Wer die Standpunkte und die Politik der Stadtratsgrünen verfolgt, der muss immer wieder irritiert den Kopf schütteln. Sind das wirklich die Grünen, die für die immer weitere Bebauung der Stadt München stimmen? Die sich für eine massive Bebauung einsetzen? Das Übergeordnete Bündnis München Nord und das Bündnis Nordost haben daher Ende Juni an Katrin Habenschaden, die bei den Kommunalwahl im nächsten Jahr erste grüne Oberbürgermeisterin Münchens werden möchte, sowie an die beiden Bundesvorstände der Grünen, Annalena Baerbock und Robert Habeck, und an die beiden Fraktionsvorsitzenden im Bayerischen Landtag, Katharina Schulze und Ludwig Hartmann, gemeinsam einen offenen Brief geschrieben. Darin geht es um die Positionierung der Grünen in München und deren Widersprüche zur Landes- und Bundespolitik, aber auch zu den Grundwerten der Grünen. Schließlich soll jeder, der im nächsten Jahr sein Kreuz bei den Grünen wissen, wofür sie tatsächlich stehen.
„Die Bevölkerung Münchens, nicht nur im Norden und Nordosten, macht sich zunehmend Sorgen über die Entwicklung ihrer Bezirke und der ganzen Stadt, sondern sie beklagt auch den steigenden Verlust an Lebensqualität.
Irritierend empfunden werden dabei v. a. die teilweise konträren Positionen der Grünen im Münchner Stadtrat und der Grünen im bayerischen Landtag (Befürwortung einer SEM in München ↔ bayernweites Bürgerbegehren gegen Flächenfraß). Ein ähnlich erstaunliches Verhalten zeigte sich darüber hinaus z. B. in Freiburg und Erlangen, wo 40 % bzw. 54 % der Bevölkerung eine große Bebauung ablehnten, die Grünen dies jedoch in beiden Fällen befürworteten.
Der Versiegelungsgrad der Fläche Münchens liegt bei etwa 50 % und nimmt stetig zu. Die Zahl der Bäume in der Stadt nimmt jährlich um ca. 2.500 Stück ab, nach Berücksichtigung von Nachpflanzungen. Die Stadt will in Landschaftsschutzgebiete bauen, wichtige Kleinode wie der Eggarten werden ohne Zögern zerstört, Umwelt- und Naturschutz werden dem Wohnungsbau und der Wachstumspolitik geopfert.
Bürgerinitiativen erwarten klare Antworten von den Grünen
Die nächste Kommunalwahl steht in neun Monaten an. Die Bürgerinitiativen dieser Stadt werden dabei mit einer einheitlichen und klaren Positionierung auftreten. Wir möchten Sie deshalb bitten, die nachfolgenden Fragen klar und eindeutig zu beantworten, sodass wir uns ein zutreffendes Bild über die Einstellung der Grünen zur Stadtentwicklung machen können. Wir erwarten, dass sich die Grünen zum geplanten Neubaugebiet SEM-Nordost klar und deutlich positionieren. Von den Naturschutzverbänden Bund Naturschutz in Bayern (BN) und Landesbund für Vogelschutz (LBV) wurde zu diesem Bauvorhaben ein Gutachten erstellt. Dieses Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass dort unter Beachtung der Schutzgüter Klima, Boden, Wasser, Pflanze, Tier, Landschaftsbild und Mensch höchstens Platz für 10.000 Bewohner und 2.000 Arbeitsplätze ist, auf einer Fläche von maximal 91 ha. Mit höheren Zahlen ist eine verträgliche Stadtentwicklung, die v. a. das langfristige Wohl der Menschen beachtet, nicht möglich.
10.000 oder 30.000 Neubewohner? Wofür stehen die Grünen wirklich?
