Am 9. Januar 2018 wandten sich 1.400 Feldmochinger gegen die SEM Nord, am 21. Februar 2019 taten es ihnen die Bürger im SEM-Nordost-Gebiet nach. Tatkräftig unterstützt vom Übergreifenden Bündnis Nord, stellte das neu gegründete Bündnis Nordost eine große Veranstaltung zu Europas größtem Bauvorhaben zwischen Daglfing, Englschalking und Johanneskirchen auf die Beine. Dabei kamen vor allem viele Bürger zu Wort, mit ihren Fragen, Sorgen und Unmutsäußerungen.
1.100 Anwohner und Interessierte – zahlreiche auch aus dem 24. Stadtbezirk – hatten im Saal Platz gefunden. Laut Polizei, die wegen des völligen Verkehrschaos die Zufahrtsstraße gesperrt hatte, wurden noch zwischen 500 und 1.000 Personen abgewiesen. Mehr durften aus brandschutzrechtlichen Gründen einfach nicht in den Spiegelsaal der Neuen Theaterfabrik.
Das Gelände an der Musenbergstr. 40, eine ehemalige Holzhandlung, ist begehrt für türkische Hochzeiten wie für Konzerte. An diesem Abend strömten aber vor allem Gegner der geplanten Bebauung im Nordosten zur Partymeile.
Alexander Reissl, Fraktionsvorsitzender der SPD im Stadtrat, fiel die (undankbare) Aufgabe zu, die SEM verteidigen zu müssen, weil OB Reiter trotz mehrmaliger Einladung abgesagt hatte – was ihm viele Bürger krumm nahmen, aber auch Katrin Habenschaden, die Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Stadtrat monierte. OB Reiter weilte lieber der Gedenkveranstaltung für Kurt Eisner bei, den ersten Ministerpräsidenten des neu gegründeten Freistaats Bayern nach der Novemberrevolution und der Vertreibung der Wittelsbacher, der just vor 100 Jahren am 21. Februar 1919 ermordet worden war. Dennoch waren, im Gegensatz zur Veranstaltung in Feldmoching, viele offizielle Stadtvertreter vor Ort, an ihrer Spitze Stadtbaurätin Elisabeth Merk. Zu sehen waren auch etliche BA-24-Mitglieder und Bayerns Kultusminister Michael Piazolo – an dem Abend aber wohl nicht als oberster Schulvertreter, sondern als Mitinitiator des Bürgerbegehrens „Maßlose Nachverdichtung stoppen – Lebensqualität sichern“.
Bürger machen ihrem Unmut Luft
OB Reiter verpasste in jedem Fall interessante Anschauungsstunden in Sachen Basisdemokratie. Denn viele Bürger konnten ihrem Ärger – endlich – einmal Luft machen: Unmut über die Art, wie Stadtpolitik/Verwaltung den Dialog mit den Bürgern führt und wie ihre Anregungen/Wünsche aus den Workshops eben nicht ernst genommen werden. Unmut über das Instrumentarium SEM und die damit drohende, weil rechtlich mögliche Enteignung. Unmut darüber, dass man schon heute im Verkehr erstickt, es immer noch Straßen ohne Geh-/Radweg gibt und dass man den Planern nicht zutraut, was sie im Kleinen – etwa im Prinz-Eugen-Park – nicht auf die Reihe bringen, dann plötzlich im ganz großen Stil schaffen sollten. Unmut darüber, dass seit Jahren schon gebaut und gebaut wird und dass trotz Kasernenkonversionen, trotz aller Nachverdichtungen, trotz neuer Wohnquartiere hier und Freiham dort die Wohnungspreise und Mieten immer nur einen Weg kennen: nach oben. Unmut darüber, dass billiger Wohnraum vernichtet wird und faire Vermieter vom Finanzamt bestraft werden. Unmut darüber, dass die Stadt privates Eigentum nicht respektiert, sondern Flächen überplant, die ihr noch nicht einmal gehören. Unmut über die geplante Dichte/Höhe der Bebauung, Unmut über die unsensible Zerstörung der jahrhundertealten Kulturlandschaft mit ihren Dorfkernen. Unmut über die heutige Architektur im einfalts- und fantasielos reduzierten Bauhaus-Look, nach dem Motto: quadratisch, praktisch, grau, nicht menschenwürdig. Unmut darüber, dass Gutachten nicht offengelegt werden, dass sich die Stadt nicht mehr gegenüber der Bahn dafür einsetzt, die vierspurige Eisenbahntrasse in einem Tunnel zu planen. (Reissl zog sich bequem aus der Affäre, indem er verwies, dass nun mal nicht die Stadt, sondern die Bahn für die Planungen zuständig sei und diese die Daglfinger Kurve eben oberirdisch plane).
Den vollständigen Artikel lesen in Ausgabe 5/2019!
Und wenn Sie sich selbst ein Bild von der sehr professionell gestalteten Veranstaltung machen wollen, dann sehen Sie mal auf YouTube rein unter:
redaktion meint
Die Veranstaltung zog tags darauf weitere Kreise, denn nun zweifelte die SPD an der Verlässlichkeit und Regierungsfähigkeit ihres Koalitionspartners im Münchner Stadtrat. Dazu folgender Leserbrief:
„Die Parteichefin der SPD, Claudia Tausend, beklagt die Kehrtwende der CSU im Streit um die Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme und unterstellt ihr, „billiger Applaus vor Ort sei ihr wichtiger als das Allgemeinwohl“.
