„Herrgott lass Hirn regnen“ – das denkt sich so mancher, wenn er die jüngste Politik in Bayern und vor allem in München verfolgt. Beispiel gefällig?
Da konnte Manuel Pretzl, Stadtrat, CSU-Fraktionsvorsitzender und 2. Bürgermeister, am 24. Juli gar nicht schnell genug den Arm heben, als es um die Zustimmung zur Bebauung des Eggartens ging, dem viele Fachleute in zahlreichen Gutachten nicht nur einen wertvollen Baumbestand von über 1.000 großen Bäumen und viel Artenreichtum attestieren.
Nur ein paar Tage später, am 29. Juli, reichte exakt dieser CSU-Politiker zwei Anträge zum Natur- und Klimaschutz in der Stadtplanung ein und fordert darin u. a. die Verwaltung auf zu untersuchen, wo auf städtischen Plätzen und Freiflächen noch Bäume und Grünflächen entstehen könnten. Seine Begründung: „Wir erleben es in diesen Tagen: die Menschen in München sind froh um jede Grünfläche mit Wiesen und Schatten spendenden Bäumen. Die Flächen werden bestens angenommen und intensiv genutzt.“ Ach ja, wie richtig.
Doch bekanntermaßen braucht es einige Zeit, bis Bäume ihre klimaverbessernde Wirkung entfalten können. Im Eggarten und bei so gut wie jedem neuen Bauvorhaben, das der Stadtrat und die Lokalbaukommission abnicken, stehen Bäume im Weg und müssen dem Beton weichen. Man denke beispielsweise nur an die vielen Bäume entlang der Ratold-/Raheinstr., die der CA-Immo-Bebauung im Wege stehen! Die paar Ersatzpflanzungen sind Alibihandlungen. Offiziell verliert München rund 2.500 Bäume pro Jahr. Die vielen Fällungen auf Privatgrundstücken, denen einfach mal so Fichten, Birken & Co. zum Opfer fallen, noch gar nicht eingerechnet.
Aber offensichtlich eifert Manuel Pretzl seinem großen Vorsitzenden nach, der ja nun auch den Klimaschutz für sich entdeckt hat und 30 Millionen Bäume pflanzen lassen will. Wäre doch sinnvoller, sie nicht erst in der Ittlingerstr., in der Rahein- und Ratoldstr., im Eggarten, im im im … abzuholzen! Aber dann hätten ja die Kollegen von der AZ keine Titelgeschichte im Sommerloch mehr …
Sabine Kinseher meint
Der Stadtrat hat am 24.7. das Strukturkonzept (Bebauung mit 2000 Wohnungen) einfach mal so durchgewunken -in großer Eile versteht sich. Gegengutachten wurden nicht zugelassen/ Einwände vom Bund Naturschutz und dem Landesverband für Vogelschutz nicht gehört, eine Vertagung abgelehnt. 5 Tage später hat der nette Herr Pretzl (CSU), der als erster ganz beflissen das Aus des Eggartens befürwortet hat, medienwirksam den Antrag gestellt hat, Grünflächen zu erhalten/ Bäume zu pflanzen, weil gerade im Sommer die Menschen froh seien um Grünflächen mit Wiesen und schattenspendenden Bäumen!! Zynismus pur! Was für eine unerträgliche Scheinheiligkeit! In diesem Zusammenhang: Ein Hoch auf Johann Sauerer (ebenfalls CSU). Er hat als Einziger (!) in der CSU gegen die Zerstörung des Eggartens gestimmt!. Der Mann Mann hat eben Rückgrat! Chapeau!! Mich würde brennend interessieren, wie die Befürworter des Strukturkonzepts Ihre Entscheidung ihren Kindern erklären. Diese Doppelbödigkeit! Wenn ich da nur an Kristina Frank (CSU und Bürgermeisterin in spe) denke: Lässt sich mit Felix Finkbeiner (Initiator der „Plant for the planet- Bewegung“) ablichten und gibt sich als Umweltretterin und winkt dann ohne mit der Wimper zu zucken das Strukturkonzept durch. Macht sich halt gut, wenn man ganz nach oben will…Und da gäbe es viele weitere Beispiele! Grauenhaft! Können die Herrschaften tatsächlich sich noch ins Gesicht schauen und ruhig schlafen? Oder ist alles egal, Hauptsache die Sache ist vom Tisch, Hauptsache der Rubel rollt?
War das schon immer so, dass Politiker das Eine Sagen und das Andere machen oder war Politik früher bürgernäher, ehrlicher und weniger investorenhörig? Hatte man früher weniger Fraktionszwang, mehr Courage, mehr Rückgrat?
Ich bin so enttäuscht und das Gefühl der Ohnmacht ist lastet schwer.