Auf unserer Veranstaltung „Europas größtes Bauvorhaben“ am 21. Februar 2019 in der Neuen Theaterfabrik sagten Sie vor 1.100 Besuchern, dass Sie sich an diesem Gutachten, das für Sie eine klare Maßgabe ist, orientiert haben und einer Bebauung auf maximal 91 ha zustimmen. Doch Ihr Antrag auf dem Stadtparteitag vom 23. März 2019, vier Wochen nach der Veranstaltung, sieht eine Wohnbebauung für 25.000 bis 30.000 Einwohner vor, somit das Zweieinhalb- bis Dreifache.
Warum nehmen Sie und die Münchner Grünen Abstand von einer verträglichen Stadtentwicklung für die ansässigen Bürger?
Warum haben die Grünen am 01. Juni 2016 (14-20/V 05474) eine Erhöhung der Einwohnerdichte in diesem Gebiet abgelehnt, die sie jetzt befürworten?
Wie viele Hektar wollen die Grünen im Nordosten tatsächlich bebauen?
Das Gutachten beschränkt die Bebauungsfläche auf 91 ha. Wenn die vorgesehenen 30.000 Einwohner auf 91 ha untergebracht werden sollen, würde das für diesen neuen Stadtteil eine Bevölkerungsdichte bedeuten, die fast dem dreifachen Wert von New York City entspricht. Eine technische Machbarkeitsstudie (Landschaftsarchitekten BDLA) kommt dagegen zu dem Ergebnis, dass der Flächenverbrauch zwischen 248 und 263 ha liegt.
Unsere Fragen:
• Bleiben Sie bzw. Ihre Partei bei der Aussage, auch für die kommende Amtsperiode, dass der Flächenverbrauch auf maximal 91 ha beschränkt wird?
• Welche Maximalzahl von Einwohnern wollen Sie auf dieser Fläche unterbringen?
• Wie viel Arbeitsplätze maximal wollen Sie dort schaffen?
Wie stehen die Grünen zur Verlegung der S-Bahn in einen Tunnel?
Es gibt einen Stadtratsbeschluss vom 29. Februar 2012 für eine zwingende Verlegung der Bahn in Daglfing und Johanneskirchen in einen Tunnel und deren Fertigstellung vor Beginn einer Bebauung. Diese Bedingung wurde wiederholt bestätigt, zuletzt am 25. Juli 2018. Unsere Fragen:
Bleiben Sie und Ihre Partei bei der Aussage, auch für die kommende Amtsperiode, dass vor Beginn einer Bebauung die Verlegung der Bahn in einen Tunnel fertiggestellt sein muss? Soll Ihrer Meinung nach die Stadt München, wie angekündigt, eventuelle Fehlkosten der Tunnellösung übernehmen?
Wie stehen die Grünen zum agrarstrukturellen Gutachten?
Am 18. Juli 2017 fassten die Grünen auf ihrer Stadtversammlung folgenden Beschluss:
„Über die Städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen (SEM) werden wir uns in diesem Sinne und unter Berücksichtigung eines agrarstrukturellen Gutachtens, wie es in Nürnberg erstellt wurde, ein Bild machen und zeitnah zu einer Entscheidung kommen.“
Unsere Frage: Warum wurde dieser Beschluss nicht umgesetzt und warum wurde dieses Gutachten nicht abgewartet?
Wie stehen die Grünen zur Bebauung in Ludwigsfeld und zur Kosmo?
Seit mehr als zehn Jahren wird auf sämtlichen Informationsveranstaltungen den anwesenden Bürgerinnen und Bürgern erzählt, dass Bebauungsgebiete der Größe SEM Nord (heute Kosmo) bzw. SEM Nordost einer großflächigen zusammenhängenden Planung bedürfen und nur als Ganzes zu betrachten sind.
Laut (…) unseren Recherchen wird nun ein gewisses Gebiet aus dem Planungsbereich Kosmo München Nord herausgenommen. Diese Gebiete sind im Eigentum der Stadt bzw. gehören uns bekannten Bauträgern.
