Eigentlich sollte das Symposium „Der Münchner Norden“, organisiert vom Übergreifenden Bündnis München-Nord, ja schon im November 2021 stattfinden. Aber da ließen die Corona-Maßnahmen eine solche Veranstaltung nicht zu. Daher fand es am Dienstag, den 31. Mai statt. Im Mittelpunkt: das Gutachten des Bund Naturschutzes zum Klima- und Naturschutz im SEM-Nord-Gebiet sowie das Agrarstrukturgutachten. Anschließend gab’s eine Fragerunde mit Stadträten verschiedener Couleur, bei der die unterschiedlichen Positionen zur SEM Nord klar zu Tage traten. Zu erfahren war aber auch einiges über den (Un)Sinn von Ökoausgleichsmaßnahmen: So will die Stadt im Münchner Norden rund 40 ha bestes Ackerland in unfruchtbaren Magerrasen umwandeln lassen. Und das in Zeiten einer aufziehenden Versorgungskrise!
Da die Veranstaltung noch unter 3G-Bedingungen durchgeführt wurde –mit Vorzeigen des Cov-Passes oder eines gültigen Schnelltests –, war die Teilnehmerzahl im Pfarrsaal von St. Peter und Paul auch auf 58 Personen beschränkt: Vertreter des Münchner Stadtrates und des Bezirksausschusses, betroffene Landwirte und Gärtner sowie einige Vertreter der Bürgerinitiativen im 24. Stadtbezirk hatten sich zu dieser Veranstaltung eingefunden.
Aus Klima- & Naturschutzsicht sind nur 5 % der Fläche zu bebauen
Die beiden Gutachten, fertiggestellt in 2021, haben wir bereits im vergangenen Jahr ausführlich vorgestellt: Da ist zum einen das Positionspapier des Bunds Naturschutz und des Landesbunds für Vogelschutz, die das 900 ha große SEM-Nord-Gebiet hinsichtlich ihrer Wertigkeit für den Klima- und Naturschutz untersuchten, um die bedeutsamen Flächen zu identifizieren, die in jedem Fall von einer Bebauung freigehalten werden müssen (siehe Lokal-Anzeiger 16/2021).
Angeregt worden war die Untersuchung von Christian Hierneis, dem Landtagsabgeordneten der Grünen und Vorsitzenden des Bunds Naturschutzes, Kreisgruppe München, vorgestellt wurde sie an diesem Abend von Maximilian Mühlbauer vom Bund Naturschutz.
Fazit der umfangreichen Datenbankrecherche: Zieht man die SEM Nord durch und entwickelt statt der heutigen Kulturlandschaft und der Agrarflächen ein großes neues Stadtquartier, würde das einen massiven Eingriff in den Naturhaushalt bedeuten. Will man das nicht, können nach Ansicht der Naturschützer nur rund 5 % der ins Auge gefassten Fläche bebaut werden.
Alle anderen Flächen sind Teil des Münchner Grüngürtels mit bedeutsamen unzerschnittenen Freiraumflächen, Feldgehölzen und Trockenbiotopen, sie sind FFH-Gebiete, geschützte Landschaftsbestandteile oder dienen der regionalen Landwirtschaft, sie sind Lebensräume für z. T. stark bedrohte Tierarten, haben einen stadtbedeutsamen Wert für die Naherholung und spielen eine gewichtige Rolle für den klimatischen Ausgleich bis hinein in die dicht bebaute Stadt. Stichworte: Kaltluftentstehungsgebiete und Frischluftschneisen.
