Lange bevor die Stadt im Münchner Nordosten anfing, großflächig zu planen, hatten der Bund Naturschutz (BN) und der Landesbund für Vogelschutz (LBV) schon ihr Gutachten vorgelegt, wieviel Bebauung das Areal im Nordosten vertragen könnte, wenn man sämtliche Schutzgüter ordentlich gegeneinander abwägt: hier das Recht aller Menschen, in München zu wohnen, dort das Klima, der Boden, das Wasser, die Pflanzen und Tiere und nicht zuletzt das jahrhundertelang ausgeprägte Landschaftsbild. Selbiges haben die beiden Organisationen nun für den Münchner Norden gemacht, der laut Stadtratsbeschluss vom 22. Juli 2020 auf 900 ha großflächig zugebaut werden soll. Die Naturschutzverbände hingegen sind der Ansicht, dass nur 5 % der Gesamtfläche, nämlich zwischen der bestehenden Siedlung Feldmoching und der A99, bebaut werden kann. Das ist das Fazit des gemeinsamen Positionspapiers, das am Donnerstag, den 5. August vorgestellt wurde. Darin fordern die beiden Umweltverbände, dem Natur- und Klimaschutz in der Planung mehr Gehör und Gewicht zu verschaffen.
Für diese Analyse wurden monatelang Daten erhoben und unter verschiedenen ökologischen Gesichtspunkten kartiert: Wo im Planungsgebiet sind städtische und regionale Grünzüge? Wo Frischluftschneisen mit sehr hoher bioklimatischer Bedeutung für die dichtbebaute Stadt? Wie sieht es mit dem Grundwasserflurabstand aus? Wo sind Kaltluftentstehungszonen, FFH-Gebiete, Landschaftsschutzgebiete (LSG), Pufferflächen für das LSG und geschützte Landschaftsbestandteile? Wo Erholungsflächen für die Stadtbevölkerung, Park- und Kleingartenanlagen, Flächen des Arten- und Biotopschutzprogramms sowie Gewässer, die regional und überregional, ja vielleicht sogar landesweit bedeutsam sind? Wo stehen Hecken, Baumgruppe und Feldgehölz, die für Agrarvögel wie Kiebitz, Feldlerche, Flussregenpfeifer und Goldammer bedeutsam sind? Welche Amphibien und Reptilien leben im Planungsgebiet? (Europäische Laubfrosch, Wechselkröte, Zauneidechse und die Westliche Blindschleiche) Welche Schmetterlinge flattern herum? (Idas-Bläuling, der Himmelblaue Bläulich, der Zwerg-Bläuling und der Frühlings-Mohrenfalter). Welche Heuschrecken sind anzutreffen (Warzenbeißer, Heidegrashüpfer, Gemeine Dornschrecke, die Blauflügelige Ödlandschrecke) und kommen Wildbienen vor? An den Seen finden sich die Helm-Azurjungferl die Gebänderte Heidelibelle, der Biber, der Eisvogel und der Flussuferläufer. Alle Erkenntnisse sind in obiger Darstellung zusammengefasst.
Was aus Sicht des Klima- und Naturschutzes bebaubar ist
„Ergebnis der Auswertung ist, dass sich für eine weitere Bebauung im Norden von München aus Sicht des Klima- und Naturschutzes nur Flächen zwischen der bestehenden Siedlung Feldmoching und der Autobahn eignen“, stellt Christian Hierneis, 1. Vorsitzender der BN-Kreisgruppe München, klar. „Die seit Jahrzehnten gemachten Fehler der Stadtplanung dürfen sich nicht wiederholen. Die noch vorhandenen klimatischen und ökologischen Funktionen des Gebietes müssen erhalten bleiben. Der Klimawandel ist mittlerweile deutlich spürbar und ebenso ist das Artensterben ein unumstößlicher Fakt. Zerschneidung und Versiegelung von Freiflächen befeuern dabei die Auswirkungen des Klimawandels und sind eine der Hauptursachen für den Artenrückgang. Die Landwirtschaft im Norden trägt mit ihrer Form der Bewirtschaftung dazu bei, dass diese große Artenvielfalt hier noch vorhanden ist. Die hohen Grundwasserstände sorgen dafür, dass hier auch in Trockenzeiten regionale Lebensmittel produziert werden können. Die für die Bebauung notwendigen Grundwasserabsenkungen sind – wie im Nordosten – in Zeiten des Klimawandels und der landesweit sinkenden Grundwasserstände aus unserer Sicht unbedingt zu verhindern. Das Bundesverfassungsgericht macht in seinem Urteil klar, dass die Klimaanpassung staatliche Aufgabe ist. Wir müssen uns an den Klimawandel anpassen und das Artensterben stoppen, anstatt beides weiter zu befeuern.“
Gebiet wichtig fürs Klima und die Artenvielfalt
Das Planungsgebiet beinhaltet weitgehend unzerschnittene Freiräume, die in München selten geworden sind. Ein großer Teil des Gebietes gehört zum regionalen Grünzug, der klimatische und ökologische Funktionen für München und die Region sichern soll.
