In der letzten Bezirksausschusssitzung dieses Jahres am Dienstag, den 17. Dezember stand als TOP 5.4.3. unter „sonstige Anhörungen“ der Beschlussentwurf zur Änderung des Flächennutzungsplanes (FNP) mit integrierter Landschaftsplanung für den Bereich V/59 Raheinstr. (südlich und westlich), Ratoldstr. (westlich), Lerchenstr. (nördlich), Bahnlinie München-Regensburg (östlich) auf der Tagesordnung. Die Mehrheit des Gremiums stimmte der Vorlage zu, da es für Änderungen eh zu spät sei. Nur zwei Grüne und Max Bauer von der München-Liste stimmten dagegen.
Christine Lissner von den Grünen erläuterte in der Sitzung sehr ausführlich, warum sie – sehr zur Irritation etwa von Robert Fellner (CSU), der meinte, die Grünen hätten doch vorher der Bebauung auch immer zugestimmt – der Änderung des Flächennutzungsplans nun nicht zustimmen könne. Im Folgenden geben wir ihre Argumente wieder.
1. Negative Auswirkungen auf das Stadtklima
Der Freiraumkorridor ist wegen seiner Funktion als Kaltluftlieferant zu verbreitern, keinesfalls zu verschmälern. Die Vegetation ist zu erhalten, weil durch Gehölzpflanzungen oder Dach- und Fassadenbegrünungen, wie sie im FNP festgesetzt werden, nur im begrenzten Maße die negativen Auswirkungen reduziert bzw. vermieden werden können.
Das Planungsgebiet wirkt aktuell mit Ausnahme des hochversiegelten Bereichs auf Höhe des Feldmochinger Bahnhofs als siedlungsklimatischer Ausgleichsraum hoher bioklimatischer Bedeutung. Die Vegetationsbedeckungen, insbesondere die Gehölzbereiche, beeinflussen den Temperaturverlauf und die Luftfeuchte positiv und tragen wesentlich zur Feinstaubfilterung bei. Gemäß Stadtklimaanalyse der Landeshauptstadt München wird der relativ schmale Freiraumkorridor, so wie ihn der FNP vorsieht, hingegen nur noch für eine mäßige Kaltluftlieferung sorgen.
Die Umsetzung der Planung ist mit einer umfangreichen Flächenversiegelung und mit dem Verlust von Gehölzen und anderen Vegetationsstrukturen verbunden. Dadurch entwickelt sich das Planungsgebiet zu einem siedlungsklimatischen Belastungsraum. Bei austauscharmen Wetterlagen im Sommer wird sich die Aufheizung unter Tag deutlich erhöhen und die nächtliche Abkühlung deutlich verringern. Dies werden in erster Linie die Bewohner des Neubaugebietes spüren. Negative siedlungsklimatische Effekte im Planungsgebiet können durch Festsetzungen im Rahmen der verbindlichen Bauleitplanung wie umfangreiche Gehölzpflanzungen oder Dach- und Fassadenbegrünung nur in begrenztem Maße reduziert bzw. vermieden werden.
2. Individualverkehr
Der Individualverkehr ist mit den vorhandenen Straßen nicht mehr zu bewältigen, zusätzliche Abbiegespuren sind wegen zusätzlicher Versiegelung abzulehnen. Sie sind ebenso, wie Lichtzeichenanlagen, keine Lösung für verstaute Straßen.
Ein im Rahmen der Planung erstelltes Verkehrsgutachten mit Prognosehorizont 2030 kommt
insgesamt zu dem Ergebnis, dass es bereits ohne das neue Quartier auf allen untersuchten Straßen zu einer Verkehrszunahme von 10 bis 15 % kommt. In der Dülferstr. etwa soll es nach dieser Untersuchung in Richtung Schleißheimer Str. zu einem Zuwachs von ca. 50 % kommen. Diese Zunahme ergibt sich aufgrund der allgemeinen Verkehrszunahme in München sowie durch die Verlängerung der Schleißheimer Str. mit Anschluss an die A 99, wodurch der aufkommende Verkehr zum Großteil über die Dülferstr. abgeleitet wird.