Unsere Fragen:
• Warum wurden diese Gebiete aus dem Planungsbereich herausgenommen?
• Haben die bekannten Bauträger, die seit vielen Jahren mit der Stadt eng zusammenarbeiten, irgendwelche Sonderrechte oder warum wurde für diese eine Sonderlösung erarbeitet?
• Warum müssen diese Bauträger sich nicht auch den übergeordneten Themen wie
Verkehrsgutachten, Umwelt- und Naturschutzgutachten … stellen?
Wie halten die Grünen es mit Artenschutz & Flächenversiegelung
Svenja Schulze (SPD, Bundesumweltministerin) will ein deutschlandweites Insektenschutz-Gesetz auf den Weg bringen. Vorbild ist das Volksbegehren in Bayern. U. a. sollen nach ihren Plänen bis zum Jahr 2050 (!) in den Städten keine neuen Flächen für Wohngebiete und Straßen mehr versiegelt werden.
Unsere Frage: Werden Sie und die Grünen diesen Vorschlag auch für München unterstützen?
Wie stehen die Grünen zur weiteren Versiegelung Münchens?
Der Versiegelungsgrad der Stadt München liegt aktuell bei etwa 50 % und nimmt stetig zu. Der Münchner Stadtrat hat vor ein paar Jahren die sog. „Leitlinie Ökologie“ verabschiedet. Darin heißt es, dass aus Gründen des Klimawandels und des erforderlichen Regenrückhaltevermögens eine Entsiegelung dringend notwendig ist. Es wurde verlangt, Münchens Fläche um 10 % zu entsiegeln. Stattdessen nimmt der Versiegelungsgrad jährlich zu und zwar um mehr als 10 %.
Das heißt, die Forderungen dieses Beschlusses werden nachweislich nicht erfüllt.
Eine Studie für Manchester, die auch auf München übertragbar ist, zeigt folgende Temperaturerhöhungen bis 2080 für das Stadtzentrum:
+ 4,5 ° C bei aktueller Grünbedeckung
+ 8,5 ° C bei 10 % weniger Grünbedeckung
+ 0,6 ° C bei 10 % mehr Grünbedeckung.
Die Erwärmung für die Münchner Innenstadt könnte durch mehr Grün gebremst werden, aber die derzeitige Politik führt stattdessen zu einer beängstigenden Erhöhung.
Allein im Sommer 2017 starben z. B. in Baden-Württemberg (s. https://www.statistik- bw.de/Presse/Pressemitteilungen/2018168) knapp 1.400 Menschen durch Hitze.
Unsere Fragen:
• Welche Maßnahmen werden in München durch Sie und die Grünen gegen den Klimawandel ergriffen?
• Welche Kaltluftentstehungsgebiete in der Stadt wollen Sie und die Grünen erhalten?
• Wie viel Prozent mehr oder weniger Grünflächen wollen Sie und die Grünen im Jahr 2030 in der Stadt haben?
• Teilen Sie unsere Ansicht, dass durch weitere Versiegelungen in München die Erwärmung ansteigt und damit die Gefahr zunimmt, dass künftig, über einen Zeitraum von wenigen Jahren, einige tausend Menschen daran sterben können?
• Mit welchen Maßnahmen wollen Sie bei Starkregenereignissen (die immer mehr werden) die durch den hohen Versiegelungsgrad fehlenden Versickermöglichkeiten kompensieren und somit Überschwemmungen vorbeugen?
Wie halten es die Grünen tatsächlich mit dem Klimaschutz?
München hat sich zum Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2050 klimaneutral zu sein (Beschluss des Stadtrates vom 27. September 2017). Unsere Fragen:
• Nehmen Sie und Ihre Partei diese Ziele ernst und wollen Sie deshalb ernsthaft mitwirken, Treibhausgase und andere klimaschädliche Faktoren zu vermeiden?