Damit beleidigt sie über Tausend Bürger, die sich mit Recht um ihre Heimat sorgen und die sich mit guten Argumenten in die Baupolitik Münchens einmischen. Es ging bei der Veranstaltung „SEM NO“ am 21.2. in Daglfing nicht um Egoismus. Kein einziger Vorschlag kam im Sinne von „“Baut`s doch woanders und nicht bei uns!“. Die Bürger haben sich viele Gedanken gemacht, wie man die Mietpreise generell in den Griff bekommen könnte (Zuzug begrenzen ), wie die Landwirtschaft zu erhalten sei und die Grünflächen zu schonen sind (möglichst auf versiegelter Fläche bauen). Niemand hat sich einer maßvollen, angepassten Bebauung verweigert. Angst haben die Bürger vor der Dimension des neuen Stadtteils, und dem Instrument SEM, das eine Enteignung niemals ausschließen kann, denn, selbst wenn heutige Politiker dies verneinen, weiß man nicht, was in der nächsten Legislaturperiode noch gilt.
Der Applaus galt den Politikern auf dem Podium, die mit etwas mehr Menschlichkeit, und etwas mehr Weitblick als die SPD an die Problematik herangingen.
Ist es so ein großer Fehler, als Politiker auf die Stimmen aus der Bevölkerung zu achten?
Die SPD verteidigt ihre Strategie mit dem Hinweis auf das „Allgemeinwohl“.
Wer genau hat was davon, wenn wir eine Grünfläche nach der anderen zubetonieren, einen Wohnblock nach dem anderen hochziehen, mit der Schaffung von Arbeitsplätzen immer mehr Menschen und mehr Verkehr nach München locken? Doch wohl eher die Industrie und die Immobilenbranche – weniger die Allgemeinheit.
Was kein Mensch verstanden hat: Wozu brauchen wir 10 000 neue Arbeitsplätze?
Warum müssen wir den Zuzug noch immer weiter ankurbeln? Es ist das ungebremste Wachstum, das die Mietpreise in die Höhe schnellen ließ und lässt. An dieser Spirale sollte man drehen: Während der ländliche Raum verödet, platzt die Metropolregion München aus allen Nähten, mit all den dazugehörigen Nebenerscheinungen wie Überfüllung der Busse und Bahnen, endlosen Staus, Luftverschmutzung, Lärm, Verlust von Grünflächen – und, wie gesagt: steigenden Immobilienpreisen.“
Viele Münchner wünschen sich deshalb andere Politiker: Politiker, die nicht durch Schaffung von immer noch mehr Arbeitsplätzen in und um München den Zustrom nach München ankurbeln, was Wohnen in München erst teuer gemacht hat. Durch immer mehr Zubauen will man diesem Wachstumsdruck Herr werden. Man operiert an Symptomen, ohne die Ursachen zu hinterfragen und zu bekämpfen.
Wir brauchen ein Bündnis zwischen dem ländlichen Raum und der Metropolregion München. Wenn in bisher arg vernachlässigten, schrumpfenden Landregionen die Rahmenbedingungen für die Schaffung von Arbeitsplätzen verbessert werden, Ausbildungsplätze geschaffen und Kultur und Tourismus gefördert werden, profitieren nicht nur die abgehängten Regionen, sondern werden auch die Wachstumsregionen entlastet.
Ändern wir diese Rahmenbedingungen nicht, wird München in 10 Jahren mehr Bevölkerung haben, weniger Grünfläche, mehr Lärm, mehr Staus, mehr Schadstoffe, überfüllte öffentliche Verkehrsmittel und noch höhere Mieten.
In London, zum Beispiel, einer Stadt mit großem Wachstumspotential, sind die Mieten etwa so hoch wie in München – allerdings pro Tag – nicht pro Monat!
Sonja Sachsinger,
Christian meint
Wenn man die Veranstaltung live verfolgt und sich im Vorfeld mit der Thematik auseinandergesetzt hatte, durfte man feststellen, dass überwiegend von Seiten des SPD-Fraktionsvorsitzenden mit mangelnder Ernsthaftigkeit und auch mit vielen Unwahrheiten argumentiert wurde. Wer sich schon nach 10 Minuten in eine Opferrolle hineinbegibt, obwohl man Mittäter an der SEM-Maßnahme ist und dann mit der anhaltenden Kritik nicht ernsthaft genug umgeht – kann teilweise nur erschwert ernst genommen werden. Die SPD vertritt immer noch die Meinung: vui huift vui. Aber am Beispiel Karlsfeld kann man nur allzu gut sehen, dass ein hoher Wohnungsbau dazu führt, dass die Mieten in einem noch höheren Verhältnis steigen. Es wird auch nichts helfen, wenn man sich im Vorfeld die Grundstücke ergaunert, indem man eine SEM-Fläche von 600 ha festlegt, obwohl vermutlich 100 ha ausreichend wären. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, eine tolle Veranstaltung von Seiten des Nord-Ost-Bündnisses – mit dem hoffentlich dringend notwendigen Erfolg!