchtigten die Felderwirtschaft erheblich und mussten bis Frühjahr 1945 aufgefüllt werden.
Nach Kriegsende folgt der allmähliche Niedergang
In der Nachkriegszeit hatten sich die Verhältnisse zu sehr verändert, als
dass das Gestüt noch einmal den alten Glanz hätte aufleben lassen können. Auch der Ort Ludwigsfeld begann, sich zu verändern. Nur Spuren früherer Zeiten blieben bis heute erhalten. Doch die älteren LudwigsfelderInnen reden noch heute gern drüber, wie ihr kleiner Ort mit den großen Erfolgen des Gestüts weit über Bayern hinaus bekannt war.
Nur kurz nach Kriegsende im Mai 1945 gingen die französischen Gefangenen, die einige Zeit in Ludwigsfeld gelebt, gearbeitet, persönliche Bindungen oder gar Freundschaften mit den Deutschen geknüpft hatten, wieder nach Frankreich zurück. Nun kamen Flüchtlinge und Vertriebene aus den deutschen Ostgebieten auch nach Ludwigsfeld und verdingten sich als Arbeiter auf dem Gestüt, dem Gutsbetrieb und in anderen
Betrieben und Gärtnereien. Erwähnenswert ist das große Engagement der drei Bartl-Schwestern aus Eschlkam bei Furth im Walde, Minna Krüger, Lena Daimer und Fanni Haslinger, die gleich nach Kriegsende dem Verwalter Steinberger sehr zur Seite standen.
Die in Ludwigsfeld eingetroffenen amerikanischen Soldaten richteten sich erst einmal in der „Lüfte“ ein. Dort ging es nun hoch her. Jeden Abend eine Tanzveranstaltung und aus dem großen Festsaal wurde ein amerikanisches Nachtlokal. Im kleinen Saal wurden dagegen die Grundschulkinder aus Ludwigsfeld und Karlsfeld unterrichtet. Der erste Lehrer nach Kriegsende war Alois Angerpointner. Die Toiletten im Hause nutzten auch die Amerikaner und die Gästen des Nachtlokals. Sie mussten, so wird berichtet, jeden Morgen vor Schulbeginn erst einmal gereinigt werden, damit die Kinder sie benutzen konnten. So war das eben damals!
1946 kehrte Dr. Christian Wolff aus dem Krieg heim und übernahm die Leitung des Gestüts. Er baute für sich und seine Frau auf dem Gestütsgelände einen Bungalow, worin sie fortan lebten. Josef Steinberger war von nun an nur noch Verwalter des Gutsbetriebs. Er sorgte aber auch weiter dafür, dass die auf dem Gestüt stehenden Pferde vom Gut mit bestem Futter und mit Einstreu versorgt wurden.
Nach dem Tod von Dr. Alfred Wolff am 18. März 1959 ging ein Jahr darauf Verwalter Josef Steinberger im 70. Lebensjahr nach 37 Jahren in Wolff`schen Diensten in den Ruhestand. Der Wolff`sche Besitz ging nun in die Erbschaft der zwei Kinder, der Tochter Marcelle und des Sohnes Dr. Christian Wolff, über. Marcelle Wolff wohnte in der Mandlstr. am Englischen Garten. Sie war zwar in jungen Jahren verheiratet gewesen, nahm später aber wieder ihren Geburtsnamen Wolff an. Die Erbteilung verlief so, dass das ganze südlich der Lüfte gelegene Areal inklusive des Gestüts an Christian Wolff, das nördlich gelegene Areal samt Gut bis zum Allacher Wald hin an Marcelle fiel.
Der Wolf`sche Besitz löst sich auf
Die „Lüfte“ wurde verkauft. Das Schicksal dieses einstmals so geschätzten Hauses nahm zunächst einen ungewissen Verlauf. Zuerst siedelte sich dort eine Sekte an. Ihr folgte die Nutzung als Wohnheim für diverse Wohngemeinschaften und sonstiges. Seit einiger Zeit firmiert das nun renovierte Haus als „Pension Siddiqi“ mit Firmensitz München. Damit fiel der seit rund 120 Jahren geführte Name „Zur Lüfte“ und gehört vermutlich endgültig der Vergangenheit an.
Marcelle Wolff verkaufte den 12er Hof (das Gut) einschließlich eines Teils des umliegenden Grunds mithilfe eines Vermögensverwalters an die Spatenbrauerei in München. Die Spatenbrauerei hatte mit ihrem Kühleisgeschäft schon ein Bein in Ludwigsfeld. Mit diesem Grunderwerb wollte die Spatenbrauerei die Grundlage schaffen, eines Tages den gesamten Betrieb aus München an die nördliche Grenze zu verlagern. Denn in München wurde mit zunehmender Betriebsgröße der Platz eng, um weiter zu expandieren. Und Ludwigsfeld gehörte ja zur Landeshauptstadt München. Mit dem Münchner Brauwasser und diesem Standort konnte die Spatenbrauerei eine Münchner Brauerei bleiben und neben anderen Vorteilen auch weiter ein Großzelt auf dem Oktoberfest betreiben.
