Eigentlich ist es unvorstellbar: Seit über zwei Jahrzehnten ist es bekannt und aktenkundig, dass die Eduard-Spranger-Schule am Hasenbergl Süd mit PCB belastet ist. Geschehen ist seitdem: nichts! Noch nicht einmal der in der PCB-Richtlinie von 1994 vorgegebene Vorsorge- und Zielwert, der als „langfristig tolerabel“ gilt, wird erreicht. Das belegen sporadische Messungen zur PCB-Raumluftkonzentration. Laut Referat für Bildung und Sport (RBS) wird sich an dieser Situation auch bis mindestens 2020 nichts ändern. Frühestens dann soll die Schule abgerissen und neu aufgebaut werden. Eltern und Lehrer wollen sich aber nicht länger vertrösten lassen. Sie wünschen endlich Abhilfe, wie sie auf der letzten Sitzung des Bezirksausschusses 24 verkündeten.
In Wikipedia ist zum Thema PCB Folgendes nachzulesen: „Polychlorierte Biphenyle (PCB) sind giftige und krebsauslösende organische Chlorverbindungen, die bis in die 1980er-Jahre vor allem in Transformatoren, elektrischen Kondensatoren, in Hydraulikanlagen als Hydraulikflüssigkeit sowie als Weichmacher in Lacken, Dichtungsmassen, Isoliermitteln und Kunststoffen verwendet wurden. PCB zählen inzwischen zu den zwölf als dreckiges Dutzend bekannten organischen Giftstoffen, welche durch die Stockholmer Konvention vom 22. Mai 2001 weltweit verboten wurden.“
Das PCB steckt im Fugendichtungsmaterial
In der Eduard-Spranger-Schule steckt das PCB im Fugendichtungsmaterial, denn die Schule wurde 1966/67 (erweitert bereits 1969/70) nach den Regeln der damaligen Baukunst aus Fertigbetonteilen erbaut, welche mit dem PCB-verseuchten Dichtungsmaterial verfugt wurden. Sporadische Raumluftmessungen ergeben seit Jahren ein relativ konstantes Bild: Die PCB-Konzentration liegt in den gemessenen Klassenzimmern zwischen 1510 und 970 ng pro m3. Und besonders „dicke Luft“ herrscht im Rektorat, wo 2011 eine PCB-Konzentration von 2160 und 2014 ein Wert von 2505 ng pro m3 Raumluft gemessen wurde.
Die PCB-Richtlinie sieht Raumluftkonzentrationen unter 300 ng PCB/m3 Luft als langfristig tolerabel an. Bei Raumluftkonzentrationen zwischen 300 und 3.000 ng PCB/m3 Luft wird empfohlen, „die Quelle der Raumluftverunreinigung aufzuspüren und nach Möglichkeit unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit zu beseitigen oder zumindest eine Verminderung der PCB-Konzentration (z. B. durch regelmäßiges Lüften sowie gründliche Reinigung und Entstaubung der Räume) anzustreben.
Bei mehr als 3.000 ng PCB/m3 Luft sollten, so steht es in der Richtlinie, „unverzüglich Maßnahmen zur Verringerung der Raumluftkonzentration von PCB“ ergriffen werden. Die Sanierungsmaßnahmen müssten geeignet sein, die PCB-Aufnahme wirksam zu vermindern. Der Sanierungsleitwert liegt bei weniger als 300 ng PCB/m3 Luft.
Eine Sanierung ist unmöglich, weil unwirtschaftlich
Da die Eduard-Spranger-Schule seinerzeit sehr weitläufig gebaut wurde, ist aufgrund der Länge der Fugenmasse eine Sanierung nicht möglich. Sagen die Sachverständigen in einer jüngst fertiggestellten Machbarkeitsstudie. Sagte am Dienstag, den 28. Juni zur BA-24-Sitzung auch Thomas Gerbet, beim RBS Teamleiter Zentrales Immobilienmanagement und mit dem Objekt betraut. Bleibt allein ein Neubau. Doch der dauert.
Beschleunigen lässt sich nach Gerbets Auskunft der nicht, da das Vorhaben mit Kindertagesstätte, Grund- und Mittelschule recht komplex sei (wohin mit den Kindern in der Bauphase?) und beim Neubau auch stadtgestalterische Überlegungen anzustellen seien. Vom Planungsvorlauf, den Regularien, dem Genehmigungsprozedere, den Ausschreibungsfristen … gar nicht zu reden. Und natürlich muss auch das liebe Geld (Gerbet veranschlagt 50 Mio. Euro und mehr) im Rahmen der zweiten Schulbauoffensive der Landeshauptstadt da sein. Nach Gerbets Einschätzung kann frühestens 2019 mit dem Bau begonnen werden, in der „Fortschreibung der Schulentwicklungsplanung für Grundschulen, Mittelschulen und Förderzentren – aktualisierte Datenblätter“ steht gar: „ab 2020“.(Wobei man nach dieser Aufstellung schon ab 2019 mit deutlich steigenden Schülerzahlen wegen des Neubaugebiets Ratoldstr. rechnet!)
Immerhin versicherte Gerbet den BA-Mitgliedern, den anwesenden Lehrerinnen wie dem Elternbeiratsvorsitzenden, dass das Projekt „eine gewisse Priorität“ genieße, auch wenn die Stadt vor der Herkulesaufgabe stehe, ob des Bevölkerungsanstiegs viele alte Schulgebäude sanieren und neue Schulen bauen zu müssen. In der Zwischenzeit könne die Eduard-Spranger-Schule nun mal, wie auch die Experten im Referat für Gesundheit und Umwelt bestätigten, voll umfänglich genutzt werden. Und aus arbeitsrechtlicher Sicht gebe es gegenüber der Lehrerschaft ebenfalls keinen Handlungsbedarf – man habe die Messergebnisse den Lehrern stets erläutert, so Gerbet.
