Die Süddeutsche Zeitung hat als überregionale Tageszeitung immer das große Ganze im Blickfeld, selbst wenn sie lokal berichtet. So auch im Kommentar von Dominik Hutter, der gegen die Wachstumskritiker (leider gleich im ersten Wort ein Rechtschreibfehler!) in München schwere Vorwürfe erhebt. Deren Forderung, keine neuen Wohnungen mehr in der Stadt zu bauen, sei so falsch wie unverschämt. Im 24. Stadtbezirk, wo viele gegen das weitere Zubetonieren ihrer Heimat kämpfen, provozieren solche Kommentare kritische Leserbriefe wie folgenden.
Dominik Hutter schreibt in seinem Kommentar: „Der Staat kann seinen Bürgern nicht vorschreiben, wo sie zu wohnen haben“.
Von „Vorschreiben“ ist keine Rede – jedoch davon, dass der Staat – die Bundesregierung genauso wie der Freistaat Bayern – über Jahrzehnte seine Pflicht vernachlässigt hat, „überall in Bayern für gleichwertige Lebensverhältnisse zu sorgen“. Dies wäre ein wesentlicher Grundsatz unseres demokratischen Systems und sowohl im Grundgesetz (Art. 72 GG) als auch in der bayerischen Verfassung (Art. 25a) festgeschrieben.
Die Vernachlässigung des ländlichen Raumes und die Tatsache, dass München ständig neue Gewerbeflächen ausweist, ständig neue Arbeitsplätze schafft, sind die Gründe für den starken Zustrom nach München und der Grund für Wohnraummangel und -verteuerung (Push- und Pull-Faktoren).
Und der Glaube daran, dass man nur genug Wohnungen bauen müsse, dann würden die Mieten fallen. Das Gegenteil ist nämlich der Fall: Durch exzessives Bauen werden die Wohnungen in München nämlich nicht billiger, sondern teurer, denn die Fläche innerhalb der Stadt ist begrenzt. Je mehr davon zugebaut wird, umso knapper wird dieses Gut und je knapper ein Gut, umso teurer wird es. Aus diesem Grund sind auch die Mieten in großen, dicht bebauten Metropolen wie London, Paris oder Tokio um ein vielfaches höher als bei uns in München, und auf dem flachen Land sind sie wesentlich billiger als hier. Um den Zuzugsdruck auf München abzumildern, ist es nötig, endlich dessen Ursachen zu bekämpfen: Stärkung des ländlichen Raumes (verkehrliche und kulturelle Infrastruktur, Breitbandanschluss für schnelles Internet, bessere ärztliche Versorgung, Schaffung von Arbeitsplätzen…).
München braucht Wohnungen, jedoch ausschließlich bezahlbare-: Wohnungen für städtische Angestellte, für Krankenschwestern, Erzieher/innen, Polizisten … München braucht sozialen Wohnungsbau, genossenschaftliche und städtische Wohnungen, Erbbaurecht, die Wiedereinführung der Fehlbelegungsabgabe und eine viel längere Sozialbindung bei den Sozialwohnungen. Teure Wohnungen, Spekulationsobjekte („Betongold“) braucht München nicht.
„Wer Straßen baut, wird Verkehr ernten“, das ist endlich in den Köpfen angekommen. Wer einfach nur baut und gleichzeitig immer weiter Arbeitsplätze schafft, wird auch dies eines Tages leidvoll einsehen müssen: Mit bauen, bauen, bauen allein, diesem „Hinterherhecheln“, wie Dominik Hutter schreibt, machen wir nicht nur unsere Stadt kaputt, sorgen wir nicht nur für den endgültigen Verkehrskollaps und die Zerstörung der wenigen restlichen Grünflächen, sondern wir schaffen einen Sog, der nicht mehr zu stoppen ist.
Menschen, die diese Zusammenhänge erkannt haben, die sich um die Zukunft ihrer Stadt Sorgen machen und sich einbringen und einsetzen, als unverschämt zu bezeichnen – das und genau das ist wirklich unverschämt!
Weniger Häme und mehr Sachlichkeit wären für einen Kommentator der SZ angemessen.
