Die Hot Dogs, 1955 von Studenten der Technischen Hochschule München und Schülern des Maxgymnasiums gegründet, war die erfolgreichste deutsche Dixielandband, deren Jazzmusiker spätestens ab den 1970er-Jahren gut davon leben konnten. Nach fast 50 Jahren löste sich die Band 2004 auf. Gerhard Sterr ging in Rente und lebte fortan in seinem Haus in der Fasanerie, das er mitentworfen und 1974 bezogen hatte. Er fuhr Rad, ging Skifahren und Golf spielen. Täglich setzte er sich für eine Stunde an den Flügel, um Chopin und Bach zu spielen. Täglich malte er eine Stunde.
Die Fasanerie als Ort des Rückzugs vom Publikum
In die Fasanerie hatte es Gerhard Sterr durch Zufall verschlagen. Hier war ihm günstig am Reigersbach ein ehemaliges Gärtnerei-Grundstück angeboten worden.
Aufgewachsen ist der am 19. Juli 1933 in München geborene Sterr nämlich an der Schwanthaler Höhe, wo er die Kriegszeit samt Ausbombung überlebte, bis seine Klasse des Theresiengymnasiums wegen der Fliegerangriffe aufs Land geschickt wurde. Nach dem Krieg lernte er in München nicht nur die neue Musik aus Amerika kennen, insbesondere den Boogie, der ihn elektrisierte und den er in Clubs des Bahnhofsviertels am Klavier spielte. Sterr studierte auch Maschinenbau, lehnte eine Stelle an der Uni Berlin ab, weil er München und die Eltern nicht verlassen wollte, und arbeitete schließlich beim TÜV München.
In der Fasanerie fand Sterr, der mit seiner Musik und seinem Beruf viel „on Tour war“ –– mit den Hot Dogs kam er bis nach Teheran, wo sie vor dem Schah von Persien spielten, der sich geruhte, selbst ans Schlagzeug zu setzen; der Job brachte ihn nach Italien, wo er in Mailand, Bari und anderen Städten Druckkessel und Ölleitungen zu überprüfen hatte –, offensichtlich einen sicheren Hafen. Hier lebte er mit Mutter Miez, Freundin Rita (die er 1976 kennengelernt und 2003 geheiratet hatte), mit dem einäugigen Kater Bazi und später mit Billy, dem Dackel, in ruhiger Abgeschiedenheit.
Beeinflusst von Magritte beginnt Sterr zu malen
Wie sich Gerhard Sterr, der als Knirps zwar eine Musikschule besuchte und mit einem Kinderakkordeonorchester auftrat, selbst das Klavierspielen beibrachte, so lernte er auch autodidaktisch das Malen, angeregt durch ein Künstlerbedarfsgeschäft in der Hermann-Lingg-Str. Erhalten sind aus der frühen Zeit seines Schaffens ein paar großformatige Landschaftsbilder in impressionistischer Manier. Als er in einer Kunstausstellung Bilder von René Magritte sah, ist er beeindruckt von dessen surrealen Welten. Besonders faszinierte ihn das Bild „Der Therapeut“, das einen sitzenden Mann zeigt, dessen Oberkörper aus einem Vogelkäfig besteht. Magrittes Bilder verletzen die vertraute Wirklichkeit und verändern damit die gewohnte Sicht auf die Dinge. Das inspirierte Sterr, der ab sofort ausschließlich surrealistische Bilder malte, in denen sich sein technisch-mathematischer Denkansatz, seine von musischer Bohèmien geprägte Lebensart und das Absurd-Hintersinnige
der menschlichen Existenz vor dem Hintergrund der Gräuel des Zweiten Weltkriegs widerspiegeln, der ja viele gebrochene Existenzen zurückließ mit psychischen Verletzungen wie Sterrs Vater Joseph, der als Kommunist im KZ war.
Sterr besuchte während einer langweiligen Dienstreise in Brüssel auch einmal sein großes Vorbild. Er setzte sich einfach in ein Taxi und ließ sich zum Haus des Künstlers fahren. Dort trifft er auf den Künstler, dessen Ehefrau und einen Flügel. Er stellt sich vor und da er kein Französisch kann, setzt er sich einfach an den Flügel und spielt Chopin. Die Fotos, die er bei diesem Besuch von Magritte gemacht hatte, hingen Zeit seines Lebens neben seiner Staffelei.
Premiere: Die Bilder sind erstmals zu sehen
Die Ausstellung – initiiert von der Interessengemeinschaft Fasanerie aktiv, die diese auch zusammen mit Gerhard Sterrs zweiter Ehefrau Helga Sterr-Meißlein und dem Trägerverein Stadtteilkultur 2411 organisierte – zeigt erstmals eine Bilderauswahl. Denn Gerhard Sterr verschwieg sein Malen. Selten zeigte er Freunden Bilder, nie stellte er sie aus. Er wollte sie keinem fremden Urteil aussetzen. Die Ausstellungsbesucher erleben also eine Premiere!
Zu sehen bekommen sie vielfach großformatige, teils sehr farbige, klar konturierte Bilderwelten. Rätselhafte Szenen durch das unerwartete Nebeneinander von völlig alltäglichen Dingen: Stromleitungen, der Münchner Fernsehturm, zwei verzierte Kerzen, ein rissiges Ei, aus dem Eigelb herausfließt und auf einen Flansch (= eine lösbare Verbindung zwischen Rohren) zu tropfen droht. In verschiedenen Variationen sind „zerbrochene“ Gesichter und Masken zu sehen, aber auch ein Teddybär mit Militärhelm, Tornister samt Spielzeuggewehr auf dem Rücken, geschmückt mit Epauletten und Verdienstkreuz umgeben von Spielzeugpanzern. Bilder als Rätsel: eine Holzfigur vor einem Flügel sitzend, während Klaviertasten ebenso in einer irrealen Szenerie umherstehen wie abgetrennte Ohren und Hirnmasse. Lassen Sie sich faszinieren, den Schlüssel zum Verständnis der Bilder trägt jeder Betrachter in sich.
P.S. Vernissage ist am Samstag, den 3. Mai ab 18 Uhr im 3. Stock des Kulturzentrums 2411 (Blodigstr. 4). Es gibt Live-Musik – unter anderem spielen die „Reste“ der Hot Dogs ihre größten Hits – , einige Begrüßungsreden, ein Essensbüffet samt Getränke und Ausschnitte aus Fernsehauftritten der Hot Dogs.