Von 30 Betrieben wollen die allermeisten weitermachen
Das Agrarstrukturgutachten, das wir im September 2021 unter dem Titel „Feldmoching, Deine Bauern und Gärtner“ vorstellten (18/2021), präsentierte an diesem Abend Franz Stemmer von der Geschäftsführung des BBV Landsiedlung, einem Dienstleistungsunternehmen des Bayerischen Bauernverbandes. 30 Betriebe – 15 in der Landwirtschaft und 14 im Gartenbau tätig sowie eine Imkerei mit eigenen Flächen – wurden dabei untersucht. Bis auf drei wollen danach alle weitermachen, ja bei vielen steht die nachfolgende Generation, sehr gut ausgebildet für die Betriebsübernahme, schon in den Startlöchern. Auffällig ist laut Studie, dass die meisten Betriebe wenig eigene Flächen besitzen, die aber im Umkreis von 5 bis maximal 10 km liegen. 23 der 30 befragten Betriebe bewirtschaften Pachtflächen, wobei zwei keine Angaben zu den Besitzverhältnissen machten. Damit bewirtschaften 86 % der Betriebe, die Angaben machten, Pachtflächen. 1989 lag ihr Anteil noch bei 68 %. Der Anteil der gepachteten Flächen liegt bei durchschnittlich 71 % und der Median ist mit 75 % sogar noch etwas höher. Die Stadt München besitzt bereits 184 ha Land. Doch das meiste verpachtete Land, das war im Laufe des Abends aus Diskussionen zu hören, gehört den Nachkommen aus ehemaligen Bauernhöfen, die ihr Land, das war auch zu hören, nicht verkaufen, sondern es weiter von Bauern bestellen lassen wollen.
Fazit von Stemmer: Die Betriebe sind so aufgestellt, dass sie noch in fünf bis zehn Jahren bestehen und hören welche auf, werden die Flächen sofort „aufgesaugt“, schließlich sagten 13 Betriebsleiter, dass sie ihren Betrieb ausbauen möchten.
Magerrasen nährt Honigbienen nicht
Bevor es in die Podiumsdiskussion ging, berichteten Bio-Imker
Edward Obika sowie Jagdpächter Richard Zech, beides auch Landwirte, über ihre Arbeit.
Obika, der im Jahr an die 10 t Honig von seinen fleißigen Bienen bekommt und diesen zum Großteil via Direktvermarktung, aber auch über den Biofachhandel verkauft, und Imkereiführungen etwa für Schulklassen anbietet (die übrigens fast bis zum Jahresende wieder ausgebucht sind, so groß ist das Interesse), berichtete von der Win-win-Situation, die er als Imker in Feldmoching vorfinde. Die Bauern hätten die Bestäubungsleistung und seine Bienen durch die fünfgliedrige Fruchtfolge ein gutes Nahrungsangebot von April bis November. Er müsse im Gegensatz zu vielen anderen Imkern seine Völker nicht weit umherfahren, da es Raps, Ackerbohnen, Quinoa … gebe. Magerrasen hingegen sei für seine Bienen gänzlich irrelevant.
Richard Zech, Revierpächter seit 25 Jahren, berichtete nicht nur von der Vielfalt der Wildtiere, die es (noch) im Münchner Norden gibt, sondern auch vom Freizeitdruck, der beispielsweise Stress für die Rehe bedeute, weil sie sich im Gegensatz zu Hasen und Fasanen nicht verstecken könnten, wenn etwa ein Hund seinem Besitzer mal nicht mehr gehorchen mag. Aber auch die mechanische Unkrautbekämpfung im Ökolandbau mit dem Striegel ist ihm ein Dorn im Auge, weil die 15 m breiten Maschinen, mit denen man dem Beikraut beikommt, für Bodenbrüter quasi das Todeskommando seien. (Ein kleiner Seitenhieb auf die SPD- und Grünen-Vertreter, die den Abend über dem verstärkten Ökolandbau das Wort redeten.) Ansonsten aber helfe man sich gegenseitig, lege Blühstreifen für die Bienen und Schutzstreifen für die Wildtiere an.
Werden die Gutachten überhaupt zur Kenntnis genommen?
Martin Zech berichtete ferner kurz über eine eigentlich erfolgreiche Petition von Heimatboden, die von der Stadt München nun aber ins Gegenteil verdreht wird. In der Petition ging es zwar vornehmlich um die SEM Nordost und das Einfrieren der Bodenpreise im Zuge der SEM Nordost. Der Petitionsausschuss des Landtags hatte im vergangenen Jahr mehrheitlich geurteilt (nur die SPD war dagegen gewesen), dass das Einfrieren der Bodenpreise nicht zulässig sei, da eine gewisse Bauerwartung schon vorhanden gewesen sei. Leider wurde dieses Ergebnis im Anschluss nicht sauber an die Stadt München kommuniziert, wenngleich mit Schreiben vom 9. März korrigiert. Doch die Stadtverwaltung will das nicht übernehmen, sondern sieht sich vielmehr in ihrer Auffassung gestärkt. Letztlich haben nun die Gerichte das letzte Wort.