Lehrer und Eltern wollen sich nicht länger vertrösten lassen
Zwei junge Lehrerinnen, die auf der BA-Sitzung anwesend waren, wiesen darauf hin, dass die Kinder in den Räumen ja auch spielten und essen und überhaupt die Schule in einem unfassbaren Zustand sei: In der Turnhalle dürfe man keine Ballsportarten mehr machen, weil die Decke drohe herunterzukommen; Tafeln seien schon von der Wand gefallen und laut Elternbeiratsvorsitzendem stehen Heizungsrohre unter Strom, auf dass vor einigen Wochen ein Kind, das versehentlich eines der Rohre berührt habe, in Ohnmacht gefallen sei.
Vor allem aber ärgert die Lehrerinnen, dass sie Tag um Tag, Jahr um Jahr der PCB-Gefahr ausgesetzt sind, während beispielsweise die Mittelschule Dachau-Süd – ein Bau von 1970 und gleichfalls PCB-belastet – zügig saniert und der Schulbetrieb dazu ab Herbst übergangsweise komplett ausgelagert wird. (Dachaus OB Florian Hartmann meinte, dass man die Werte von bis zu 500 ng „auf Dauer nicht hinnehmen“ wolle. München ist da offensichtlich viel toleranter.)
Nach all den Jahren des Nichtstuns seitens städtischer Stellen ist eine inzwischen informiertere und engagiertere Elternschaft nicht mehr bereit, sich ständig vertrösten zu lassen. Jedenfalls kündigte der Elternbeiratsvorsitzende der Eduard-Spranger-Mittelschule in der BA-Sitzung schon mal an: „Wir Eltern gehen bis Ende Juli den feinen politischen Weg, gemeinsam und konstruktiv. Dann werden wir definitiv andere Mittel einsetzen.“ Welche das sein werden – da wollte er auch auf Nachfrage sich nicht in die Karten sehen lassen. Bei drei älteren Lehrerinnen, die seit über 20 Jahren an der Schule arbeiten, hat ein Bluttest jedenfalls eine PCB-Belastung ergeben.
BA spricht sich für eine Verlagerung der Schule aus
Was also tun auf die Schnelle? Oder doch wie gehabt weiter alles „aussitzen“, bis irgendwann einmal der Neubau in Angriff genommen wird? Container zur Auslagerung der gesamten Schule sind am leergefegten Markt nicht zu bekommen, so Gerbet, man beziehe sie derzeit schon unter anderem aus Slowenien. Und selbst wenn es welche gäbe, auf die Schnelle ließen sich diese nicht aufstellen, so der Behördenvertreter, da sie baugenehmigungspflichtig seien. Den Vorschlag des BA-Vorsitzenden Auerbach, zumindest Teile der Eduard-Spranger-Mittelschule in das erst im Aufbau begriffene Gymnasium des Münchner Nordens, das zum Herbst den Schulbetrieb mit einigen Jahrgangsstufen aufnimmt, auszulagern, kommentierte der Behördenvertreter, dass dies seinen Kompetenzbereich verlasse, die PCB-Werte jedenfalls würden diese Maßnahme nicht rechtfertigen. Laut Elternbeiratsvorsitzendem würde die Elternschaft eine solche Verlagerung mittragen.
Ob die PCB-ausdünstenden Fugen nicht einfach mit einer Schicht darüber abgedichtet werden könnte, wie Martin Obersojer anregte, wusste Gerbet nicht zu sagen, wollte die Frage aber gerne ans zuständige Baureferat weiterleiten. Und Hans Kübler von den Grünen wünschte sich praxisnähere Messreihen, damit das Schulreferat nicht länger den Nachweis der Wirkung ihrer Lüftungs- und Entstaubungsmaßnahmen schuldig bleibe. Die nächste PCB-Messung, die nach langanhaltendem Insistieren der „Grünen“ im BA endlich am Samstag, den 2. Juli mal wieder durchgeführt wurden, sollten dem in der PCB-Richtlinie vorgegebenen Prozedere gehorchen, wonach erst nach zig Stunden geschlossener Fenster gemessen werden darf, erläuterte Gerbet. (Offensichtlich war dies aber nicht der Fall: Der Elternbeiratsvorsitzende fand an besagtem Samstag morgens um 8 Uhr sämtliche Fenster sperrangelweit offen, auf dass er dies gleich per Kamera dokumentierte. Von einer normgerechten Messung kann folglich nicht die Rede sein, die Messergebnisse sind verfälscht. Die Elternschaft durfte übrigens bei der Messung nicht anwesend sein.)
Nach über einer Stunde Diskussion einigte sich das BA-Gremium einstimmig darauf, für eine Verlagerung der Schule zu plädieren und, wenn diese nicht möglich ist, eine Containerlösung zu verlangen – immer vorausgesetzt, dass die PCB-Belastung nicht nachweisbar dauerhaft durch Sofortmaßnahmen abgesenkt werden kann.
P.S. Zum Vorfall eines Mädchens, das an der Tür nach außen in Gang 3 zum Pausengelände einen Stromschlag erlitt, auf dass es ohnmächtig umfiel und nur dadurch überlebte, dass es losließ, hat der Elternbeirat Beschwerde eingereicht bei der Schulleitung, da die Eltern über die Gefahrensituation nicht in Kenntnis gesetzt wurden.