Doch aus den Plänen wurde nichts. Denn die Stadtverwaltung baute in Ludwigsfeld Straßen aus und andere neu. Die neue Schroppenwiesenstr. wurde durch das ehemalige Gutsgelände verlegt und machte den Bau einer in sich räumlich geschlossenen Fabrikanlage unmöglich. Daraufhin vermietete die Brauerei ihren Grund in Ludwigsfeld an verschiedene gewerbliche Betriebe, die nun dort angesiedelt sind. Die anderen Flächen, die noch zum Gut gehörten, verkaufte Marcelle (oder ließ diese verkaufen), wie es in Ludwigfeld heißt, nicht immer zu ihrem Vorteil. An diesem Deal wollten wohl auch andere mitverdienen.
Lange Jahre tut sich am Gestüt nichts mehr
Christian Wolff betrieb sein Gestüt, wie es heißt, unter schwierigen Umständen bis zu seinem Lebensende im Jahr 1976. Er wurde nur 66 Jahre alt. Hin und wieder veranstaltete er am Gestüt kleinere Reitturniere oder andere Vereine nutzten das Gestütsgelände. Er war in zweiter Ehe mit Franziska verheiratet, die im Bungalow auf dem Gelände des Gestüts bis zu ihrem Tod im Jahre 2011 leben sollte. Sie wurde 84 Jahre alt. Bis zu ihrem Lebensende standen in einem Teil der Stallungen noch ihre zwei Pferde.
Christian und Franziska Wolff ruhen auf dem Münchner Westfriedhof. Seine Grabplatte ziert ein Wappen mit Fisch, Posthorn und Wolfskopf. Den Sinn dieser Darstellung konnte der Autor nicht ergründen. Dr. Alfred Wolff, seine Frau Hanna und die Tochter Marcelle ruhen dagegen in einer gemeinsamen Grabstätte auf dem Feldmochinger Friedhof.
Das einstmals so berühmte Gestüt Ludwigsfeld lag viel Jahre lang da wie im Dornröschenschlaf. Sein letzter Besitzer war bis zum Verkauf 2012 der Sohn von Dr. Christian Wolff. Stephan Wolff, 1947 geboren, hatte Psychologie und Soziologie studiert, sich im Bereich der Soziologie an der LMU München habilitiert und war bis zu seiner Heimkehr nach Bayern Professor für Sozialpädagogik an der Uni Hildesheim sowie Gastprofessor an der Universität von Wien gewesen.
Ludwigsfeld bleibt die 120-jährige Pferdetradition erhalten
Die verbliebenen Reste des Gestüts Ludwigsfeld mit seinen markanten Stall- und Wirtschaftsgebäuden, dem großflächigen Gestütsgelände, dem Bungalow und einem Gesamtgrund von 14,5 ha in Form von Koppel- und Weideland fand glücklicherweise einen Käufer. Der war nicht der einzige Interessent gewesen. Nach längeren Verhandlungen, zuerst noch mit Franziska Wolff und nach deren Tod mit dem Erben Stephan Wolff, wurde schließlich 2012 der Kauf, wie in der Pferdebranche noch häufig üblich, „per Handschlag“ (und hernach selbstverständlich vertraglich) besiegelt.
Der neue Besitzer entstammt der näheren Region und kennt sich darum örtlich sehr gut aus. Er war schon als junger natur- und heimatverbundener Bub immer wieder mit seinem Radl vom damaligen Wohnort Allach aus auch nach Ludwigsfeld gekommen. Das alte Gestüt hatte es ihm schon damals angetan, so der neue Besitzer. Es zu kaufen, daran habe er damals aber ganz sicher nicht gedacht.
Aus familiärem Grund wurde das Gestüt, mehr zufällig, für ihn interessant. Denn eine seiner Töchter suchte eine neue Pensionsunterkunft für ihre beiden Pferde. Und seine Enkelin sei eine passionierte Reiterin mit einschlägigen Berufsambitionen. So radelte er mal wieder, nun aber gezielt nach und durch Ludwigsfeld, schaute sich auf dem Gestüt um und lernte dort die hochbetagte Franziska Wolff kennen. Es wurde zwar nichts mit der Pferdepension – aber die ersten Kontakte endeten mit dem Kauf des gesamten Gestüts! Ein Abenteuer? Wohl eher nicht ! Der neue Gestütsbesitzer hat klare Vorstellungen, wie es damit weiter gehen soll.
