Organisiert hatte die Infoveranstaltung die Bewohnergemeinschaft Nordhaide und überschrieben war der Termin in der Ankündigung mit „Präventionsautomat geplant“. Dass der Spritzenautomat bereits steht, an dem sich Drogenkranke zum Schutz vor Aids und Hepatitis C auch dann saubere Spritzen für 50 Cent ziehen können, wenn sonstige Hilfseinrichtungen, Apotheken, Substitutionspraxen etc. geschlossen haben, das berichtete Michael Tappe, stellvertretender Geschäftsführer der Münchner Aids-Hilfe, gleich zu Beginn seines kurzen Vortrags: „In München gab es bislang drei Automaten. Ab heute sind es vier.“ Rums. Das saß. Die meisten Zuhörer reagierten empört. „Das ist ja eine Frechheit sondergleichen.“ „Wir Bürger sind hier völlig übergangen worden.“ „Haben Sie denn Kinder?“ (Tappe vereint.) „Warum sollen wir hier denn noch über vollendete Tatsachen diskutieren?“ „Man kommt sich wie vor den Kopf gestoßen vor!“ Einzelne verließen aus Protest gleich den Saal.
Der Bezirksausschuss hat gar nichts zu sagen
Aufgrund eines Stadtratsbeschlusses vor über 14 Jahren kann die Münchner Aids-Hilfe in Abstimmung mit dem Gesundheitsreferat und nach positiver Stellungnahme der Polizei tatsächlich ihre Spritzenautomaten dort aufstellen, wo sie es für richtig hält. Ihre Kriterien: öffentliche Verkehrsmittel, keine Grünanlage, eine gewisse Öffentlichkeit, aber auch nicht zu viele neugierige Blicke. Der zuständige Bezirksausschuss wird zwar informiert, aber mitbestimmen darf er nicht. Er hat kein Entscheidungsrecht. Dafür erwartet Tappe, „dass diese Leute das publik machen und diskutieren.“ Dass er die Bevölkerung einbinde wie an diesem Abend, sei reine Good-will-Aktion.
Bislang gibt es drei Spritzenautomaten in München: Am Gesundheitshaus an der Dachauer Str. seit 2000, am Goetheplatz bei einer Mauer zur Kinderklinik seit 2010. 2013 kam ein Automat beim PEP dazu und nun die Dülferstr. Laut Tappe sollen die nächsten Automaten im Münchner Süden (2015) und Westen (2017) in Betrieb genommen werden.
7.000 Spritzen wurden im letzten Jahr allein beim Automaten an der Goethestr. gezogen. Ansonsten seien die Automaten in all den Jahren ihres Betriebs völlig unauffällig gewesen, versicherte Tappe im Laufe des Abends ein uns andere Mal. Spritzenautomaten verhinderten weder eine Sucht, noch leisteten sie ihr Vorschub. Sie hätten auch keine Sogwirkung etwa auf Dealer noch steige dadurch in der Gegend die Beschaffungskriminalität. Es würde sich im Umkreis auch keine Drogenszene entwickeln, auf dass sich Rauschgiftsüchtige an nahen Kinderspielplätzen oder dem Dülferanger gleich einen Schuss setzten. Drogenabhängige suchten vielmehr die Anonymität und würden schnell wieder verschwinden, so versicherte Tappe mehrfach.
Neuinfektionen seit Mitte der 1990er stark gesunken
Weshalb also die „Präventionsautomaten“? Seitdem es ab Mitte der 1990er-Jahre Spritzenautomaten gibt – inzwischen verfügt Deutschland mit seinen rund 160 Spritzenautomaten weltweit über die größte Anzahl, so ist auf www.spritzenautomaten.de nachzulesen –, sei die Zahl der Aids- und vor allem der Hepatitis-C-Infektionen um die Hälfte gesunken, so Tappe, und das, obwohl gerade durch die billigen synthetischen Drogen, die teils gar nicht verboten sind, die Zahl der Drogenabhängigen offensichtlich gestiegen ist. (Tappe macht das am inzwischen dreimal so großen Spritzenverbrauch fest.) Offiziell bekannt ist, dass es im vergangenen Jahr 4.280 gemeldete Hepatitis-C-Neuinfektionen gab – davon 150 in München. An HIV-Neuinfizierten wurden dem Robert-Koch-Institut für München 190 Fälle gemeldet.
