Und wieder ein offener Brief!
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Reiter,
am 3.12.2019 wurden Sie von der Zeitung ‚Hallo München‘ gefragt, was Sie von unserer Kritik an dem irrwitzigen Wachstum unserer Stadt halten, und Sie sagten: „Diese Haltung ist vor allem egoistisch.“ … „Die Vertreter dieser Liste (Anmerkung: München-Liste) können selbst keine Lösungen anbieten.“ … „Wie soll das gehen: … einen Wassergraben um München ausheben?“
Sehr geehrter Herr Reiter, Sie haben offenbar noch nie einen Blick auf die Inhalte unserer Webseite, Flyer und sonstiger Veröffentlichungen geworfen, denn dort finden Sie ausschließlich eines: Lösungsvorschläge!
Seit unserer Gründung im Sommer 2019 äußern Sie sich immer wieder abfällig über die Gedanken, die wir uns zur Zukunft unserer Stadt machen. Sie reden unsere Bemühungen um eine Wende beim Wachstum schlecht und werfen uns Egoismus vor. Damit treffen Sie ausgerechnet unsere zahlreichen Ehrenamtlichen aus den Münchner Bürgerinitiativen, die sich einsetzen in den Bereichen Wohnen, Verkehr, Umwelt, Soziales und vielem mehr. Sie treffen Hunderte von Münchnerinnen und Münchnern aus allen Stadtvierteln, die sich zum Wohle der Gemeinschaft engagieren, weil sie etwas bewegen wollen. Wir bemühen uns, den Münchner Bürgerinitiativen eine Stimme zu geben, weil wir selber aus Bürgerinitiativen kommen.
Wir haben wochenlang nicht auf falsche oder beleidigende Aussagen Ihrerseits reagiert, um zu deeskalieren. Aber mit diesem Interview sind Sie zu weit gegangen. Wir möchten unsere Ehrenamtlichen schützen. Höfliche, sachliche Kritik an Konzepten finden wir in Ordnung (z.B. ‚Meine Vorstellung von Wohnungspolitik ist …‘), das machen wir auch. Aber das Herabsetzen der Menschen, die andere Konzepte haben als Sie, indem sie diese Menschen als dumm und egoistisch darstellen, ist nicht in Ordnung, sondern gerade für Ehrenamtliche extrem belastend.
Sie schlagen aber auch Einladungen aus, bei denen Sie sich mit den mittlerweile weit über 80 Bürgerinitiativen auf einem Podium, in einer Gesprächsrunde oder bei einem Ortstermin inhaltlich auseinandersetzen müssten. Das hinterlässt keinen guten Eindruck bei der Bevölkerung.
Wachstum qualitativ, nicht quantitativ
Sie suggerieren den Lesern, dass die München-Liste generell kein Wachstum möchte und auch keine Gewerbeflächen ausweisen, und, noch schlimmer, unterstellen zwischen den Zeilen so etwas wie eine Wagenburg-Mentalität. Wir erklären es Ihnen gerne nochmal: Jeder Einzelne, der herkommt, ist als Mensch herzlich willkommen. Wir können ganz einfach die Dimension des Ansturms nicht verarbeiten, wie wir an der Wohnungsknappheit, dem S-Bahn-Chaos, den Mängeln bei der sozialen Infrastruktur, der Flächenversiegelung und vielem mehr sehen. Besonders irreführend sind Ihre Aussagen für die Münchner Handwerker und Gewerbetreibenden, die den täglichen Bedarf der Münchner decken und natürlich ganz besonders zu unterstützen sind.
Wir möchten eine innovative Struktur- und Wachstumspolitik für München, das Land und den Bund anstoßen. Das Grundgesetz fordert gleichwertige Lebensverhältnisse im Land, die Bayerische Verfassung auch, und ein Raumordnungsgesetz steht im Koalitionsvertrag der Bundesregierung. Es braucht eine bis dato einmalige, nachhaltige Investitionsoffensive auf Landes- und Bundesebene und eine Korrektur der Fehlanreize, allen voran die Abhängigkeit von der Gewerbesteuer, die bisher faktisch zu Gewerbeansiedlung zwingt und damit weiteres Wachstum und Flächenversiegelung auslöst. Dafür könnten Sie als Oberbürgermeister sich noch heute beim Ministerpräsidenten und der Bundeskanzlerin einsetzen.