Das brachte Moderator Dirk Höpner vom Übergreifenden Bündnis München-Nord auch gleich zur ersten Frage an die Stadträte auf dem Podium: Wie halten sie es mit der SEM Nord und mit den vorgestellten Gutachten? Wird man ihnen folgen? Oder werden sie – beim herrschenden Wohnungsdruck in Deutschlands flächenmäßig vergleichsweise kleinen und daher am dichtesten bebauten Stadt und bei den vielen verschiedenen Interessen, die auf die wenigen noch freien Flächen einwirken (hier die Wohnungswirtschaft und die Zuzugswilligen, dort der Naturschutz und die Versorgungssicherheit mit regionalen Produkten sowie drittens der Naherholungswunsch der Bewohner) – einfach nur zur Kenntnis genommen und abgelegt, um unverdrossen mit vorgefestigter Meinung die Strategie der Partei umsetzen? Nach dem Verlauf des Abends muss man eher letzteres befürchten.
„Die SEM schützt die Flächen jetzt erst einmal vor Bebauung“
Den Weg in den Norden fand mit Christian Müller immerhin der Vorsitzende der SPD-Stadtratsfraktion. Das ist gut, dass die SPD endlich einmal mit betroffenen Bürgern die Auswirkungen ihrer Politik diskutiert.
Müller steht, daran lässt er keinen Zweifel aufkommen, wie seine Partei felsenfest zur SEM, nur damit lasse sich bezahlbarer Wohnraum schaffen. Denn inzwischen hätten schon 20.000 Menschen Anspruch auf eine bezahlbare Wohnung, müssten aber weiter warten. Auch wenn der Zuzug in den letzten beiden Jahren untypisch etwas gebremst worden sei, werde München weiter pro Jahr um 10.000 bis 15.000 Menschen wachsen, teils durch eigenen Geburtenüberschuss, teils durch Zuzug, schließlich müsse man für die Krankenhäuser, die Kitas etc. weiteres Personal anwerben. Man werde alle Gutachten entsprechend werten, müsse aber langfristig planen, wobei man natürlich das weitere Wachstum mit den Bedürfnissen der Bevölkerung in Einklang bringen werde.
Florian Schönemann von den Grünen sprach sich gleichfalls für die SEM aus, die in seinen Augen das einzig wahre Instrument ist, um zukunftsgerichtet sozialen Wohnungsbau mit bezahlbaren Mieten zu planen, die Zersiedelung zu stoppen und ein Gesamtkonzept für die Mobilität und die notwendige Infrastruktur zu bekommen. Im Rahmen der SEM würden dann auch die Flächen identifiziert, die unbedingt erhalten werden müssten, etwa wegen des Artenreichtums. Hier könnten die Gutachten helfen, denen noch sehr viele folgen werden. Mit der SEM und dem Einfrieren der Bodenpreise schütze man die Flächen jetzt erst einmal vor Bebauung und dann werde man sehen, wie viel wirklich bebaut werden könne. Insgesamt versuchte Schönemann, abzuwiegeln: Die SEM zeige doch nur eine Perspektive auf für die nächsten 20 bis 40 Jahre, denn klar sei, dass München weiter Wohnungsbau brauche.
Das sagten die Fraktionsvorsitzenden von ÖDP und CSU
Den besten Satz des Abends brachte in Entgegnung darauf Tobias Ruff von der ÖDP: „Wir müssen die landwirtschaftlichen Flächen nicht schützen – da sie eh im Außenbereich liegen (und damit nicht einfach bebaut werden können, Anm. d. Red.). Aber sie sind halt nicht vor Grün-Rot geschützt.“ Ruff bezog eindeutig Position: Beide Gutachten zeigten, dass so gut wie keine Fläche wertlos sei, dass man sie für eine Bebauung opfern könne. Ruff, der zur eher wachstumskritischen Fraktion gehört, meinte, die Stadt werde dieses Wachstum nicht durchhalten können, da es viel zu viele Defizite in der Infrastruktur gebe. Die SEM werde da auch keine Abhilfe schaffen, zumal sie erst in Jahrzehnten greife. Andererseits wären die Verluste durch die Bebauung viel zu groß: Verluste an ökologischer Vielfalt, an Naherholung, an Frischluftschneisen … Aber, siehe Eggarten: Der Stadtrat mache einfach vor den Gutachten einen Grundsatzbeschluss zur Bebauung und später schieße man die Gutachten in den Wind und ziehe sich auf den alten Grundsatzbeschluss zurück.
