Die jüngsten Zahlen zum Artensterben sind so alarmierend, dass München sofort aufhören müsste, auch nur noch einen Quadratmeter Wiese zuzubetonieren oder einen einzigen Baum zu fällen. Denn Insekten und Vögel sterben nicht nur infolge industrieller Landwirtschaft, sondern auch aufgrund der zunehmenden Flächenversiegelung. Und doch wird weiter munter gebaut, werden große Konzerne wie Google und Apple umworben, ihre Standorte an der Isarmetropole auszubauen.
Entgegen der Behauptung der SPD, München sei „eine der am wenigsten versiegelten Städte Bayerns“ (1), steht München mit einem Versiegelungsgrad von 46,6 Prozent an der Spitze aller deutschen Städte (2). Ebenso bei der Bevölkerungsdichte.
Verstopfte Straßen, Lärm, Abgase, und zum Bersten volle Busse und Bahnen prägen das Leben in der Stadt. Immer mehr Bäume und Grünflächen verschwinden, Fußgänger und Radfahrer haben viel zu wenig Platz, Schwimmbäder und Badeseen sind überfüllt, Hektik und Stress nehmen zu. Es fehlen Kinder- und Pflegebetreuungsplätze und die Mieten steigen ins Unbezahlbare. Der Druck auf die Naherholungsgebiete mit seinen negativen Begleiterscheinungen wird unerträglich. Die Stadt ist zu voll, sie steht vor dem Kollaps.
München wächst, unaufhörlich und ungebremst …
Seit dem Jahr 2000 hat die Stadt um 300 000 Einwohner zugenommen. Bereits heute leben hier fast so viele Menschen wie in ganz Mecklenburg-Vorpommern. München – eine boomende Stadt in einer boomenden Region.
Prognosen verkünden: München wird weiterwachsen. In den nächsten 20 Jahren sollen noch einmal 300.000 Menschen dazu kommen. Dafür wären 130 000 Wohnungen nötig. Wo sollen die gebaut werden?
Und was dann? Reicht die Trinkwasserversorgung, die Kanalisation? Wo sollen all diese Menschen ihre Freizeit verbringen, sich erholen? Mehr Menschen brauchen auch mehr Erholungsflächen, mehr Geschäfte, mehr KiTas, Schulen und Altenheime. Wohin mit all dem Verkehr? Die Sommernächte werden unerträglich, bei immer weniger Grün und immer mehr Beton. Mit zahlreichen Hitzetoten ist zu rechnen. Von der Einhaltung seiner Klimaziele kann sich München dann verabschieden. Wo ist das Ende dieser Entwicklung? Geht das überhaupt: endloses Wachstum bei begrenzter Fläche? Wollen wir das? Wie viel Wachstum verträgt die Stadt, verträgt die Umwelt, vertragen die Menschen?
Ansässige Bürger fühlen sich nicht mehr wohl in ihrer Stadt. Sie sind unzufrieden mit der derzeitigen – auf Wachstum ausgelegten – Politik. Von den großen Parteien im Stadtrat fühlen sie sich nicht mehr gehört, nicht mehr vertreten, im Stich gelassen.
… und ebenso wächst der Unmut in der Bevölkerung
Bürgerinitiativen, die sich mit dieser Entwicklung auseinandersetzen, schießen wie Pilze aus dem Boden. Viele haben sich zum Forum Lebenswertes München zusammengeschlossen und engagieren sich für den Erhalt der Stadtnatur und alter Bestandsbauten und machen sich Gedanken über zukunftsfähigen Verkehr.
Zusammen mit der ÖDP und den Freien Wählern haben sie ein Bürgerbegehren auf den Weg gebracht: Es nennt sich „Lebenswertes München“ und sagt „Nein zur maßlosen Nachverdichtung“. Mit guten Argumenten wirbt es für mehr Grün und bezahlbaren Wohnraum sowie den Erhalt der gewachsenen Stadtviertel. Eine neu gegründete Wählervereinigung, die „München-Liste“, tritt mit dem Slogan „endlich eine Politik für Münchnerinnen und Münchner statt Investoren-Boom“ zur nächsten Stadtratswahl an.
