Passend zur Messe Bau im Messezentrum Riem trafen sich am späteren Nachmittag des 14. Januar im Bürgersaal Fürstenried die Vertreter zahlreicher Münchner Bürgerinitiativen, die dem allgemeinen Trend in der Stadt – „immer dichter, teurer, grauer“ – nichts mehr abgewinnen können und das ungezügelte Wachstum als Zukunftsstrategie für München in Frage stellen. Unter dem Dach des Forums Lebenswertes München wollen sich die Bürgerinitiativen besser vernetzen, um vor der Kommunalwahl 2020 an Schlagkraft zu gewinnen.
Vertreter von 37 Bürgerinitiativen präsentierten sich und ihre Ziele an diesem Montag an verschiedenen Ständen und Tischen – mal höchst professionell mit Hochglanz-Handouts im ansprechenden Layout und anschaulich bebildert, mal nur handschriftlich skizziert auf ein paar DIN-A4-Blättern. Immer aber voller Engagement, Leidenschaft und Herzblut. Mit dabei u. a.: die Bürgerinitiative Fauststr. 90 – dort will ein Investor in das Landschaftsschutz Truderinger Wälder Wohnblocks stellen; die Bürgerinitiative Lebenswertes Berg am Laim, der Historische Verein Forstenried, die Interessengemeinschaft Allacherstr. (sie kämpft für eine Verkehrsberuhigung zur Steigerung der Umweltqualität generell), die Initiative „Mehr Grün im Domagkquartier“, das Bündnis Gartenstadt, die Altstadtfreunde … Und natürlich war auch der 24. Stadtbezirk sehr gut vertreten: mit zahlreichen Vertretern von Heimatboden (aber auch die SEM-Nordost-Fraktion um Landwirt Johann Oberfranz war präsent), mit der Arbeitsgemeinschaft Rettet den Münchner Norden, mit den Eggarten-Kämpfern sowie dem Übergreifenden Bündnis München Nord.
Maßvolle Stadtentwicklung ja, nein zum ungezügelten Wachstum
Das kürzlich gegründete und noch Website-lose Forum Lebenswertes München hat es sich zur Aufgabe gemacht, die vielen Münchner Initiativen besser miteinander zu vernetzen, denn alle kämpfen sie gegen das ungebremste, ungezügelte Wachstum der Stadt und dessen Auswirkungen: verstopfte Straßen, überfüllter, ständig verspäteter ÖPNV, schlechte Luft, Enge, immer weniger Grün … Einer maßvollen Stadtentwicklung verweigert sich das Forum Lebenswertes München hingegen nicht, wenn sie denn einhergeht mit nachhaltiger Verbesserung und Schutz von Gesundheit, Grünflächen, Stadtnatur, Wohnen, ÖPNV, Individualverkehr und sozialen Einrichtungen.
Piazolo: Die Großstädte müssen entschleunigt werden
Der Ablaufplan des Treffens kam schon gleich zu Beginn ins Wanken, denn Michael Piazolo, dieses Mal nicht als bayerischer Kultusminister unterwegs, sondern als Münchner Chef der Freien Wähler, steckte im abendlichen Berufsverkehr fest und verspätete sich. Endlich angekommen, ließ er es sich dann nicht nehmen, ein ausführlichere Begrüßungsrede zu halten, da ihm das Thema sehr am Herzen liege und seine Verspätung nicht etwa auf den Schneefall, sondern schlicht darauf zurückzuführen sei, dass München zu dicht und zu voll sei und es deshalb für alle immer schwieriger werde. Er dankte den Bürgerinitiativen, die sich mit viel Sachverstand der Materie annähmen. Das systematische, planmäßige Verdichten und Zubauen von Grünflächen gehe viel zu weit und die Bürger in ihrer Mehrzahl würden das nicht mehr hinnehmen. Daher sein dringender Appell an die Münchner Stadtpolitik: Stoppt die Nachverdichtung, denn es gehe doch um die Münchner, die schon da seien und dass deren Lebensgefühl erhalten bleibe. Mit jedem, der hierher ziehe, so Piazolo, seien gefühlt zwei Autos verbunden, das erhöhe den Parkdruck und den Verkehr an sich, verschlechtere die Münchner Luft und lasse auch die U-Bahnen immer voller werden. Aber es sei ein guter Zeitpunkt vor den Kommunalwahlen 2020, um mit Politikern ins Gespräch zu kommen. Ziel müsse es sein, so Piazolo, die Großstädte zu entschleunigen und das Land zu entwickeln, um qualifizierte Arbeitsplätze dort entstehen zu lassen, wo die Menschen (noch) wohnen. Um die Luft und das Grün in der Stadt zu sichern und München lebenswert zu erhalten.
