Corona hat gerade Vereine, Aktionsgemeinschaften und Bürgerinitiativen (BI) in ihren Grundfesten getroffen, schließlich sind (gesellige) Zusammenkünfte verschiedener Haushalte seit einem Jahr schwierig bis unmöglich. Gut, dass inzwischen auch sie vermehrt ins Internet „abwandern“, Vereinsmitglieder zumindest via Zoom & Co. miteinander reden. Auch das jährliche Treffen von Münchner Bürgerinitiativen fand heuer virtuell statt. Schließlich geht der Kampf von Anwohnern gegen große wie kleinere Nachverdichtungsmaßnahmen in der Stadt weiter, braucht es den Schulterschluss mit anderen, um Rückschläge in der Auseinandersetzung mit Planungsbehörden und Immobilienkonzernen wegzustecken und weiterzumachen.
73 Teilnehmer umfasste das virtuelle BI-Treffen am Montag, den 1. Februar. Zum dritten Mal hatten es die Initiatoren, Michael Piazolo von den Freien Wählern, Gisela Krupski vom Forum Lebenswertes München und Stefan Bürger von der BI Fauststr. in Trudering – letzterer leitete den Abend mit großer Übersicht als Moderator und gab bei technischen Hürden praktische Tipps –, auf die Beine gestellt. Das Thema heuer: „Maßlose Nachverdichtung stoppen – Grüne Freiräume erhalten. Erfahrungen und zukünftiges Handeln.“
Die einleitenden Worte sprach Kultusminister Michael Piazolo, der seine kleinen technischen Anlaufschwierigkeiten schneller in Griff bekam als die ererbte Lernplattform Mebis – er hatte einfach das verkehrte Mikro freigeschaltet. Piazolo forderte alle auf, weiter für Grün und die bestehenden Strukturen in den Vierteln zu kämpfen, auch wenn das Thema Nachverdichtung durch Corona momentan in den Hintergrund gedrängt wurde. Aber es sei deshalb nicht weg, vielmehr gebe es immer mehr Beton und immer weniger Bäume in München.
Nach den aufmunternden Worten Piazolos schlossen sich in vier Themenblöcken neun Impulsvorträge diverser BI-Vertreter an, in denen diese darstellten, wofür sie kämpfen und welche Erfahrungen sie dabei mit Parteien, Bezirksausschüssen und der Stadtverwaltung gemacht haben.
Im Koalitionsvertrag steht viel,
die Realität sieht anders aus
Ob begrünte Hinterhöfe in Haidhausen (Breisacher Str.), ob Landschaftsschutzgebiete (Fauststr. 90) oder Frischluftschneisen (Hachinger Tal), ob idyllische städtebauliche Ensembles wie die Wohnanlagen am Loehleplatz oder der Stadtrand (SEM Nordost oder Fürstenried West) – letztlich zeigt sich überall das gleiche Bild: Große Bäume müssen Beton weichen, fruchtbare Ackerböden, die wie zwischen Johanneskirchen, Daglfing und Riem der regionalen Versorgung dienen, und wertvolles Grün wie im Landschaftspark West (mit der Baumschule Laim) werden einer Bebauung geopfert und versiegelt. Stets mit dem Duktus: Man müsse bezahlbaren Wohnraum schaffen, weil man München nicht abschotten könne. Das wollen auch die in den BIs engagierten Münchner nicht, aber … sie wollen eine Bebauung bzw. Nachverdichtung mit Maß und Ziel. Und nicht um den Preis, dass die Lebensqualität in der Stadt weiter sinkt.
Denn mit immer weniger Grün und immer dichterem, kompakterem Wohnungsbau (die neue Bayerische Bauordnung (BayBO 2021 ermöglicht ab sofort nicht nur einfacheres, schnelleres und günstigeres Bauen, sondern auch eine noch dichtere Bebauung in Gewerbe-, Industrie-, Kern- und Urbanen Gebieten durch verkürzte Abstandsflächen!) wird sich die Stadt weiter erhitzen in tendenziell eh immer heißeren Sommern, u. a. weil das Alpine Pumpen, womit München momentan noch durchlüftet und abgekühlt wird, dann nicht mehr funktioniert, wie Thomas Kiesmüller von der BI „Frischluftzufuhr für München“ erläuterte. Er riet den anderen BIs, die Stadtklima-Studie des Deutschen Wetterdienstes durchzuarbeiten und sich auf YouTube den Vortrag von Studienleiterin Gudrun Mühlbacher „Klimanotstand München – Die Fakten“ anzuhören bzw. die Klimafunktionskarten der Stadt zu studieren – hier erhalte man eventuell wertvolle Argumente für den Kampf im eigenen Stadtviertel.