Wir streben eine Balance an zwischen Wohnen, Gewerbe und Naturschutz. Wenn die Zahl der Arbeitsplätze um 350 % stärker als die der Wohnungen wächst und in Landschaftsschutz- und Wasserschutzgebiete, in Frischluftschneisen und in allgemeine Grünflächen gebaut wird, dann sagen wir: Nein!
Sie hätten volle 6 Jahre Zeit gehabt, die Wohnungsnot auf die von uns genannte, sinnvolle Art zu bekämpfen, die soziale Infrastruktur an den Einwohnerzuwachs anzupassen, S-, U- und Trambahnen gemeinsam mit der Deutschen Bahn fit zu machen, Planungen rechtzeitig anzuschieben und bei Land und Bund vorzusprechen wegen der Strukturpolitik. Aber Sie haben diese Zeit nicht genutzt. Deshalb haben wir, Münchnerinnen und Münchner aus allen Stadtvierteln, uns zusammengetan, um uns ab März 2020 direkt in die Politik einzubringen.
Stillstand?
Sie sagen, ‚Jeder Stillstand ist ein Rückschritt und kann Arbeitsplätze kosten.‘ Sehr geehrter Herr Reiter, wir haben nicht zu wenig Arbeitsplätze, sondern zu viele! Die Firmen können ihre freien Stellen nicht annähernd besetzen, z. B. bei Ingenieuren. Und so lockt man immer noch mehr hochqualifizierte Leute von außerhalb her, die riesige Gehälter bekommen und mit Münchnerinnen und Münchnern um Grundstücke und Wohnungen konkurrieren. Und dann fehlen wieder die Kräfte, die diesen Hochqualifizierten zuarbeiten müssen, von der Erzieherin bis zum Busfahrer. Wir sagen: Wachstum geht nur, wenn die Infrastruktur samt der dafür nötigen Mitarbeiter schon da ist und die Umwelt nicht weiter zerstört wird.
Gesellschaftspolitisch falsch?
Sie sagen, unsere Haltung sei ‚gesellschaftspolitisch falsch‘! Herr Oberbürgermeister, durch den Zuzug der Gutverdiener in solchen Dimensionen verlieren genau die Leute, die Sie – und das glauben wir Ihnen – schützen wollen, ihr Zuhause, ihr vertrautes Umfeld. Am Ende haben Sie nur noch die Reichen da, die sich – Entschuldigung – sauteure Wohnungen wie die auf dem ehemaligen Paulaner-Gelände für 20.000 Euro/qm leisten können. DAS ist gesellschaftspolitisch falsch und höchst unsozial. Unser Ansatz: Strukturpolitik.
Wo waren Sie?!
Der Münchner Merkur zitiert Sie am 5.12.2019: „Wahnsinn, das S-Bahn-Chaos heute den ganzen Tag!“ Die CSU müsse in der Staatsregierung in Sachen S-Bahn „endlich ihre Verantwortung ernst nehmen“ und sofort handeln, heißt es weiter. Besser hätten wir gefunden, Sie hätten gesagt: „Ich, Ihr Oberbürgermeister, übernehme die Verantwortung dafür, dass die S-Bahn nicht mehr funktioniert, und bringe die Deutsche Bahn und die CSU und alle sonstigen Verantwortlichen umgehend dazu, dass sich das ändert.“
Und, Herr Oberbürgermeister, wo waren Sie denn, als Ende November die Pasinger Jahrhunderteiche gefällt wurde? Wo, BEVOR das Uhrmacherhäusl abgerissen werden konnte? Der idyllische Eggarten der Zerstörung preisgegeben? Es wäre Ihre Pflicht gewesen, die Lage, in der wir jetzt sind, abzuwenden! Warnungen von Experten gab es frühzeitig (z.B. Bericht der Enquete-Kommission ‚Gleichwertige Lebensverhältnisse in ganz Bayern‘). Aber Sie reagieren immer nur, wenn es schon zu spät ist.