Ruff: „In der Stadt ist nichts heilig, nicht mal die Isar“
Danach gab es fünf Fachvorträge, u. a. zur gesundheitsfördernden Stadtgestaltung und zur Zukunft der Isar zwischen Renaturierung und Kommerz von ödp-Stadtrat Tobias Ruff. Der studierte Forstwirt, der nun als Gewässerökologe arbeitet, brach in seinem engagierten Vortrag eine Lanze für das Naturjuwel Isar, der der Mensch immer mehr den Platz zum Leben nehme, sei’s in Form der vielen Einleitungsstellen (Schadstoffe), sei’s in Form der grillenden Party-Macher, die bizarrerweise zu zwei Dritteln noch nicht einmal Münchner seien und Müll ohne Ende hinterließen, sei’s in Form der Eventindustrie – Stichworte: „Kultur“-Strand auf der Praterinsel, „Big Isar Jump“ und Isarflussbad, just da, wo die Isar am engsten ist und drei Wehre gefährlich nahe sind!
Sajons: „Ohne Druck reagieren Politiker nicht“
Verwaltungsjurist Reinhard Sajons vom Denkmalnetz Bayern legte dar, dass das Münchner Planungsreferat durchaus rechtliche Instrumente hätte, um dem vielfach unästhetischen und völlig überzogenen Bauen in der Stadt Einhalt zu gebieten, etwa mit der städtebaulichen Erhaltungssatzung. Doch dieses Instrument kenne München offensichtlich nicht. Denn die Gestaltungssatzung sei hier bislang kein einziges Mal angewandt worden, während es in Dresden bereits 23 Erhaltungssatzungen gebe! Sajons Rat: Man müsse in dieser Richtung gemeinsam viel mehr verlangen. Denn die Rahmenplanung reiche in ihrer Unverbindlichkeit nicht aus.
Hirneis: „1 Mio. Autos in der Stadt, das wird eine Riesengaudi“
Christian Hirneis, Grünen-Landtagsabgeordneter und Vorsitzender des Bund Naturschutzes in München, kam zwar nicht, wie von Piazolo scherzhaft angedroht, mit 743 Folien ans Rednerpult. Ein paar weniger waren es schon, aber der Grünen-Politiker konstatiert und dokumentiert nun schon seit 19 Jahren die negativen Folgen des Wachstumsbooms. So erhöht sich beispielweise die Temperatur bei nur 10 % weniger Grünflächen um 2 bis 3 Grad. Dabei seien in und um München schon 5.000 ha landwirtschaftliche Flächen verloren gegangen und „dann regen wir uns auf über ägyptische Kartoffeln“. Mit noch einmal 300.000 Menschen mehr, wie die Stadt das bis 2035 prognostiziert, werde die Zahl der Stadtautos auf 1 Mio. steigen – was eine „Riesengaudi“ werde. Dann werde München nicht mehr zu 50, sondern schon zu 60 % versiegelt sein. Viel zu viel, man denke nur an das Wasser bei einem Starkregen!
Hirneis hält es auch für kein Naturgesetz, dass alle Menschen in die Stadt ziehen müssen. Sie ziehen wegen der Arbeitsplätze dorthin. Aber zentriertes Wachstum an einer Stelle heißt Schrumpfung an anderer Stelle. Um die Arbeitsplätze wieder zu den Menschen zu bringen, dorthin, wo Wohnraum und Gewerbeflächen leer stehen, arbeitet Hirneis nach eigenem Bekunden gerade an einer Strategie, wie gleichwertige Lebensverhältnisse in Stadt und Land zu erreichen sind.