Denn das Stadtklima umfasse nicht nur klimatologische, sondern auch politische Aspekte, schließlich hat der Stadtrat Ende 2019 den Klimanotstand ausgerufen und dazu das neue Referat für Klima- und Umweltschutz unter der Leitung von Christine Kugler geschaffen. Im Koalitionsvertrag von Grün/Rot steht, dass man Kaltluftschneisen und Grünflächen vor Bebauung schützen und sogar erweitern sowie dauerhaft rechtlich sichern wolle. Aber in der Realität …
Gebaut werden soll auch
in Landschaftsschutzgebieten
… will beispielsweise die Gemeinde Neubiberg zusammen mit München den Flächennutzungsplan ändern und im Hachinger Tal im Südosten Münchens eine überwiegend gewerbliche Bebauung zulassen, in einer der Kaltluftschneisen, die fürs Alpine Pumpen wichtig sind. Was Auswirkungen auf die Luftqualität von mehr als 100.000 Menschen in Giesing, Fasangarten, Perlach, Ramersdorf … hätte und was im eklatanten Widerspruch zum Landesentwicklungsprogramm und zum Regionalplan München steht, wie Thomas Kiesmüller in seinem Beitrag erläuterte.
Zwei weitere Vorträgen drehten sich a) um den Landschaftspark West zwischen Pasing, Laim und der A96, einen der letzten zusammenhängenden Grünzüge und eine anerkannte Frischluftschneise für den Münchner Westen, wo es derzeit zwar nur unkonkrete Bebauungswünsche gibt, die Befürchtungen der Anwohner aber schon recht real sind und b) um das Landschaftsschutzgebiet Truderinger Wald (BI Fauststr. 90). Das Areal kaufte 2012 ein Investor, und das trotz des Hintergrunds, dass die Untere Naturschutzbehörde dort jahrzehntelang eine Bebauung abgelehnt hatte. Doch nun sollen dort sieben jeweils dreigeschossige Bauten mit insgesamt 76 WE für rund 180 Menschen und mehr als 100 TG-Stellplätze errichtet werden.
Die Beispiele zeigen: Selbst ausgewiesene Landschaftsschutzgebiete und Frischluftschneisen sind heute kein Argument mehr gegen eine Bebauung (siehe auch Eggarten). Fazit ernüchterter BI-Vertreter: Die Ausweisung als Landschaftsschutzgebiet biete keinen Schutz und könne jederzeit ausgehebelt werden.
Anm. d. Red.: Zwei Tage nach dem BI-Treffen hat der Planungsausschuss des Stadtrats tatsächlich das neue Wohnquartier Fauststr. 90 gebilligt. In der Rathaus Umschau war zu lesen: „An die Neuplanung werden vor allem in puncto Naturschutz hohe Anforderungen gestellt. Denn nördlich und südlich grenzen Bannwaldgebiete an, zudem liegt das Areal in einem Regionalen Grünzug sowie einem Landschaftsschutz- und einem Wasserschutzgebiet.“ Denn Sie wissen, was Sie tun …
Stadtrandbebauung: Bauen
bis zum bitteren Ende
Markus Bichler, Sprecher der BI Bündnis Nordost, berichtete im nächsten Themenblock über seine Erfahrungen in Sachen SEM Nordost, wo 600 ha im Umgriff der Städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme sind. 310 ha sollen zwar als Landschaftsschutzgebiet ausgewiesen werden (240 ha aber als Kiesabbaufläche vorgehalten werden), auf der anderen Fläche aber, heute noch kostbares Ackerland zur regionalen Versorgung, CO2-Speicher und Kaltluftschneise für die Stadt sowie einzigartige Kulturlandschaft, sollen Wohnungen für 30.000 Neu-Bürger und Gewerbeflächen für bis zu 13.000 Arbeitsplätze entstehen. Damit nicht genug: Dazu kommt noch der Wohnungsbau des Freistaats bei der Reitakademie für womöglich bis zu 15.000 Bedienstete und das separat betrachtete neue Stadtviertel auf der heutigen Galopprennbahn – was noch mal 10.000 Bewohner mehr ergeben könnte.