Die Flächen im Planungsgebiet leisten nämlich einen signifikanten Beitrag zur Kaltluftentstehung und zur Belüftung mittels Frischluftschneisen. Funktionen, die essentiell sind bei den immer stärker werdenden Wärmeinseleffekten.
Auch für den Artenschutz und die Biotopvernetzung, wie sie u. a. im Volksbegehren „Artenvielfalt – Rettet die Bienen“ gefordert wurden, ist das Planungsgebiet von Bedeutung. So dient die fast unbebaute Landschaft dem derzeit noch in München vorkommenden Kiebitz als Brutgebiet – eines der letzten Bruträume übrigens und gleichzeitig Teil des bedeutendsten innerhalb der Münchner Stadtgrenzen. Der Kiebitz ist in Bayern durch die Intensivierung der Landnutzung stark gefährdet und rückläufig. Auch die Feldlerche findet hier ebenfalls noch Brutstrukturen vor.
„Jede weitere Bebauung würde das Brutgebiet zerstören. Denn Kiebitze und Feldlerchen stellen an ihre Bruthabitate besondere Ansprüche und können nicht auf grüne Dächer oder Parks ausweichen“, sagt Dr. Sophia Engel, stellvertretende Geschäftsführerin der LBV-Kreisgruppe München. „Wir sehen ein dramatisches Artensterben und dürfen die Verantwortung dafür nicht weiter von uns wegschieben und den Naturschutz zur Randnotiz in der Stadtplanung machen. Neben der Freihaltung von Bebauung muss die Situation für Kiebitze und andere seltene Arten im Gebiet sogar verbessert werden. Es ist für unsere Biodiversität von enormer Bedeutung, aktiv etwas zu tun.“
Landschaft darf nicht durchschnitten werden
Nach Ansicht der Experten der beiden Naturschutzverbände sind vor allem die Vernetzungsachsen im Planungsgebiet wichtig, die naturschutzfachlich bedeutsame Flächen in der Nähe, wie das Virginia-Depot, mit geschützten Landschaftsbestandteilen, FFH-Gebieten und dem Grüngürtel verbinden Diese Vernetzung muss gewährleistet sein, um den Austausch zwischen Populationen von beispielsweise Wechselkröte, Zauneidechse und Blauflügeliger Ödlandschrecke zu ermöglichen und dem Aussterben lokaler Populationen entgegenzuwirken. Wichtige aquatische Vernetzungsachsen für beispielsweise Biber, Libellen und Eisvogel stellen die Gewässer mit ihren bewachsenen Uferbereichen im Gebiet dar. Eine Bebauung muss auch hier ausgeschlossen werden. Vielmehr ist ein Ausbau der Vernetzungsfunktion anzustreben.
Nahe Naherholung für dicht gedrängt lebende Städter
Die Kulturlandschaft um Feldmoching mit Seen und Bächen stellt ein wichtiges und einfach zu erreichendes Naherholungsgebiet für die gesamte Bevölkerung vor Ort dar. Zudem verbindet sie weitere Gebiete zum Naturerleben auf kurzen Wegen miteinander. Dies macht sie bedeutsam für die Lebensqualität und Gesundheit der Münchner Bevölkerung. Denn gerade im dicht bebauten München ist die Bevölkerung auf große Freiräume zur Naherholung und zum Erleben von Natur angewiesen. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass allgemein der Verlust von Natur in Stadtgebieten auch auf Kosten der Lebensqualität geht. Diese Freiflächen müssen zudem auf kurzem Wege erreichbar sein, da viele Bürger sich Reisen in weiter entfernte, naturnahe Orte nicht leisten können (und sich aus Umweltschutzgründen auch gar nicht immer leisten sollten, Anm. d. Red.). Somit sei die Verfügbarkeit, die ökologische Aufwertung und der flächenmäßige Erhalt dieser Gebiete im Stadtgebiet auch eine Frage der sozialen Gerechtigkeit.
Fazit von Engel und Hirnes: „In München brauchen wir bezahlbaren Wohnraum und bezahlbare Naherholung“.
Wähler meint
Es ist schon ein Dilemma, vor dem die Münchner Wähler stehen: Die CSU hat aktuell noch nicht einmal begriffen, dass man was für den Klimaschutz tun muss. Stichwort Abstandsregelung bei Windrädern, oder sollte man lieber sagen Windradverhinderungsregel? Die SPD möchte, um günstigen Wohnraum zu schaffen, alles zupflastern, auch wenn das dem Klima nicht gut tut. Und die Grünen haben in München mehr mit der CDU zu tun und weniger mit einer Klimaschutzpartei, sonst würden die das Ganze verhindern. Von der FDP will ich jetzt hier gar nicht reden. Die wären wahrscheinlich nur dafür, wenn man für jeden Baum, den man erhält, 100 € im Jahr bekommt. Dann bleiben nur noch diverse Kleinparteien, die leider zu wenig Einfluss haben und auch nicht jede davon würde den Bauirrsinn stoppen.