Schrödl: Weiter so heißt statt Biodiversität BiodiversiTod
Den Abschluss der Referenten bildete Michael Schrödl, Professor von der Zoologischen Staatssammlung München, der unser menschliches Tun in größere Zusammenhänge stellte, von der Vernichtung des Regenwalds in Brasilien bis zum Verschwinden der Gärten in unseren Städten. So führe die Biodiversität in den BiodiversiTod. In München dürfte es heute noch etwa 10.000 Tierarten geben, der Wissenschaftler befürchtet jedoch, dass davon, konservativ geschätzt, 30 %, eher aber 50 % verschwinden werden, wenn ökologisch wertvolle Flächen im gleichen Tempo weiter zugebaut werden. Denn das Ökosystem sei allerorten am Kippen, selbst in den Alpen, die bislang noch sehr stabil waren.
ReinhardKrohn meint
Ich meine, es ist längst an der Zeit, speziell für unsere Stadt München die immer wieder verwendeten Begriffe wie „Wachstum“, „Fortschritt“, „Wohlstand“, „Nachhaltigkeit„ aber auch „Bürgerwille“, „Lebenswerte“, „Heimatgefühle“ und „Heimatansprüche“ der Bürger und Bürgerinnen zu definieren. Das Denken der vermeintlich elitären Tops unserer Stadtregierung und vermutlich großer Teile des Stadtrats ist nach meinem Empfinden immer mehr ausgerichtet auf den Zuzug großer Menschenmassen in unsere Stadt, auf deren Unterbringung in schnell zu errichtendem Wohnraum wo immer sich noch letzte freie Räume in unserer Stadt verbergen und auf die Bereitstellung der nach intensivem Suchen noch auffindbaren Restflächen für die Ansiedlung immer neuer Gewerbe- und Industrieunternehmungen. Es sollte doch allen politisch Aktiven längst bekannt sein, dass die Gesamtfläche unserer Landeshauptstadt begrenzt ist und dass auch aus dem benachbarten Landkreisareal wohl kein Quadratmeter bebaubares Land zu gewinnen ist. Der essentielle Lebensraum unserer Stadtbürger besteht doch nicht nur aus der dichten Nebeneinanderstellung von Häusern jeglicher Höhe, von Büroklötzen und Fabriken bzw. Gewerbehallen – womit das restliche Grün und die innerstädtischen Erholungsflächen immer mehr verdrängt werden! Warum dann dieses uneinsichtige Treiben unserer Stadt in eine Zukunft, die wir so für uns und unsere Kinder und Enkel nicht wünschen.
Einen kleinen Hoffnungsschimmer zu einem ersten Einsehen in eine humanere Denkrichtung könnten die Kommunalwahlen im kommenden Jahr bringen. Nur, allzu viel Hoffnungen sollte man auch darin wiederum nicht legen. Wenn unsere Stadt ihr „Herz“ auch für eine lebenswerte Zukunft unserer Nachfahren bewahren soll und will, dann ist die Zeit für ein Umdenken heute überfällig.
Darum begrüße ich es sehr, dass nicht nur bereits sehr zahlreiche Bürgerinitiativen in München ihre Stimmen gegen ein ungebremstes und mittlerweile inhumanes Wachstum in unserer Stadt erheben, sondern dass sie nun einen Weg gefunden haben, sich miteinander zu vernetzten. Nur gemeinsam sprechen sie laut vernehmbar für eine immer kritischere Bürgerschaft. Es dürfte unter diesem zunehmenden Druck auf unsere Stadtregierung und unseren Stadtrat hoffentlich immer schwerer werden, dass sie ihren offensichtlichen Hang zu immer mehr Größe, Wachstum und zu einer immer weiteren Entfernung vom mehrheitlichen Bürgerwillen durchsetzen.
Diese gemeinsame Veranstaltung am 14. Januar bedeutet einen sehr erfreulichen, aber auch einen erwartungsvollen Lichtblick auf das neue Jahr 2019 und auf eine Zukunft mit mehr politischen Einsichten.
Reinhard Krohn