Wer das Gedankengut, das hinter dem Mosaik steht, verstehen will, kommt nicht umhin, in die Geschichte einzutauchen. In die Zeit, in der das Schulgebäude errichtet wurde.
In den 30iger Jahren des letzten Jahrhunderts stieg in der Gemeinde Feldmoching die Zahl der schulpflichtigen Kinder stark an – von 294 im Schuljahr 1923/24 auf 509 im Jahr 1935/36. Das lag nicht zuletzt daran, dass der Zuzug in die „Kolonien“ Lerchenau, Fasanerie sowie Harthof ungebrochen war.
Im Februar 1935 legten deshalb die Architekten Neumaier und Mons im Auftrag der Gemeinde Feldmoching dem Gemeinderat die Baupläne für ein neues Schulgebäude in der Lerchenau vor. Doch daraus wurde erst einmal nichts. Denn als man 1937 die Verhandlungen zur Eingemeindung nach München aufnahm, erklärte die Stadtverwaltung, dass die staatlichen Militärbehörden einen Schulhausbau in der Lerchenau wegen der Nähe zum Rüstungsbetrieb BMW und der damit verbundenen Gefahr von Luftangriffen ablehnte.
Andererseits wurde die Situation in der Feldmochinger Volksschule unhaltbar. 1937, so schrieb Joseph Schmidhuber (1880 – 1962, seit 1. Oktober 1920 Hauptlehrer in Feldmoching) in seiner Ortschronik, gab es elf „Schulabteilungen“. Die erste drei Klassen mussten wegen „Überfüllung“ geteilt werden und „wegen Mangel an Schulsälen im Wechselunterricht geführt“ werden. „Im nächsten Schuljahre erfolgt wieder eine Teilung der ersten Klasse und die Errichtung der achten Klasse ist ein dringender Wunsch der Bevölkerung“, so notierte er weiter.
Ein neues Schulhaus wird gebaut
Nun sollte also Feldmoching ein neues Schulgebäude erhalten. Kreis, Regierung und Staat gaben für den Bau 160.000 RM, die Gemeinde Feldmoching 60.000 RM. Ferner erwarb sie ein Grundstück beim bestehenden Schulhaus und übertrug die Planung des Neubaus, der für sechs Klassen ausgelegt werden sollte, den Pasinger Architekten Heinrich Rettig und Friedrich Lämmle. Baumeister Augustin legte laut einer Zusammenstellung des Schuldezernats am 20. September 1937 los (oder bereits am 13. September, wie Schmidhuber und in seinem Gefolge Volker Laturell schrieben).
Das Richtfest konnte man dank der günstigen Witterung schon am 18. Dezember feiern. Zu diesem Fest erschienen auch hohe Herrn aus München, wie Schmidhuber vermerkte: Bürgermeister Dr. Karl Tempel, Stadtrat Christian Weber, ferner ein NSDAP-Kreisleiter Sprenger sowie ein Regierungsrat v. Ameding als Vertreter des Bezirksamtes. Am 27. September des darauffolgenden Jahres wurde der Bau eingeweiht und seiner Bestimmung übergeben.
Und weil man schon am Bauen war, sanierte man für 30.000 Reichsmark noch das 1904/05 errichtete alte Schulgebäude, das fortab „Altbau“ genannt wurde. Es erhielt im Erdgeschoss eine Offiziantenwohnung, die alte Abortanlage wurde durch eine moderne Wasserspülung ersetzt und Schularzt wie Handarbeitslehrerin erhielten eigene Räume. Den Bau der Schulturnhalle, den die Gemeindeväter im Eingemeindungsvertrag mit der Stadt vom 11. Februar 1938 unter §9 verbindlich bis zum 1. Januar 1940 vereinbart hatten, ließ allerdings bis Februar 1941 auf sich warten.
Strahlende Sonne als Ausdruck glanzvollen Beginnes
Auf der Westseite des Neubaus unterhalb des Uhrenturms hatten die Architekten Rettig & Lämmle in ihrem Entwurf eine ausladende Sonnenuhr geplant und daher an zentraler Stelle eine große Mauerfläche freigelassen.
