Kürzlich war in der Süddeutschen Zeitung eine schöne Karikatur von Dieter Hanitzsch zu sehen. Sie zeigte die Statue von Rudolph Diesel und viele Finger von Managern verschiedener Autokonzerne, die darauf deuteten, mit dem dazugehörenden Kommentar „Der ist schuld“.
Ein paar Finger haben noch gefehlt: die jener Stadtpolitiker, die glauben, mit einer Änderung der Hardware in den Fahrzeugen wäre die Problematik der eklatanten Luftverschmutzung in unserer Stadt gelöst. Sie schieben den Schwarzen Peter der Autoindustrie zu, ohne zu hinterfragen, welche Rolle sie dabei spielen.
Selbstverständlich hat die Autoindustrie ihre vielen Fehler wieder gutzumachen: ein Umrüsten der Motoren auf ihre Kosten sollte eine Selbstverständlichkeit sein – die Probleme, die der Pkw-Verkehr in München verursacht, sind damit allerdings noch lange nicht vom Tisch:
Was ist beispielsweise mit all den anderen Abgasen (Benzole, Kohlenmonoxid, Stickstoffmonoxid …), was mit Bremsabrieb, mit Blei, Quecksilber, was mit Feinstaub und Dieselruß?
Was unternimmt man gegen den Lärm?
Was macht man gegen das Ozon?
Welche Strategien gibt es gegen den Stau?
Wie löst man das Miteinander von dichtem Auto-Fahrrad-&-Fußgängerverkehr? Die Unfallgefahr steigt stetig.
Was unternimmt die Stadt gegen den immens hohen Flächenverbrauch für den stehenden und fließenden Verkehr?
Was ist mit den Lkws? Die Autobahnen A92 und A99 werden ausgebaut. Es werden dann noch mehr Autos und Lkws auf München zu- und um München herumfahren. Und die Abgase wehen stetig in unsere Wohngebiete.
Und – denkt eigentlich noch jemand an den Klimawandel? Selbst Elektroautos produzieren Kohlenstoffdioxid – wenn sie nicht mit regenerativer Energie geladen werden, vom Energieaufwand bei der Produktion ganz zu schweigen.
Während täglich über die viel zu hohen Werte von Stickstoffdioxid diskutiert wird, macht die Stadt eine Frischluftschneise nach der anderen platt, werden unzählige alte Bäume gefällt, um noch mehr Wohnungen zu bauen, was noch mehr Verkehr zur Folge hat, noch mehr Stau, mehr Abgase, mehr Lärm … Es wird der Grünanteil pro Einwohner drastisch reduziert, um den Investoren eine Freude zu machen (siehe Sobon).
Wo – hat sich das schon mal jemand gefragt – ist eigentlich die Grenze?
Wie viel Lärm, Dreck, Stau … verträgt eine Stadt beziehungsweise der Stadtmensch? Ist die Grenze dort, wo es unangenehm wird – oder ungesund – oder tödlich für Kinder und alte Menschen?
Sollte man mit der progressiven Bautätigkeit nicht einmal innehalten und erst hinterfragen, wie die viel zitierten Prognosen zum Wachstum von München entstehen? Woher kommen die Menschen? Kann man nicht dort, wo sie jetzt leben, die Arbeits- und kulturelle Situation verbessern, um sie gar nicht zum Verlassen ihrer jetzigen Heimat zu animieren? Wie steht es um die Flüchtlinge? Wie viele wollen bleiben, wie viele werden wieder in ihre Heimat zurückkehren? Selbstverständlich muss man den geflüchteten Menschen entsprechende Unterkünfte bieten, aber deshalb muss man noch lange nicht in Bauhysterie verfallen.
Wie viele Wohnungen stehen derzeit leer (als Spekulationsobjekte)? Wie viele werden – zum Teil illegal – an Touristen und sogenannte Medizintouristen vermietet. Wie viele Zweitwohnungen gibt es in München?
Und: Weshalb schaffen wir immer mehr Arbeitsplätze? Das zieht immer noch mehr Menschen nach München. Wollen wir das?
Gibt es Studien über den Zusammenhang von immer mehr Verdichtung und immer mehr Verkehr – oder immer mehr Verkehr und seine gesundheitlichen Auswirkungen auf die Bewohner einer Stadt? Werden sie beachtet?
Dass durch das Bauen von immer mehr Wohnungen die Mieten billiger werden ist übrigens ein totaler Trugschluss. So wie in den 1960er-Jahren die autogerechte Stadt immer noch mehr Verkehr produzierte, lockt ein immer größeres Angebot an Wohnungen und Arbeitsplätzen nur noch mehr Menschen nach München. Man sollte mal hinterfragen, ob die Münchner sich das wirklich wünschen.
Auch Paris, London und Peking sind immens gewachsen. Wohnen ist dort noch viel teurer als in München. Und die Lebensqualität? S. o.
Sonja Sachsinger
Reinhard Krohn meint
Jedem Satz, den sie schreiben, und jeder Frage, die sie stellen, kann man nur zustimmen.
Jetzt, in der Zeit der beginnenden Erkenntnisse und Einsichten darüber, was auf die Menschen in unserer Stadt München wie in den anderen großen Städten und grenzenlos wachsenden urbanen Wohnregionen weiter zukommt, wenn nicht bald neue Denkprozesse einsetzen, beginnen die „großen Macher“ und Zukunftsplaner mit gegenseitigen Schuldzuweisungen. In den Innenstadtbereichen unserer schönen Landeshauptstadt München stehen die Zeiger mittlerweile kurz vor Zwölf. Das endgültige Chaos auf den Straßen der Stadt und rundherum, im öffentlichen Nahvekehr, auf dem Wohnungsmarkt (sofern es so etwas überhaupt noch gibt) und in unserem Lebensraum überhaupt ist absehbar. Wenn man sich an die Ergebnisse des letzten „Runden Tisches“ mit der Regierung und der Autoindustrie zum Thema Dieselmotoren und deren kurzfristige Entgiftung und an die anschließenden Peinlichkeiten hoher „Persönlichkeiten“ vor den Kamaras erinnert, dann kann es einen nur schütteln. Ist die mehr und mehr aufkommende Frage aus der derob irritierten Öffentlichkeit etwa nicht doch gerechtfertigt, ob zahlreiche hohe Persönlichkeiten bzw. Manager aus der Industrie und den Regierungen bzw. Behörden ihrer Veranatwortung noch gerecht werden. Wollen wir etwa zukünftig in vollgestopften Städten mit Autoabgasen geschwängerter Luft wie wir sie z. B. in großer Zahl in Asien, aber auch in den USA und anderswo vorfinden leben bzw. vegetieren, mit einem Mund-Nasenschutz versehen?
Mich wundert es ehrlich gesagt, dass die Menschen in München sich das alles so gefallen lassen. Die folgenden Generationen dürfen sich dann eines Tages die Schönheiten und den hohen Lebenswert ihrer Heimatstadt München in alten Bildbänden und Videoclips anschauen.
Ja richtig: Wünschen wir uns das?