Sie alle fordern eine Politik für die Menschen, die hier wohnen und nicht für die, die nach München kommen wollen oder – wegen der Arbeitsplätze – müssen. Eine Politik, die Artenschutz ernst nimmt, die Klimaziele einhält und die Gesundheit und das Wohlbefinden der Bevölkerung höher bewertet als Wirtschaftswachstum um jeden Preis. Sie wenden sich gegen Spekulation, Flächenfraß und Dauerstau auf den Straßen und fordern mehr Mitspracherecht für die Bürger.
Auch diese Gruppen wissen, wie wichtig eine florierende Wirtschaft für die Stadt ist – jedoch: eine stabile Wirtschaft bedeutet nicht zwingend grenzenloses Wachsen. Auch Wohnungsmangel und zu hohe Mieten wollen sie bekämpfen – ihre Instrumente, um diese angespannte Situation zu entschärfen, sind jedoch andere als die der Stadtregierung.
Sind die Probleme durch exzessives Bauen in den Griff zu bekommen?
Das wird nicht gelingen. Wohnungsbau ist Symptombekämpfung. Er wird dem ungebremsten Zuzug immer hinterherhecheln.
Natürlich werden in München Wohnungen dringend gebraucht – allerdings nur bezahlbare – für Erzieher/innen, Polizist/innen, für Krankenschwestern und Pfleger sowie Verkäufer/innen. Durch die Praxis der Stadt, Wohnungsbau überwiegend den Investoren zu überlassen, entstehen allerdings 60 bis 70 Prozent hochpreisige Wohnungen.
Die Lösung muss an der Ursache ansetzen, denn die Entwicklung ist kein Naturgesetz, sie ist gemacht: Der ungebremste Zuzug treibt die Mieten immer weiter in die Höhe und zerstört die Lebensqualität seiner Bewohner.
Die Gründe für das ungezügelte Wachstum
Die Stadt ist selbst die treibende Kraft für den starken Zuzug. Sie will am Weltmarkt mitmischen, ist stolz auf ihr Wachstum. München ist Hauptstadt der DAX-Konzerne und hat sich mit etwa 100 000 Unternehmen als bedeutender Wirtschaftsstandort etabliert. Die Netzwerke, die durch den Zusammenschluss mit der Region zur EMM (=Europäischen Metropolregion München) und der Nordallianz entstanden sind, befördern diese Entwicklung. Täglich entstehen neue Arbeitsplätze. Besonders stolz ist München auf die jährlichen Rekorde bei den Studentenzahlen. Immer mehr Fakultäten entstehen, immer mehr Studenten kommen nach München, insgesamt sind es über 110 000. Auch Wismar, eine der Hansestädte Mecklenburg-Vorpommerns mit gerade einmal 1000 Studenten an der Hochschule, würde sich über Zuwachs freuen.
Wirtschaftswachstum und neue Gewerbeansiedlungen spülen Geld in die städtischen Kassen. Geld, das auf der anderen Seite wieder ausgegeben werden muss – für die Schaffung von Wohnungen, für soziale, verkehrliche und sonstige Infrastruktur und den damit verbundenen Personalbedarf.Die Boomtown mit ihrem Überangebot an Ausbildungs- und Arbeitsplätzen, erzeugt einen enormen Sog. Menschen kommen aus den strukturschwachen Gebieten Deutschlands, aus Europa, aus der ganzen Welt.München muss aufhören, diesen Zuzug ständig anzuheizen, muss aufhören, auf Immobilien-Messen Werbung für sich zu betreiben und die Ansiedlung neuer Firmen voranzutreiben.Wir brauchen keine neuen Büro-Hochtürme mehr und keine Hotels. Zunächst gilt es, die soziale und verkehrliche Infrastruktur an die jetzige Einwohnerzahl anzupassen und nur noch die nötigen Wohnungen für Menschen der unteren und mittleren Einkommensschicht zu bauen, möglichst auf bereits versiegelten Flächen.
Wie kann Abhilfe aussehen?
