Eine Woche lang geht es um die Bebauung im Münchner Norden und dass dort angeblich so viel günstiger Wohnraum entstehen wird. Fünf Minuten Redezeit gewährte die Landeshauptstadt am Donnerstag, den 21. November in der Schulaula der Nelson-Mandela-Berufsoberschule jeweils den Vertretern der drei Initiativen, die sich gegen die SEM stellen: dem Bund Naturschutz, dem Bündnis München Nord und Heimatboden. Ebenfalls fünf Minuten bekam der Vertreter des Bündnisses Pro-SEM, Stephan Reiß-Schmidt, der über 20 Jahre im Münchner Planungsreferat gearbeitet hat. Nur drei Stadträte (aus Feldmoching und Moosach) waren anwesend, wie sich insgesamt wenig Bevölkerung für die Materie interessierte.
Stefan Uhl vertritt ein Bündnis aus Vereinen mit insgesamt 5.000 Mitgliedern, die sich gegen die SEM stellen. Ihre Position lautet: Die Stadt überplant ein Areal, das ihr größtenteils nicht gehört. Mit dem geplanten Wohnungsbau zerstöre man historisch gewachsene, nachhaltige Kulturlandschaft. In Zeiten des Klimawandels sollte die Stadt doch eigentlich Flächen entsiegeln. Ausgleichsflächen wie die sogenannten Parkmeile zählen nicht, weil anderweitig bei weitem mehr Natur zerstört und Boden versiegelt werde (siehe Hochmuttinger Quartier, siehe Lerchenauer Feld, der Eggarten …).
Die neuen Wohnblocks werden den Durchzug der Kaltluft in die Stadt hinein verhindern, lautete ein weiteres Gegenargument. Hydrologisch sei Feldmoching ebenfalls ungeeignet, da weitere Grabungen das Problem des hohen Grundwasserspiegels noch verschlimmern werden. Wie sollen künftige Geschädigte beweisen, dass die Hochwasserkatastrophen von der übermäßigen Bebauung kommt? Wer sei dann für den Schaden verantwortlich? Und was, wenn auch die SEM Nord immer noch nicht reicht und der Zuzug weiter anhält?
Außerdem: Die Stadtkasse ist leer. Um sie zu füllen, ziehe die Stadt, um mehr Gewerbesteuer zu generieren, noch mehr Firmen an, deren Mitarbeiter wiederum Wohnungen brauchen, deren Kinder wiederum Schulen und Kitas … Währenddessen stünden Häuser in anderen bayerischen Städten und Dörfern leer. Die Ungleichheit zwischen Großstadt und Land verstärke sich. Die aktuellen massiven Nachverdichtungen hätten keinerlei Auswirkungen auf die Wohnpreise. Im Gegenteil: Die Mieten steigen weiter.
Darüber hinaus habe die Stadt bereits gezeigt, dass sie die Bürgerbeteiligung nicht ernst nimmt. Für die Bebauung an der Rahein/Ratoldstraße wünschten sich die Anwohner den Schutz der alten Bäume. Nun werden sie demnächst gefällt.
SEM vertreibt global bedrohte Lebewesen
Christian Hierneis, der Vertreter des Bunds Naturschutz, hob hervor, dass sämtliche Gutachten und Stadtratsbeschlüsse ca. 90 % der Flächen in Feldmoching von einer baulichen Entwicklung bereits ausgeschlossen haben. Nur wenige, schmale Streifen seien für eine Bebauung geeignet. Auch die Regierung von Oberbayern sehe die SEM kritisch: ,,Der Siedlungsrand sollte als abschließend betrachtet werden.” Sie prüfe gerade, ob neue Naturschutzgebiete ausgewiesen werden sollten.
Tobias Angemeier, Jagdvorsteher für die Gemarkung Feldmoching, hob die Bedrohung der Tiere hervor, die in Feldmoching ein seltenes Zuhause haben: Biber, Wildhamster, Wildkatze, Saatkrähe, Feldlerche, Kiebitz, Gänsejäger, Fledermaus (um nur einige zu nennen).
Für die Bauern ist die SEM eine Bedrohung
Florian Obersojer arbeitet in der 7. Generation als Landwirt. Seine Ansprache war deutlich: Mit der SEM gehe eine aktive Drohung der Enteignung durch die Landeshauptstadt einher. Dieser Rechtsmechanismus ermögliche es der Stadt unter bestimmten Voraussetzungen, das Land aus dem Besitz der Bauern zu erzwingen. Ein solcher Eingriff in die regionale Nahrungsproduktion sei in Krisenzeiten nicht vertretbar.
Grundsätzlich seien die Landwirte nicht gegen eine Entwicklung des Münchner Nordens. Sie wären bereit, zu verhandeln. Aber nicht unter dem Banner der SEM. Obersojer weigerte sich, an der anschließenden Diskussion teilzunehmen, da sie seiner Meinung nach nicht auf Augenhöhe stattfinde. Man werde sich nur an den Verhandlungstisch setzen, wenn die SEM als gesetzlicher Rahmen — und somit die Drohung der Enteignung — außer Frage stehe.
Auch Genossenschaften unter Pro-SEM Stimmen
Die Stimme für die SEM kommt – neben dem Planungsreferat selbst – aus einem Bündnis sämtlicher Mietervereine, Wohngenossenschaften und Sozialforen. München brauche neue, lebendige Viertel mit bezahlbarem Wohn- und Gewerberaum sowie einem leistungsfähigen ÖPNV. Gleichzeitig gehöre die Bodenspekulation eingedämmt. Inwieweit dies rechtliche Änderungen auf Bundesebene erfordert und ob solche Bestrebungen eine Erfolgschance hätten, ließ der Vertreter des Bündnisses Pro-SEM Reiß-Schmidt jedoch offen.
Ein Beispiel dieser Spekulation: Das Gelände Ratold-/Raheinstr., einst Bahngelände und damit im Besitz des deutschen Steuerzahlers, wurde 2001 in die Vivico ausgelagert. Die wurde dann von der österreichischen CA Immo aufgekauft, womit dieses Immobilienunternehmen billig an das Brachland kam. Kaum hatte man im Zusammenspiel mit den Münchner Stadtplanern das Baurecht auf der Fläche erlangte, schon verkaufte man das Areal „über Buchwert“, wie seinerzeit gejubelt wurde, um das geschätzt Tausendfache an eine Schweizer Holdingfirma weiter.
Weiterer Kritikpunkt von Bürgern: die strengen, knapp gehaltenen Redezeiten der lokalen Gegner im Vergleich zu den langen Ausschweifungen der eingeladenen, internationalen Planungsbüros. Und, dass bei dieser Veranstaltung so gut wie kein Stadträte es für nötig befand, auch einmal sich die Argumente der Gegenseite anzuhören. Luisa Hill
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