Das Gutachten empfiehlt zur Bewältigung des künftigen Verkehrsaufkommens, die bestehenden, maßgebenden Knotenpunkte Dülferstr. / Raheinstr., Dülferstr. / Ratoldstr., Ratoldstr. / Weitlstr., Lerchenstr. / Ratoldstr. und Dülferstr. / Paul-Preuß-Str. zur Entlastung und Aufrechterhaltung ihrer Leistungsfähigkeit mit Lichtsignalanlagen – teilweise mit einer zusätzlichen Abbiegespur – zu versehen. Laut Gutachten kann das künftige Verkehrsaufkommen bei Ergreifen der aufgeführten Empfehlungen verträglich abgewickelt werden.
3. Umweltbericht
3.1. Lärm
Welche gesetzlichen Grenzwerte gelten für die neue Bebauung? Es werden Novellierungen der entsprechenden Gesetze angestrebt, die höhere Lärmwerte erlauben, eventuell sogar die Lärmwerte, die im Inneren eines Raumes gelten und nicht mehr außerhalb. Außerdem wurde hier der Lärm durch den Straßenverkehr nicht berücksichtigt.
Verkehrsbedingt treten jedoch entlang der Bahnstrecke tagsüber und nachts und entlang der Ratoldstr. tagsüber hohe, z. T. sogar gesundheitsgefährdende Lärmbelastungen auf, die mit einer zu erwartenden Erhöhung der Fahrfrequenz auf dieser Strecke (10-min.-S-Bahntakt, mehr Güterverkehr durch den Brennerbasistunnel) weiter zunehmen werden.
3.2. Belastung der Luft durch Schadstoffe
Bereits jetzt liegen die Messungen der NO2-Werte an der Dülferstr. über den Werten, die die WHO als unbedenklich erachtet. Bei weiterer Zunahme des Verkehrs werden diese Werte weiter zunehmen. Durch das Abholzen der Bäume und Gehölze wird auch deren Filterfunktion und damit der Anteil des Feinstaubs in der Luft zunehmen. Deshalb ist ein Bauvorhaben in der geplanten Größe abzulehnen.
Die höchsten, aus dem Straßenverkehr resultieren den Immissionen sind im Bereich Dülferstr. und im nördlichen Abschnitt der Ratoldstr. anzutreffen. Die Jahresmittelgrenzwerte von 40 μg/m für NO2 und PM10 und 25 μg/m 3 für PM 2,5 werden im gesamten Planungsgebiet aber eingehalten.
3.3. Erschütterungen und sekundärer Luftschall
Die gesetzlichen Mindestabstände hinsichtlich Erschütterungen sind einzuhalten, in keinem Fall zu unterschreiten. Gleisnah ist keine Wohnbebauung erlaubt. Welche Auswirkungen hat die geplante Bebauung hinsichtlich der Bestandsbebauung?
Im Plangebiet treten entlang der Gleise durch
den Bahnverkehr hohe bis mittlere Erschütterungen und Sekundärluftschall auf, die gleisnahe Nutzungen beeinträchtigen. Bei einer zu erwartenden Zunahme des Bahnverkehrs wird sich die Frequenz der Beeinträchtigungen weiter erhöhen.
Bei Umsetzung der Planung ergeben sich problematische Belastungen für Wohnnutzungen in der Nähe der Gleisanlagen. Im Rahmen der verbindlichen Bauleitplanung sind daher entsprechende technische bzw. konstruktive Maßnahmen festzusetzen, damit trotz möglicher Unterschreitung erforderlicher Mindestabstände zu den Gleisanlagen ein ausreichender Schutz der geplanten Wohnbebauung gegenüber Erschütterungen und sekundärem Luftschall erreicht werden kann.
3.4 Schutzgut Tiere
Die ehemals artenreichen Flächen im Bereich V59 sind durch Pflege der Eigentümer wieder aufzuwerten und von Bebauung frei zu halten, um so die Populationen der wertvollen Magerlebensräume im Münchner Norden (z. B. Umfeld Rangierbahnhof) mit dem Umland zu vernetzen.
Die zumindest in Teilen ehemals artenreichen, mageren Brachen haben durch natürliche Sukzession innerhalb der letzten Jahre erheblich an Struktur- und Artendiversität eingebüßt. Trotz des schleichenden Wertverlustes erfüllen die naturnahen Flächen – insbesondere in Gleisnähe – auch derzeit noch eine, wenn auch eingeschränkte, Biotopverbundfunktion für magere Lebensräume. Dieser kommt besondere Bedeutung zu, da nur noch hier die Möglichkeit besteht, Populationen der wertvollen Magerlebens-räume im Münchner Norden (z. B. Umfeld Rangierbahnhof) mit dem Umland zu vernetzen.