• Glauben Sie, dass dieses Ziel erreicht werden kann, in Anbetracht der geplanten vehementen Bautätigkeit und der damit verbundenen Treibhausgasemissionen und dem gleichzeitigen Verlust von CO2-Speichern (Versiegelung vorhandener Grünflächen und Abholzung unzähliger Bäume)?
• Gibt es aus Ihrer Sicht diesbezüglich eine Grenze für das Wachstum und die Einwohnerzahl Münchens? Wo würden Sie diese Grenze ziehen (1,6 Mio. Ew., 1,8 Mio. Ew., 2,0 Mio. Ew. …)? Oder bei welchem Verhältnis von Grünfläche zu bebauter Fläche (Versiegelungsgrad) ist aus Ihrer Sicht diese Grenze erreicht?
Wie halten die Grünen es mit der regionalen Versorgung?
In der geänderten „Leitlinie Ökologie“ (2012 vom Stadtrat beschlossen) werden Wälder und landwirtschaftliche genutzte Flächen für eine maximale Stabilisierung zur CO2-Fixierung erwähnt (Ziff. 10.2 der Leitlinie, Ökologie-Klimawandel/Landnutzung und Naturhaushalt-Ziele). Leider sind keinerlei Ziele angegeben.
Unsere Frage: Gelten die Ziele noch, so wie sie in der alten „Leitlinie Ökologie/Agenda 21“ formuliert worden waren:
„Landwirtschaftlich genutzte Freiflächen werden zum größten Teil erhalten und nachhaltig bewirtschaftet; damit werden … wertvolle, stadtnahe Entwicklungsräume erhalten … Der Anteil regional produzierter Lebensmittel wird deutlich erhöht …“
Werden Sie und die Grünen sich dafür einsetzen?
Wie halten die Grünen es mit der Bürgerbeteiligung?
Bürgerinformationsveranstaltungen und Bürgerbeteiligungen bei Bauprojekten entwickeln sich immer mehr zu reinen Marketingveranstaltungen, um möglichst reibungslos und ohne Widerstand an die Umsetzung gehen zu können.
Unsere Frage: Befürworten Sie und die Grünen eine echte Bürgerbeteiligung, d. h. Mitsprache, Mitwirkung und Mitentscheidung sowie eine Veto-Möglichkeit für die Bürger?!
Mit freundlichen Grüßen
Dirk Höpner & Reinhard Sachsinger, Übergreifendes Bündnis München Nord
Daniela Vogt & Markus Bichler, Bündnis Nordost
ReinhardKrohn meint
Dem an die Führungsmannschaften der Grünen in München und in Berlin vom Übergreifenden Bündnis München-Nord und Bündnis Nord gerichteten Offenen Brief zu ihren Widersprüchen in der Bundes- und der Landespolitik und zu deren Grundwerten kann ich voll und ganz zustimmen. Ein deratiges „Dokument“ zur Aufhellung der wahren politischen Praktiken dieser auf ihrer Erfolgswolke schwebenden Partei gehört eben auch zu einer intelligenten und aufmerksamen demokratischen Gesellschaft. Ich will die Inhalte des Briefes nicht lange kommentieren, sie dürften allesamt gut durchdacht und begründet sein.
Nur eine Bitte hätte ich an die Initiatoren: Drängen Sie bitte auf eine rasche Beantwortung Ihres Briefes und lassen Sie es nicht zu, dass dieses vermutlich unangenehme Papier „aus dem Volke“ verschleppt und schließlich zu den Akten gelegt wird. Und, bitte veröffentlichen Sie die baldigst erwarteten Antworten von den Grünen, bin sehr gespannt, wie diese dann aussehen werden. Dann werden ich und vermutlich viele andere auch die stolzen Grünen in ihrer politischen Gewichtung in unserer Gesellschaft neu bewerten können. Reinhard Krohn