Im Grundsatz möchte er das Gestüt in seinen historischen Ursprüngen erhalten beziehungsweise wieder herstellen. Er habe nicht die Absicht, auf seinem neuen Grund und Boden einen Bauboom zu entfachen, obwohl auf Flächen des Gestüts höheres Baurecht bestehe. Alles solle natürlich und mit viel Grün erhalten oder so, wie zuvor gewesen war, wieder hergestellt werden, so der Besitzer. Um seine feste Absicht auch für künftige Jahre festzuschreiben, habe er sogar die übernommenen Grünflächen zwischen dem Gestüt und der Fasanerie als Ausgleichsflächen für die künftige Siedlung am Schnepfenweg freigegeben.
Seine Absicht, die Baumreihe entlang der Straße Am Blütenanger ganz zu entfernen und neu anzupflanzen, fand lange keine Zustimmung der Unteren Naturschutzbehörde. Die daraufhin so unschön gekappten Bäume, die zu Verständnislosigkeit und Empörung bei Anwohnern der Fasanerie führten, waren viele Jahre lang nicht mehr gepflegt, sprich geschnitten worden. Nach einhelliger Meinung von Fachleuten konnten von diesen Bäumen bei stärkerem Wind durchaus Gefahren für Passanten und Fahrzeuge auf der Straße ausgehen, wenn etwa Totholz heruntergestürzt wäre. Schließlich folgte der totale Kahlschlag. Nach der Rodung der Baumwurzeln folgten, mit einigem (Sicherheits-)Abstand zum Straßenbereich, Neuanpflanzungen.
Vor allem die alten Gestütsgebäude möchte der neue Besitzer weitgehend erhalten oder sie, wenn bautechnisch möglich, in ihrem Urzustand wiederherstellen. Allerdings wird das alte Baumaterial längst nicht mehr heutigen hohen Standardanforderungen an die Aufstallung und Haltung hochwertiger Sportpferde genügen. Darum werde er keine andere Wahl haben, als auf dem Gestütshof zusätzlich neue Stallungen mit heutigem Komfort zu errichten. Auch eine moderne Reit- und Trainingshalle werde notwendig sein. Um einen derartigen kostenaufwändigen Betrieb für Spring- und Dressurpferde wirtschaftlich führen zu können, sind wohl mindestens 60 Sportpferde vonnöten. Diese Größenordnung sei aber vom übernommenen Bestandsschutz aus dem ehemaligen Gestüt problemlos zu erreichen und werde die vorhandenen Flächen nicht überbeanspruchen.
Die alten Gestütsgebäude sind zwar nicht denkmalgeschützt, aber schützenswert und darum nach den Plänen des neuen Besitzers für andere betriebliche Nutzungen vorgesehen. Dabei denkt er unter anderem auch an die Einrichtung eines „Geschichtszimmers“, wo Besucher aus nah und fern an die Geschichte des Gestüts Ludwigsfeld und des Ortes Ludwigsfeld herangeführt werden könnten. Vertraglich abgesichert hat sich der neue Besitzer die Erlaubnis, sein „neues“ altes Gestüt auch künftig „Gestüt Ludwigsfeld“ zu nennen, auch wenn dort keine Zucht mehr vorgesehen ist.
Er selbst und seine Familie hätten allerdings nicht die Absicht, die Führung des neuen Pferdebetriebs zu übernehmen, dafür fehlten ihnen die dringendsten Fachkenntnisse und Erfahrungen, gesteht der Besitzer freimütig. Darum werde eine aufgrund großer Erfolge und Erfahrungen international bekanntere Persönlichkeit aus Kreisen des Spring- oder Dressursports den neuen Betrieb in Pacht führen.
Doch bevor es soweit ist, muss noch viel getan und organisiert werden. Da sind einerseits die zahlreichen Auflagen von LBK, Untere Naturschutzbehörde, Bauernverband … Andererseits die dringend notwendigen Maßnahmen zum Schutz der Weideflächen durch neue Umzäunungen. Auch die vielen Bäume und Sträucher, die zum Gestüt gehören, bedürfen dringend einer fachmännischen Pflege. Nicht alle werden wohl zu retten sein. Vieles sei krank und überständig. Überhaupt, so der neue Besitzer, bitte er bei den Anwohnern rundherum um Verständnis dafür, dass er ja nun allein für die Sicherheit und alle Risiken seines neuen Besitzes verantwortlich sei und darum ein freies Betreten der Weiden, Koppeln und des Gestütshofes, wie es bisher teilweise möglich war, allein aus Haftungsgründen nicht mehr dulden dürfe. Sobald die Behörden grünes Licht geben, wird mit den sehr umfangreichen Arbeiten begonnen.
Es wird sich also in absehbarer Zeit in Ludwigsfeld etwas tun. Ludwigsfeld könnte künftig wieder mehr ins Licht des Pferdesports rücken und davon auch profitieren. Reinhard Krohn
Am Ende meiner Berichte über das Gestüt Ludwigsfeld richte ich meinen herzlichen Dank an Gertrud Kollmer, die Tochter des langjährigen Verwalters in Ludwigsfeld, Josef Steinberger, für ihre wertvollen Zugaben aus ihren Sammlungen und Erinnerungen.