Am Sonntag, den 24. März, findet in St. Agnes ab 18 Uhr ein in mehrfacher Hinsicht besonderes Konzert statt. Zu hören ist die Brockes-Passion von Georg Philipp Telemann, ein äußerst selten aufgeführtes Werk, das, vor über 300 Jahren geschrieben, mit seiner expressiven Klanggestaltung auch heutige Zuhörer in seinen Bann zieht. Zweite Besonderheit: Es singt der Kirchenchor von St. Agnes, zusammen mit der Chorgemeinschaft Fasanerie–Feldmoching aus dem Pfarrverband Pacem. An die 60 Sänger! Die Leitung hat: Kirchenmusiker Carl Seebode. Ergänzende Informationen – quasi das „digitale“ Programmheft – finden Sie hier:
Es war im Hochsommer vergangenen Jahres, als der junge Kirchenmusiker durch Zufall auf eine Einspielung dieser Brockes-Passion durch die Akademie für Alte Musik Berlin stieß. Die Ernsthaftigkeit der Musik und die Vielschichtigkeit der Tonsprache zogen ihn sofort in den Bann. Schnell war die Idee geboren, an die frühere Tradition von Chorkonzerten anzuknüpfen und die Karwoche 2024 mit einem musikalischen Ausrufezeichen zu beginnen. Besetzung und Umfang des Werks erschienen realisierbar.
Die Brockes-Passion inspirierte zahlreiche Komponisten
Die Brockes-Passion hat ihren Namen vom Textdichter Barthold Heinrich Brockes, einem Hamburger Ratsherrn, Schriftsteller und Dichter der frühen deutschen Aufklärung. Das Libretto trug ursprünglich den etwas langatmigen Titel „Der für die Sünde der Welt gemarterte und sterbende Jesus“, inspirierte aber dennoch über zehn Komponisten, es zu vertonen. Die berühmteste Vertonung gelang unzweifelhaft Georg Friedrich Händel, aber auch Bach war sich nicht zu schade, einige Versatzstücke von Brockes in seiner „Johannespassion“ zu verwenden.
Der barocken Tradition folgend, versah Brockes nämlich den biblischen Passionstext, den er übrigens aus allen vier Evangelien „zusammenschusterte“, mit eigenen poetischen Gedanken in Form von Chorälen und Arien und gebrauchte dabei für heutige Ohren krasse bis schaurige Sprachbilder („Was Bärentatzen, Löwenklauen trotz ihrer Wut sich nicht getrauen, tust du verruchte Menschenhand.“ „Die Teufel selber schämen sich ob meiner Taten.“) Diese überzeichneten Bilder haben die Komponisten offenbar besonders inspiriert, zumal sie sich sehr gut zur Vertonung eignen.
Telemann, der die an diesem Spätnachmittag aufgeführte Brockes-Passion schrieb, war ein Vertreter des Barock und ein kreativer Vielschreiber: An die 3.600 verzeichnete Werke komponierte er im Laufe seiner 86 Lebensjahre, über 40 davon sind Passionen. Dreimal hat er sich die Brockes-Passion vorgenommen und vertont, doch nur die Variante von 1716 ist erhalten. Sie trägt im Werkverzeichnis die Nummer „TWV 5:1“.
Schon das Besorgen der Noten war spannend
Um ein Werk aufzuführen, braucht es zunächst einmal die Noten für die Musiker. Da die Telemann’sche Brockes-Version kaum aufgeführt wird – die Aufnahme von 2015 durch die Akademie für Alte Musik Berlin ist eine Ausnahme –, gibt es diese nur als wissenschaftliche Partitur im Bärenreiter-Verlag. Kostenpunkt: 339 Euro pro Exemplar, was für Musiker, Gesangssolisten und Choristen 24.747 Euro ausgemacht hätte!! Glücklicherweise räumte der Verlag die Option ein, die Noten für einen Bruchteil der Kosten zu leihen. Und so kam es, dass exakt die Noten, die die Akademie für Alte Musik Berlin unter Leitung von Renée Jakobs verwendet hat, an einem schönen Sommertag im August des vergangenen Jahres in St. Agnes ankamen. Die gebrauchten Noten haben sogar einen Vorteil: Alle Musiker können auf die Vorarbeit der Kollegen aufbauen. So finden beispielsweise die Streicher ihre „Striche“ vor, sprich Anweisungen zur Bogenführung, damit es ein einheitliches optisches wie akustisches Bild ergibt. Chorleiter Carl Seebode verwendet allerdings ein „jungfräuliches“ Exemplar, um eine eigenständige Interpretation entwickeln zu können.