Doch im Juni 1938 wandte sich der Maler und Grafiker Joseph Mader mit einer anderen Idee an Stadtschulrat Josef Bauer, einen alten Nazi, der schon 1923 am Hitler-Putsch in München teilgenommen hatte. „… Und denken Sie nicht auch, sehr geehrter Herr Stadtschulrat, dass die strahlende Sonne als Ausdruck glanzvollen Beginnes und die daraus sich entfaltende kühne und kraftvolle Bewegung des sich erhebenden Adlers solch ein einfaches eindeutiges Symbol sind? Das Ganze dachte ich mir zusammengefasst und hinbezogen auf das heutige deutsche Geschehen durch das Band mit einem Ausspruch des Führers, der sich irgendwie an die Jugend wendet.“ (StadtA, GK Schulamt, Nr. 3665/1).
Warum Mader, offensichtlich unaufgefordert, diesen anbiedernden Brief schrieb und wie er überhaupt um das fehlende Wandbild wusste, all das lässt sich heute nicht mehr rekonstruieren. Joseph Mader (siehe Kasten Seite 7) hatte seit Oktober 1933 in Neuhausen im 4. Stock des Hauses Maillinger Str. 19 sein Atelier und hielt sich als freischaffender Künstler zwischen 1936 und 1949 vor allem mit Freskenaufträgen niederbayerischer Kirchen mehr schlecht als recht über Wasser.
Im nationalsozialistischen Kunstbetrieb scheint er, wenn überhaupt, nur eine untergeordnete Rolle gespielt zu haben. Ein glühender Nazi war er keinesfalls, eher ein kleiner Mitläufer, wie so viele. Der sehen musste, wie er mit seiner „brotlosen“ Kunst überlebte. Der sich anbiedern musste für einen Auftrag, sich geschmeidig ein wenig anpasste – Tiere, auch Adler, hat Mader nämlich immer gemalt. Tiere waren Zeit seines Lebens sein Sujet. Er musste „nur“ seine Kunst entsprechend verkaufen, sprich die Deutung des Bildes dem herrschenden Sprachduktus angleichen. In die Lücke, hervorgerufen durch den Exodus vieler Maler, drängte Mader dagegen nicht. Hemmungsloses Anbiedern, serviles Kriechen und gehorsames Ausrichten seiner Kunst am Geschmack Hitlers war seines dann doch nicht.
Mit seinem Vorschlag, die aufgehende Sonne samt dreier schwebender Adler und einem völkischen Spruch auf eine Art Band als „Bildunterschrift“ aufs Feldmochinger Schulbaus zu bannen, rannte Mader im Stadtschulamt offene Türen ein. Im September schon, bei der Einweihungsfeier, zierte das Bild die Westfront. Die Realisierung hatte die renommierte Firma Franz Xaver Zettler (Mayer’sche Hofkunstanstalt) übernommen, deren Münchner Werkstätten im Laufe der langen Firmengeschichte Tausende von kirchlichen und profanen Gebäude mit Glasmalereien und Mosaiken ausstattete – allen voran den St. Petersdom in Rom.
Vom Volkskörper und der ewigen Jugend
Der „Völkische Beobachter“ titelte am 28. September 1938 „’Das Volk verjüngt sich ewig in seiner Jugend’: Mächtiges Mosaikbild an Feldmochinger Schule“ und zitiert, was Stadtschulrat Bauer tags zuvor bei der Einweihungsfeier von sich gegeben hatte: „Erzieht die euch anvertraute Jugend im Geiste des Nationalsozialismus, erzieht sie zu Menschen, die bereit sind für das deutsche Volk alles einzusetzen, und wenn es sein muß, Blut und Leben! Über das Einzelschicksal hinaus muß immer die Erhaltung der Gemeinschaft unseres Volkes das große Ziel sein.“
Da ist es, das Volk als Volkskörper, das Volk als Organismus, bei dem der einzelne Glied oder Zelle ist und in dem sich auch Parasiten einnisten können oder Eiterbeulen, die den Volkskörper schwächen. Auch die nationalsozialistische Vorstellung einer unvergänglichen, einer ewigen Existenz von „Völkern“ und „Rassen“ klingt hier an.