Die Reaktion der Anwohner? Größtenteils viele Ängste
So fürchten viele Anwohner, dass sich die Drogensüchtigen in die nahen „Westentaschenparks“ der Nordhaide mit Buschwerk und Sitzgelegenheiten „verziehen“, um sich a) gleich einen Schuss zu setzen und b) die gebrauchten Spritzen dort liegen zu lassen. Diese würden womöglich von spielenden Kindern völlig unbedarft angelangt und aufgehoben. Und dann? (Lapidarer Kommentar von Tappe: Wenn jemand eine Bierflasche wegwerfe und ein Kind in die Scherben trete, könne man ja auch keinen haftbar machen.) Eltern von Jugendlichen äußerten die Angst, dass ihre flüggen Jugendlichen a) nachts beim Heimkommen an der U-Bahnhaltestelle Dülferstr. womöglich aggressiven, gewaltbereiten Drogensüchtigen begegnen könnten und b) diese womöglich in eine entstehende Drogenszene hineingezogen würden. (Tappe: Drogenprobleme gebe es doch auch in den hiesigen Freizeitstätten.) Ältere Frauen äußerten ihre Angst, nachts womöglich überfallen zu werden von Drogensüchtigen, die Geld für ihre Sucht bräuchten. (Trockener Kommentar von Tappe: Es gibt an jedem U-Bahnhof eine Frau …)
Ein weiteres Argument der Anwohner: Am Hasenbergl und der Nordhaide bestehe kein Bedarf für einen Spritzenautomaten, hier gebe es im Gegensatz etwa zum Sendlinger-Tor-Platz keine Szene, hier gebe es kein Drogenproblem. Die Automaten sollten dringlicher dort aufgestellt werden, wo die Abhängigen sind, so der mehrmals geäußerte Wunsch. Und überhaupt würden ganz offensichtlich wohl die „schwächeren“ Stadtviertel wie Neuperlach und Hasenbergl mit den Automaten bedacht, „wenn die überall stehen würden, hätten wir nicht so ein Problem“.
Zweimal wöchentlich werden Automat und Umgebung kontrolliert
Wie dem auch sei, nun ist der Automat installiert. Laut Tappe wird er zweimal die Woche von Mitarbeitern kontrolliert, die ihn auch erneut befüllen. Diese suchten auch die nähere Umgebung nach weggeworfenen Spritzen ab und würden auch sonstigen Unrat beseitigen. Und überhaupt, wer in der Nähe eine weggeworfene Spritze finde, solle sich bei der am Automaten angegebenen Nummer melden. Da die Polizei in ihrer Stellungnahme zumindest nicht ausschließen wollte, dass wegen des Mira und der U-Bahn sich eine Drogenszene entwickeln könnte – ein Mitglied des BA 11 zitierte aus der polizeilichen Stellungnahme –, meinte Tappe etwas konzilianter: „Sollten wir feststellen, dass sich hier eine Drogenszene entwickelt, dann würden wir den Automaten überdenken. Aber warten Sie’s ab, Sie werden eines Besseren belehrt werden.“ Daran mochte wohl nicht jeder der gut 30 Teilnehmer glauben. „Wegbomben“ müsse man den, meinte jedenfalls einer im Weggehen.
Frank May meint
Dass die Info-Veranstaltung der Bewohnergemeinschaft genau mit dem Aufstellen des Spritzenautomaten zusammen fiel, war Zufall. Eigentlich war die Veranstaltung schon für März geplant, musste aber wegen längerer Urlaubsabwesenheit des Referenten verschoben werden. Klar war auch, dass es nicht darum gehen würde, die Aufstellung des Automaten zu verhindern, denn diese war längst beschlossene Sache; was aber bisher zu kurz gekommen war, war eine umfassende Information der anliegenden Bewohner, die zumeist erst durch die Ankündigung der Veranstaltung von dem Projekt erfuhren.. Diese Politik des möglichst heimlich und schnell Handelns ist zu kritisieren, denn sie dient sicherlich nicht der Vermeidung künftiger Probleme.