Nach Bichlers Erfahrung könne man sich schwindlig reden mit der städtischen Verwaltung und mit vielen Politikern – gerade die Grünen, und diese Klage war an dem Abend oft zu hören, seien völlig „beratungsresistent“. Ein wenig Wirkung habe lediglich die große Veranstaltung mit mehr als 1.000 Anwohnern im Februar 2019 gezeitigt (der Lokal-Anzeiger 5/2019 berichtete). Wichtig sei es daher, viele Anwohner hinter sich zu bringen und diese zu bewegen, ihren Unmut auch tatsächlich einmal zu äußern.
Etwas anders liegt die Problematik bei der geplanten Nachverdichtung in Fürstenried West, über die Christoph Söllner von der Bürgerinitiative „Pro Fürstenried“ berichtete. Hier will die Bayerische Versorgungskammer ein 13,5 ha großes Gebiet mit Bestandsgebäuden nachverdichten. Entstehen sollen rund 600 neue Wohnungen, Tiefgaragen, Kindertagesstätten, Läden etc. Dafür werden etwa in der Forst-Kasten-Allee drei neue Hochhäuser mit 12 bis 16 Stockwerken errichtet und an der Ecke Appenzeller Str. / Forst-Kasten-Allee wird ein derzeit noch bewohntes niedriges Haus abgerissen für ein weiteres Hochhaus – alles just dort, wo die schönsten Bäume, in Grüppchen seit 50 Jahren gewachsen, für einen Park-artigen Charakter des Quartiers sorgen. Insgesamt sollen 184 Bäume der Nachverdichtung weichen. Die BI wehrt sich gegen diese Vernichtung ihrer „grünen Klimaanlage“ und hält die Verdichtung für die Ortsrandlage für unzumutbar. Zumal es planungsrechtlich sehr zweifelhaft sei, weil gesetzlich vorgegebene Abstandsflächen nicht eingehalten würden. Außerdem sei die U-Bahn heute schon sehr ausgelastet und mit der weiteren Nachverdichtung verschärfe sich auch die angespannte schulische Versorgungslage weiter. In jeder Schule des Stadtbezirks stünden schon jetzt Container.
Söllner berichtete, dass man wenig Unterstützung seitens des Bezirksausschusses oder des Stadtrats erfahre und gab den anderen BIs den Tipp, Geld bei Unterstützern zu sammeln, um sich auch einmal einen Fachanwalt leisten zu können.
Innenstadt: Ein wenig Nach-
verdichtung geht immer
Auch in Stadtteilen, die bereits heute sehr dicht bebaut sind wie die „Amisiedlung“ am Perlacher Forst, finden sich offensichtlich immer noch Freiräume mit Nachverdichtungspotenzial oder ein Hinterhof, in dem alte Bäume einer Bebauung weichen können (Breisacher Str. 5).
Selbst in Ensemble-geschützten, idyllischen Siedlungen werden Häuserzeilen ausfindig gemacht, die einst, aus welchen Gründen auch immer, nicht unter Ensembleschutz gestellt wurden, während die Nachbarschaft in die bayerische Denkmalliste eingetragen wurde. Diese nicht geschützten Häuserzeilen sollen nun für eine Neubebauung abgerissen werden, wie es einer Baugesellschaft beim Ensemble „Wohnanlagen am Loehleplatz“ in Ramersdorf vorschwebt. In den Augen der Aktionsgemeinschaft „Unser Ensemble“ würde dadurch das historisch gewachsene „städtebauliche Idyll, wie man es in München kaum mehr findet“, nachhaltig beschädigt. Derzeit prüft das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege eine mögliche Zugehörigkeit des Baugrundstücks zum Ensemble „Wohnanlagen an Loehleplatz“.