In dieser Besetzung wird die Brockes-Passion aufgeführt
Die Brockes-Passion setzt einen Chor, Solisten und Orchester voraus. Der Chor war vorhanden. Folgte die Suche nach Solisten und Orchestermitgliedern. Damit das Projekt finanziell nicht ausuferte, kürzte Carl Seebode einige Abschnitte heraus, um Spielzeit und damit ein noch größeres Orchester sowie Solisten zu einsparen. Beispielsweise werden Sie an diesem Sonntag die Petrus-Episode, in der der Jünger Jesus dreimal verleugnet, nicht hören.
Dennoch braucht es immer noch eine stattliche Besetzung: acht Gesangssolisten – vier „eingekaufte“, vier Chormitglieder –, die in unterschiedlichen Rollen vom Jesus über den Pontius Pilatus, den Kaiphas und den Evangelisten bis hin zur „Gläubigen Seele“ und zur „Tochter Zion“ auftreten. Ferner sind zumindest neun Orchestermitglieder nötig: zwei erste Geigen, zwei zweite Geigen, eine Bratsche, ein Cello, ein Cembalo, eine Oboe und eine Blockflöte. Zum Vergleich: Telemann stellte sich seinerzeit ein Orchester mit 30 Musikern vor! „Eingekaufte“ Sänger wie Orchestermusiker sind überwiegend ehemalige Studienkollegen von Carl Seebode an der Musikhochschule München.
Von expressiv bis intim – mit zahlreichen Klangeffekten
Die Chöre proben intensiv seit Januar. Getrennt. Mit den externen Musikern wird in den nächsten Wochen separat das Werk erarbeitet. Es gilt, sich mit allen Musikern in Tempofragen ebenso abzustimmen wie bei der Frage der Verzierungen und Fermaten. Wie scharf werden beispielsweise die Punktierungen in der Arie „Erwäg, ergrimmte Natternbrut, was deine Wut und Rachgier tut“ genommen? Eine Generalprobe mit allen Beteiligten wird es erst am Tag der Aufführung geben. Die beiden Chöre werden allerdings schon zwei Wochen zuvor in der Kirche von St. Agnes zusammenkommen, um zu einem einheitlichen Klangkörper zu finden. Denn die Brockes-Passion ist aufgrund der schnellen Tempi, der komplizierten Texte wie der Textverteilung eine Herausforderung für die beiden Ensembles.
Telemanns Passion klingt gerade in den „Spottchören“, den sogenannten Turba-Chören, die die aufgepeitschte Menschenmenge beim Prozess und der Kreuzigung darstellen, provokant fröhlich, während die Arien wesentlich intimere Töne anschlagen und die Choräle, ebenfalls gesungen vom Chor, allgemeine Fragen von Schuld und Sühne behandeln und ruhiger gestaltet sind. Telemann spielt auch gerne mit Klangeffekten, etwa wenn er in der Arie „Mein Heiland, Herr und Fürst“ den Text „des Lebenswassers Quelle“ mit quirligen und sprudelnden Passagen der Blockflöte untermalt. Das große Werk lädt alle Zuhörer ein, über Fragen von Tod, Sühne, Schuld, Freundschaft zu reflektieren.
Martin meint
Auch das war ein sehr gelungener Abend. Man muss gar nicht in die Ferne schweifen. 😉
FGH meint
Ergänzende Informationen – quasi das „digitale“ Programmheft – finden sich hier:
https://cfd.edobees.de/653/passionskonzert-am-24-maerz-2024/