Die Habitate für Fledermäuse und die Grasmücke sind vor Ort zu erhalten, weil für Gehölz- und Gebäudefledermäuse nicht garantiert werden kann, dass die Habitate dieser Arten in räumlichem und zeitlichem Zusammenhang erhalten werden bzw. es zu erheblichen Störungen kommen kann. Für Gehölz- und Gebäudefledermäuse sowie die Gartengrasmücke ist außerdem
eine artenschutzrechtliche Ausnahme erforderlich.
3.5. Schutzgut Pflanzen
Wie verträgt sich die Aussage, dass es zu „erheblichen Verlusten an naturnahen Gehölz- und anderen Vegetationsbeständen“ kommt mit dem angestrebten Erhalt des wertvollen Buambestands?
Die Umsetzung der Planung führt zu erheblichen Verlusten an naturnahen Gehölz- und anderen Vegetationsbeständen. Diese sollen zwar durch im Rahmen der verbindlichen Bauleitplanung festzusetzende Baumneupflanzungen und ökologische Ausgleichsflächen kompensiert werden. Der Plan, die Ausgleichsfläche in der Fröttmanninger Heide zu realisieren, ist abzulehnen. Die Kompensation soll nämlich sowohl durch die Zuordnung einer externen Ausgleichsfläche im Rahmen der verbindlichen Bauleitplanung südlich der Lerchenstr. als auch durch rund 4,5 ha Ökokontoflächen in der Fröttmaninger Heide erfolgen. Lissner möchte hingegen, dass die Ausgleichsfläche innerhalb des geplanten Baugebietes festgesetzt wird, z. B. durch die Vergrößerung des geplanten Biotopverbundkorridors für Magerlebensräume entlang der Bahntrasse.
4. Schutzgut Sachgüter
Der Erhalt des Hauses Raheinstr. 3 ist festzulegen.
5. Grundwasser
Die vorgesehene Bebauung führt zu einer Erhöhung des Grundwasserstands. Das bedeutet eine Gefahr für die bestehenden Gebäude, weil nicht hundertprozentig garantiert werden kann, dass durch die eingeschossigen Tiefgaragen tatsächlich ein problematischer Grundwasseraufstau vermieden wird.
Daher lehnt Lissner Tiefgaragen ab und plädiert für PKW-Stellplätze im EG-Bereich, unter den Wohngebäude. Die Flächen für die Wohnnutzung müsse entsprechend verringert werden.
Im überwiegenden Bereich des Planungsgebiets sind derzeit eine weitgehend ungestörte Infiltration von Niederschlagswasser und entsprechende Beiträge zur Grundwasserneubildung möglich. Die mit der Änderung des Flächennutzungsplanes ermöglichte Zunahme bebauter und versiegelter Flächen verringert gleichzeitig erheblich die mögliche Versickerungsleistung für Nieder-
schlagswasser. Die Beschleunigung des Wasserabflussgeschehens sowie die Zunahme der Abflussmengen kann durch die im aufzustellenden Bebauungsplan vorgesehene Überdeckung von Tiefgaragen mit Oberboden oder Dachbegrünungsmaßnahmen nur sehr eingeschränkt kompensiert werden.
LudwigD meint
Da fragt man sich, wie dieselben Parteien (CSU, SPD, Grüne) im Münchner Stadtrat zwei Tage später den Klimanotstand für München ausrufen können, wenn sie zugleich im BA 24 einer massiven Bebauung zustimmen, die dafür sorgt, dass die wenigen verbliebenen Brach- und Grünflächen im Stadtgebiet zubetoniert werden.
Meint die Mehrheit der BA-Vertreter allen Ernstes, dass tausende Einwohner mehr in München zur Reduktion des CO2-Ausstoßes im Stadtgebiet beitragen? Für wie dämlich hält man eigentlich die Bürger?
Mir ist völlig schleierhaft, wie unsere Politiker diese immerwährenden kognitiven Dissonanzen aushalten. Haben sie ihre kognitiven Fähigkeiten eingebüßt oder bewusst beiseite geschoben, um den einen oder anderen (Partei-)Posten zu ergattern?
Wie passt dieses Abstimmverhalten zu Parolen wie „damit München München“ bleibt? Wie ernst kann man eine CSU nehmen, die bei der nächsten Kommunalwahl antritt, damit München wieder München wird, und die dennoch für Maximalbebauung stimmt? Fragen über Fragen.