Man solle einfach nicht immer neue Gewerbegebiete ausweisen, damit generiere man nur weiteren Zuzug.
Das war für Manuel Pretzl, dem CSU-Fraktionsvorsitzenden, eine Steilvorlage. Er meinte, München habe massiv an Gewerbegebiete verloren, die Zahl der Gewerbeflächen sei, das könne man im Statistischen Jahrbuch nachlesen, gesunken. Aber München brauche auf Dauer ausreichend Gewerbe, denn die Gewerbesteuer sei die wichtigste Einnahmequelle, sonst könne man sich teure Infrastrukturmaßnahmen wie den Schulbau nicht mehr leisten.
Ansonsten aber sei die CSU-/Freie-Wähler-Stadtratsfraktion gegen die SEM, weil das Gebiet sowohl eine ökologische wie landwirtschaftliche Funktion habe und einmalig in einer Großstadt sei. Wer weiter als Bauer tätig sein wolle, solle das tun. Man stehe zur Landwirtschaft. Aber wie in der Vergangenheit sei man für ein organisches, ganz behutsames Wachstum und daher für Kosmo. Die städtischen Baugesellschaften säßen auf genügend Flächenreserven, um genügend günstige Wohnungen errichten zu können.
Klar gegen die SEM positionierte sich auch Richard Progl, Stadtrat von der Bayernpartei: Man lehne die SEM ab, weil man die Art und Weise ablehne, wie mit Grundeigentümern und Anwohnern umgesprungen werde. Außerdem werde die regionale Lebensmittelversorgung noch extrem wichtig. Die Stadt solle lieber nicht weiter Potenziale verschenken, siehe Freiham. Dort hätte man dichter bauen können, wenn es bereits jetzt eine U-Bahn dorthin gäbe. Aber die komme erst in 30 bis 35 Jahren.
Völlig daneben: 40 ha bestes Ackerland soll Magerrasen werden
Danach wurde über die erneut von Grün-Rot revidierte Sobon (Sozialgerechte Bodennutzung) debattiert: Danach sollen bei künftig geschaffenem Baurecht 60 % der Wohnungen im geförderten und preisgebundenen Segment sowie 20 % im freifinanzierten Mietwohnungsbau entstehen. Der kleine Rest sind freifinanzierte Eigentumswohnungen. Das sei für Baufirmen nicht mehr lukrativ und werde Wohneigentum weiter verteuern, weil künftig nur noch ein Fünftel der Wohnungen sämtliche Kosten für Infrastruktur wie Straßen, Kindertagesstätten, Grundschulen, Grün- und Ausgleichsflächen … tragen muss. So Pretzl. Für SPD-Mann Müller hingegen ist es wichtig, dass nun genossenschaftliche und städtische Wohnbaugesellschaften den Vorrang hätten sowie Bauträger mit sozialer Verantwortung.
Auf der Zielgerade schwenkte die Diskussion zu einem brisanten Thema: Die Stadt München hat Feldmochinger Bauern zum Jahresende die Pachtverträge für rund 40 ha bestes Ackerland gekündigt – das meiste außerhalb des SEM-Gebiets. Das Ackerland soll als Ökoausgleichsfläche für irgendwelche Bautätigkeiten zu Magerrasen umgewandelt werden. Das ergebe zwar, erklärte Ruff, viele Ökopunkte, wenn man einen superguten Ackerboden zu Magerrasen umändere, sprich den Mutterboden abtrage (für schlechten Boden oder Wiesen gibt es weniger Punkte). Aus Versorgungssicht sei da aber etwas faul – die Zuhörer konnten ihm nur recht geben.