Ich finde Flächenversiegelung und immer sterilere Neubauten schlimm – speziell auch mit Blick auf das Insekten- und Vogelsterben und die allgemeine ökologische Katastrophe. Aber auch, weil mit Gärten, speziell „verwunschenen“ und ein bisschen wilden Gärten, immer auch ein Stück emotionale Heimat verloren geht.
Goaßzipfe meint
Hallo Frau Kinseher,
ich stimme Ihnen in allem zu, nur den Chapeau für Hr. Sauerer, den dürfen wir nicht zücken. Der hat genauso wenig Rückgrat, wie alle anderen Politiker auch. Der wurde von der Fraktion nur vorgeschickt, um den bösen bzw. in unseren Augen guten Cop zu geben. Der trägt diese Entscheidung ebenfalls mit. Man will uns hier nur vorgauckeln, dass es in der Fraktion durchaus unterschiedlichen Meinung gibt und der Fraktionszwang nicht gilt. Also bitte nicht blenden lassen und weiter kritisch bleiben.
snoopypeanuts1 meint
Super geschrieben Sabine. Wir sind alle Deiner Meinung.
epharly meint
Auf den Punkt gebracht, danke. Solche Kämpfer/-innen bräuchten wir im Tausenderbereich. Aber leider regiert Geld die Welt und am Charakter fehlt es bei vielen Menschen.
Birgit Sasowski meint
Bäume sind für unsere Entscheidungsträger in der Realität offensichtlich von geringem Wert. Es wird großartig über Bäume geredet, die Taten und Konsequenzen zeigen leider das Gegenteil auf. Ich möchte in diesem Zusammenhang auf die Untertunnelung des Rings im Englischen Garten aufmerksam machen. Hier sollen über Tausend Bäume Altbaumbestand gefällt werden. Die jüngeren Bäume sind hier nicht mit eingerechnet. Die Zahl an Baumfällungen wird in die Zigtausende gehen. Das Projekt stellt für mich eine unnötige Ressourcen- und Energieverschwendung dar und ist mit den geplanten Baumfällungen in der heutigen Zeit nicht zu verantworten. Ersatzpflanzungen können einen alten Baumbestand nicht aufwiegen, vielleicht in zweihundert Jahren, aber wir brauchen unsere alten Bäume jetzt – in Zeiten der Klimaerwärmung. Auch für den Eggarten gilt für mich – jeder Baum ist schützenswert, und das Areal mit seinem einmaligen seltenen Tieren sollte als Naturschutzgebiet ausgewiesen werden und keinesfalls überbaut werden.
Karin meint
Sehr schön! Vielen Dank, dass Sie hier einhaken und den Brief an den feinen Herrn von der CSU geschrieben haben. Das sollte man noch mehr an die Öffentlichkeit bringen! Es wird alles immer verrückter und macht letztendlich doch keinen Sinn! Dort einen wunderschönen Altbestand abzuholzen, um woanders neu zu pflanzen. Welche Lobby steckt dahinter? Stimme ich so einem Projekt wie der Bebauung des Egggartens zu, weil im Hintergrund schon die Baufirmen mit den Hufen scharren…und letztendlich Vorteile daraus gewonnen werden für die „Zustimmer“…?
Redaktion meint
Beim Eggarten stimmt die CSU dafür, 20 ha wertvoller Biodiversität mit etwa 900 alten Bäumen platt zu machen. Ein paar Tage später stellen sie diesen Antrag.
Kann irgendjemand diese unerträgliche, scheinheilige Haltung der CSU erklären?
Sie ist nicht auszuhalten. Daher ging heute folgender offener Brief an Stadtrat Pretzl.
Sehr geehrter Herr Pretzl, sehr geehrte Damen und Herren aus der CSU-Fraktion,
„CSU will mehr Grün“ – ein hervorragender Vorschlag.
Es ist wichtig, auch an die Kranken und Alten in unserer Stadt zu denken, die der zunehmenden Hitze in den Sommermonaten ausgeliefert sind. Bäume helfen, die Temperatur in den Städten nicht noch extremer ansteigen zu lassen. Vor allem die Verdunstungskälte großer Grünflächen mit hohem alten Baumbestand trägt dazu bei, dass die Tropennächte, die in Zukunft durch den Klimawandel immer häufiger auftreten werden, einigermaßen auszuhalten sind. Beton bewirkt – wie Sie richtig schreiben – genau das Gegenteil: Wärmespeicherung und Aufheizung. Auch der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU)* hat sich mit diesem Phänomen beschäftigt. (s. unten)
Unerklärlich ist mir allerdings in diesem Zusammenhang, weshalb die gesamte CSU-Fraktion – außer Herrn Sauerer – in der Stadtratsvollversammlung vor ein paar Tagen für die Bebauung des Eggartens gestimmt hat. Der Eggarten liegt am Kreuzungspunkt zweier wichtiger Frischluftschneisen – sowohl in N-S- als auch in W-O-Richtung. Die 21 ha große Grünfläche sorgt mit ihrem alten Baumbestand für Abkühlung in der Stadt. Wird er bebaut, wird nicht nur die Frischluftzufuhr unterbunden, sondern das ohnehin dicht bebaute Gebiet in der Umgebung durch Flächenversiegelung und Bebauung weiter aufgeheizt.