Sonja Sachsinger
Sabine Kinseher meint
Ich habe mich ebenfalls über den Kommentar von Herrn Hutterin der SZ geärgert – deshalb spricht mir Frau Sachsinger mit ihrem Leserbrief aus der Seele!
Ich bin in München groß geworden und mir blutet das Herz, wenn ich sehe, was aus München geworden ist: Die dicht besiedeltste Stadt Deutschlands, deren Grünflächen zusehends/ gefühlt täglich „versiegelt“ werden mit architektonisch fragwürdigen Bürogebäuden, Einkaufsbunkern und lieblosen Wohnsilos mit Alibigrün. Raum zum Verweilen, attraktive Kinderspielplätze? Fehlanzeige. Herrlich! Diese neuen hochpreisigen „Schuhschachteln“ auf engstem Raum. Ganze Stadtviertel entstehen ohne Charme, ohne Seele! Hingeklotzt. Stadtleben? Der Münchner soll wohl vornehmlich wohnen und arbeiten bzw. arbeiten, um zu wohnen. Das muss genügen.
Es wird gebaut wie der Teufel! Die Wohnungen reichen trotzdem nicht – billiger wird Wohnen auch nicht. Seltsam.
Die Forderung von Herrn Hutter – wenn ich das richtig verstanden habe: bauen, bauen, bauen. Wohnungen und folglich auch neue Kindergärten, Schulen, Einkaufszentren, Kliniken, Straßen…
Meine Frage: Aber wohin? München ist kein Pizzateig, den man ausrollen kann. Was ist die Lösung?
Zugegeben: Ein bisschen was geht schon noch. Es gibt noch (Grün-)Reserven und zu Hauf Ideen:
Man muss halt noch a bissal mehr zusammenrücken. Neue Schulen, Kindergärten, Einkaufszentren und Altenheime übereinander stapeln oder gar unter Tage. Ein wenig mehr Geduld in Bus und Bahn und am Mittleren Ring – das schaffen wir! Und ja, ich vergaß, Flugtaxis sind auch angedacht.
Öffentliche Anlagen, Seen und unsere Isar teilen wir uns im 4-Std.–Takt. Oder vormittags Rentner und Mütter mit ihren kleinen Kindern und abends dann die Berufstätigen.
Und was den zunehmend schwindenden Baugrund betrifft: keine Bange: Noch finden sich in München Schrebergärten (müssen die Häuschen wirklich einstöckig sein?) und Grundstücke mit Einfamilienhäusern, die sich problemlos nachverdichten lassen, und Friedhöfe (was für eine Oase – einfach himmlisch). Nicht zu vergessen, der Englische Garten.
„Das bedeutet nicht, dass alle Grünflächen weichen müssen, auf keinen Fall!“ – schreibt Herr Hutter in seinem Artikel.
Ja – da bin ich ganz seiner Meinung! Denn ein wenig Grün in der Stadt ist schon schön (fürs Auge und zwecks der Luft und Erholung).
Aber Herr Hutter schreibt gleichzeitig:
„Es gibt also keine andere Lösung als den mühsamen Weg des Hinterherhechelns: Bauen, um den Bedarf an Wohnraum zu befriedigen.“ Hm… Jetzt bin ich doch ein bisschen besorgt um meinen geliebten Englischen Garten. Denn gerade im Zuge von Neubauten werden blöderweise gerne verbleibende Grünflächen „versiegelt“. Ich habe gehört, dass im Münchener Norden der Eggarten, eine der letzten Naturoasen mit uraltem Baumbestand und intakter Flora und Fauna, einem neuen Wohngebiet weichen soll!
Herr Hutter meint, die Wohnungsknappheit sei die Ursache für die hohen Mieten. Ich glaube, das Gegenteil ist der Fall: Gerade das exzessive Bauen treibt die Mieten in die Höhe, denn je knapper der wertvolle, begehrte Baugrund wird, desto teurer wird er. Zudem ist der teure Wohnraum dem unbekümmerten Verkauf von Grundstücken an Spekulanten und Meistbietende geschuldet. Staatseigentum wird aus der Hand gegeben mit den bekannten Folgen. Konzerne, Banken und private Geldgeber ziehen die Strippen und mischen kräftig bei der Stadtentwicklung mit. Und deshalb kann ich leider Herrn Hutters Statement „Bauen, um den Bedarf an Wohnraum zu befriedigen. So funktioniert ein sozialer und demokratischer Staat, so funktioniert eine offene und faire Gesellschaft“ nicht zustimmen.