Bürgerbegehren gegen maßlose
Nachverdichtung wieder aufgreifen
Auch wenn viele Bauvorhaben nicht mehr aufzuhalten sind und die ein oder andere Bürgerinitiative deshalb frustriert ist, weil sie nichts bewirkt hat gegenüber übermächtigen Immobilienkonzernen, den städtischen Behörden wie den Stadtpolitikern – die BI-Vertreter machten sich bei dem Treffen trotzdem gegenseitig Mut und bestärkten sich in der Sinnhaftigkeit ihres Engagements. Vielleicht bewirke die Corona-Zeit ja ein Umdenken, dass durch vermehrtes Homeoffice in der Zukunft weniger Bürofläche benötigt werde und Menschen nicht mehr zusammengepfercht in der Stadt wohnen müssten bzw. wollten. Dass mehr Büroflächen zu Wohnungen umgewidmet würden. Dass die Bevölkerungsprognosen sich als Makulatur erweisen und es künftig nicht mehr nötig sei, Bäume durch Beton zu ersetzen, was über kurz oder lang Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit haben werde.
In jedem Fall wollen ÖDP, Freie Wähler und München Liste das in Vor-Corona-Zeiten begonnene Bürgerbegehren „Maßlose Nachverdichtung stoppen – Lebensqualität sichern“ im Frühjahr, wenn es die Corona-Zahlen zulassen, fortführen und auf die Straße gehen, um weiter Unterschriften zu sammeln und um das Quorum von 34.000 Unterschriften zu schaffen.
Stadtrat Dirk Höpner von der München-Liste erläuterte allen noch einmal das stark juristisch formulierte, im Laufe etlichen Anwalts-Sessions erstellte Bürgerbegehren, das durch Corona gänzlich in den Hintergrund gerückt ist, in seinen Hauptpunkten:
– Jedem Einwohner sollen wieder mindestens 32 qm privates und öffentliches Grün zur Verfügung stehen. Seit 2017 reichen in München 20 qm, was eine dichtere Bebauung ermöglicht.
– Grüne Stadtviertel sollen maximal eine GFZ von 0,5 haben. Derzeit beträgt sie oft 1,0 und mehr.
– Keine großen neuen Gewerbeansiedlungen mehr, da sie weiteren Wohnungsbau auslösen.
– Mega-Wohnbauprojekte wie die SEM Nordost und die SEM Nord werden abgelehnt. Damit würden die letzten großen freien Flächen Münchens bebaut, die jedoch wichtig seien für die regionale Versorgung, die Erholung der Münchner und fürs Stadtklima.
Übergeordnetes BI-Bündnis
für mehr Schlagkraft
Beim virtuellen Treffen der BIs wurde von mehreren Seiten angeregt, ein übergeordnetes BI-Bündnis zu bilden, denn gemeinsam sei man stärker. In den nächsten Wochen soll es daher eine BI-Bündnis-Videokonferenz geben, bei der erstmalig der gemeinsame Austausch und mehr besprochen werden soll.
Alle Aktiven der BIs, die daran teilnehmen wollen, können sich schon bei Stefan Bürger (st.buerger@freenet.de) oder Gisela Krupski (gkrups@freenet.de) melden.
Ilk meint
Super, danke für den Einsatz!!!!
Es wird Zeit, dass sich BürgerINNEN, die Ihre Stadt und die Zukunft Ihrer Kinder lieben, gegen von Oberbürgermeister Reiter hofierte und protegierte Investoren wie die Optima-Ägidius, zu einer Werte- und Interessenphalanx formieren.
Dabei ist der Begriff Phalanx mit Sicherheit zutreffend und notwendig, weil genau dieser Oberbürgermeister und seine Investoren einen Krieg gegen Natur und Lebensqualität in München führen; und zwar mit fast allen Mitteln.
So hat beispielsweise kürzlich das FDP und Optima-Ägidius-Aufsichtsratmitglied Stadtrat Hoffmann im Planungsausschuss neben Oberbürgermeister Reiter und unter dessen Augen für die Billigung der Bebauung eines Landschaftsschutzgebiets an der Fauststr. 90 durch den Investor Optima-Ägidius mitgestimmt. Und dass, obwohl die Gemeindeverordnung so etwas ausdrücklich verbietet, weil ein Interessenkonflikt besteht. Aber das interessiert Kapitalisten und gewisse Politiker eben nicht. Und deshalb ist es (leider) wichtig, dass BürgerINNEN den Schutz der Interessen Ihrer Stadt und der Natur gegen solche Leute selber organisieren.