In den 24. Stadtbezirk werden etwa 15 000 bis 20 000 Menschen dazukommen – ohne SEM bzw. KOSMO. Direkt südöstlich an den Eggarten angrenzend entstehen viele Arbeitsplätze (z. B. geplant: ein 99 m hoher Büroturm). Es gibt dort viele neue Hotels (z. B. Hotelturm M082, 77 m hoch), geplant sind dort, neben 500 Wohnungen, auch ein Senioren- und Pflegeheim.
Der Erholungsdruck auf Grünflächen wird extrem steigen. Die Seen im Münchner Norden sind bereits jetzt total überlaufen, ebenso der Olympiapark mit seinen zahlreichen Events.
Der Eggarten hätte als ruhige Erholungsfläche diesbezüglich für Entspannung gesorgt.
Es geht hier nicht nur um Artensterben, es geht um die Gesundheit der Stadtbevölkerung, es geht um Menschensterben.
Über eine Antwort würde ich mich sehr freuen!
Mit freundlichen Grüßen
Sonja Sachsinger
*Auszüge aus dem SRU (Sachverständigenrat für Umweltfragen:
ISBN 978-3-947370-14-6
https://www.umweltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/04_Stellungnahmen/2016_2020/2018_11_Stellungnahme_Wohnungsneubau.pdf?__blob=publicationFile&v=18
Aus Gründen des Flächenschutzes sollte, wie auch im Baugesetzbuch vorgegeben, die städtebauliche Entwicklung vorrangig durch Maßnahmen der Innenentwicklung erfolgen. (Anmerkung: Innenentwicklung = Nachverdichtung in der Innenstadt)….
… Grundsätzlich sollten Nachhaltigkeitskriterien stärker bei der Vergabe berücksichtigt werden. …
… Innerstädtische Freiräume, insbesondere Grünräume und Gewässer, beeinflussen die Lebensqualität und Gesundheit der Bewohnerinnen und Bewohner in besonderem Maße und sind wesentlich für die Anpassung an den Klimawandel. Vor allem bei kompakten und dichter werdenden Städten ist es essenziell, dass diese Funktionen erhalten bleiben und gefördert werden.
… Dies verstärkt die Gefahr, dass vor allem möglichst schnell gebaut wird und dabei wichtige Umweltaspekte, wie der Erhalt und die Entwicklung qualitativ hochwertiger Grünräume, sowie ökologisch nachhaltige Bau- und Infrastrukturen vernachlässigt werden (wenn ich nur dran denke, wie schnell der TOP Eggarten im Stadtrat durchgewunken wurde! )
… Eine doppelte Innenentwicklung, welche die Wohnraumbereitstellung und die Entwicklung von Freiräumen für die Lebensqualität der Menschen und der Natur in den Städten gemeinsam adressiert, bietet das Potenzial, bestehende Zielkonflikte und Synergien zu erkennen, um soweit möglich Lösungen zu finden.
(da sind wir weit davon entfernt!!!)
… Ziel aus Sicht des SRU sollte es sein, dass Umwelt- und Gesundheitsaspekte bei zukünftigen Bauaktivitäten einen deutlich höheren Stellenwert erlangen, als dies heute bereits der Fall ist. Dies nicht zuletzt, damit die UN-Ziele zur nachhaltigen Entwicklung, denen sich Deutschland in seiner Nachhaltigkeitsstrategie verpflichtet hat, bei der Entwicklung der Städte einen hohen Stellenwert erlangen.
… Zunahme gesundheitlicher und sozialer Belastungen. Bei einer baulichen Nachverdichtung zulasten grüner Infrastruktur (Parks, Waldflächen etc.) besteht das Risiko, dass gesundheitliche und soziale Belastungen für die Bewohnerinnen und Bewohner zunehmen.
… Das lokale Klima in Städten wird stark durch die Topografie, die Bebauungsdichte und den Versiegelungsgrad, die Bodeneigenschaften sowie die Vegetation beeinflusst. (weiß eigentlich jeder, ist aber den meisten Lokalpolitikern wurscht!)