Der nationalsozialistische Staat verstand sich ja als die Verkörperung des „jungen Deutschland“, die Jugend war der wichtigste Träger ihrer nationalsozialistischen Zukunftsvisionen. Sie wurde deshalb von Kindesbeinen an entsprechend in staatlichen Einrichtungen indoktriniert. Und natürlich hatten „Führerworte“ auch in der Erziehung richtungsweisendes Gewicht. Hitler selbst ließ kaum eine Gelegenheit verstreichen, seine kruden Erziehungsziele propagandistisch-bildhaft auf Massenveranstaltungen unters Volk zu bringen, wie etwa bei einer Rede am 14. September 1935 im Nürnberger Stadion vor 50.000 „Hitler-Jungen“: „Ihr müßt lernen, hart zu sein, Entbehrungen auf euch zu nehmen, ohne jemals zusammenzubrechen.“
Statt grimmiger Adler eine Fabelwelt für Kinder
Es war einmal – denn mit der neuen Wärmedämmung wird das Mosaik aus der braunen Vergangenheit verschwinden. Die Idee des Freundeskreises Grundschule Lerchenauer Str. in Feldmoching e. V., quer übers Mosaik, von oben nach unten, die Wärmedämmung zu unterbrechen, um einen Blick aufs Dahinter zu gewähren, quasi als „Riss durch die Zeit“, lässt sich technisch nicht realisieren. Die Vergangenheit aber so einfach „verschwinden“ zu lassen, möchte man auch nicht.
Daher entstand folgende Idee: Der Adler, der im Dritten Reich ideologisch wie so vieles missbraucht wurde, soll zukünftig auf dem Feldmochinger Schulhof von Tieren wie dem Löwen, dem Stier sowie dem Einhorn umgeben sein, die in Geschichten und Fabeln Stellvertreter für bestimmte positive Eigenschaften sind und die in den verschiedenen Religionen und Kulturen unterschiedliche symbolische Bedeutungen haben. Dazu sollen sieben Tierköpfe aus Bronze angefertigt und auf sieben Stelen aus Eiche im Schulhof installiert werden. Mit dem Bildhauer Franz Weidinger, 1966 in Neumarkt in der Oberpfalz geboren, hat man einen Künstler gefunden, der bereits eine solche Skulpturengruppe für die Dr.-Pfeiffer-Schule in Schweinfurt geschaffen hat und der für eine anspruchsvolle künstlerische Präsentation steht.
Die Stadt München hat laut Freundeskreis bereits einen respektablen Betrag für die Skulpturen zur Verfügung gestellt. Es fehlen aber noch gut 10.000 Euro für ein optisch ansehnliches Stelen-Tableau. Der Freundeskreis der Grundschule ist aber davon überzeugt, die fehlende Summe aufzubringen, wenn man sie auf viele Schultern verteilt. Deshalb seine Bitte: „Mit einer finanziellen Beteiligung ermöglichen Sie den Kindern über die Sprache der Kunst den Zugang zum nachdenklichen Umgang mit unserer Gegenwart hin zu einer besseren Welt.“
Joseph Mader (1905 – 1982)
Joseph Mader, am 20. September 1905 als zweiter Sohn einer Lehrerfamilie in Landshut geboren, malte schon früh mit großer Leidenschaft Tiere. 1921 bestätigten seinem Vater „maßgebende Persönlichkeiten des Lehrkörpers“ der Bayerischen Akademie der Bildenden Künste, dass sein Sohn „zweifellos eine ganz erstaunliche Begabung für das Fach Tiermalerei“ habe, „die auszubilden sich nach menschlichem Ermessen reichlich lohnen wird“.