Glaubt Herr Hutter wirklich, dass unter diesen Umständen unbegrenztes Wachstum auf Dauer sozial und ökologisch verträglich ist? Sagt er nicht selbst in seinem Kommentar, „dass der Staat dafür da ist, das Zusammenleben seiner Bürger verträglich und sozial zu organisieren?“ Was München braucht sind ausschließlich bezahlbare Wohnungen, so dass auch Alleinerziehende, Krankenschwestern, -pfleger, PolizistInnen, ErzieherInnnen, RentnerInnen …in München leben und auch (wieder) hierherkommen können. Denn eine Stadt lebt durch ihre bunte Vielfalt und Menschen aus allen Gesellschaftsschichten. Vielleicht wäre es an der Zeit, mal den Spekulanten den (Nähr-)Boden zu entziehen, anstatt den Bewohnern von München.
Der Freistaat findet langsam Gefallen an der Idee, den ländlichen Raum zu stärken und Wohnen und Arbeiten dort zusammenzubringen. Wann zieht München nach? Denn spätestens, wenn der Englische Garten plattgewalzt ist – was dann, Herr Hutter?
Sabine Kinseher, München Moosach
Wohland Roswitha meint
Vielen Dank, sehr geehrte Frau Sachsinger für Ihre beherzte, rasche Stellungnahme zum Kommentar Dominik Hutter in der Süddeutschen Zeitung vom 9.01.2019.
Ich stimme mit Ihnen überein, wie auch zahlreiche Teilnehmer der Veranstaltung am 14.01.19 im Bürgersaal Fürstenried zum Thema „Wachstum-die richtige Zukunftsstrategie für München?“
Die Bewohnerschaft Münchens als unverschämt zu bezeichnen ist schon sehr verwegen, um nicht zu sagen, für einen Journalisten einer renommierten Zeitung, die deutschlandweit gelesen wird, disqualifizierend. Vor allem dann, wenn man für sich selbst demokratische Verhaltensweisen einfordert.
Ein demokratisches Systems besteht nicht aus einseitiger Meinungsäußerung. Auch wenn die geäußerte Meinung nicht in den derzeitigen Mainstream mancher Journalisten passt.
Demokratie funktioniert unter Berücksichtigung von differenzierten Grundsätzen.
Noch ein Wort zum Thema. Mehr bauen führt nicht zur Lösung des Problems, es führt zu neuen, vielseitigen Problemen! Zuzug hier, ist z.B. der Wegzug (Leerstand) woanders!
Die Zuziehenden finden eine Stadt vor, die ihnen gefällt, sie kennen die Verhältnisse nur so, wie sie eben dann sind. Die bereits Wohnenden haben sich mit schwindender Lebensqualität abzufinden.
Weitere Beispiele und Begründungen sind trefflich in Frau Sachsingers Leserbrief beschrieben.
R. Kramer meint
Werte Frau Sachsinger,
gerne möchte ich Ihre Meinung und Argumentation unterstützen. Ich bin sogar der Meinung von Herrn Hutter, wenn er schreibt:
„..ignoriert einen wesentlichen Grundsatz dieses demokratischen Systems: Der Staat kann seinen Bürgern nicht vorschreiben, wo sie zu wohnen haben.“
ABER: Der Staat und die Kommunen, mithin die Gemeinschaft der Steuer und Abgaben zahlenden Bürger, sind deswegen noch lange nicht verpflichtet überall bezahlbaren Wohnraum verfügbar zu machen oder andere Ideen der individuellen Lebensgestaltung auf Kosten und zu Lasten der Gemeinschaft zu zahlen!
Freizügigkeit ist Privatvergnügen und findet meiner Meinung nach seine Grenzen an den individuellen finanziellen und sonstigen Möglichkeiten des Individuums.