Um München vom enormen Zuzugs-Druck zu entlasten, ist eine bessere Förderung der strukturschwachen Gebiete in Bayern und dem restlichen Deutschland das Allerwichtigste. Hierzu bedarf es einer engen Zusammenarbeit mit der Landes- und Bundesregierung:
Es ist die zentrale Aufgabe der Politik, in Deutschland für gleichwertige Lebensverhältnisse zu sorgen. Das wurde jahrzehntelang sträflich vernachlässigt. Diesen Fehler der Vergangenheit gilt es zu korrigieren! Wir brauchen ein Sonderprogramm für die Reaktivierung des ländlichen Raumes und entsprechende finanzielle Unterstützung. Dort müssen die Voraussetzungen für Gewerbeansiedlung geschaffen werden, die Infrastruktur verbessert (Bahnanschlüsse, Breitbandausbau…), die Ortskerne wieder belebt, die Kultur gefördert und das Image aufgebessert werden. Denn jeder Arbeitsplatz, der in den Regionen außerhalb der Agglomerationen erhalten wird oder neu entsteht, jede Familie, die in der Region bleibt oder dort hinzieht, entlastet München. In Deutschland stehen Millionen von Wohnungen leer. Allein aus umwelt- und kulturpolitischen Gründen, ist es ein Irrsinn, sie verfallen zu lassen, während man in München die letzten Grünflächen zubaut.
Je länger und je schneller ein Zug in die falsche Richtung rast, umso schwieriger ist es, ihn abzubremsen und umzulenken. Selbstverstärkungsprozesse haben bereits eingesetzt und treiben den Motor an, der München zum Platzen bringt und zur Entleerung abgehängter Regionen führt. Das heißt jedoch nicht im Umkehrschluss, dass man ihn einfach weiterlaufen lassen darf. Im Gegenteil: Jetzt müssen alle Kräfte zusammenwirken: die Stadt, das Land Bayern und die Bundesrepublik, damit der im Artikel 72 Grundgesetz festgeschriebene Forderung nach der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse in ganz Deutschland erfüllt wird. München muss anerkennen, dass seine Fläche begrenzt ist und dass die Grenzen des Wachstums bereits erreicht sind.
„München boomt sich zu Tode“, titelte neulich eine Zeitung – Das wollen wir nicht. Es ist höchste Zeit für eine Wachstumswende. Sonja Sachsinger
Quellen:
(1): Stadtrat Kaplan, SZ, 21.11.19, R1: „SPD will den Klimanotstand für München ausrufen“: Zitat: …“Schon jetzt ist München eine der am wenigsten versiegelten Städte Bayerns…..“
(2): https://www.gdv.de/de/medien/aktuell/muenchen-ist-die-am-staerksten-versiegelte-grossstadt-36418
Der Artikel erscheint auch in „Standpunkte“, dem Online-Magazin des Münchner Forums.
Karsten meint
Entschuldigung, aber WAREN Sie mal in Wismar oder einer der anderen Kleinstaedte ausserhalb der Metropolen? Also so richtig, mit dort Leben und Arbeiten und Wohnen – nicht nur als Tourist? Ich bin in der Naehe einer solchen Kleinstadt aufgewachsen, und ich habe absolut kein Interesse dort wieder hin zu ziehen.
Es ist doch nicht nur die Arbeit, es ist auch alles andere: Konzerte, Kneipen, Restaurants, Einkaufsmoeglichkeiten, Freizeitangebote, Grossveranstaltungen, Fussball- und andere Sportvereine, usw. Sie koennen nicht die Dorfkneipe und den Maennergesangsverein erhalten sowie fuer Breitbandausbau sorgen und dann von „gleichwertigen Lebensverhaeltnissen“ fuer junge Menschen reden. Ich bin in die Stadt, nach Muenchen, gezogen weil ich nicht nur die Arbeit sondern auch die umfangreiche kulturelle Umgebung will, die ein Dorf oder eine Kleinstadt NIEMALS bieten koennen.
Wenn Sie einen Vorschlag haben so das der FCB regelmaessig in Wismar spielt, dort Muse oder Gabalier auftreten, es im Sommer Open Air Festivals und eine Auswahl an Biergaerten gibt, und generell die Buergersteige nicht um 20 Uhr hochgeklappt werden – dann koennen wir gerne nochmal darueber reden nicht in Muenchen zu wohnen.
Bernd meint
Wenn es Ihnen hier so gut gefällt, gut und schön. Dann aber bitte auch nicht über hohe Mieten und Umweltzerstörung jammern! Es können nicht alle in München wohnen, das werden Sie einsehen. Da finde ich Ihre Argumentation schon sehr fragwürdig. Und wenn so weitergemacht wird, wie in den letzten Jahren, wird unsere Stadt kaputt gebaut. Billige Wohnungen für Menschen, die gerne hier her möchten, weil es hier so toll ist. Auf Kosten derer, die hier leben. Ich glaube das Mietniveau in München ist noch viel zu niedrig…