Auf andere Vorschläge einlassen
Sie weigern sich, den Gedanken an sich heranzulassen, dass wir mit unserem Lösungsansatz Recht haben könnten. Sie reden immer nur vom Bauen. Es ist aber aussichtslos, die Wohnungsnot beseitigen zu wollen durch massiven Neubau, solange von außen mehr Menschen pro Jahr nachkommen als in der gleichen Zeit irgendein irdisches Wesen in München Wohnungen produzieren kann. Das beobachten wir nun doch schon seit Jahren!
Wir brauchen massive Anreize für Unternehmen, damit diese abgehängte Regionen nach vorne bringen – und München entlastet wird. Damit können wir heute noch anfangen. Sogar die OB-Kandidatin der CSU, Frau Frank, sagte mittlerweile, auch das Wachstum könne man steuern, wenn man wisse, wohin man will. Wir wissen das! Wir wissen genau, wie unser München 2040 sein sollte – menschlich, gemütlich, mit viel Grün und mit einer gemischten Bevölkerungsstruktur wie früher, nicht nur mit Reichen. Mit Bewohnerinnen und Bewohnern, die Platz und Ruhe haben zum Leben und Genießen. Wir Münchnerinnen und Münchner hatten Jahre und jahrzehntelang gute Zeiten, in denen es wunderbar lief in und für München, obwohl – oder eher WEIL – wir kaum oder gar nicht gewachsen sind.
Wenn wir den Zuzug in den Griff bekommen, dann BRAUCHEN Sie die vielen neuen Unternehmen nicht mehr. Die viele Gewerbesteuer. Denn dann wächst der Bedarf an Infrastruktur nicht mehr so stark wie derzeit. Wir mussten noch nie auf etwas verzichten, eben gerade WEIL wir Wachstumspausen eingelegt haben oder eben nur sehr langsam gewachsen sind.
Während dieser Korrekturphase bei der Strukturpolitik errichten wir in München natürlich weiterhin, aber stetig und mit Bedacht Wohnungen für die Münchnerinnen und Münchner, die dringend und sofort Hilfe brauchen. Diese Fälle gab es immer und wird es immer geben. Dazu braucht es aber nicht mehr die Zubetonierung ganzer Viertel mit riesigen, teuren Gebäudekomplexen, denen man durch Ausweisung eines Teiles als begünstigten Wohnraum ein soziales Mäntelchen umhängt, um Soziales und Grünflächenerhalt gegeneinander ausspielen zu können – und der profitorientierte Investor ist der lachende Dritte.
Wenn wir rechtzeitig gegen die ausufernde Gewerbeansiedlung und die falsche Strukturpolitik vorgegangen wären, wären Hunderte ganz normale, kleinere Grundstücke sowie Mietshäuser in der ganzen Stadt ihren ursprünglichen Eigentümern geblieben, anstatt spätestens im Erbfall an Investoren abgegeben werden zu müssen.
Sehr geehrter Herr Reiter, nutzen Sie Ihre Beziehungen zur Bayerischen Staatsregierung! Wir brauchen eine entlastende Strukturpolitik. Dann lässt auch der Druck auf München nach.
Mit freundlichen Grüßen
Der Vorstand der München-Liste
Andreas Dorsch, Claudia Hartmann, Dirk Höpner, Michael Melnitzki
Stefan meint
Für alle, die sich nicht mehr auf leere Versprechen berufen wollen:
https://www.muenchen-liste.de/
Boris meint
OB Reiter fragt: „Wie soll das gehen: … einen Wassergraben um München ausheben?“ Wenn das alles ist, was OB Reiter an Ideen zu diesem Thema beisteuern kann, ist er wohl nicht mehr der Richtige zum Leiten/Führen dieser Stadt. München platzt aus allen Nähten; etwas pessimistischer gesehen, steht München vielleicht sogar am Rande des Kollaps. Und der OB Reiter macht einfach WEITER SO. Herr Reiter, wenn Sie NICHTS mehr tun, ist das für München 1000x besser, als wenn Sie weiter machen wie bisher. Von einem Bürger, der Kinder hat, für die er sich wünscht, dass diese noch in einem lebenswerten München aufwachsen können.