1922 ging Mader nach München an die Kunstgewerbeschule, wo ihm der Architekt und Innenausstatter Richard Riemerschmid, ein Vertreter des Jugendstils, Lehrer und väterlicher Freund wurde. Als dieser an die Kölner Werkschulen wechselte, besorgte er Mader ein Stipendium und ermöglichte ihm, 1927 seine Studien in Köln fortzusetzen. Dort wurde Mader Meisterschüler von Friedrich Ahlers-Hestermann – wie Riemerschmid ein Künstler, der sich in der Nazizeit augenscheinlich nicht hervortat. (In den Ausstellungskatalogen zu den „Großen Deutschen Kunstausstellungen“ zwischen 1937 und 1944 im „Haus der Deutschen Kunst zu München“ jedenfalls sind weder sie noch Mader vertreten.) Denn in den Kölner Werkstätten pflegte man eine „relativ moderne“ Malerei, die einen mittleren Weg zwischen Avantgarde (Expressionismus, Konstruktivismus etc.) und Rückgriff auf die Tradition (Neuromantik, Neue Sachlichkeit) bedeutete. Mader, der anfangs ganz dem Naturalismus verhaftet war, setzte sich zunehmend mit dem Kubismus und mit Max Beckmann auseinander; seine Werke sind in dieser Zeit geprägt von diesen seitens der nationalsozialistischen „Kunsttheorie“ als entartet geltenden Stilrichtungen.
Seit 1932 lebte Mader als freischaffender Künstler wieder in München. Der Beginn war hoffnungsvoll: Im Februar 1932 widmete ihm das Graphische Kabinett Günther Franke zusammen mit zwei anderen Künstlern eine viel beachtete Ausstellung. Im gleichen Jahr beteiligte sich Mader an zwei Ausstellungen des Deutschen Künstlerbundes. Mader, der wie alle Künstler, die in der Nazizeit ihrem Beruf nachgehen wollten, der Reichskunstkammer angehörte, erhielt im April 1936 den mit 1.000 Mark dotierten Dürer-Preis der Stadt Nürnberg. Als aber Günther Franke im Herbst 1937 eine Ausstellung mit Zeichnungen Maders und Plastiken von Ferdinand Filler ausrichtete, erfuhr diese keine öffentliche Resonanz mehr. Verbittert schrieb Mader am 9. Juni 1939 an seinen Bruder Anton: „… Beim Staat sind durch die bekannte Verquickung keine Möglichkeit für Menschen, die die Überzeugung haben, dass es Deutschsein auch ohne Partei-Zugehörigkeit gibt. (…) Wenn man nun mal so weit wäre, das unmittelbare Leben gesichert zu haben durch eine bestimmte Regelmäßigkeit von Aufträgen. (…) Freilich diese Zeit mit ihrem Getöse macht es einem ungeheuer schwer, die eigene Sache weiter zu fördern, denn dazu wäre Ruhe u. Versenkung so dringend nötig.“
Am 15. September 1941 wurde Mader als Sanitäter eingezogen, nach Kriegsende geriet er drei Wochen in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Zwischen 1949 und 1982 nahm er regelmäßig an der Großen Kunstausstellung in München teil, 1955 zeigte das Lenbachhaus im Rahmen einer Kollektivausstellung 49 Arbeiten Maders. Seit 1960 gehörte er der Künstlervereinigung Dachau an, 1962 erhielt er den Seerosen-Preis der Stadt München. Und langsam erreichte der wirtschaftliche Aufschwung, wenn auch abgeschwächt, die Künstler. Mader konnte mit seiner Familie in gesicherten, wenn auch bescheidenen Verhältnissen von der Kunst leben.
Literatur: Joseph Mader. Vom Reichtum der Sichtbarkeiten und der Liebe zu den Dingen. Ausstellungskatalog Marburger Universitätsmuseum 2005.
Siehe auch den Beitrag vom 26. Okt. 2012: Tierstelen mit großem Schulfest eingeweiht.