Rupf meint
Bisher war ich der Meinung, dass Ex-OB Ude an Arroganz nicht zu übertreffen sei. Herr Reiter hat mich eines Besseren belehrt!
Horst Münzinger meint
Immer mehr Bürger durchschauen die Schaufensterpolitik mit billigen Versprechungen und Schuldzuweisungen des Verwalters und Nachläufers ohne Ideen, OB Dieter Reiter und seiner noch getreuen Genossen. Diese beschämende Populismuspolitik und Schönrederei soll ablenken von den unerträglichen Mängeln, deren schlimme Folgen für Sicherheit und gutes Leben viele Hunderttausende tagtäglich in dieser einst lebenswerten Stadt auszuhalten haben. Unsozialer gehts nicht! Wer wirklich was für München tun will, muss sich von diesem OB und den ideologie- und lobbygesteuerten Mehrheits-Parteien abwenden! Nun gibt es ja endlich die München-Liste, auf die man setzen kann.
.
Sabine Kiermaier meint
Es gibt wohl für Herrn OB Reiter nur zwei Möglichkeiten, Wachstum oder Wagenburg. Wer ein bisschen differenziert denkt, dem kommen auch andere Ideen, so, wie sie im offenen Brief geschildert werden. Dauerhaftes Wachstum wird gefördert und mit den seit Jahren gleichen Argumenten begründet. Dabei ist es in München nicht mehr zu übersehen, dass das Wachstum mehr Nachteile als Vorteile bringt. Überfüllte Straßen, U-Bahnen, Busse, Trambahnen, sogar auf den Radwegen staut es sich häufig. Die günstigen Wohnungen, die angeblich seit Jahren gebaut werden, fehlen immer noch. Die Immobilienpreise steigen kontinuierlich, ein sehr gutes Geschäft für Investoren und ein schlechtes für die Münchner Bevölkerung. Die Alternative – Wachstum in anderen Städten fördern, die es wirklich brauchen – ist die weitaus bessere Lösung!
RenhardKrohn meint
Jede Bürgerin und jeder Bürger unserer so schönen Stadt München, denen das weitere Schicksal Münchens wirklich und ernsthaft am Herzen liegt, sollte und müsste sich spätestens jetzt in der Zeit vor den Kommunalwahlen am 15. März 2020 mit den Inhalten dieses an den Herrn OB Dieter Reiter gerichteten Briefes ernsthaft auseinandersetzten. Die Ergebnisse dieser Wahlen werden die weiteren poliischen Richtungen in unserer Stadt vorgeben und für Jahre festlegen. Dessen sollten sich alle verantwortungsbewussten Bürgerinnen und Bürger gegenwärtig sein. Mit unserer Stimme haben wir im März die vorerst letzte Gelegneheit mitzuentscheiden, ob wir für unser weiteres Leben und für das Leben unsere Kinder und Enkelkinder ein „weiter so“ mit dem grenzenlosen Bauen, Bauen und Bauen, wo immer noch ein Plätzchen dafür frei zu sein scheint, wünschen – oder eben nicht! Ob wir unsere Stadt mit ihren völlig überforderten Infrastruktureinrichtungen (so auch im Umland) auch in der weiteten Zukunft für lebenswert empfinden. Ob wir davon überzeugt sind, dass ein grenzenloseses Wachstum unserer Stadt in allen Bereichen letztlich den Münchnerinnen und Münchnern eine insgesamt bessere und lebenwertere Zukunft sichern kann – oder eben nicht!
Noch haben wir bis zum März 2020 Zeit, darüber gründlich nachzudenken. Die Entscheidung zugunsten des Lebenswertes unserer Stadt München sollte letztlich obsiegen!
Bernd meint
Endlich wird unserem Oberbürgermeister der Spiegel vorgehalten. Seine populistischen Äußerungen sind unerträglich. „Damit München München bleibt“, Das war sein Wahlkampfslogan. Und was hat er gemacht? Er und seine SPD und die Grünen können sich die Hand geben. Sie richten diese Stadt zugrunde…